Leitsatz (amtlich)

1. Der Begriff der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung einer Ausfallzeit iS des § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1 RVO hat dieselbe Bedeutung wie in der Krankenversicherung (§ 182 Abs 1 Nr 2 S 1 RVO).

2. Der Versicherte ist iS des § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1 RVO arbeitsunfähig, wenn er infolge Krankheit weder seine vor der Unterbrechung ausgeübte noch eine ähnlich geartete Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben kann.

 

Normenkette

RVO § 182 Abs 1 Nr 2 S 1 Fassung: 1961-07-12, § 1259 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23, § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1 Fassung: 1965-06-09

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 02.02.1976; Aktenzeichen L 3 J 125/74)

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 02.02.1976; Aktenzeichen L 3 J 136/74)

SG Itzehoe (Entscheidung vom 21.05.1974; Aktenzeichen S 1 J 51/73)

SG Kiel (Entscheidung vom 18.03.1974; Aktenzeichen S 4 J 455/73)

 

Gründe

I

1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens 5b/5 RJ 26/76, der bis zum 12. Februar 1971 als Tischler tätig war, bezog sodann bis zum 7. September 1972 Krankengeld, weil er infolge Herzinfarktes arbeitsunfähig war, danach bis zum 30. April 1973 Sozialhilfe. Die Beklagte wandelte die ursprünglich ab 1. Juli 1972 gewährte Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit ab 1. Januar 1973 in ein "flexibles" Altersruhegeld um (Bescheide vom 28. Februar 1973 und 7. September 1973, Teilanerkenntnis und Ausführungsbescheid vom 30. Juli 1974). Das Sozialgericht (SG) hat die auf eine höhere Rente gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 18. März 1974). Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte eine Ausfallzeit wegen Arbeitsunfähigkeit vom 1. April 1971 bis zum 30. September 1972 anerkannt. Mit der Berufung begehrte der Kläger, auch die Monate Oktober bis Dezember 1972 als eine solche Ausfallzeit zu berücksichtigen. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Rechtsmittel zurückgewiesen (Urteil vom 2. Februar 1976). Nach Auffassung des Berufungsgerichts war der Kläger von Oktober bis Dezember 1972 nicht krankheitsbedingt arbeitsunfähig iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO). Er habe noch leichte Arbeiten im Sitzen fortgesetzt und im Stehen mit Unterbrechung vollschichtig verrichten können. Mit dem verbliebenen Leistungsvermögen hätte er Stellungen mit besonderen Anforderungen an Verantwortungsbewußtsein und Vertrauenswürdigkeit außerhalb des allgemeinen Kreises ungelernter Tätigkeiten bekleiden können. Auf solche Arbeiten müsse er sich, ungeachtet der zeitweiligen Annahme einer Berufsunfähigkeit, im Rahmen der Rentenversicherung verweisen lassen.

2. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens 5b/5 RJ 30/76 führt den Rechtsstreit ihres 1977 verstorbenen Ehemannes wegen der Berechnung seines Altersruhegeldes fort. Der Versicherte war zuletzt als Elektroschweißer beschäftigt, sodann infolge Krankheit arbeitsunfähig. Er erhielt Krankengeld vom 1. September 1969 bis zum 27. August 1970 und - nach dem Bezug von Sozialhilfe sowie einer neuen Rahmenfrist - vom 25. Januar 1971 bis zum 25. April 1972. Sein Antrag auf Versichertenrente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit blieb erfolglos. Ab 1. Oktober 1971 erhielt er das Versicherten-Altersruhegeld. Bei einer Neufeststellung berücksichtigte die Beklagte eine Ausfallzeit wegen Arbeitsunfähigkeit bis zum 27. August 1970 (Bescheid vom 24. Januar 1973). Das SG hat die Beklagte verpflichtet, eine Ausfallzeit wegen Arbeitsunfähigkeit vom 28. August 1970 bis zum 25. April 1972 anzurechnen (Urteil vom 21. Mai 1974). Das LSG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 2. Februar 1976). Über den 1. Oktober 1971 hinaus könne eine Ausfallzeit nicht anerkannt werden, weil mit diesem Zeitpunkt der Versicherungsfall des Alters eingetreten sei. Der Versicherte sei in der Zeit vom 28. August 1970 bis 25. Januar 1971 nicht wegen Krankheit arbeitsunfähig iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO gewesen. Er habe noch ein gleiches Leistungsvermögen wie der Versicherte in dem vorbezeichneten Fall gehabt. Der zweite Abschnitt des Krankengeldbezuges sei deshalb nicht als Ausfallzeit zu werten, weil er keine versicherungspflichtige Tätigkeit unterbrochen habe.

3. In beiden Verfahren haben die Kläger ihre Revisionen damit begründet, daß die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO ebenso wie in § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 RVO für das Recht der Krankenversicherung beurteilt werden müsse.

4. Der für die Revisionen zuständige 5. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in den beiden Streitsachen mit Beschlüssen vom 12. September 1978 dem Großen Senat aufgrund des § 43 Sozialgerichtsgesetz(SGG) verschiedene Rechtsfragen zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit und der Unterbrechung iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO zur Entscheidung vorgelegt. Er hat diese Vorlagen mit Beschlüssen vom 30. Juni 1981 auf folgende Fragen beschränkt:

1. Kommt dem Begriff der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung einer Ausfallzeit iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO dieselbe Bedeutung wie in der Krankenversicherung zu (§ 182 Abs 1 Nr 2 RVO)?

