Leitsatz (amtlich)

War die Frist für die Rückforderung beanstandeter Beiträge unterbrochen worden, so beginnt die neue Frist sofort mit dem Ende der Unterbrechung, nicht erst mit dem Schluß des Kalenderjahres.

 

Normenkette

RVO § 29 Abs. 2 Fassung: 1938-09-01, § 1420 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, § 1424 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; BGB § 217; SGG § 102

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. Dezember 1964 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beklagte lehnte es ab, der Klägerin den Gegenwert für beanstandete Beiträge zurückzugewähren. Ihres Erachtens hatte die Klägerin die zweijährige Frist, in der die Rückforderung geltend zu machen ist (§ 1424 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -), versäumt (Bescheid vom 6. Oktober 1961, Widerspruchsbescheid vom 29. November 1962). Durch Bescheid vom 3. Januar 1958 hatte die Beklagte die Beiträge, weil sie nach Eintritt der Invalidität freiwillig entrichtet worden waren, für unwirksam erklärt. Dagegen hatte die Klägerin zunächst Klage erhoben, diese aber am 1. Juni 1959 wieder zurückgenommen. Erst am 29. Juni 1961, also nach Ablauf von etwas mehr als zwei Jahren, verlangte sie die Rückvergütung der Beiträge.

Im Gegensatz zur Beklagten hat das Sozialgericht (SG) die Rechtzeitigkeit der Rückforderung bejaht. Es hat angenommen, daß für den Beginn der in § 1424 Abs. 2 RVO vorgeschriebenen Frist nicht der Augenblick erheblich sei, in dem die Beanstandung ausgesprochen, sondern in dem sie bindend werde. Erst von dem Schluß des Kalenderjahres an, in dem diese Wirkung eintrete, laufe die zweijährige Frist. Diese habe hier erst mit dem auf die Klagerücknahme folgenden Beginn des Jahres 1960 in Gang kommen können, sei also am 29. Juni 1961 noch nicht verstrichen gewesen. Demzufolge hat das SG der Klage stattgegeben (Urteil vom 24. August 1964). Das Landessozialgericht (LSG) hat sie hingegen abgewiesen (Urteil vom 16. Dezember 1964). Es ist von der Zeit der Beanstandung ausgegangen. Die damalige Klageerhebung habe allerdings den Fristablauf unterbrochen; die Unterbrechung sei auch nicht als ungeschehen zu betrachten, weil jene Klage zurückgenommen worden sei (anders § 212 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Nach Wegfall der Unterbrechung habe aber der Fristablauf - ohne Aufschub bis zum darauffolgenden Jahresschluß - sofort wieder eingesetzt.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Klägerin hat das Rechtsmittel eingelegt. Sie beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen. Sie beruft sich auf § 1420 Abs. 3 RVO, in dem die Unterbrechung im Falle der Verjährung des Anspruchs auf Rückzahlung zu Unrecht entrichteter Beiträge eigens behandelt wird. Daraus möchte sie gefolgert wissen, daß diese Verjährungsunterbrechung eigenen Prinzipien folge und sich nicht an die Grundzüge der bürgerlich-rechtlichen Regelung halte.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin bekämpft ohne Erfolg die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Anspruch auf Rückzahlung der Beiträge bereits vor seiner Geltendmachung "verjährt" war. Ob der Zeitablauf, von dem § 1424 Abs. 1 und 2 RVO im Zusammenhang mit der Rückforderung von Beiträgen handelt, rechtlich als Verjährung oder - wie Jantz/Zweng (Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 1957, Anm. II zu § 1424 RVO) meinen - als eine von Amts wegen zu beachtende Ausschlußfrist zu qualifizieren ist, hat für die hier zu treffende Entscheidung keine Bedeutung. Nach § 1420 Abs. 3 RVO kann diese Frist unterbrochen werden. Die Unterbrechung ist nach den Vorschriften über die Unterbrechung einer Verjährung zu behandeln, so wie es auch sonst bei Ausschlußfristen gehandhabt wird, die ausnahmsweise der Unterbrechung unterliegen. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß der Lauf der Frist durch Erhebung der Klage gegen die Beanstandung der Beiträge unterbrochen worden war (§ 1420 Abs. 2 und 3 RVO). Mit dem Berufungsgericht ist auch anzunehmen, daß die Klagerücknahme die bis dahin andauernde Unterbrechung nicht rückwirkend wieder beseitigt hat. Das Berufungsgericht hat diese - von dem bürgerlichen Recht abweichende - Rechtsfolge aus § 102 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hergeleitet. Danach beseitigt die Klagerücknahme nicht nachträglich die Rechtshängigkeit des Anspruchs auch für die Vergangenheit, sondern erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache. Ob daraus allein schon zu schließen ist, daß die Unterbrechung trotz der Klagerücknahme fortgilt, kann auf sich beruhen. Denn dasselbe Ergebnis ist unmittelbar aus § 1420 Abs. 2 und 3 RVO zu gewinnen, wonach die Zeit einer Unterbrechung gleichzusetzen ist mit - unbeachtet bleibenden - Zeiträumen, in denen ein Versicherter seine Rechte in einer im Gesetz näher umschriebenen Weise verfolgt. Mit diesen Gesetzesbestimmungen soll der Rechtsuchende während eines Verfahrens in Rentenversicherungssachen vor einem zwischenzeitlichen Rechtsverlust geschützt werden.

