Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenhilfe. Sperrzeit. wichtiger Grund. Probearbeit. besondere Härte. Irrtum

 

Leitsatz (amtlich)

1. Verlangt der Arbeitgeber vor Abschluß eines Arbeitsvertrages (hier: mit einem Zahntechniker) ein Probestück, so liegt ein wichtiger Grund für die Ablehnung des Arbeitsangebotes (§ 119 Abs 1 S 1 Nr 2 AFG) nicht vor, wenn die Anfertigung des Probestückes der Feststellung der Eignung des Arbeitslosen dient und das Maß des Zumutbaren nicht überschritten wird.

2. Der Irrtum über das Vorliegen der Sperrzeitvoraussetzungen begründet eine besondere Härte nur, wenn er unverschuldet ist.

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

AFG § 119 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1, Abs. 3

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 26.01.1996; Aktenzeichen L 10 Ar 371/94)

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 08.03.1994; Aktenzeichen S 1 Ar 2938/93)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Januar 1996 hinsichtlich der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Beklagten zurückgewiesen worden ist.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. März 1994 auch im übrigen aufgehoben und die Klage gänzlich abgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Revision betrifft den Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab dem 23. Juli 1993.

Der 1947 geborene Kläger war von Juli 1980 bis Dezember 1986 und von April 1988 bis September 1989 als Zahntechniker beschäftigt. Im Anschluß daran bezog er Arbeitslosengeld (Alg) und nach Erschöpfung des Anspruches seit dem 28. Februar 1991 Alhi. Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) stellte durch Bescheid vom 11. Mai 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 25. August 1992 den Eintritt einer Sperrzeit von acht Wochen fest. Der Bescheid wurde bindend.

Im Juni 1993 unterbreitete die Beklagte dem Kläger ein Arbeitsangebot als Zahntechniker bei der Firma F. Zahntechnik GmbH in M. …. Das Angebot erfolgte schriftlich mit einem Hinweis auf die vorgedruckte Rechtsfolgenbelehrung „R 2”. Der Kläger stellte sich am 24. Juni 1993 bei dem vorgeschlagenen Arbeitgeber vor. Er verweigerte die vom Arbeitgeber verlangte Anfertigung eines Probearbeitsstückes ohne vorherige Vereinbarung eines Probearbeitsverhältnisses. Der Arbeitgeber lehnte daraufhin weitere Verhandlungen über eine Einstellung des Klägers ab. Die Beklagte hob die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi ab 25. Juni 1993 wegen des Eintritts einer erneuten Sperrzeit von acht Wochen auf und forderte vom Kläger die Erstattung der über diesen Zeitpunkt hinaus gezahlten Alhi in Höhe von 827,40 DM (Bescheid vom 3. August 1993; Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1993).

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben: Es fehle an einer auf den konkreten Einzelfall bezogenen Belehrung durch die Beklagte. Die Beklagte habe den Kläger darüber belehren müssen, daß er sich ggf auch der Anfertigung einer Probearbeit unterziehen müsse. Ein entsprechendes Verlangen sei, wie eine Auskunft der Zahntechniker-Innung bestätigt habe, zwischenzeitlich üblich, soweit ein Bewerber längere Zeit nicht mehr im Beruf des Zahntechnikers gearbeitet habe (Urteil vom 8. März 1994).

