Entscheidungsstichwort (Thema)

Kraftfahrzeughilfe im Rahmen berufsfördernder Rehabilitationsmaßnahmen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation sind solche Leistungen, durch welche die Fähigkeit des Versicherten zur möglichst dauernden Ausübung seines bisherigen Berufes oder einer seiner Eignung, Neigung und bisherigen Tätigkeit angemessenen Erwerbs- oder Berufstätigkeit voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann.

2. Eine Leistung zur isolierten Förderung des Besuches einer allgemeinbildenden Schule ist keine "berufsfördernde" Leistung zur Rehabilitation.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gegenüber dem Rentenversicherungsträger besteht kein Anspruch auf Kraftfahrzeughilfe zur Erreichung einer allgemeinbildenden Schule.

2. Ob die Erwerbsfähigkeit des Versicherten voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann (§ 1236 Abs 1 RVO, § 13 Abs 1 AVG, § 35 Abs 1 RKG), unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Die Bejahung dieser Frage ist Voraussetzung dafür, daß eine Leistung überhaupt als "berufsfördernd" iS des § 1237a RVO (§ 14a AVG, § 36a RKG) angesehen werden kann.

3. Für die Frage der Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit iS des § 1236 Abs 1 RVO (§ 13 Abs 1 AVG, § 35 Abs 1 RKG) ist auf die Erwerbsfähigkeit im bisherigen Beruf abzustellen.

 

Normenkette

AVG § 13 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-08-07, § 14a Fassung: 1974-08-07; RVO § 1236 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-08-07, § 1237a Fassung: 1974-08-07; RKG §§ 36a, 35 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 20.04.1978; Aktenzeichen L 13 An 208/77)

SG Bayreuth (Entscheidung vom 07.09.1977; Aktenzeichen S 10 An 167/76)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Bayreuth vom 7. September 1977 und des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. April 1978 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit geht um die Gewährung eines Zuschusses zu den Kosten für die Anschaffung eines Kraftfahrzeuges als Maßnahme der beruflichen Rehabilitation.

Die am 14. Januar 1955 geborene Klägerin erlernte den Beruf der Buchhändlerin und war bis 1975 in diesem Beruf angestelltenversicherungspflichtig beschäftigt. Seit 1975 kann sie sich wegen einer Fehlentwicklung der Hüftgelenke nur noch mit Gehstützen bewegen. Sie besucht seither die Spätberufenen-Schule der Karmeliten (Humanistisches Gymnasium) in B, um dort das Abitur abzulegen und danach als Verlagsangestellte arbeiten zu können. Die etwa 2 bis 3 km lange Strecke zwischen ihrer Wohnung und dem Gymnasium legt sie im Auto eines Mitschülers zurück.

Im Juni 1976 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung eines Zuschusses zur Anschaffung eines eigenen Kraftfahrzeuges. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 13. August 1976 ab, weil die Klägerin das Fahrzeug nicht zur Erreichung eines Arbeitsplatzes benötige; ein Studienplatz bzw der Besuch einer Schule sei mit einem Arbeitsplatz im Sinne der "Richtlinien der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte für die Hilfe zur Beschaffung von Kraftfahrzeugen für behinderte Versicherte und Rentner als Regelleistung gemäß § 13 AVG" vom 30. Mai 1974 (DAngVers 1974, 362) nicht identisch. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 1976). Auch die Bundesanstalt für Arbeit lehnte die Gewährung eines Zuschusses ab (Bescheid des Arbeitsamts Bamberg vom 18. März 1977).

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Bayreuth die Bescheide der Beklagten vom 13. August und 7. Dezember 1976 aufgehoben (Urteil vom 7. September 1977). Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat nach Beiladung der Bundesanstalt für Arbeit und des Bezirks Oberfranken, Sozialhilfeverwaltung, die Berufung der Beklagten zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 20. April 1978).

Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Beklagte sei für die beantragte Rehabilitationsmaßnahme zuständig. Ihrer Entscheidung, daß der Besuch einer allgemeinbildenden Schule nicht förderungsfähig sei, könne für den vorliegenden Fall nicht beigetreten werden. Zwar erfasse § 14a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in der ab 1. Oktober 1974 geltenden Fassung des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I S. 1881) nach herrschender Meinung allgemeinbildende schulisch-pädagogische Maßnahmen nicht, es sei denn, ein fehlender schulischer Abschluß sei als Voraussetzung für eine weitere Rehabilitationsmaßnahme wie etwa den Besuch einer Fach- oder Fachhochschule nachzuholen. Wenn aber unter dieser Voraussetzung der Besuch einer allgemeinbildenden Schule förderungsfähig sei, so müsse dies erst recht gelten, wenn er wie im vorliegenden Fall bereits die berufliche Umschulung beinhalte. Die Klägerin könne sich nämlich durch den Besuch des Gymnasiums die Kenntnisse und Fähigkeiten in der Literatur und den Naturwissenschaften aneignen, die sie bei der von ihr angestrebten Bürotätigkeit im Buchhandel und im Verlagswesen benötige, weil dort, wie allgemein bekannt, ein qualifizierter Schulabschluß, der Kenntnisse und Verständnis für Sachbücher und Werke der Belletristik vermittele, nicht unerheblich zur Wettbewerbsfähigkeit beitrage. Dieser Gesichtspunkt sei für die Klägerin als Schwerbehinderte besonders zu beachten. Hiernach sei ausnahmsweise der Besuch einer allgemeinbildenden Schule förderungsfähig. Damit sei auch § 19 AVG als Anspruchsnorm für die Zahlung des Zuschusses zur Anschaffung eines Kraftfahrzeuges anwendbar. Die Beklagte werde in Ausübung des ihr zustehenden Ermessens allerdings noch die Notwendigkeit der Maßnahme und weiter zu prüfen haben, ob die Zahlung eines Zuschusses im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse der Klägerin gerechtfertigt erscheine.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine unrichtige Anwendung des § 14a Abs 1 Nr 3 und Abs 2 AVG. Nach dem Wortlaut des § 14a Abs 1 Nr 3 AVG, nach Sinn und Zweck der Vorschrift, nach der Begründung zu § 11 Abs 3 RehaAnglG und nach der in der Literatur vertretenen Ansicht könne der Besuch einer allgemeinbildenden Schule nicht um seiner selbst willen und losgelöst von einer anschließenden berufsfördernden Maßnahme gefördert werden. Ungeachtet dessen seien berufsfördernde Leistungen darauf auszurichten, den Betreuten möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern. Mit dem Abitur wäre indessen eine solche Eingliederung nicht gewährleistet und noch kein zuverlässiger beruflicher Abschluß gegeben. Die Klägerin könne als "Verlagsangestellte" allenfalls Anlerntätigkeiten ausüben, welche nicht nur einen sozialen Abstieg herbeiführen würden, sondern vor allem keine dauerhafte Eingliederung - wie etwa im Falle der Erlernung des Kaufmannsberufes - darstellten. Offenbar solle die Ablegung des Abiturs auch gar nicht einer unmittelbaren beruflichen Eingliederung dienen; jedenfalls habe die Klägerin keinen Antrag auf Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation gestellt. Hierüber könne erst unter der bisher nicht festgestellten Voraussetzung befunden werden, daß die Klägerin ihren erlernten Beruf tatsächlich nicht mehr ausüben könne.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. April 1978 und des Sozialgerichts Bayreuth vom 7. September 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und insbesondere die darin getroffene Feststellung, daß der erneute Schulbesuch bereits als solcher eine berufliche Umschulungsmaßnahme sei, für zutreffend. Ergänzend bezieht sie sich auf eine Mitteilung des Arbeitsamts München vom 29. August 1978. Darin heißt es, unter Auswertung der Hilfen nach dem Schwerbehindertengesetz könne ein qualifizierter Arbeitsplatz im Verlagswesen nach Ablegung der Reifeprüfung, zumindest aber auf der Ebene des bisherigen Berufes als Buchhändlerin, aller Voraussicht nach beschafft (vermittelt) werden.

Die Beigeladene zu 1) hat von einer förmlichen Antragstellung abgesehen. Sie hält das angefochtene Urteil insoweit für zutreffend, als danach nicht sie - die Beigeladene - vorrangig zur Rehabilitation verpflichtet sei. Im übrigen aber sei das Urteil rechtsfehlerhaft. Der Schulbesuch zur Erlangung des Abiturs sei keine Maßnahme der beruflichen Rehabilitation.

Der Beigeladene zu 2) schließt sich den Ausführungen des Berufungsgerichts an.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist zulässig und begründet.

Die Klägerin kann von der Beklagten die Gewährung einer Kraftfahrzeughilfe nicht verlangen.

