Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenaltlastverteilung. DDR. Beitrittsgebiet. deutsche Rechtseinheit. Wiedervereinigung. Verteilungsschlüssel. Gefahrtarif. Lohnsumme. Unfallgefahr. Beitragsanteil

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Verfassungsmäßigkeit der pauschalen Altlastverteilung in der gesetzlichen Unfallversicherung für Versicherungsfälle auf dem Gebiet der früheren DDR.

 

Normenkette

EinigVtr Anlage I Kap VIII U III Nr. 1 Buchst. c Abs. 8 Nr. 2; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14, 80; RVO § 725 Abs. 1, § 1157 Abs. 1; UVNG Art. 3

 

Verfahrensgang

SG Lübeck (Urteil vom 03.04.1995; Aktenzeichen S 5 U 123/93)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 3. April 1995 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin verpflichtet ist, den von der Beklagten für die Jahre 1991 und 1992 ermittelten Beitragsanteil zur Deckung von Rentenaltlasten aus dem Gebiet der früheren DDR für Versicherungsfälle aus der Zeit vor dem Jahre 1991 zu übernehmen.

Die Klägerin, ein Unternehmen mit Sitz in Holstein, das ua in Form eines Filialbetriebes Einzelhandel, insbesondere mit Kaffee und Süßwaren, betreibt, ist Mitglied der Beklagten.

Diese nahm mit ihren Beitragsbescheiden vom 21. April 1992 und 23. April 1993 für die Jahre 1991 und 1992 die Klägerin ua für die festgesetzten Anteile zur Deckung von sog Rentenaltlasten für Versicherungsfälle auf dem Gebiet der früheren DDR aus der Zeit vor dem Jahre 1991 in Höhe von 38.332,70 DM (1991) und 45.100,70 DM (1992) in Anspruch. Die Widersprüche, zu deren Begründung sich die Klägerin auf ein Rundschreiben des Bundesverbandes der Filialbetriebe und Selbstbedienungswarenhäuser (BFS) eV vom 27. Mai 1992 bezog, blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 1993).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 3. April 1995 abgewiesen und ua ausgeführt, die Regelung der Rentenaltlastverteilung für Versicherungsfälle auf dem Gebiet der früheren DDR im Einigungsvertrag (EinigVtr) und dem dazu erlassenen Gesetz verstoße nicht gegen Verfassungsrecht. Zwar sei eine andere, stärker an die gewachsenen Strukturen der Berufsgenossenschaften (BGen) in der Bundesrepublik Deutschland angepaßte Regelung denkbar und sicher auch möglich und durchführbar gewesen. Dem Gesetzgeber habe aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bei der Regelung dieser Frage ein weiter Spielraum zur Verfügung gestanden, dessen Grenzen nur dadurch bestimmt gewesen seien, daß es einleuchtende Gründe für die getroffene Regelung geben müsse. Diese lägen vor. Durch die vom Gesetzgeber gewählte Form sei erreicht worden, daß die mit der Wiedervereinigung zu übernehmende Beitragslast auf möglichst viele Schultern und möglichst gleichmäßig verteilt werden konnte. Durch die Verteilung der Last auf alle BGen nach einem einheitlichen und pauschalierten Schlüssel sei am ehesten zu erreichen gewesen, daß die außerordentliche Gesamtlast für alle tragbar bleibe. Dieses gelte auch für die Verteilung der Altlasten nach der Lohnsumme. Es komme nicht darauf an, ob der Gesetzgeber die im konkreten Fall gerechteste und zweckmäßigste Lösung gefunden habe, wenn im Rahmen der Gesamtsolidarität der BGen vernünftige und einleuchtende Gründe für die getroffene Regelung angeführt werden könnten. Durch die getroffene Regelung des Vereinigungsvertrages sei auch der Gleichberechtigungsgrundsatz nicht verletzt.