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils der Klage nur insoweit stattgegeben, als die Beklagte ihre Entscheidung über die Bewilligung von Alhi über den 22. Juli 1993 hinaus aufgehoben hat. Zur Begründung ist ausgeführt, das Verhalten des Klägers rechtfertige nicht den Eintritt einer Sperrzeit von acht, sondern lediglich von vier Wochen. Der Kläger sei über die Rechtsfolgen einer unberechtigten Ablehnung des Arbeitsangebotes hinreichend belehrt worden, da ihm die Folgen vor Augen geführt worden seien, die sich aus der Ablehnung der Arbeit ergäben. Nicht zu einer Belehrung über die Rechtsfolgen gehöre eine Belehrung darüber, daß sich der Kläger auf Verlangen des Arbeitgebers schon vor Abschluß eines Arbeitsvertrages einer Probearbeit unterziehen müsse. Ein solcher Hinweis beziehe sich auf Umstände, die das Arbeitsangebot bestimmen und konkretisieren würden. Habe der Arbeitslose aufgrund des ihm unterbreiteten Angebots Kontakt mit dem Arbeitgeber aufgenommen, so könne er sich nicht darauf berufen, daß das Angebot unzureichend konkretisiert gewesen sei. Der zeitliche Umfang der Sperrzeit von acht Wochen bedeute nach den für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte für den Kläger. Der Kläger habe irrtümlich angenommen, zu der Anfertigung einer Probearbeit jedenfalls außerhalb eines Probearbeitsverhältnisses nicht gehalten zu sein. Dieser Irrtum sei entschuldbar, da die Beklagte ihn nicht auf die Branchenüblichkeit hingewiesen habe und die Üblichkeit dem Kläger auch im Hinblick auf seine letzte Tätigkeit im Jahre 1989 nicht habe bekannt sein müssen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 119 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er sei zu einer Anfertigung einer Probearbeit außerhalb eines Probearbeitsverhältnisses nicht gehalten gewesen. Ob der Kläger sich tatsächlich darüber geirrt habe, sei vom LSG nicht untersucht worden. Selbst wenn ein Irrtum zu bejahen wäre, liege eine besondere Härte nicht vor. Die Notwendigkeit einer Probearbeit dränge sich nach dem verständigen Ermessen eines an einer Einstellung interessierten Arbeitslosen geradezu auf. In der praktischen Arbeitswelt sei eine Vielzahl von Irrtümern möglich, die dann automatisch entschuldbar wären. An die Entschuldbarkeit eines Irrtums müßten angemessene Anforderungen gestellt werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Januar 1996 abzuändern, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 8. März 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der im Revisionsverfahren nicht vertretene Kläger hat sich zur Sache nicht geäußert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Gegenstand des Revisionsverfahrens sind der Bescheid der Beklagten vom 3. August 1993 idF des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 1993 nur noch insoweit, als die Beklagte ihre Entscheidung über die Bewilligung von Alhi über den 22. Juli 1993 hinaus (insgesamt) aufgehoben hat. Im übrigen ist das Urteil des LSG infolge Rechtskraft für die Beteiligten bindend geworden (§ 141 SGG).

Begründet ist die Revision der BA, weil die Voraussetzungen für die Aufhebung der Bewilligung von Alhi auch ab 23. Juli 1993 vorgelegen haben. Die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage war deshalb in vollem Umfang abzuweisen.

Nach § 48 Abs 1 Satz 1 und 2 Nr 4 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vom Zeitpunkt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse an aufgehoben werden, soweit der Betroffene wußte oder nicht wußte, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonderes schwerem Maße verletzt hat, daß der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Eine wesentliche Änderung hinsichtlich des Anspruchs auf Alhi ist eingetreten, weil der Anspruch gemäß § 119 Abs 3 AFG erloschen ist. Nach § 119 Abs 3 AFG idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) erlischt ein noch zustehender Anspruch auf Alg, wenn der Arbeitslose erneut Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von acht Wochen gibt, nachdem er nach Entstehung des Anspruchs bereits einmal Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von acht Wochen gegeben und hierüber einen schriftlichen Bescheid erhalten hat. Für den Anspruch auf Alhi gilt das entsprechend (BSGE 48, 109, 110 = SozR 4100 § 119 Nr 8; SozR 3-4100 § 119 Nr 4). Der Kläger hat über den Eintritt einer (ersten) Sperrzeit von acht Wochen einen schriftlichen Bescheid erhalten.

Ob dieser Bescheid eine ausreichende Belehrung darüber enthielt, unter welchen Voraussetzungen das Erlöschen eintreten kann (vgl BSGE 61, 289, 294 f = SozR 4100 § 119 Nr 31), hat das LSG nicht festgestellt. Eine derartige Feststellung ist jedoch entbehrlich, weil das Fehlen einer Belehrung nach § 119 Abs 3 AFG jedenfalls dann geheilt wird, wenn die zweite Sperrzeit auf dem Tatbestand des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG beruht und der Arbeitslose im Zusammenhang mit dem Angebot des Arbeitsamts eine iS dieser Regelung ausreichende Rechtsfolgenbelehrung erhält, die auch die Belehrung über das Erlöschen nach § 119 Abs 3 AFG umfaßt (BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 4). Der auf der Rückseite des Arbeitsangebotes enthaltene Vordruck R 2, auf den im Anschreiben ausdrücklich hingewiesen wurde, genügt den zu stellenden Anforderungen. In der Belehrung wurde der Kläger insbesondere darüber unterrichtet, daß der ihm zustehende Anspruch auf Leistungen von dem Tage der Arbeitsablehnung/-verhinderung an ganz erlösche, wenn er erneut Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von acht Wochen gebe und er einen neuen Leistungsanspruch erst dann wieder erhalten könne, wenn er nach dem Verlust des Anspruchs erneut die Voraussetzungen für den Bezug der Leistungen erfüllt habe.