Nach Rücknahme der Klage, also nach Beendigung der Unterbrechung, begann eine neue Frist. Diese schloß sich unmittelbar an das Ende der Unterbrechung an und begann nicht erst mit dem Schluß des Jahres, in welchem die Unterbrechung aufhörte. § 1424 Abs. 2 RVO, der für den Fristbeginn nicht die Beanstandung, sondern das darauffolgende Jahresende maßgebend sein läßt, gilt nicht für den Fall der Unterbrechung. Die Unterbrechung der Verjährung ist in der RVO nicht im einzelnen geregelt, sondern vorausgesetzt. Sie bestimmt sich, soweit nicht die Eigenart der öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen eine Abwandlung gebietet, nach den entsprechend geltenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Der hier eingreifende § 1420 Abs. 2 und 3 RVO, der im Grundsatz den Regeln des BGB über die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung nachgebildet und von dorther auch weitgehend zu ergänzen ist, läßt insoweit für das Rentenversicherungsrecht keine Besonderheit erkennen. Das bedeutet nach dem sinngemäß anzuwendenden § 217 BGB, daß die bis zur Unterbrechung verstrichene Zeit außer Betracht bleibt. Der nachher wieder in Gang gekommene Zeitablauf wird nicht abermals bis zum Jahresschluß hintangehalten (vgl. RGZ 65, 268; BSG, Urteil vom 22.6.1966 - 3 RK 4/64 -).

Für eine andere Lösung spräche zwar folgendes: Wenn nach der Unterbrechung die Frist von neuem anläuft - und damit kann nur die Frist des § 1424 Abs. 2 RVO gemeint sein -, dann kommen für ihre Berechnung nach dem Text des Gesetzes nur volle Kalenderjahre in Betracht. Eine solche Verknüpfung der Frist mit dem Kalenderwechsel erscheint aber nur bei ihrem ersten Anlauf und nicht auch bei ihrer Wiederholung angezeigt (so RG 65, 268 und ständ. Rechtspr.; Soergel/Siebert, BGB, 9. Aufl. Randnr. 6 zu § 201 BGB und Randnr. 1 zu § 217 BGB). Allerdings ist in einigen Vorschriften des öffentlichen Rechts bestimmt, daß sich die neue Verjährung wiederum erst vom Jahresschluß an entwickele (vgl. § 147 Abs. 3 Satz 2 AO; auch: Art. 104 Entw. einer Verwaltungsrechtsordnung für Württemberg, Dürig, Gesetze des Landes Baden-Württemberg, Anh. 2). Diese Regelungen sind aber Sonderbestimmungen, die vereinzelt geblieben sind. Sie verdrängen nicht die im bürgerlichen Recht getroffene Regelung, die nicht spezifisch privatrechtlichen, sondern allgemein-rechtlichen Charakter hat.

Zutreffend hat schließlich das Berufungsgericht die Erwägung des erstinstanzlichen Gerichts verworfen, daß die Frist für die Rückforderung von Beiträgen erst zu laufen beginne, wenn die Beanstandung dieser Beiträge bindend geworden sei. Diese Ansicht ist mit § 1424 Abs. 2 RVO unvereinbar. Diese Vorschrift stellt es ihrem Wortlaut nach für den Anfang der Frist auf die Beanstandung ab. Der Wortlaut des Gesetzes bringt den Sinn und Zweck der Vorschrift zum Ausdruck. Das bestätigt die Existenz einer Regelung über die Unterbrechung. Eine solche ist nur verständlich, wenn vorausgesetzt wird, daß die Beanstandung angefochten werden kann, also noch nicht endgültig und verbindlich geworden ist. Sonst fände eine Unterbrechung überhaupt nicht statt.

Sonach hat die Beklagte den Anspruch der Klägerin zu Recht wegen verspäteter Geltendmachung abgelehnt. Die Revision ist infolgedessen mit der auf § 193 Abs. 1, 4 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 60469

BSGE 25, 136 (LT1)

BSGE, 136

NJW 1966, 2035

NJW 1966, 2035 (LT1)

RegNr, 2790

Breith 1967, 93 (LT1)

Praxis 1966, 412 (LT1)

SozR § 1424 RVO (LT1), Nr 2

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