2. Bei Verneinung der Frage 1):

Besteht Arbeitsunfähigkeit iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO grundsätzlich für denjenigen Zeitraum, für welchen der Versicherte Krankengeld bezogen hat, darüber hinaus aber nur für Zeiten, während welcher der Versicherte nach seinem Gesundheitszustand ihm nach § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO zumutbare Tätigkeiten oder sogar andere versicherungspflichtige, ihm unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zuzumutende Tätigkeiten nicht ausüben kann?

Der 5. Senat hält diese Rechtsfragen in beiden Fällen für jeweils entscheidungserheblich und allgemein für grundsätzlich bedeutsam. Sie erfordern nach seiner Überzeugung eine Entscheidung des Großen Senats, damit eine einheitliche Rechtsprechung gesichert werde.

Das BSG habe bisher die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO unterschiedlich verstanden. Der 4. und zunächst auch der 12. Senat hätten diesen Begriff für die Rentenversicherung mit dem Inhalt übernommen, den ihm der 3. und der 5. Senat für die Krankenversicherung zu § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 RVO beigelegt hätten; demnach sei ein Versicherter arbeitsunfähig, wenn er infolge Krankheit seine zuletzt ausgeübte oder eine ähnliche Erwerbstätigkeit nicht mehr oder nur mit der Gefahr, seinen Zustand zu verschlechtern, verrichten könne. Bisher habe der 5. Senat, wohl auch von diesem krankenversicherungsrechtlichen Begriff ausgehend, abweichend davon der Arbeitsunfähigkeit iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO einen eigenständigen Inhalt zuerkannt; er habe diesen an den Zielen der Rentenversicherung, insbesondere an Sinn und Zweck der genannten Regelung, ausgerichtet und deshalb das Verweisungsfeld erweitert. Dem habe sich der 12. Senat angeschlossen. Gegen diese Rechtsprechung habe der 4. Senat sodann Bedenken geäußert. Er habe auch den Begriff der Arbeitsunfähigkeit iS des § 1241e Abs 1 RVO ebenso wie in der Krankenversicherung ausgelegt.

Der 5..Senat hat nunmehr Zweifel, ob seine bisherige Rechtsprechung aufrechterhalten bleiben kann. Eine Klärung hält er auch in der Richtung für möglich und geboten, daß die Auslegung des Begriffes Arbeitsunfähigkeit in der Krankenversicherung einem rentenversicherungsrechtlichen Verständnis angenähert werde.

II

Die Besetzung der Richterbank des Großen Senats richtet sich nach dem vom 5. Senat angegebenen Anrufungsgrund (§ 41 Abs 5 Satz 2 SGG; BSGE 51, 23, 24 = SozR 1500 § 161 Nr 27), hier nach § 43 SGG. Die Vorlagen sind nach dieser Vorschrift zulässig; denn die Beantwortung der gestellten Fragen, die grundsätzlich bedeutsam sind, ist für die Revision der Ausgangsverfahren entscheidungserheblich und dient der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Dies hat der 5. Senat unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des BSG im einzelnen dargelegt. Die Vorlagen sind nicht etwa in solche nach § 42 SGG umzudeuten. Der 5. Senat will nicht weiterhin von der Rechtsprechung des 4. Senats abweichen; der 12. Senat ist für die Entscheidung dieser Fragen nicht mehr zuständig.

III

1. Der Große Senat bejaht die zuerst gestellte Frage. Nach seiner Überzeugung hat der Begriff der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO dieselbe Bedeutung wie in der Krankenversicherung (§ 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 RVO).

a) Der rechtstechnische Begriff "Arbeitsunfähigkeit" ("arbeitsunfähig") stammt aus der gesetzlichen Krankenversicherung; er bezeichnet eine besondere Art der Leistungsminderung, die für Krankengeldansprüche nach den §§ 182 und 183 RVO erforderlich ist (Entwurf 1910 zur RVO, RT-Drucks II/682, Begründung, S 22 und 155 f).

Arbeitsunfähig in diesem Sinn ist nach der Rechtsprechung, worauf noch einzugehen ist, der Versicherte, der seine zuletzt ausgeübte oder eine ähnliche Beschäftigung oder Tätigkeit infolge Krankheit nicht mehr fortsetzen kann.

Ein solcher fachsprachlicher Ausdruck kann ohne inhaltliche Veränderung in die Vorschrift eines anderen Rechtsgebietes übernommen werden, aber auch mit einer systemgerechten Angleichung an Grundsätze des anderen Rechtsbereiches. Um der Rechtsklarheit willen dürfte eigentlich ein Begriff im selben Gesetz wiederkehrend allein in einheitlichem Sinn verwendet werden (vgl zum Beispiel Kohler, Archiv für Civilistische Praxis 1905, 345, 358 f; Pestalozza, Neue juristische Wochenschrift 1981, 2081, 2086). Der Gesetzgeber hält sich allerdings nicht stets an dieses Gebot. Gleichwohl liegt eine Begriffsidentität dann besonders nahe, wenn - wie hier - die beiden Rechtsgebiete, in denen derselbe Ausdruck vorkommt, eng miteinander verknüpft sind (vgl zB Bundesverwaltungsgericht Buchholz 427.6 § 11 BFG Nr 1). Das gilt zumal bei der Verbindung zweier Rechtsbereiche durch ein einheitliches Gesetz wie die RVO. Aber auch wenn unabhängig davon die Bedeutung des gleichen Begriffes je aus seinem besonderen Verwendungszusammenhang zu erschließen ist, muß die Arbeitsunfähigkeit in § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO ebenso wie in § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 RVO verstanden werden.