Auch das weitere Erfordernis des § 119 Abs 3 AFG, daß der Arbeitslose erneut Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von acht Wochen gibt, ist erfüllt. Nach § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG in der hier maßgeblichen Fassung des AFKG tritt eine Sperrzeit von acht Wochen ein, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Arbeit nicht angenommen oder nicht angetreten hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Diese Voraussetzungen liegen vor.

Dem LSG ist im Ergebnis darin zuzustimmen, daß der Kläger sich nicht auf die mangelnde Bestimmtheit des Arbeitsangebotes berufen kann. Erforderlich ist zur Konkretisierung des Arbeitsangebotes nach dem durch das AFKG eingefügten Zusatz die „Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit”. Diese Einfügung erfolgte auf Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses (BT-Drucks 9/1144 Anlage, Nr 4) und sollte nach dem Bericht des Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses einer Umgehung der Sperrzeit beim Bezug von Alg vorbeugen (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 9. Wahlperiode, 73. Sitzung, S 4260). Durch die Änderung sollten folglich die von der früheren Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Konkretisierung des Arbeitsangebotes (vgl BSGE 52, 63, 66 ff = SozR 4100 § 119 Nr 15) herabgesetzt werden (so auch Gagel, Komm zum AFG, § 119 Rz 239; Niesel, AFG, § 119 Rz 34). Die Entstehungsgeschichte verdeutlicht, daß die Verpflichtung der Beklagten zur ausreichenden Bestimmung des Arbeitsangebotes sich jedenfalls nicht auf Umstände erstreckt, die sich auf besondere Anforderungen des Arbeitgebers zum Zwecke der Bewerberauswahl im Vorfeld des Vertragsabschlusses beziehen. Derartige Umstände liegen außerhalb der auszuübenden Tätigkeit und der sie prägenden Arbeitsbedingungen und berühren die Ordnungsmäßigkeit des Angebots der BA nicht. Da die erforderliche Konkretisierung des Arbeitsangebotes Verfahren zur Personalauswahl nicht umfaßt, kommt es auf die vom LSG herangezogene Rechtsprechung nicht an, wonach der Arbeitslose sich nicht im nachhinein auf eine unzureichende Konkretisierung des Angebots berufen kann, soweit er aufgrund des ihm unterbreiteten Angebots Kontakt mit dem Arbeitgeber aufnimmt und sich dadurch selbst Gelegenheit verschafft, bisher fehlende Informationen über das Arbeitsangebot einzuholen (BSGE 52, 63, 69 = SozR 4100 § 119 Nr 15).

Durch seine Weigerung, ein Probearbeitsstück außerhalb eines Probearbeitsverhältnisses anzufertigen, hat der Kläger die ihm vom Arbeitsamt angebotene Arbeit jedenfalls durch schlüssiges Verhalten nicht angenommen. Ferner enthielt das Arbeitsangebot eine ausreichende Rechtsfolgenbelehrung iS des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG.

Dem LSG ist auch darin beizupflichten, daß der Kläger für die Nichtannahme des Arbeitsangebotes einen wichtigen Grund nicht anzuführen vermag. Ob ein wichtiger Grund für die Ablehnung eines Arbeitsangebotes angenommen werden kann, ist unter Berücksichtigung des Grundgedankens der Sperrzeitregelung, daß sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehren muß, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft, zu beurteilen. Im Ergebnis soll eine Sperrzeit – dies deckt sich mit den Vorstellungen des Gesetzgebers (vgl BT-Drucks zu V/4100 S 20 f) – dann eintreten, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann.