Das SG hat durch Beschluß die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie trägt vor: Das SG habe in unzutreffender Weise die Rechtsprechung des BVerfG zur Übertragung der Rentenlast der Bergbau-BG aus Versicherungsfällen vor dem 1. Januar 1953 auf Regelungen des EinigVtr zu den Altlasten der Unfallversicherung übertragen. Diese Altlasten seien aber außerhalb des örtlichen und sachlichen Bereichs der BGen entstanden sowie aus einem nicht vergleichbaren System der ehemaligen DDR. Die Rechtsprechung des BVerfG zur Rentenlast der Bergbau-BG habe sich mit den Regelungsmöglichkeiten innerhalb der internen Solidarität befaßt, während der EinigVtr versuche, Lasten aus einem völlig anders gearteten System in das gesetzliche Unfallversicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland hineinzuzwingen. Es sei deshalb nicht sachgerecht, die durch den EinigVtr geregelten „Altlasten” mit den Lasten zu vergleichen, die innerhalb des Systems der gewerblichen Wirtschaft früher angefallen und nur umverteilt worden seien. Im Falle der Überbürdung neuer Lasten müsse die Rechtsgrundlage präzise Angaben darüber machen, wie dies geschehen solle. Zumindest müsse der auf dieser Rechtsgrundlage praktizierende Träger der gesetzlichen Unfallversicherung die Überbürdung System- und verfassungskonform anwenden. Entgegen der Ansicht des SG habe sich das BVerfG gerade nicht mit der vorliegenden Frage befaßt, so daß folglich auch der dem Gesetzgeber zur Verfügung stehende Spielraum enger sein müsse, weil den Mitgliedern der BGen Sonderlasten überbürdet würden. Es sei nicht hinzunehmen, wenn – systemwidrig – eine Zuordnung der Arbeitsunfälle aus der ehemaligen DDR weder nach entsprechenden Branchen erfolge, noch auf Gefahrenklassen Rücksicht genommen worden sei. Es habe die Möglichkeit bestanden, Altlasten branchenspezifisch entsprechend dem berufsgenossenschaftlichen System den entsprechenden BGen zuzuordnen. Auch hätte keine Anknüpfung an die Lohnsumme erfolgen dürfen. Dadurch würden die lohnintensiven gegenüber den kapitalintensiven Betrieben zusätzlich benachteiligt. Diese Verfahrensweise verstoße gegen Art. 3 und 14 Grundgesetz (GG). Anders als bei der Entscheidung des BVerfG zu den Altlasten der Bergbau-BG habe sich der Charakter der überbürdeten Leistungen geändert. Sie stellten sich als gesetzliche Sonderabgabe dar. Diese dürften aber nur in ganz eng limitierten Fällen verlangt werden. Keinesfalls dürften sie nach der Rechtsprechung des BVerfG fremdnützig sein. Die Regelung des EinigVtr verstoße auch gegen das Rechtsstaatsgebot des GG. Sie sei daher verfassungswidrig. Selbst wenn die Regelung verfassungsgemäß wäre, hätte es einer verfassungskonformen Praktizierung bedurft. Entgegen der Ansicht des SG liege eine Inanspruchnahme einzelner Gruppen über Gebühr vor, was nur in einem verfassungskonformen Rahmen erfolge könne.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 3. April 1995 und die Bescheide der Beklagten vom 21. April 1992 sowie 23. April 1993 idF des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 1993, soweit sie die Rentenaltlastenverteilung aus dem Gebiet der früheren DDR betreffen, aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Revision wende sich nicht substantiiert gegen die Anwendung des § 1157 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm dem Beschluß der Vertreterversammlung der Beklagten vom 19. November 1991. Mit dieser Regelung habe die Beklagte einen gesetzeskonformen Weg gewählt, der das von der Klägerin geforderte höchstmögliche Maß an System- und Verfassungskonformität beinhalte. Schließlich seien die Altlasten entsprechend dem bereits vom BVerfG für die Altlasten aus dem Bergbau als verfassungsmäßig festgestellten Schlüssel umgelegt worden, ausschließlich nach Lohnsummen. Es bestünden auch keine Bedenken verfassungsrechtlicher Art gegen die Heranziehung der Unternehmen zur Altlast aus den neuen Bundesländern. Der vom Gesetzgeber gewählte Verteilerschlüssel sei zwar branchenunabhängig, die Verteilung sei aber dennoch nicht willkürlich, sondern richte sich nach der Finanzkraft der jeweiligen BG. Die Höhe der zu übernehmenden Beiträge entspreche dem Anteil, der jeder BG zukäme, wenn in den neuen Bundesländern annähernd gleiche Wirtschaftsstrukturen bestanden hätten. Auch die Belastung der Wirtschaft mit den Arbeitsunfällen aus der ehemaligen DDR sei nicht systemwidrig und verfassungswidrig; insbesondere handele es sich nicht um eine Sonderabgabe. Die Aufwendungen resultierten ausschließlich aus Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, die an ähnliche Voraussetzungen geknüpft gewesen seien, wie in der Bundesrepublik Deutschland.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Das angefochtene Urteil des SG Lübeck vom 3. April 1995, mit dem die Klage gegen die Beitragsbescheide der Klägerin für die Jahre 1991 und 1992 abgewiesen wurde, ist nicht zu beanstanden. Die Bescheide der Beklagten, in denen sie von der Klägerin Umlageanteile für sog Altlasten für Versicherungsfälle aus dem Gebiet der früheren DDR für die Jahre 1991 und 1992 fordert, sind auch insoweit rechtens.