Der 4. Senat des BSG hat sich bei der Interpretation des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO an die erstgenannte Auslegungsregel gehalten und eine bloße Verweisung auf den krankenversicherungsrechtlichen Begriff der Arbeitsunfähigkeit angenommen, ohne dies näher zu begründen (BSGE 25, 16, 18 = SozR Nr 17 zu § 1259 RVO). Er hat diese Auffassung in einem späteren Urteil mit zahlreichen Einwänden gegen eine mittlerweile abweichende Rechtsprechung bekräftigt, wenn auch nicht in einer die Entscheidung tragenden Begründung (BSG SozR 2200 § 1259 Nr 1). Darauf bezieht sich ein weiteres Urteil des 4. Senats (BSGE 46, 48, 49 f = SozR 2200 § 1259 Nr 27). Der 12. Senat hat anfangs unter Hinweis auf diese Judikatur die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO als einen Tatbestand beurteilt, der gegenüber der Berufsunfähigkeit iS des § 1246 Abs 2 RVO selbständig sei (BSGE 28, 29, 30 f = SozR Nr 19 zu § 1259 RVO). Neuerdings ist der 1. Senat der Auslegung des 4. Senats für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 beigetreten (zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil vom 22. September 1981 - 1 RJ 94/78 -). Der 5. und ihm folgend der 12. Senat sind in verschiedenen Entscheidungen wohl auch davon ausgegangen, daß der in § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO verwendete Begriff Arbeitsunfähigkeit aus dem Recht der Krankenversicherung stammt (zu § 57 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Reichsknappschaftsgesetz: BSGE 29, 77, 79 = SozR Nr 21 zu § 1259 RVO; BSGE 35, 234, 235 = SozR Nr 53 zu § 1259 RVO; zu § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO: BSGE 32, 232, 233 = SozR Nr 34 zu § 1259 RVO; SozR Nr 55 zu § 1259 RVO). Sie haben einen solchen Tatbestand als Voraussetzung einer Ausfallzeit aber uneingeschränkt lediglich für die Dauer eines Krankengeldbezuges angenommen (BSGE 29, 80 f; 32, 218, 219 = SozR 2200 § 1259 Nr 6; BSGE 46, 48, 49 = SozR 2200 § 1259 Nr 27; zustimmend der 1. Senat in BSGE 49, 202, 209 = SozR 2200 § 1247 Nr 2 und im Urteil vom 22. September 1981). Hingegen haben die beiden Senate, beginnend mit dem Urteil vom 19. Dezember 1968 (BSGE 29, 77), bei länger anhaltender Krankheit eine Anpassung des in § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO verwendeten Begriffes an Besonderheiten der Rentenversicherung für geboten erachtet. Wegen der Eigentümlichkeiten dieses Rechtsgebietes soll der Versicherte auf andere Erwerbstätigkeiten als die letzte, die nach § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 RVO maßgebend ist, verwiesen werden können; dieses Verweisungsfeld soll sich nach den gemäß den jeweiligen Rentenversicherungsvorschriften zumutbaren Arbeiten richten (BSGE 29, 79 f) oder genauer: nach dem Rahmen, der eine Berufsunfähigkeit gem § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO ausschließt (BSGE 32, 233 f; BSG SozEntsch BSG V § 1259 RVO Nr 13; BSG Urteil v 31. Januar 1973 - 12 RJ 312/72 -), oder nach den gemäß Treu und Glauben (§ 242 BGB) zumutbaren Tätigkeiten (BSGE 35, 235 f).

Der zuletzt dargelegten Auffassung des 5. und des 12. Senats folgt der Große Senat nicht.

b) Ausschlaggebend für die Auslegung des Begriffes Arbeitsunfähigkeit ist der in § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO vorgeschriebene Funktionszusammenhang zwischen dem Tatbestand der Arbeitsunfähigkeit und der für ihren Nachweis erforderlichen Bescheinigung. Der Begriff Arbeitsunfähigkeit als wesentliche Voraussetzung einer Ausfallzeit ist wegen seiner systematischen Beziehung zu anderen Teilen des Gesetzestatbestandes ebenso zu verstehen wie in der Krankenversicherung. Die aufeinander bezogenen Elemente der Vorschrift müssen einander inhaltlich voll entsprechen. Allgemein ist eine Bestimmung aus sich heraus widerspruchsfrei auszulegen. Nach § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO werden die Zeiten, die durch eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unterbrochen sind, nur dann als Ausfallzeit iS des § 1259 RVO bewertet, "wenn sie in den Versicherungskarten oder sonstigen Nachweisen bescheinigt sind". In solchen Belegen wird aber in der Praxis die Arbeitsunfähigkeit ausschließlich nach dem zuvor beschriebenen krankenversicherungsrechtlichen Maßstab bescheinigt. Falls dieser Zustand iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO nicht ebenso zu verstehen wäre, könnte die Bescheinigung ihren Zweck häufig nicht erfüllen, sie wäre also wertlos; auch liefe dann die Vergünstigungsvorschrift leer. Denn ohne einen solchen Nachweis kann eine Arbeitsunfähigkeit nicht zur Berücksichtigung einer Ausfallzeit führen (BSGE 40, 34, 36 = SozR 2200 § 1259 Nr 7).

