Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Der klagende Landeswohlfahrtsverband (überörtlicher Sozialhilfeträger) fordert von der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Ersatz der Kosten, die er bei der Beschaffung einer Hörhilfe für ein Mitglied der Beklagten aufgewandt hat.

Die Sozialhilfeempfängerin Helene S… (Versicherte) ist als Rentnerin Pflichtmitglied der Beklagten. Ihr wurde am 12. September 1974 ohrenfachärztlich eine Hörhilfe verordnet. Am 19. September 1974 paßte ihr ein Hörgeräteakustiker ein solches Gerät an. Am 11. Oktober 1974 bescheinigte der Ohrenfacharzt die Zweckmäßigkeit und die Notwendigkeit des von dem Hörgeräteakustiker vorgeschlagenen Geräts. Dessen Anschaffungskosten beliefen sich auf 1.097,90 DM. Hiervon übernahm die Beklagte entsprechend ihrer bis zum 30. September 1974 gültig gewesenen Satzung durch Kostenübernahmeerklärung vom 21. Oktober 1974 700,-- DM. Den Restbetrag von 397,90 DM übernahm im Rahmen der Eingliederungshilfe der Kläger. Er forderte die Beklagte auf, ihm diesen Betrag zu ersetzen. Das lehnte die Beklagte ab. Sie vertrat die Auffassung, es bestehe für sie lediglich die in ihrer Satzung vorgesehene Zuschußpflicht; denn der Versicherungsfall sei bereits vor dem 1. Oktober 1974 und damit vor dem Inkrafttreten der neuen Fassung des § 182 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) eingetreten. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat ausgeführt: Die Beklagte habe sich darauf beschränken können, zu den Anschaffungskosten des Hörgerätes einen Zuschuß zu leisten; dem der Versicherungsfall sei bereits am Tage der ärztlichen Verordnung des Gerätes eingetreten. Das erst am 1. Oktober 1974 in Kraft getretene Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG vom 7.8.1974, BGBl. I 1881) sei deshalb nicht anwendbar.

Mit der - zugelassenen - Sprungrevision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Er meint, es sei fraglich, ob es sich In Hinblick auf das RehaAnglG hier um einen "alten" Versicherungsfall handele. Auch sei aus § 39 RehaAnglG zu entnehmen, daß das durch dieses Gesetz geschaffene neue Recht grundsätzlich auch die "alten" Versicherungsfälle erfasse. Die Beklagte habe deshalb nach § 182b RVO die Anschaffungskosten des Hörgerätes voll zu übernehmen.

Der Kläger beantragt,das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte, zu verurteilen, ihm den Betrag von 397,90 DM zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Die beklagte AOK hat dem Kläger den für die Beschaffung des Hörgerätes aufgewandten Betrag zu ersetzen.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Ersatzanspruchs ist § 1531 Satz 1 RVO . Nach dieser Vorschrift kann ein Träger der Sozialhilfe, der nach gesetzlicher Pflicht einen Hilfsbedürftigen für eine Zeit unterstützt, für die dieser einen Anspruch aufgrund der RVO hatte oder noch hat, bis zur Höhe dieses versicherungsrechtlichen Anspruchs nach den §§ 1532 bis 1537 RVO Ersatz verlangen; die gewährten Unterstützungen sind dabei nach § 1533 Nr. 3 Satz 1 RVO aus den ihnen entsprechenden Leistungen der Krankenkasse zu ersetzen. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Kläger als überörtlicher Träger der Sozialhilfe hat die Versicherte, im Rahmen der Eingliederungshilfe (§§ 39, 40 des Bundessozialhilfegesetzes -BSHG- i.d.F. vom 18.9.1969; BGBl. I 1688), also nach gesetzlicher Pflicht durch die Beschaffung des Hörgerätes unterstützt. Die Versicherte konnte aber von der Beklagten nicht nur einen Zuschuß zur Beschaffung des Hörgerätes, sondern nach § 182b RVO dessen Beschaffung selbst fordern. Nach § 187 Nr. 3 RVO (in seiner bis zum Inkrafttreten des RehaAnglG, also bis zum 1.10.1974 gültig gewesenen Fassung; § 45 Abs. 1 RehaAnglG) konnte die Satzung einer Krankenkasse als Mehrleistung Hilfsmittel gegen Verunstaltung und Verkrüppelung zubilligen, die nach beendetem Heilverfahren nötig sind, um die Arbeitsfähigkeit herzustellen oder zu erhalten. Daß auch einem Rentner im Rahmen dieser Regelung ein Anspruch auf die Anschaffung eines Hörgerätes zustand, hat der Senat in seinem Urteil vom 15. Dezember 1971 (SozR Nr. 2 zu § 187 RVO) entschieden. Das wird auch von der Beklagten nicht bestritten; sie hat - entsprechend ihrer damaligen Satzungsbestimmung - einen Zuschuß gewährt. Der von ihr vertretenen Auffassung, sie sei zur Übernahme der gesamten Anschaffungskosten des Hörgerätes nicht verpflichtet, weil der Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten der §§ 182 Abs. 1 Nr. 1, 182b RVO n.F. eingetreten sei, kann nicht gefolgt werden. Die Vorschrift des § 187 Nr. 3 RVO a.F. ist durch § 21 Nr. 13 RehaAnglG mit Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. Oktober 1974 aufgehoben worden. Seit diesem Zeitpunkt gilt der § 182b RVO (eingefügt durch § 21 Nr. 7 RehaAnglG). Danach hat der Versicherte u.a. einen Anspruch auf "Ausstattung" mit Hilfsmitteln, die - wie hier das vom Kläger beschaffte Hörgerät - erforderlich sind, "um eine körperliche Behinderung auszugleichen".