Die von der Beklagten vorgenommene Berechnung der Beitragsanteile für Rentenaltlasten als solche wird von der Klägerin nicht beanstandet. Die Klägerin ist jedoch der Auffassung, daß sowohl die im Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990 (BGBl II 885) iVm der Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr. 2 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 – EinigVtr – (BGBl II 889) festgelegte Verteilung der bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet eingetretenen Arbeitsunfälle auf die gewerblichen BGen als auch die Ermächtigung in § 1157 Abs. 1 RVO zum Erlaß von Satzungsbestimmungen zur Finanzierung der sich aus dieser Verteilung ergebenden Rentenaltlast innerhalb der einzelnen BGen verfassungswidrig seien.

Diese Auffassung teilt der Senat in Übereinstimmung mit dem SG nicht.

Nach Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III 2 aa) Satz 2 EinigVtr werden die Arbeitsunfälle numerisch nach Geburtstag und -monat des Leistungsempfängers, innerhalb eines Geburtstages alphabetisch nach dem Familiennamen auf die Träger der Unfallversicherung verteilt.

Ebenso wie bei den Kriegsfolgelasten war der Gesetzgeber nicht gehindert, die Rentenaltlasten der gesetzlichen Unfallversicherung aus dem Beitrittsgebiet nicht aus Steuermitteln zu tragen, sondern sie den BGen als öffentlich-rechtliche Körperschaften aufzuerlegen (s BVerfGE 14, 221).