Ein wichtiger Grund hätte dem Kläger zur Seite gestanden, wenn ihm die Annahme der angebotenen Arbeit aufgrund des Umstandes, daß er vor Begründung eines Arbeitsverhältnisses ein Probearbeitsstück hätte anfertigen müssen, nicht zugemutet werden durfte. Hierfür sind durchgreifende Gründe nicht ersichtlich. Auszugehen ist von der grundsätzlich unbestrittenen Berechtigung des Arbeitgebers, unter den Bewerbern für eine Arbeitsstelle vor dem Abschluß eines Arbeitsvertrages eine Auswahl zu treffen und sich zur Feststellung des geeigneten Bewerbers der insoweit zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel zu bedienen (vgl den Überblick über die in der Praxis üblichen Auswahlverfahren bei Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl 1996, § 24 II; Kania in: Küttner, Personalbuch 1996, Personalauswahl RdNrn 8 ff). Mit dieser Berechtigung des Arbeitgebers korrespondiert die Obliegenheit des Arbeitslosen gegenüber der Versichertengemeinschaft, sich entsprechenden Auswahl- bzw Eignungsprüfungen zu unterziehen, um die Arbeitslosigkeit zu beenden. Anhaltspunkte dafür, daß durch die Anfertigung eines Probearbeitsstückes das Maß des für den Arbeitslosen Zumutbaren überschritten worden wäre, fehlen. Allerdings besteht die gegenüber der Versichertengemeinschaft bestehende Obliegenheit des Arbeitslosen, seine Eignung für die vorgeschlagene Arbeitsstelle im Einzelfall über ein Einstellungsgespräch und die Vorlage von Bewerbungsunterlagen hinaus zu dokumentieren, nicht unbeschränkt. Vielmehr braucht er sich nur solchen Auswahlverfahren zu unterziehen, die der Feststellung seiner Eignung für die angebotene Arbeit dienen, objektiv geeignet sind, diesen Zweck zu erfüllen, und nach Umfang und den näheren Umständen des Auswahlverfahrens als zumutbar angesehen werden können. Die Üblichkeit einer Prüfung der Eignung zur Auswahl des einzustellenden Bewerbers wird in der Regel auf die Erfüllung der genannten Kriterien hindeuten, reicht jedoch nicht in jedem Falle aus.

Die Anfertigung eines Probestückes durch einen Zahntechniker ist, was keiner näheren Darlegung bedarf, ein für die Bewerberauswahl geeignetes Verfahren. Sie überschritt, da sie nach den getroffenen Feststellungen ca einen halben Tag in Anspruch nehmen sollte und zu vergüten war, das Maß dessen nicht, das dem Arbeitslosen gegenüber der Versichertengemeinschaft zuzumuten ist, eine Arbeitsstelle zu erlangen und den Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit zu beenden.

Der Kläger konnte sich auch nicht deshalb auf einen wichtigen Grund für die Ablehnung des Arbeitsangebotes berufen, weil für den Arbeitgeber die Möglichkeit bestanden hätte, ein Probearbeitsverhältnis zu begründen. Mit der Begründung eines Probearbeitsverhältnisses verfolgen die Arbeitsvertragsparteien in erster Linie den Zweck, sich gegenseitig kennenzulernen (BAG AP Nr 10 zu § 620 BGB Probearbeitsverhältnis). Das Probearbeitsverhältnis dient dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer folglich in einem umfassenden Sinne dazu, im Rahmen einer angemessenen Zeitspanne Klarheit darüber zu gewinnen, ob eine dauerhafte Zusammenarbeit möglich erscheint. Der weitreichende Zweck und die häufig tarifvertraglich geregelte Dauer der Probezeit lassen das Probearbeitsverhältnis ungeeignet erscheinen, eine erste Auswahl oder eine Auswahl aus einer Vielzahl von möglichen Bewerbern für eine Arbeitsstelle zu treffen. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn, wofür im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte vorliegen, durch das Verlangen nach einer Probearbeit eine Umgehung vertraglicher Bindungen erreicht werden soll.

Für die Annahme eines wichtigen Grundes reicht es schließlich nicht aus, daß der Kläger bei der Ablehnung des Arbeitsangebotes davon ausging, für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Vielmehr muß ein wichtiger Grund objektiv vorgelegen haben (BSGE 66, 94, 101 f = SozR 4100 § 119 Nr 36).

Entgegen der Auffassung des LSG sind die Rechtsfolgen des § 119 Abs 3 AFG eingetreten, da die Dauer der Sperrzeit acht Wochen beträgt. Nach § 119 Abs 2 Satz 1 AFG umfaßt die Sperrzeit vier Wochen, wenn eine Sperrzeit von acht Wochen für den Arbeitslosen nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde. Zu Recht ist das LSG allerdings davon ausgegangen, daß die gerichtliche Überprüfung, ob eine Sperrzeit mit der Regeldauer für den Arbeitslosen eine besondere Härte bedeuten würde, keinerlei Einschränkungen unterliegt und von den Gerichten regelmäßig vorzunehmen ist, wenn eine Sperrzeit eingetreten und die Beklagte von der Regeldauer ausgegangen ist (BSGE 44, 71, 81 = SozR 4100 § 119 Nr 3; SozR 4100 § 119 Nr 33). Insbesondere ist der Beklagten – anders als in den Vorläuferregelungen des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BSGE 5, 87, 91) – insoweit weder ein Ermessens-, noch ein Beurteilungsspielraum eingeräumt.