Nach § 13 Abs 1 Satz 1 AVG idF des RehaAnglG kann die Beklagte, wenn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte gefährdet oder gemindert ist und voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann, Leistungen zur Rehabilitation in dem in den §§ 14 bis 14b AVG bestimmten Umfang gewähren. Zu diesen Leistungen gehören ua berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation iS des § 14a Abs 1 AVG sowie ergänzende Leistungen iS des § 14b AVG.

Die Gewährung von Leistungen der beruflichen Rehabilitation steht im Ermessen des Versicherungsträgers. Die Fragen hingegen, ob die vom Versicherten begehrte Leistung eine solche der beruflichen Rehabilitation ist und ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bewilligung dieser Leistung erfüllt sind, betreffen nicht den Ermessensbereich. Vielmehr handelt es sich um der uneingeschränkten Entscheidungsbefugnis der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit unterliegende Tat- und Rechtsfragen (BSGE 45, 183, 185 = SozR 2200 § 1236 Nr 5; Zweng/Scheerer, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 2. Aufl, § 1236, Anm III).

Das gilt einmal für die Frage, ob - als Voraussetzung für die Bewilligung von Leistungen zur Rehabilitation - die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte gefährdet oder gemindert ist. Dabei ist die Erwerbsfähigkeit nicht unter Heranziehung der in § 23 Abs 2 Satz 2 AVG (= § 1246 Abs 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) aufgeführten Kriterien zu beurteilen. Es ist also nicht erforderlich, daß die Erwerbsfähigkeit des Versicherten bezüglich aller Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können, gefährdet oder gemindert ist. Vielmehr ist insoweit auf den bisherigen Beruf des Versicherten abzustellen; es genügt eine Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit in diesem bisherigen Beruf (BSGE 28, 18, 19 f = SozR Nr 4 zu § 1236 RVO; Eicher/Hasse/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 6. Aufl, § 1236 RVO / § 13 AVG, Anm 4a).

Der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt ferner die Frage, ob die Erwerbsfähigkeit des Versicherten voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann. Jedenfalls im Rahmen der beruflichen Rehabilitation - medizinische Leistungen zur Rehabilitation sind hier nicht im Streit - ist dies entgegen der insoweit mißverständlichen Systematik des § 13 Abs 1 Satz 1 AVG nicht Voraussetzung für die Bewilligung einer berufsfördernden Leistung zur Rehabilitation, sondern dafür, um die Leistung überhaupt als "berufsfördernd" im Sinne des § 14a AVG ansehen zu können. Eine Leistung, durch welche die Erwerbsfähigkeit des Versicherten nicht erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann, kann von vornherein nicht als "berufsfördernde Leistung" angesehen werden. Dabei hat in diesem Zusammenhang der Begriff der "Erwerbsfähigkeit" einen anderen Sinngehalt als im Rahmen der ersten Voraussetzung des § 13 Abs 1 Satz 1 AVG. Sie bezieht sich nicht nur auf den bisherigen Beruf des Versicherten. Das hätte zur Folge, daß berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation nur solche Leistungen wären, durch welche der Versicherte voraussichtlich instandgesetzt würde, seinen bisherigen Beruf weiter oder wieder auszuüben. Der Umfang der den Trägern der Rentenversicherung obliegenden Leistungen der beruflichen Rehabilitation ist jedoch nicht derart eng begrenzt. Das ergibt sich bereits aus § 14a Abs 1 Nrn 2 bis 4 AVG. Hiernach umfassen die berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation ua Berufsfindung und Arbeitserprobung sowie Berufsvorbereitung, berufliche Umschulung und sonstige Hilfen zur Ermöglichung einer angemessenen und geeigneten Erwerbs- oder Berufstätigkeit. Schon dies zeigt, daß berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation nicht allein auf die Erhaltung, wesentliche Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten in seinem bisherigen Beruf gerichtet sein müssen und somit in diesem Zusammenhang der Begriff der Erwerbsfähigkeit weiter auszulegen ist. Dies wird bestätigt durch § 14a Abs 2 AVG. Hiernach sind die berufsfördernden Leistungen darauf auszurichten, den Betreuten möglichst auf Dauer einzugliedern. Bei Auswahl der berufsfördernden Leistungen sind Eignung, Neigung und bisherige Tätigkeit angemessen zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung dieser generellen Zielsetzung der beruflichen Rehabilitation muß demnach unter Erwerbsfähigkeit, die nach § 13 Abs 1 Satz 1 AVG voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann, die Fähigkeit des Versicherten zur möglichst dauernden Ausübung entweder seines bisherigen Berufes oder einer seiner Eignung, Neigung und bisherigen Tätigkeit angemessenen Erwerbs- oder Berufstätigkeit verstanden werden. Demzufolge können als berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation nur solche Leistungen angesehen werden, durch welche die Fähigkeit des Versicherten zur möglichst dauernden Ausübung seines bisherigen Berufes oder einer seiner Eignung, Neigung und bisherigen Tätigkeit angemessenen Erwerbs- oder Berufstätigkeit voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann. Ist eine Leistung hierzu von vornherein nicht geeignet, so stellt sie keine "berufsfördernde" Leistung dar und kann bereits deswegen nicht bewilligt werden. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, kann nicht generell und abstrakt entschieden werden. Vielmehr kann diese Entscheidung nur einzelfallbezogen für die vom Versicherten konkret begehrte Leistung getroffen werden. Nur wenn speziell diese Leistung die Fähigkeit des Versicherten zur möglichst dauernden Ausübung seines bisherigen Berufes oder einer seiner Eignung, Neigung und bisherigen Tätigkeit angemessenen Erwerbs- oder Berufstätigkeit voraussichtlich erhalten, wesentlich bessern oder wiederherstellen kann, kann sie als Maßnahme der beruflichen Rehabilitation angesehen und bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen gewährt werden.