Entgegen der Auffassung des SG ist diese Vorschrift auf den vorliegenden Fall anwendbar. Wenn - wie hier - keine ausdrückliche Sonderregelung für Übergangsfälle getroffen worden ist, erfaßt das neue Recht grundsätzlich alle in dem neuen Gesetz genannten Sachverhalte, die ihren Abschluß unter Geltung des neuen Rechts finden, während andererseits das neue Recht nur solche Sachverhalte nicht erfaßt, die abgeschlossen in der Vergangenheit liegen (siehe Urteile des erkennenden Senats, vom 15.12.1976 - 3 RK 31/75 -, abgedruckt in SozR 3100 § 18c BVG Nr. 2, und 3 RK 34/76 -, unveröffentlicht).

Der Anspruch der Versicherten auf das Hilfsmittel, der zu dem vom Kläger geltend gemachten Ersatzanspruch führt, war aber weder mit dem Versicherungsfall - Feststellung der das Hilfsmittel notwendig machenden Schwerhörigkeit - noch mit dem Leistungsantrag der Versicherten, noch auch mit dem Entschluß des Klägers, anstelle der beklagten Krankenkasse zu leisten, erfüllt. Zwar läßt sich weder dem Tatbestand des angefochtenen Urteils noch den Akten der Beteiligten entnehmen, wann die Versicherte das Hörgerät tatsächlich erhalten hat. Selbst wenn ihr das Gerät aber schon unmittelbar nach dessen Anpassung durch den Hörgeräteakustiker, also bereits am 19. September 1974 ausgehändigt worden sein sollte, war ihr Anspruch auf dieses Hilfsmittel doch frühestens mit der Erteilung der ärztlichen Bescheinigung über die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit des von dem Hörgeräteakustiker vorgeschlagenen und angepaßten Geräts erfüllt; denn solange diese fachärztliche Bescheinigung nicht vorlag, stand nicht fest, ob das Gerät zweckmäßig und notwendig war und damit die Leistungspflicht der Krankenkasse auslöste. Nach, den mit der Revision nicht angegriffenen und deshalb für den erkennenden Senat als Revisionsgericht bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des SG ist diese Bescheinigung von dem das Hörgerät verordnenden Ohrenfacharzt aber erst am 11. Oktober 1974, also erst nach dem Inkrafttreten des RehaAnglG und damit zu einer Zeit erteilt worden, in der § 182b RVO bereits galt.

Nach alledem steht dem Kläger der geltend gemachte Ersatzanspruch zu; denn die Beklagte war verpflichtet, die Versicherte mit dem ohrenfachärztlich verordneten Hörgerät auszustatten. Die Revision des Klägers muß deshalb Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518735

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