Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 26.06.1985; Aktenzeichen L 9 Kr 63/84)

SG Berlin (Urteil vom 10.05.1984; Aktenzeichen S 75 Kr 210/83)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 26. Juni 1985 – L 9 Kr 63/84 – sowie das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 1984 – S 75 Kr 210/83 – aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17. November 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 1983 verurteilt, dem Kläger Krankengeld für den 24. September 1982 zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob dem Kläger Pflegekrankengeld nach § 185c der Reichsversicherungsordnung (RVO) für einen weiteren Tag zusteht.

Der Kläger ist von seinem Arbeitgeber wegen der Pflegebedürftigkeit eines erkrankten Kindes am 1. Juli 1982 für drei Stunden und vom 20. bis 24. September 1982 jeweils ganztags von der Arbeit freigestellt worden und hat deswegen gemäß Tarifvertrag den Verdienstausfall für eine dreistündige Abwesenheit am 1. Juli 1982 und für die ganztägige Abwesenheit am 20. und 21. September 1982 erhalten. Für den 22. und 23. September erhielt er Pflegekrankengeld von der Beklagten (§ 185c Abs 1 RVO). Ein Krankengeld auch für den 24. September 1982 hat sich die Beklagte mit dem Hinweis auf § 185c Abs 2 RVO zu zahlen geweigert, wonach der Anspruch in jedem Kalenderjahr für jedes Kind nur für fünf Arbeitstage besteht und nach § 189 RVO ein empfangenes Arbeitsentgelt den Krankengeldanspruch ruhen läßt. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.

Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung ausgeführt: Wie das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 22. Oktober 1980 – 3 RK 56/79 – überzeugend ausgeführt habe, beginne das Pflegekrankengeld mit dem ersten Tag des Fernbleibens von der Arbeit (BSGE 50, 259). Aus § 189 RVO und der Lohnersatzfunktion auch des Pflegekrankengeldes folge, daß der Anspruch ruhe, soweit der Versicherte aus dem gleichen Rechtsgrund Arbeitslohn erhalte. Für das Ruhen des Anspruchs sei es dann unerheblich, ob es sich um einen vollen Tageslohn oder nur um Teile davon handele. Erhalte der Versicherte an einem Arbeitstag einen Arbeitslohn für eine nur teilweise Freistellung, dann ruhe insoweit der Pflegekrankengeldanspruch für diesen Arbeitstag, und dieser Arbeitstag sei auch auf die Bezugsdauer des Pflegekrankengeldes anzurechnen. Die Möglichkeit der stundenweisen bezahlten Freistellung beruhe auf der Tarifvereinbarung, die Notwendigkeit der Anrechnung auch dieser Freistellung als Arbeitstag ergebe sich jedoch aus dem Gesetz, wonach das Pflegekrankengeld mit Arbeitstagen und nicht mit Arbeitsstunden bereitgestellt werde. Nur diese Lösung vermeide die Konsequenz, daß der bezahlte arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch und der Anspruch nach § 185c RVO aneinandergereiht würden und es so zu einer Verlängerung der auf fünf Arbeitstage begrenzten, bezahlten Freistellung komme.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Die vom LSG genannte Entscheidung des BSG sei zu einem Sachverhalt ergangen, der von ganzen Tagen des Fernbleibens gekennzeichnet gewesen sei. Für den 1. Juli 1982 sei ein Anspruch auf Pflegekrankengeld nicht entstanden, so daß er auch nicht zum Ruhen habe kommen können. Wenn die Beklagte Recht hätte, müßte er – der Kläger – für den 24. September 1982 einen Anspruch auf ein “Teilkrankengeld” für fünf Stunden haben. Der Anspruch auf Krankengeld könne nur insoweit ruhen, als der Versicherte Arbeitsentgelt erhalte; das sei für den 1. Juli 1982 aber nur für drei Stunden der Fall gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 26. Juni 1985 – L 9 Kr 63/84 – und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 1984 – S 75 Kr 210/83 – aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17. November 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 1983 zu verurteilen, ihm Krankengeld für den 24. September 1982 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist begründet.