Die vom Gesetzgeber zur Verteilung der Rentenaltlasten des Beitrittsgebietes gewählte Regelung verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Zugunsten der Klägerin kann ohne weitere tatsächliche Feststellungen davon ausgegangen werden, daß trotz der breiten Streuung insgesamt keine gleiche Belastung aller Unternehmen erreicht wird und auch die Klägerin höhere Ausgleichsbeträge zu zahlen hat als bei einer Verteilung der Arbeitsunfälle nach Gewerbezweigen. Wie das SG zutreffend ausführt, hatte der Gesetzgeber, der dem EinigVtr zugestimmt hat, bei der Frage, wie die Altlasten zu verteilen sind, eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der von ihm gefundenen Lösung kommt es nicht darauf an, ob er die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hat (BVerfGE 23, 12, 23). Art. 3 Abs. 1 GG ist nur verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen dieser und einer anderen Gruppe keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72, 88 mwN; 91, 346, 363). Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz würde nur dann vorliegen, wenn der Gesetzgeber versäumt hätte, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen. Im vorliegenden Fall gibt es für die vom Gesetzgeber gewählte Lösung sachgerechte und hinreichend gewichtige Gründe (BVerfGE 88, 87, 96; 92, 262, 275). Der Gesetzgeber befand sich bei der Herstellung der deutschen Rechtseinheit auch hinsichtlich der Übernahme der Rentenaltlasten aus Arbeitsunfällen in einer Ausnahmesituation, die mit bisher notwendigen Verteilungen der Altlast zB bei der Zusammenlegung von gewerblichen BGen, bei der Übernahme von bisher bei einer anderen BG als Mitglied eingetragenen großen Unternehmergruppen und selbst bei der Verteilung der Bergbau-Altlast im Rahmen des Art. 3 Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 (BGBl I 241 – UVNG) idF bis zum 31. Dezember 1967 (vgl BVerfGE 23, 12) nicht vergleichbar groß war. Die vom Sozialversicherungsträger der DDR festgestellten Unfallrenten aus dem Beitrittsgebiet waren nicht nur weiterzuzahlen, sondern auch gemäß der jeweiligen Rentenanpassungsverordnung anzupassen, und zum Teil waren Arbeitsunfälle aus der Zeit bis zum 31. Dezember 1990 noch endgültig festzustellen. Diese erforderte ua auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung eine schnelle noch ausstehende Feststellung der Entschädigung und eine möglichst nahtlose Weiterzahlung von bereits festgestellten Renten. Dies wiederum verlangte eine leicht und kurzfristig vollziehbare Bestimmung des jeweils zuständigen Unfallversicherungsträgers. Dem hätte eine nach den gesetzlichen Regelungen und den sie ergänzenden Satzungsvorschriften der bestehenden Unfallversicherungsträger ermittelte Zuständigkeit im jeweiligen Einzelfall nicht entsprechen können. Dazu waren schon die wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere die Gestaltung der Unternehmensformen in der Bundesrepublik Deutschland und im Beitrittsgebiet zu unterschiedlich (vgl BVerfGE 91, 294, 309 und 313). Für die Übernahme des Rentenbestandes der DDR wurde daher ein Verteilungsschlüssel entwickelt, der ungeachtet der gewerblichen Gliederung und ohne Kompetenzschwierigkeiten eine praktikable Lösung darstellte. Auch im Bereich der Sozialversicherung verlangen Umstellungen in dieser Größenordnung wie bei der Wiedervereinigung in der Regel ein ganzes Maßnahmebündel; deswegen dürfen einzelne belastende Vorschriften nicht aus dem Regelungszusammenhang gelöst und für sich betrachtet werden (s BVerfGE 91, 294, 309). Es mußte eine Neuabgrenzung der internen Zuweisung des Bestandes an Arbeitsunfällen in jedem Einzelfall vermieden werden. Angesichts dieser Situation hielt sich der Gesetzgeber bei der Art und Weise wie er die Verhältnisse im EinigVtr regelte, in den Grenzen der ihm zukommenden weiteren Gestaltungsfreiheit. Seine Einhaltung kann gerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob die Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland das Ziel, die Altlasten aus den Versicherungsfällen in der gesetzlichen Unfallversicherung vor dem 1. Januar 1991 zu verteilen, „klar verfehlt haben” (BVerfG Beschluß vom 29. April 1996 – 2 BvG 1/93 –). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Die Regelung ist nicht sachfremd gegenüber anderen Lösungsmöglichkeiten. Es handelt sich zwar um eine von dem Beitragssystem der RVO abweichende, aber dem bereits angeführten Anliegen einer nahtlosen Leistungsweitergewährung nach der Wiedervereinigung sachgerechte, hinreichend gewichtige Lösung. Auch eine notwendigerweise zeitlich sehr ausgedehnte vorläufige Rentenzahlung bis zur endgültigen Feststellung des zuständigen Unfallversicherungsträgers nach den allgemeinen Regelungen der RVO hätte nicht nur einen ganz erheblichen Verwaltungsaufwand erfordert und nahezu schon zwangsläufig häufig zu anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren geführt, sondern vor allem aus der maßgebenden Sicht der Leistungsempfänger einen Kaum vertretbar langen Zustand der Unsicherheit über den für sie zuständigen Unfallversicherungsträger zur Folge gehabt. Die Revision meint, die Verteilung der Rentenaltlast aus Anlaß der Wiedervereinigung sei mit der Verteilung der Rentenaltlast der Bergbau-BG nicht zu vergleichen, da diese Verteilung die „interne Solidarität” betroffen habe. Die Verteilung der Rentenaltlast im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands ist jedoch entgegen der Auffassung nicht deshalb kein Fall „interne Solidarität” der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung, nur weil das System der Unfallversicherung im Beitrittsgebiet ein anderes war. Vielmehr fordert die Wiedervereinigung auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung eine jedenfalls nicht geringere „interne Solidarität” im wiedervereinigten Deutschland, wie auch die Übernahme der Altlasten im Bereich der gesetzlichen Kranken- und der gesetzlichen Rentenversicherung zeigen.