Für die Träger der Krankenversicherung, für Ärzte und Zahnärzte sowie für Arbeitgeber, die eine Arbeitsunfähigkeit für die Eintragung in die Versicherungskarte (§§ 1411 ff RVO) bescheinigen können (§ 17 iVm Abschnitt I der Anlage zu den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften über Versicherungskarten und Aufrechnungsbescheinigungen in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten -VVA- vom 27. Mai 1964 - BABl 393 - und vom 20. Februar 1968 - BABl 173 -), wird ein anderer Begriff der Arbeitsunfähigkeit als der krankenversicherungsrechtliche schon gar nicht in den Blick geraten; denn sie sind von ihren Aufgaben und von ihrer Stellung her mit Ansprüchen befaßt, die eine Leistungsminderung dieser speziellen Art voraussetzen. Diese Vorstellungen von der Arbeitsunfähigkeit werden ebenfalls in die Meldungen der Ausfallzeiten an die Rentenversicherungsträger eingehen (§ 13 Abs 2, 3 und 6 Datenerfassungs-Verordnung -DEVO- vom 24. November 1972 -BGBl I 2159-, § 13 Abs 1, 2, 3 und 6 der 2. DEVO vom 29. Mai 1980 -BGBl I 593-). Auch soweit Arbeitgeber wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit aus dem Arbeitsrecht in Anspruch genommen werden und vor allem deshalb die Voraussetzungen einer entsprechenden Ausfallzeit bekunden können, ist für jenen Rechtsbereich die Arbeitsunfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinn maßgebend (BAGE 7, 142 = AP Nr 11 zu § 1 ArbkrankhG; AP Nr 12 zu § 1 LohnFG).

Rentenversicherungsträger und Ausgabestellen für Versicherungskarten, die solche Ausfallzeiten eintragen (§ 1412 Abs 3, § 1414 RVO), könnten sich zwar theoretisch bei ihren Entscheidungen an einem selbständigen rentenversicherungsrechtlichen Begriff der Arbeitsunfähigkeit mit abweichendem Inhalt ausrichten. Praktisch werden sie jedoch regelmäßig auf Erkenntnis- und Beweismittel beschränkt sein, die nach dem krankenversicherungsrechtlichen Maßstab entstanden sind. Außerdem konnten sie sich bis zur entgegenstehenden einschlägigen Entscheidung des 5. Senats, also bis Ende 1968, durch die bis dahin unangefochtene Rechtsprechung nicht veranlaßt sehen, die Arbeitsunfähigkeit iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO eigenständig nach einem rentenversicherungsrechtlichen Verweisungsrahmen zu beurteilen. In der Zeit danach wurde wohl allmählich in Zeitschriften der Rentenversicherungsträger und in Kommentaren zur Rentenversicherung auf die von der Rechtsprechung vorgenommene Begriffsabwandlung hingewiesen (Mitteilungen der Bundesknappschaft 1970, 15, 22; Teiche, Mitteilungen der LVA Berlin 1971, 113, 114; Stock, Mitteilungen der LVA Württemberg 1974, 97, 100; Miesbach/Busl, Reichsknappschaftsgesetz, Stand: Oktober 1969, § 57, Anm 3; Verbandskommentar, Stand: März 1970, § 1259, Anm 7; Eicher/Haase, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 5. Aufl 1973, § 1259, Anm 5, im Gegensatz zur 4. Aufl von 1970; Koch/Hartmann/Kaltenbach/Maier, Angestelltenversicherungsgesetz, Band IV, Stand: November 1977, § 36, Anm B, I, 1). Doch wurde dieser einfach wiedergegebenen Auffassung im Schrifttum und in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte ausführlich begründet widersprochen (vgl Köpke, Soziale Sicherheit 1973, 264 mwN). Außerdem bestand für die Praxis, auch gerade in Kenntnis dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung, eine beträchtliche Unsicherheit darüber, welcher genaue Beurteilungsmaßstab für diesen Rechtsbegriff bestimmend sein sollte; denn der 5. und der 12. Senat legten, wie schon berichtet, den Verweisungsbereich nicht eindeutig und übereinstimmend für die Verwaltung fest; schließlich wurde ihre Judikatur schon 1974 durch den 4. Senat wieder in Frage gestellt. Zudem hätte es bei einer Verweisbarkeit nach dem Maßstab des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO in den zahlreichen Fällen einer Leistungseinbuße, die keine vollschichtige Arbeit mehr erlaubte, infolge einer schwankenden und 1976 gegenüber 1969 durch den Großen Senat geänderten Rechtsprechung an eindeutigen Richtlinien gefehlt (BSGE 30, 167 = SozR Nr 79 zu § 1246 RVO; BSGE 43, 75 = SozR 2200 § 1246 Nr 13). Praktisch haben die Rentenversicherungsträger bisher die Krankenkassen nicht angehalten, ihre Meldungen und Informationen über eine solche Ausfallzeit anders als nach dem krankenversicherungsrechtlichen Begriff der Arbeitsunfähigkeit auszurichten. Sie haben nicht etwa ab 1972 die Krankenversicherungsträger durch grundsätzlich bedeutsame Erklärungen gebunden, diesen Begriff entsprechend zu beurteilen (§ 13 Abs 8 DEVO 1972; § 13 Abs 10 der 2. DEVO).

