Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Streitig ist auch im Revisionsverfahren, ob der Ehemann der Klägerin am 21. September 1986 an den Folgen eines Arbeitsunfalles verstorben ist. Das Sozialgericht -SG- (Urteil vom 4. März 1988) hat dies angenommen; das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen -LSG- (Urteil vom 30. November 1989) hat das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen.

Am 18. August 1986 verzehrte der verstorbene Versicherte in der Werkskantine seiner Arbeitgeberin ein Kotelett. Dabei verschluckte er ein 1, 5 cm großes Knochenstück mit Spitzkanten. Dies wurde eine wesentliche Mitursache für seinen Tod.

Durch Bescheid vom 16. April 1987 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung ab, daß der Tod des Versicherten nicht auf seiner betrieblichen Tätigkeit, sondern auf eigenwirtschaftlichem Verhalten beruht habe. Demgegenüber ist das SG zu der Überzeugung gekommen, daß die Essenseinnahme am 18. August 1986 ausnahmsweise unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgt sei, weil der Ehemann der Klägerin genötigt gewesen sei, sein Mittagessen eilig zu sich zu nehmen. Diese außergewöhnlichen Begleitumstände hätten zur Einbeziehung der an sich privaten Tätigkeit in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung geführt. In dem klagabweisenden Urteil des LSG heißt es dagegen, der Unfall, nämlich das Verschlucken des Knochensplitters, habe sich nicht bei einer versicherten Tätigkeit ereignet. Das Mittagessen sei nicht in besonderer Eile erfolgt und habe lediglich der üblichen Stärkung für den restlichen Arbeitstag gedient. Die Essenseinnahme habe sich über 15 bis 20 Minuten erstreckt. Der Versicherte habe ebenso wie ein vom LSG vernommener Zeuge mehrere Knochensplitter entdeckt und auf den Tellerrand gelegt. Seine berufliche Tätigkeit habe keinen ausreichend starken Einfluß auf die Essenseinnahme gehabt, um diese als versicherte Tätigkeit anzusehen; es habe an der erforderlichen Betriebsbezogenheit der im Grunde eigenwirtschaftlichen Tätigkeit gemangelt.

Nach der Überzeugung der Revision hat das LSG den Begriff der Betriebsgefahr verkannt. Die Gefahr für den zum Tode führenden Unfall sei durch das eingenommene Kotelett hervorgerufen worden. Diese Gefahr sei dem Betrieb zuzurechnen, weil sie von einer Betriebseinrichtung, nämlich der Werkskantine, ausgegangen sei. Angesichts seiner Beschaffenheit sei das Kotelett nicht als übliches Nahrungsmittel anzusehen; es sei nicht sachgemäß zubereitet gewesen. Es komme daher nicht darauf an, ob der Versicherte das Kotelett in Eile verzehrt habe oder nicht. Er sei arglos gewesen.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 4. März 1988 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Überzeugung hat zwischen der Einnahme der Mahlzeit und der betrieblichen Tätigkeit kein innerer Zusammenhang bestanden. Eine besondere vom Betrieb ausgehende und deshalb ausnahmsweise den Versicherungsschutz begründende Gefahr sei nicht festzustellen. Es habe lediglich ein allgemeines mit der Nahrungsaufnahme verbundendes Risiko vorgelegen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Senat hat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden, nachdem die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG ).

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie hat keinen Anspruch auf die begehrte Rente; denn ihr Ehemann ist aus den Gründen, welche in dem angefochtenen Urteil ausführlich und zutreffend dargestellt sind, nicht an den Folgen eines Arbeitsunfalles verstorben.

Ein Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nur gegeben, wenn sich ein Unfall bei einer versicherten Tätigkeit ereignet. Im hier zu entscheidenden Rechtsstreit bestand bei dem Versicherten Schutz in der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund seines Arbeitsverhältnisses, § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Da der Unfall des Ehemannes der Klägerin sich bei der Essenseinnahme ereignete, kommt es für die Entscheidung darauf an, ob dabei Versicherungsschutz bestand. Ob eine Tätigkeit, welche zum Unfall führt, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, entscheidet sich danach, ob sie in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit steht. Dies ist der Fall, wenn das Verhalten der Sache nach der Betriebstätigkeit zuzurechnen ist (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 84). Es war hier demnach wertend zu entscheiden, ob die unfallbringende Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 97).