Die Voraussetzung des § 13 Abs 1 Satz 1 AVG für die Gewährung berufsfördernder Leistungen zur Rehabilitation an die Klägerin ist erfüllt. Zwar hat das Berufungsgericht nicht ausdrücklich festgestellt, daß ihre Erwerbsfähigkeit aus einem der in der Vorschrift genannten Gründe gefährdet oder gemindert ist. Es hat jedoch ausgeführt (S. 4 des angefochtenen Urteils), die Ursache und die Notwendigkeit für eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme sei in einer gesundheitlichen Behinderung der Klägerin zu sehen, die ohne Wiedereingliederung in das Berufsleben zur Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit führen würde. Dem ist im Zusammenhang mit der weiteren Feststellung des LSG, daß die Klägerin an einer Hüftdysplasie leide und deswegen nur mit Hilfe von Gehstützen bewegungsfähig sei, zu entnehmen, daß die Erwerbsfähigkeit der Klägerin jedenfalls in ihrem bisher ausgeübten Beruf der Buchhändlerin gemindert ist. Diese Feststellung ist von der Beklagten nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden und damit für den Senat bindend (§ 163 SGG). Zwar hat die Beklagte zur Begründung ihrer Revision ua vorgetragen, es müsse erst noch die fundierte Feststellung getroffen werden, daß die Klägerin ihren erlernten Beruf einer Buchhändlerin wegen ihres Gesundheitszustandes tatsächlich nicht mehr ausüben könne. Eine derartige Feststellung ist aber, wie ausgeführt, den Gründen des angefochtenen Urteils mit genügender Klarheit zu entnehmen.

Gleichwohl kann der Klägerin eine Beihilfe oder ein Zuschuß zur Anschaffung eines Pkw nicht gewährt werden. Denn hierbei handelt es sich nicht um eine "berufsfördernde" Leistung. Die Klägerin will das Kraftfahrzeug für Fahrten zwischen ihrer Wohnung und dem von ihr zwecks Vorbereitung auf das Abitur besuchten Gymnasium benutzen. Damit käme die Bewilligung einer Kraftfahrzeughilfe nur dann in Betracht, wenn der Besuch des Gymnasiums als solcher als Maßnahme der Berufsförderung angesehen werden könnte. Das ist entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht der Fall. Der Besuch des Gymnasiums ist nicht geeignet, die Fähigkeit der Klägerin zur möglichst dauernden Ausübung ihres bisherigen Berufes oder einer ihrer Eignung, Neigung und bisherigen Tätigkeit angemessenen Erwerbs- oder Berufstätigkeit zu erhalten, wesentlich zu bessern oder wiederherzustellen.