Falls in der Zeit seit 1968 Versicherte auf Feststellung einer solchen Ausfallzeit geklagt hätten (vgl dazu BSG Urteil v 22. September 1981 - 1 RJ 94/78 -), wäre ungewiß geblieben, ob in diesen Verfahren die Arbeitsunfähigkeit nach der Verweisungsvorschrift des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO bewertet worden wäre.

Abgesehen davon müßten die bisher nach dem krankenversicherungsrechtlichen Maßstab bescheinigten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit um des Vertrauensschutzes willen für die Zukunft anerkannt bleiben. Der Vertrauensgrundsatz ist ein wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit; er verbietet zB auch prinzipiell rückwirkend belastende Gesetze (BVerfGE 37, 363, 397 ff = SozR 5724 Allgemein Nr 1; BVerfG 50, 177, 193 f = SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 8; BVerfG 51, 356, 362 ff = SozR 2200 § 1233 Nr 12; SozR 2200 § 1304e Nr 1). Die Nachweise der Arbeitsunfähigkeit sind sicherheitshalber beschränkt worden (BSGE 33,33, 35 = SozR Nr 37 zu § 1259 RVO) und sind, wie schon erörtert, für diese Vergünstigung unerläßlich. Dann müssen andererseits die Versicherten erwarten können, daß solche Belege nicht rückwirkend wegen einer veränderten Rechtsauffassung allgemein für unbrauchbar erklärt werden. Dieser Vertrauensschutz ist auch deshalb geboten, weil nachträglich geeignete Beweismittel für eine andere rechtliche Beurteilung des gesundheitlichen Leistungsvermögens viel schwerer zu beschaffen sein werden. Ebenfalls ließen sich die Arbeitsmarktverhältnisse, die für eine Berufsunfähigkeit bedeutsam sein können, nicht mehr für die Vergangenheit zureichend aufklären. Die Entwicklung der Rechtsprechung seit 1968 steht der Berechtigung der Versicherten, daß sie sich auf die Gültigkeit der Bescheinigungen einer Arbeitsunfähigkeit verlassen können, nicht entgegen. Wie schon aufgezeigt, ist sie nicht einheitlich geblieben, so daß es ihr an der für die Versicherten notwendigen Klarheit fehlt.

c) Außerdem gebietet die systematische Beziehung zur Ursache der Arbeitsunfähigkeit iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO, diesen Begriff im krankenversicherungsrechtlichen Sinn auszulegen, damit eine widersprüchliche Interpretation innerhalb des Ausfallzeittatbestandes vermieden wird. Die Arbeitsunfähigkeit "infolge einer Krankheit", die eine Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrochen haben muß, wird, was die Ursache betrifft, begriffsgleich wie die Arbeitsunfähigkeit durch "Krankheit", die nach § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 RVO einen Krankengeldanspruch begründet, gekennzeichnet (zur "Krankheit" idS: BSGE 28, 199, 201 f = SozR Nr 22 zu § 1531 RVO; BSGE 30, 151, 152 = SozR Nr 37 zu § 182 RVO; BSGE 33, 202, 203 = SozR Nr 48 zu § 182 RVO; BSGE 35, 10, 12 = SozR Nr 52 zu § 182 RVO; BSGE 48, 258, 264 = SozR 2200 § 182 Nr 47). Dann drängt sich auch ein inhaltsgleiches Verständnis der Arbeitsunfähigkeit iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO auf, die Folge einer "Krankheit" sein muß. Das wird gerade durch den Unterschied zu den möglichen Ursachen einer Berufsunfähigkeit und einer Erwerbsunfähigkeit bestätigt. Diese Arten von Leistungsminderung, die Ansprüche aus der Rentenversicherung begründen, können nicht allein durch eine "Krankheit", sondern außerdem durch "andere Gebrechen oder Schwäche seiner" (des Versicherten) "körperlichen oder geistigen Kräfte" verursacht sein (§ 1246 Abs 2 Satz 1, § 1247 Abs 2 RVO). Zudem können Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit auch durch andere Gegebenheiten als eine Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes beeinflußt werden (§ 1276 Abs 1 Halbs 2 RVO). Wegen dieses Unterschiedes zur Ursache der Arbeitsunfähigkeit iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO wäre es inkonsequent, den Maßstab für die Beurteilung dieser Folge nicht dem beruflichen Bezugsfeld des Krankenversicherungsrechtes, sondern dem rentenversicherungsrechtlichen Verweisungsrahmen des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO zu entnehmen.