Ob eine Sperrzeit von acht Wochen für den Arbeitslosen eine besondere Härte bedeutet, richtet sich dem Wortlaut des § 119 Abs 2 Satz 1 AFG zufolge „nach den für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen”. Hieraus ergeben sich Einschränkungen hinsichtlich der grundsätzlich berücksichtigungsfähigen tatsächlichen Umstände insoweit, als allgemeine Umstände persönlicher oder wirtschaftlicher Art außer Betracht bleiben, die zwar die wirtschaftlichen Folgen der Sperrzeit für den Arbeitslosen beeinflussen, ohne daß sie Grundlage des für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Verhaltens des Arbeitslosen gewesen wären. Derartige Gegebenheiten können zur Begründung einer Härte nicht herangezogen werden, weil sie außerhalb des Sperrzeittatbestandes liegen. Maßgebende Tatsachen iS des § 119 Abs 2 Satz 1 AFG sind folglich in erster Linie solche, die mit dem Eintritt der Sperrzeit in einem ursächlichen Zusammenhang stehen (BSG SozR 4100 § 119 Nr 32). Hierzu können, wie das BSG in ständiger Rechtsprechung annimmt, auch Umstände persönlicher bzw wirtschaftlicher Art gehören, die zwar von ihrem Gewicht her nicht den Eintritt der Sperrzeit hindern, jedoch aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles eine Sperrzeit von einer Regeldauer als besonders hart erscheinen lassen (vgl nur BSGE 54, 7, 14 = SozR 4100 § 119 Nr 19; SozR 4100 § 119 Nr 32). Zu den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen kann bei Vorliegen der vorstehend genannten Voraussetzungen auch der (Rechts-)Irrtum des Arbeitslosen gehören, für die Ablehnung eines Arbeitsangebotes einen wichtigen Grund zu haben. Dementsprechend hat das BSG in einer Fallgestaltung, bei der der Arbeitslose eine ihm vom Arbeitsamt angebotene Arbeit wegen Unzumutbarkeit abgelehnt hatte, das Vorliegen einer besonderen Härte erörtert, im Ergebnis jedoch deshalb abgelehnt, weil der Irrtum nicht unverschuldet gewesen ist (BSGE 48, 109, 114 = SozR 4100 § 119 Nr 8).

Nach den von der Beklagten nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat der Kläger sich in einem Irrtum über das Vorliegen eines wichtigen Grundes befunden, indem er angenommen hat, zu der Anfertigung einer Probearbeit jedenfalls außerhalb eines Probearbeitsverhältnisses nicht gehalten zu sein. Es sind aufgrund der Feststellungen auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der Kläger, wäre er dem Irrtum nicht erlegen, die angebotene Arbeit auch aus anderen Gründen nicht angenommen hätte. Damit gehört der Irrtum des Klägers zu den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen.

Das BSG hat in seiner bisherigen Rechtsprechung bei der Beurteilung der Frage, ob der Eintritt einer Sperrzeit nach den für ihren Eintritt maßgeblichen Tatsachen für den Arbeitslosen eine besondere Härte bedeutet, entscheidend auf eine Bewertung der Gesamtumstände des Einzelfalles abgestellt (BSG SozR 4100 § 119 Nrn 32 und 33). Daran ist festzuhalten. Der unbestimmte Rechtsbegriff der besonderen Härte, der in ganz unterschiedlichen Regelungsbereichen Anwendung findet (vgl BSG SozR 3-5060 Art 6 § 4 Nr 1), entzieht sich einer verallgemeinerungsfähigen Deutung seines Begriffsinhalts. Der Begriff der besonderen Härte kann folglich nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Regelungsbereiches konkretisiert werden. Bezogen auf die unterschiedlichen Sperrzeittatbestände des § 119 AFG bedeutet dies, daß die Annahme einer besonderen Härte dann gerechtfertigt ist, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Eintritt einer Sperrzeit mit der Regeldauer im Hinblick auf die für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen objektiv als unverhältnismäßig anzusehen ist (BSG SozR 4100 § 119 Nr 32).