Nach § 185c Abs 1, erster Halbsatz, RVO erhalten Versicherte Krankengeld, wenn es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, daß der Versicherte zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflegeseines erkrankten Kindes der Arbeit fernbleibt, eine andere im Haushalt des Versicherten lebende Person die Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege nicht übernehmen kann und das Kind das achte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Nach § 185c Abs 2 RVO besteht der Anspruch auf Pflegekrankengeld nach Absatz 1 in jedem Kalenderjahr für jedes Kind längstens für fünf Arbeitstage.

Unter einem Arbeitstag im Sinne dieser Vorschrift ist der Arbeitstag zu verstehen, wie er an dem jeweiligen Tag der tatsächlichen Kindesversorgung arbeitsvertraglich zu leisten war. Darauf, wieviel Arbeitsstunden an diesem Tag zu erbringen waren, kommt es daher insoweit nicht an.

Die Kasse kann dem Versicherten einen Arbeitstag nur insoweit auf die Gesamtzahl der ihm für die Kindesversorgung zustehenden fünf Tage anrechnen, als er ein Pflegekrankengeld für den betreffenden Tag überhaupt geltend gemacht hat. Auch Sozialleistungen bedürfen seitens der Berechtigten einer Antragstellung (s § 1545 Abs 1 Nr 2 RVO; vgl § 16 Sozialgesetzbuch (SGB) – Allgemeiner Teil – (SGB I). Macht der Versicherte etwa für einen bestimmten Tag trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 185c Abs 1 RVO einen Anspruch gegen den Krankenversicherungsträger auf Pflegekrankengeld nicht geltend, obwohl er an diesem Tage von seinem Arbeitgeber zur Kindesversorgung vor der Arbeit ohne Bezahlung freigestellt worden ist, so kann ihm der Versicherungsträger diesen Tag mangels Antragstellung nicht auf die fünf Arbeitstage anrechnen.

Nach § 46 Abs 2 SGB I ist ein Verzicht auf Sozialleistungsansprüche insoweit unwirksam, als durch den Verzicht der Leistungsträger belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden. Der Kläger hat für den 1. Juli 1982 gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Pflegekrankengeld geltend gemacht. Er hätte auf ein Pflegekrankengeld dann nicht verzichten können, wenn er an diesem Tag voll der Arbeit ferngeblieben wäre und insoweit gegenüber seinem Arbeitgeber einen Anspruch auf Bezahlung gehabt hätte. Denn in diesem Falle würde sein Verzicht auf Pflegekrankengeld auf eine Umgehung des § 189 RVO hinauslaufen, wonach ein Anspruch auf Krankengeld dann und insoweit nicht geltend gemacht werden kann, als der Versicherte “während der Krankheit beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erhält”. Eine solche Umgehung läßt sich jedoch dann nicht ohne weiteres feststellen, wenn die Freistellung und entsprechende Entlohnung nur, wie hier, auf einen Teil der Tagesarbeitszeit entfällt.

Das ergibt sich daraus, daß dem Versicherten nach § 185c Abs 1 RVO fünf volle Arbeitstage für die Kindesversorgung zustehen und bei einer täglich bloß teilweisen Freistellung eine Umgehung hinsichtlich eines vollen Arbeitstages jedenfalls nicht vorliegt. Allenfalls könnte die Beklagte den 1. Juli 1982 auf die fünf Arbeitstage mit den vergüteten drei Stunden anrechnen, bliebe dann aber verpflichtet, für den 24. September 1982 ein anteilig nach fünf Arbeitsstunden berechnetes Pflegekrankengeld zu zahlen. Eine solche Aufteilung des grundsätzlich nach Tagen zu bemessenden Krankengeldes erscheint dem Senat nach dem Sinn der Regelung jedoch nicht gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI852703

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