Dieses Verständnis des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO wird durch andere Auslegungsgesichtspunkte bestätigt.

Der Gesetzesentstehung und -entwicklung ist ebenfalls zu entnehmen, daß die Arbeitsunfähigkeit in dieser Vorschrift wie in § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 RVO zu verstehen ist.

Als jener Ausfallzeittatbestand durch das Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I 45) in die RVO eingeführt wurde, war zuvor allgemein in die Rentenversicherung der Begriff Arbeitsunfähigkeit uneingeschränkt im krankenversicherungsrechtlichen Sinn übernommen worden. Davon mußte der Gesetzgeber 1957 ausgehen. Eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit hatte eine Ersatzzeit für die Erfüllung der Wartezeit gebildet (§§ 1251, 1278, 1279 Abs 1 RVO idF der Verordnung vom 16. April 1924 - RGBl 405 -, §§ 1262, 1263 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO idF der Verordnung vom 17. Mai 1934 - RGBl I 419 -) und außerdem zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft gedient (§§ 1280, 1281, 1393 Satz 1 Nr 3, § 1394 Abs 2 RVO idF vom 19. Juli 1911 - RGBl 509 -; § 1253 Abs 1, § 1263 Abs 1 Satz 1 Nr 1, § 1265 Abs 1, § 1266 Abs 1 Nr 1 RVO idF der Verordnung vom 17. Mai 1934; § 1243 Abs 1, §§ 1264, 1267 Abs 1 Nr 4 RVO idF des Gesetzes über den Ausbau der Rentenversicherung vom 21. Dezember 1937 - RGBl I 1393 -). Diese Leistungsminderung war stets und unangefochten als deckungsgleich mit der gleichen Voraussetzung des Krankengeldes angesehen worden (Hanow/Lehmann, Reichsversicherungsordnung, 4. Buch, 4. Aufl 1925, § 1279, Anm 8; Koch/Hartmann, Angestelltenversicherungsgesetz, Stand: 1942/43, § 32 AVG, § 1267 RVO, Anm 4, b; Verbandskommentar, 4. und 5. Buch, 5. Aufl 1954, § 1267, Anm 9). Angesichts dieser Rechtsentwicklung mußte der Gesetzgeber damit rechnen, daß der in § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO gewählte Begriff ebenso wie bis dahin in der Rentenversicherung ausgelegt wurde (zur Kenntnis des Gesetzgebers von längerer ständiger Rechtsprechung: BSGE 48, 146, 159 = SozR 2200 § 1265 Nr 41). In der neuen Vorschrift wäre aber eine andere Ausdrucksweise zu erwarten gewesen, falls der nunmehr geregelte Ausfallzeittatbestand von einer anderen Leistungseinbuße als der Arbeitsunfähigkeit im Sinn des § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 RVO hätte abhängig gemacht werden sollen (ebenso zu § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a: BSG SozR 2200 § 1259 Nr 33; zu § 1246 Abs 2 RVO: BSGE 30, 167, 170; BSGE 30, 192, 197 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO). Insbesondere hätte sich eine Formulierung des Begrenzungsmaßstabes nach dem Vorbild des ebenfalls neu geschaffenen § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO aufdrängen müssen, falls der Gesetzgeber eine solche Angleichung an die Rentenversicherung statt einer Anknüpfung an den überkommenen krankenversicherungsrechtlichen Tatbestand beabsichtigt hätte. Auch bei Änderungen des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO durch Art 1 § 1 Nr 22 Buchst a des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) und durch § 21 Nr 75 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation -RehaAnglG- vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) hat er das Tatbestandsmerkmal der Arbeitsunfähigkeit unberührt gelassen. In dieser Zeit hätte indes wiederholt neuer Anlaß zu einer andersartigen sprachlichen Formulierung bestanden, falls der Gesetzgeber die wesentliche Voraussetzung anders als die Arbeitsunfähigkeit iS des § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 RVO hätte verstanden wissen wollen. Mit der Neufassung des § 183 Abs 2 und 3 RVO durch Art 2 Nr 4 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter im Krankheitsfall vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913) wurde der Bezug des Krankengeldes, der eine Arbeitsunfähigkeit nach allgemeiner Auffassung anzeigt, grundsätzlich auf unbegrenzte Zeit verlängert, so daß es insgesamt einige Jahre wegen derselben Krankheit gewährt werden kann (dazu BSGE 45, 11, 13 ff = SozR 2200 § 183 Nr 11; BSGE 47, 288, 292 = SozR 2200 § 183 Nr 19; BSGE 49, 163, 166 ff = SozR 2200 § 183 Nr 30). Damit wurde die Möglichkeit eröffnet, daß für Zeiten von bis dahin unbekannter Dauer mit Sicherheit eine Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO zu Lasten der Rentenversicherung anerkannt wird, wie dies später der 5. und der 12. Senat angenommen haben. Der Gesetzgeber hat aber, anders als in den zitierten Vorschriften der RVO von 1911 und anders als in Nr 4 des § 1259 Abs 1 Satz 1 RVO sowie praktisch auch anders als in Nr 3 (vgl §§ 106, 134 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-), ungeachtet jener Rechtsänderung die Ausfallzeit infolge Arbeitsunfähigkeit zeitlich nicht begrenzt, abgesehen von der Mindestdauer von einem Monat; vielmehr hat er eine Schranke allein durch die bereits erörterte Nachweispflicht geschaffen. Auch hätten 1964 und 1968 die beiden Fassungen der VVA, die offenkundig auf eine krankenversicherungsrechtliche Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit abstellen, den Gesetzgeber aufmerken lassen müssen, daß die Verwaltungspraxis sich allgemein an demselben Begriffsinhalt ausrichtete. Erst durch § 1227 Abs 1 Nr 8a Satz 1 Buchst a iVm § 1385 Abs 4 Buchst g RVO idF des § 21 Nr 63 Buchst a und der Nr 78 Buchst b des RehaAnglG sind mit der Beitragspflicht des Krankenversicherungsträgers bis zu 30 Monaten einer Arbeitsunfähigkeit die Rentenversicherungsträger während solcher Zeiten finanziell entlastet worden (dazu BSGE 45, 188, 190 = SozR 2200 § 1227 Nr 7; BSGE 47, 109 = SozR 2200 § 1227 Nr 20). Der Gesetzgeber hat aber, als er diese Regelung schuf, den Tatbestand der Ausfallzeit in § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO unverändert gelassen.