Die Auffassung der Beteiligten und ebenso die Urteile von SG und LSG stimmen mit der nicht umstrittenen allgemeinen Ansicht überein, wonach die Nahrungsaufnahme dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen ist und nur beim Vorliegen außergewöhnlicher Begleitumstände als betriebsbedingt zu werten ist (BSGE 50, 100; BSG Urteil vom 26. Juni 1986 - 2 RU 52/85 - mit umfangreichen Nachweisen). Die Auffassung, daß besondere Begleitumstände dazu führen können, die Nahrungsaufnahme als versicherte Tätigkeit anzusehen, beruht auf folgender Erwägung: Verrichtungen, die der Versicherte im privaten, persönlichen Bereich erledigt, können durch betriebsbedingte Notwendigkeiten und Umstände in ihrem Ablauf derart geprägt sein, daß ihr privater Charakter in den Hintergrund tritt (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nrn. 68, 73, 82 und 86). In dem angefochtenen Urteil wird dies mit dem folgenden Satz zutreffend und umfassend umschrieben: "Je größer der Einfluß ist, den der Unternehmer auch auf das eigenwirtschaftliche Handeln seiner Arbeitnehmer während deren Aufenthaltes im Betrieb nimmt, desto mehr ist es durch den Betrieb, seine Organisation und Führung bestimmt und desto näher rückt es in den Bereich des Unfallversicherungsschutzes bei der Arbeit."

Zutreffend weist die Revision darauf hin, daß Betriebsgefahren zu den Umständen rechnen können, durch welche ein an sich unversichertes persönliches Vorgehen in die versicherte Tätigkeit einbezogen wird (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 74; BSG USK 84115). Zwar setzt das Vorhandensein von versicherter Tätigkeit eine Betriebsgefahr nicht voraus (erkennender Senat in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 22. August 1990 - 8 RKn 5/90), jedoch kann eine besondere Betriebsgefahr private Verrichtungen derart beeinflussen, daß sie der Sache nach der Betriebstätigkeit zuzurechnen sind. Unter solchen Umständen tritt die Eigenwirtschaftlichkeit als unwesentlich in den Hintergrund.

Im vorliegenden Rechtsstreit ist von der herrschenden Auffassung auszugehen, daß eine Nahrungsaufnahme nicht schon dadurch in den Bereich der versicherten Tätigkeiten einbezogen wird, daß sie in einer Betriebskantine erfolgt (zB BSG USK 6920, 82217). Besondere Begleitumstände, welche im vorliegenden Falle die Nahrungsaufnahme zu einer durch betriebliche Umstände geprägten und daher versicherten Tätigkeit hätten werden lassen können, sind nicht erkennbar. Richtig ist allerdings, daß das von dem Ehemann der Klägerin verzehrte Kotelett neben dem üblichen Kotelettknochen noch weitere freie Knochenstückchen enthielt. Hierin hat das LSG jedoch mit Recht keine Betriebsgefahr gesehen. Es handelt sich dabei um Umstände bzw. Eigenschaften, welche diesem Fleisch bekanntermaßen anhaften können und daher nicht als betriebseigentümlich und gefährlich anzusehen sind. Der in diesem Zusammenhang erfolgte Hinweis der Revision auf das Urteil des Bundessozialgerichts -BSG- (SozR 2200 § 548 Nr. 74) überzeugt den erkennenden Senat nicht. Das BSG hatte zu entscheiden, ob das Verbringen einer mit Sprengstoff präparierten Zigarette in einen Betriebsteil für einen ahnungslosen Versicherten eine Betriebsgefahr darstellen kann. Demgegenüber ist der vorliegende Sachverhalt dadurch gekennzeichnet, daß der Versicherte nach den Feststellungen des LSG das Vorhandensein von kleinen Knochen kannte und auch sonst irgendeine Arglist nicht im Spiele war, durch welche eine Ahnungslosigkeit hätte ausgenutzt werden können.

Das LSG hat demgemäß zutreffend angenommen, daß der Ehemann der Klägerin nicht infolge eines Arbeitsunfalles verstorben ist. Die begehrte Rente steht ihr daher nicht zu.

Die Revision war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517647

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