Daß die Klägerin nach und infolge Ablegung des Abiturs ihren erlernten Beruf der Buchhändlerin weiterhin oder wieder ausüben könnte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Es hat jedoch ausgeführt, die Klägerin könne sich mit dem Besuch des Gymnasiums die Kenntnisse und Fähigkeiten in der Literatur und in den Naturwissenschaften aneignen, die sie bei der von ihr angestrebten Bürotätigkeit im Buchhandel und im Verlagswesen benötige, weil dort ein qualifizierter Schulabschluß, der Kenntnisse und Verständnis für Sachbücher und Werke der Belletristik vermittele, nicht unerheblich zur Wettbewerbsfähigkeit beitrage. Deswegen beinhalte hier der Besuch der allgemeinbildenden Schule bereits die berufliche Umschulung. Diese rechtliche Schlußfolgerung ist fehlerhaft. Zweifelhaft ist bereits, ob das LSG von einem zutreffenden Begriff der "Umschulung" ausgegangen ist und dessen Unterschied zum Begriff der "beruflichen Fortbildung" beachtet hat. Es erscheint unbedenklich, diese in § 14a Abs 1 Nr 3 AVG verwendeten Begriffe nach denselben Kriterien voneinander abzugrenzen, wie sie für den Bereich des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) der 7. Senat (vgl BSGE 44, 173, 176 = SozR 4100 § 44 Nr 14 mwN) und der 12. Senat des BSG (vgl zuletzt BSG SozR 4100 § 41 Nr 25) entwickelt haben. Davon ausgehend ist es zweifelhaft, ob nicht das LSG unter Berücksichtigung dessen, daß die Klägerin den Beruf der Buchhändlerin erlernt und ausgeübt hat, bereits aus seiner Sicht den Besuch des Gymnasiums als berufliche Fortbildung hätte ansehen müssen. Dies kann indes auf sich beruhen. Denn der Besuch des Gymnasiums stellt weder eine berufliche Fortbildung oder Umschulung noch überhaupt eine berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation dar, sofern er nicht seinerseits notwendige Voraussetzung für die Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Förderung ist. Ziel des Besuches des Gymnasiums ist die Erlangung eines qualifizierten Schulabschlusses in Gestalt der Hochschulreife. Zwar vermittelt ein solcher qualifizierter Schulabschluß in besonderem Maße Kenntnisse und Verständnis für Sachbücher und Belletristik. Es mag auch zutreffen, daß dies im Bereich des Buchhandels und des Verlagswesens nicht unerheblich zur Wettbewerbsfähigkeit beiträgt. Das ist jedoch nicht entscheidend. Ausschlaggebend ist, daß der Besuch einer allgemeinbildenden Schule seiner wesensgemäßen Zweckbestimmung nach dem Schüler allgemeine Kenntnisse und geistige Fähigkeiten vermitteln soll, aber gerade nicht der Vermittlung spezifisch beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten zur Fortbildung in einem bereits erlernten oder zur Erlernung eines neuen Berufs dient. Daran ändert nichts, daß ein qualifizierter Schulabschluß möglicherweise in besonderem Maße zur Erlernung beruflicher oder neuer beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten befähigt. Die Befähigung zur Erlernung solcher Kenntnisse und Fertigkeiten kann der Erlernung selbst nicht gleichgesetzt werden. Der Schulbesuch ist somit nicht geeignet, die Fähigkeit zur möglichst dauernden Ausübung eines bereits erlernten Berufes oder einer nach Eignung, Neigung und bisheriger Tätigkeit des Schülers angemessenen Erwerbs- oder Berufstätigkeit zur erhalten, wesentlich zu bessern oder wiederherzustellen. Damit ist eine Leistung zur isolierten Förderung des Besuches einer allgemeinbildenden Schule keine "berufsfördernde" Leistung zur Rehabilitation iS des § 14a AVG. Dies steht der Gewährung einer solchen Leistung und damit zugleich einer Beihilfe oder eines Zuschusses zu den Kosten der Anschaffung eines für den Schulbesuch erforderlichen Kraftfahrzeuges entgegen.

Nach alledem sind schon die der gerichtlichen Nachprüfung unterliegenden Voraussetzungen für die Gewährung der von der Klägerin begehrten Leistung nicht erfüllt. Darüber, ob die Beklagte durch Berufung auf ihre Richtlinien für die Hilfe zur Beschaffung von Kraftfahrzeugen ermessensfehlerhaft gehandelt hat, braucht der Senat nicht mehr zu entscheiden. Die Klage ist unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1653756

BSGE, 74

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