Die Gesetzesmaterialien rechtfertigen keine andere Auslegung der Arbeitsunfähigkeit als im krankenversicherungsrechtlichen Verständnis. Bei den Beratungen des ArVNG wurden zwar die neu eingeführten Ausfallzeiten damit begründet, daß sie Beitragsausfälle ausgleichen sollten, die auf ein "unverschuldetes Schicksal" und nicht auf "mangelnden Arbeitswillen" zurückzuführen seien (Bericht des Abgeordneten Schüttler für den Ausschuß für Sozialpolitik des Bundestages zu Entwürfen eines Rentenversicherungsgesetzes, zu Drucksache II/3080, Anl 2 zur Niederschrift über die 184. Sitzung des Bundestages vom 16. Januar 1957, S 10245 (C), 10250 (D), 10251 (B), 10255 (D), 10256 (A), zu § 1263). Doch wurde damit kein rechtlich bedeutsamer Begrenzungsfaktor festgelegt, der die Auslegung der Arbeitsunfähigkeit in § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO dahin bestimmte, daß ein Versicherter diese Vergünstigung nicht in Anspruch nehmen könne, sofern er noch andere Erwerbstätigkeiten als die zuletzt verrichtete ausüben kann.

e) Ein Vergleich mit anderen Bestimmungen des Rentenversicherungsrechts, zu dem § 1259 RVO systematisch gehört, bestätigt das bisherige Ergebnis. In verschiedenen Vorschriften wird ebenfalls die Arbeitsunfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinn verstanden, ohne daß dies ausdrücklich durch einen entsprechenden Zusatz, wie zB in § 560 Abs 1, § 580 Abs 2, § 1244a Abs 6 Satz 1 Buchst b RVO, § 13 Abs 1 Satz 1 RehaAnglG vorgeschrieben ist (zu § 1241e Abs 1 RVO: BSGE 46, 190, 191 = SozR 2200 § 182 Nr 34; BSGE 46, 295, 297 = SozR 2200 § 1241e Nr 4; BSGE 47, 176, 179 = SozR 2200 § 1241e Nr 7; zu § 1240 Satz 1: BSGE 46, 108, 109 f = SozR 2200 § 1240 Nr 1; BSGE 48, 23, 25 = SozR 2200 § 1240 Nr 6).

f) Abweichend von der Rechtsauffassung des 5. und des 12. Senats gebieten Sinn und Zweck der Ausfallzeit des § 1259 Abs 1 Satz 1 RVO nur scheinbar, die Arbeitsunfähigkeit in Nr 1 an Beurteilungsmaßstäbe des Rentenversicherungsrechts anzupassen. Dieser Rentenbemessungsfaktor soll einen Ausgleich dafür schaffen, daß der Versicherte infolge einer gesundheitlichen Behinderung nicht selbst aus dem Ertrag seiner Erwerbsarbeit für das zu versichernde Risiko vorsorgen kann (BSGE 41, 41, 49 = SozR 2200 § 1259 Nr 13; BSGE 42, 86 f = SozR 2200 § 1259 Nr 18). In der Krankenversicherung begründet die Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Krankengeld als Ersatz von Arbeitsentgelt oder sonstigem Erwerbseinkommen. Die Gemeinsamkeit, daß verschiedenartige Folgen einer Leistungseinbuße ausgeglichen werden sollen (BSG SozR 2200 § 1259 Nr 1), erlauben es, an einen einheitlichen Tatbestand der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit anzuknüpfen. Er wird systemgerecht in der Krankenversicherung nach der Unfähigkeit bemessen, die zuletzt verrichtete Erwerbstätigkeit fortzusetzen; aus ihr stammen die Beiträge, und nach ihr wird das Krankengeld berechnet. Jenes begrenzte berufliche Bezugsfeld ist aber auch sinnvoll für die Arbeitsunfähigkeit iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO; denn für den Versicherten konnten infolge seiner Krankheit zeitweilig keine Beiträge, die rentensteigernd wirken würden, aus der "unterbrochenen", dh aus der letzten Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet werden.