Entsprechendes gilt für die – zeitlich begrenzte – Regelung in § 1157 Abs. 1 RVO, die es den Unfallversicherungsträgern erlaubt, bei der Beitragsberechnung zur Finanzierung der Rentenaltlasten aus dem Beitrittsgebiet von der Berücksichtigung des Grades der Unfallgefahr in den Unternehmen gemäß § 725 Abs. 1 RVO abzusehen; die Vertreterversammlung bestimmt das Nähere mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde.

Diese Ermächtigung des Satzungsgebers ist entgegen der Auffassung der Klägerin ausreichend bestimmt. Insoweit geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die für Rechtsverordnungen geltenden engen Begrenzungen der Art. 80 ff. GG für die Ermächtigung der Unfallversicherungsträger als Selbstverwaltungskörperschaften des öffentlichen Rechts zum Erlaß satzungsrechtlicher Bestimmungen nicht gelten (s ua BSGE 35, 164, 166; 54, 243, 245; 68, 123, 124). Der Senat hat demgemäß die Ermächtigung in § 803 Abs. 1 RVO, durch die Satzung in dem Beitrag zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung nach einem „anderen angemessenen Maßstab” als den des Arbeitsbedarfs oder des Einheitswertes zu berechnen, als verfassungsgemäß angesehen (s ua BSGE 68, 123).