Eine irrige Bewertung der tatsächlich richtig erkannten Umstände als wichtiger Grund führt nur dann im Einzelfall zur Annahme einer besonderen Härte, wenn der Irrtum unverschuldet, dh für den Arbeitslosen nicht vermeidbar gewesen ist (vgl BSGE 48, 109, 114 = SozR 4100 § 119 Nr 8). Lediglich der unverschuldete Irrtum rechtfertigt die Einschätzung, daß die Gründe für das Eintreten der Sperrzeit und die Folgen der Sperrzeit nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Die Ablehnung des Arbeitsangebotes durch den Kläger erfolgte nicht unverschuldet im vorgenannten Sinne. Der Kläger stützte sich nämlich bei seiner Arbeitsablehnung nicht auf eine konkrete Auskunft einer hiermit vertrauten Stelle – dies wird in der Regel eine Dienststelle der Beklagten sein –, sondern verließ sich auf sein eigenes Wissen und handelte somit bewußt auf eigene Gefahr. Unabhängig davon hätte der Kläger bei zumutbarer Anspannung der erforderlichen Sorgfalt durchaus erkennen können, daß er im Rahmen des Versicherungsverhältnisses schon im Hinblick auf die Dauer seiner Arbeitslosigkeit zur Mitwirkung bei der Feststellung seiner Qualifikation verpflichtet gewesen wäre, da die vorliegenden Bewerbungsunterlagen im Hinblick auf den Zeitablauf keine ausreichende Beurteilungsgrundlage mehr bilden konnten.

Der Irrtum des Klägers ist entgegen der Auffassung des LSG auch nicht deshalb als unverschuldet anzusehen, weil die Beklagte durch entsprechende Hinweise in der Lage gewesen wäre, den Irrtum zu vermeiden. Zwar folgt aus den der Beklagten obliegenden Fürsorgepflichten (§§ 13 bis 15 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil –) und dem gesetzlichen Auftrag zu einer sachgerechten Arbeitsvermittlung, die nach § 14 Abs 1 Satz 2 AFG ua die besonderen Verhältnisse der freien Arbeitsplätze zu berücksichtigen hat, grundsätzlich, daß die BA den Arbeitslosen auf besondere Anforderungen des Arbeitgebers bei der Einstellung hinzuweisen hat. Ferner stünde eine Außerachtlassung derartiger Umstände zu der er aus dem Sozialrechtsverhältnis herzuleitenden Verpflichtung der Beteiligten in Widerspruch, „sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren” (vgl BSGE 34, 124, 127 = SozR Nr 25 zu § 29 RVO). Das Bestehen einer Hinweis- oder Beratungspflicht setzt allerdings voraus, daß die Möglichkeit einer Fehlentscheidung des Klägers für den zuständigen Sachbearbeiter der Beklagten erkennbar wird (vgl BSG SozR 1200 § 14 Nr 24; SozR 3-1200 § 14 Nr 16). Abgesehen davon, daß das Arbeitsangebot schriftlich erfolgte, ergeben sich aufgrund der festgestellten Tatsachen keine Anhaltspunkte dafür, daß sich dem zuständigen Sachbearbeiter eine zukünftige fehlerhafte Verhaltensweise des Klägers hätte aufdrängen müssen. Bei der Anfertigung eines Probestückes durch einen Zahntechniker handelte es sich – unabhängig von der regionalen Üblichkeit – auch nicht um eine derartig ungewöhnliche Anforderung eines Arbeitgebers, daß eine Spontanberatung erforderlich gewesen wäre.

Auch die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Alhi-Bewilligung waren erfüllt. Aus den vom LSG ansonsten getroffenen Feststellungen kann auf die Erfüllung der Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X geschlossen werden, so daß der Senat an einer Entscheidung in der Sache nicht gehindert ist (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Der Kläger wurde durch die ihm erteilte Rechtsfolgenbelehrung über die Folgen einer unberechtigten Arbeitsablehnung belehrt. Er mußte, auch unter Berücksichtigung des subjektiven Verschuldensmaßstabs bei der Prüfung der groben Fahrlässigkeit (BSGE 62, 103, 107 = SozR 1300 § 48 Nr 39), ohne weiteres erkennen, daß der sich aus der Alhi-Bewilligung ergebende Anspruch infolge der unberechtigten Arbeitsablehnung wegfallen würde. Auch vom gesetzlichen Regelfall abweichende Umstände des Einzelfalls, die das Vorliegen eines atypischen Falles begründen und eine Ermessensentscheidung der Beklagten erforderlich machen würden, sind nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

DStR 1998, 1232

SozR 3-4100 § 119, Nr.11

SozSi 1998, 277

SozSi 1998, 394

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