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in § 1157 RVO in Verbindung mit der Satzung der Beklagten getroffene Regelung der Altlastverteilung bestehen ebenfalls nicht. In der gesetzlichen Unfallversicherung richtet sich in der Regel die Höhe des Beitrags, mit dem der einzelne Unternehmer am Umlagesoll zu beteiligen ist, nach dem Entgelt der Versicherten in dessen Unternehmen und dem Grad der Unfallgefahr in dem Unternehmen (§ 725 Abs. 1; §§ 726, 727, 730 RVO; Ausnahmen: § 728 RVO). Von dieser Regelung für die Verteilung des Umlagesolls auf die beitragspflichtigen Mitglieder der BGen ermöglicht § 1157 Abs. 1 RVO der Selbstverwaltung der BG bei der Erhebung der Umlage für die Rentenaltlasten, die aus Versicherungsfällen des Beitrittsgebietes vor dem Jahre 1991 stammen, von der sonst zwingenden Berücksichtigung des Gefahrtarifs abzusehen und andere – solidarische – Verteilungsmaßstäbe festzulegen. Die Vertreterversammlung der Beklagten entschied sich für die Arbeitsentgelte bzw die Lohnsummen als Maßstab für die Verteilung der Rentenaltlasten. Diese satzungsrechtliche Regelung liegt auch im Rahmen der der Vertreterversammlung der Beklagten eingeräumten Gestaltungsfreiheit. Das System der gesetzlichen Unfallversicherung ist keineswegs nach den herkömmlichen Strukturen ein für allemal festgelegt (BVerfGE 23, 12, 23). So ist nach der von der Rechtsprechung des BVerfG getragenen Regelung in Art. 3 UVNG eine Regelung des Risikoausgleichs über die Grenzen einer BG hinaus durch den Gesetzgeber möglich. Die Strukturen der gesetzlichen Unfallversicherung können ausgeweitet oder eingeengt werden. Verfassungsrechtlich wäre nach der Auffassung des BVerfG sogar die Schaffung eines totalen Lastenausgleichs durch Einrichtung eines einzigen Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung seitens des Gesetzgebers möglich (BVerfGE 36, 383, 393). Dem Gesetzgeber war es daher insbesondere unter Beachtung der Größenordnung der durch die Wiedervereinigung gebotenen Umstellungen gestattet, von den Regeln, die er selbst gesetzt hat und die den Rechtskreis bisher bestimmt haben jedenfalls dann auch durch eine Satzungsermächtigung abzuweichen, wenn sachliche Gründe dafür vorliegen (BVerfGE a.a.O., 394). Die Berücksichtigung des Grades der Unfallgefahr der Mitgliedsbetriebe, auf die die Rentenaltlast zu verteilen ist, wäre im Hinblick auf die im EinigVtr getroffene Regelung der Verteilung Arbeitsunfälle bis zum 31. Dezember 1990 – wenn überhaupt, so jedenfalls – keine so stark sachgerechtere Lösung, daß auch innerhalb des Gestaltungsfreiraums des Gesetzgebers nur sie in Betracht käme. Vielmehr steht gerade die Unfallgefahr in den belasteten Mitgliedsunternehmen in keinerlei Verbindung zu dem Grad der Unfallgefahren in den Betrieben, in denen sich der im Rahmen der Verteilung der Rentenaitlast der Beklagten zugewiesene Arbeitsunfall vor dem 1. Januar 1991 ereignet hat. Den Grad der Unfallgefahr in den Unternehmen zu ermitteln, in denen sich der zu übernehmende Arbeitsunfall ereignet hat, wäre zudem nicht nur in den meisten Fällen kaum noch möglich, sondern würde ebenfalls keinen geeigneten Bezugspunkt für die Verteilung der Rentenaltlast durch die BG ergeben. Die in § 23 Abs. 3 Satz 3 der Satzung der Beklagten getroffene Regelung entspricht Art. 3 § 4 UNVG und erlaubt eine für alle Betriebe gleiche Beitragsgestaltung. Eine für alle Mitgliedsunternehmen deiche Gestaltung der Umlage für die von der BG zu übernehmende Rentenaltlast entspricht wenn nicht sogar besser, so doch wenigstens ebensogut dem außergewöhnlichen Anlaß dieser Maßnahmen. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG kann schließlich auch nicht darin gesehen werden, daß durch die Umlageverteilung der Altlasten nach der Lohnsumme, wie die Klägerin hervorhebt, die Unternehmen mit einer größeren Anzahl von Beschäftigten stärker als die mit geringer Beschäftigungszahl belastet werden. Dies entspricht vielmehr generell der Beitragsgestaltung nach § 725 Abs. 1 RVO. Auch hier wird bei gleichem Grad Unfallgefahr ein Unternehmer mit höherer Lohnsumme stärker mit Beiträgen belastet. Wiederum ist es verfassungsrechtlich und hier auch – im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung – rechtlich unerheblich, ob die von der Vertreterversammlung der Beklagten gefundene Lösung die gerechteste, vernünftigste und zweckmäßigste ist. Aufgrund der notwendigen Generalisierung konnte auch nicht die wirtschaftliche Lage jedes einzelnen Unternehmens berücksichtigt werden (BVerfGE 23, 12, 28; 36, 383, 400). Danach kann auch hier dahinstehen, ob die Klägerin durch die in der Satzung getroffene Regelung überhaupt beschwert ist und bei einer Verteilung der Altlast auch unter Beachtung der Betriebsgefahr nicht sogar – wie die Beklagte meint – mit einer höheren Belastung zu rechnen hätte.

Die Altlastverteilung im EinigVtr, in § 1157 RVO und in der Satzung der Beklagten verstößt auch nicht gegen Art. 14 GG. Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind die den Mitgliedern der BGen auferlegten Altlasten Beiträge im Rahmen der Unfallversicherung und entgegen der Ansicht der Klägerin keine Sonderabgaben. Die Auferlegung enthält keine Verletzung des Eigentums, nach dem sie nicht jedes Maß übersteigt (BVerfGE 23, 12, 30), und steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache (BVerfGE 92, 262, 273). Hinzu kommt, daß die Altlastverteilung des § 1157 RVO zeitlich begrenzt ist.

Die Revision war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1049452

BSGE, 23

SozSi 1997, 358

SozSi 1997, 73

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