Andererseits ist die Arbeitsunfähigkeit nicht etwa durch den Zweck der von ihr begründeten Ausfallzeit zwingend auf einen bestimmten späteren Versicherungsfall, etwa den der Berufsunfähigkeit bezogen und deshalb inhaltlich durch ihn bestimmt. Die Berufsunfähigkeit ist wesentlich nach der Zumutbarkeit zur jeweiligen Zeit, für die Rente beansprucht wird, zu beurteilen. Die im Verhältnis zur Arbeitsunfähigkeit elastischere Verweisung auf ein größeres Berufsfeld soll den Versicherten veranlassen, eine - zumutbare - andere als die letzte Erwerbstätigkeit zu suchen, notfalls mit Hilfe von Rehabilitationsmaßnahmen gem §§ 1236 ff RVO. Die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit soll erst gewährt werden, wenn dem Versicherten trotz gebührender eigener Bemühungen keine ausreichende Erwerbsmöglichkeit im Rahmen des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO mehr abgefordert werden kann (vgl § 1235 Nr 1 und 2 RVO, § 7 RehaAnglG, §§ 63 bis 67 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - -SGB 1-). Für die zurückliegende Zeit, die als Ausfallzeit wegen Arbeitsunfähigkeit angerechnet werden soll, sollte aber ein Versicherter auf die Richtigkeit der ihm zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit erteilten Bescheinigung vertrauen können.

Schließlich läßt sich überhaupt nicht ein zeitlich und sachlich aufgespaltener Begriff der Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen. Falls dieser Zustand durch einen rentenversicherungsrechtlichen Maßstab für die Verweisungsmöglichkeiten zu bestimmen wäre, dürfte nicht ein Teil der Zeit, nämlich die Dauer eines Krankengeldbezuges, anders bewertet werden als der übrige, dh krankenversicherungsrechtlich. Für eine solche Differenzierung gibt es keinen einleuchtenden Grund. Wenn im Unterschied dazu die Zumutbarkeit einer Tätigkeit, auf die in der Arbeitslosenversicherung nach den §§ 103 und 119 AFG verwiesen werden kann, während einer längeren Beschäftigungslosigkeit abgestuft zu beurteilen ist (BSGE 44, 71, 73 ff = 4100 § 119 Nr 3; SozR 4100 § 119 Nrn 4 und 9), so geschieht dies nach einer einheitlichen Richtschnur, die allein Grundgedanken des AFG entnommen wird. Außerdem bezieht sich dies - ebenso wie in der Rentenversicherung bei der Berufsunfähigkeit - auf ein Verhalten, das in Gegenwart und Zukunft geändert werden kann.

g) Mit dieser Auslegung des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO erübrigt sich eine Antwort auf die zweite Frage des 5. Senats.

2. Der Große Senat, der eine ihm nach § 43 SGG vorgelegte Frage ausdehnend beantworten kann (BSGE 38, 248, 251 = SozR 1500 § 67 Nr 1), hält es im Interesse der Rechtsklarheit und der Rechtseinheit für tunlich, in seiner Entscheidungsformel auch zu bestimmen, wie die Arbeitsunfähigkeit im Sinn des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO im einzelnen inhaltlich zu verstehen ist.

Wenn dieses Tatbestandsmerkmal die gleiche Bedeutung wie die Arbeitsunfähigkeit in § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 RVO hat, dann ist bei der gegenwärtigen Auslegung dieses Begriffes, wie eingangs ausgeführt, die Unfähigkeit gemeint, die zuletzt verrichtete oder eine ähnliche Beschäftigung oder Tätigkeit fortzusetzen (BSG SozR 2200 § 182 Nr 12). Dieser Bezugspunkt gilt nur dann nicht, wenn der Versicherte freiwillig die letzte Berufstätigkeit aufgegeben hat (BSGE 32, 18, 20 f = SozR Nr 40 zu § 182 RVO); das berührt aber die allgemeine Anknüpfung nicht. Lediglich in einem Urteil hat der 3. Senat den Bereich der "ähnlichen" Arbeiten nach einem relativ weiten Rahmen der Zumutbarkeit bestimmt (BSG Urteil v 19. Januar 1971 - 3 RK 42/70 - Betriebskrankenkasse 1971, 206 = USK 7126). Doch hat er damit jene grundsätzliche Beziehung zur letzten Tätigkeit nicht allgemein aufgegeben. Diese Definition gilt auch für lang anhaltende Krankheiten (BSGE 26, 288, 290 ff = SozR Nr 25 zu § 182 RVO). Das Gesetz begrenzt im einzelnen zeitlich die finanzielle Belastung durch das Krankengeld, mag auch diese Leistung für viele Fälle zu einer Art von Zeitrente geworden sein.

Da in § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO die Ausfallzeit nicht vom Bezug von Krankengeld abhängig gemacht worden ist,, fehlt jene Einschränkung. Gleichwohl hat der Gesetzgeber aus den dargelegten Gründen eine länger anhaltende finanzielle Belastung der Rentenversicherungsträger in Kauf genommen.

Im übrigen muß es dem Gesetzgeber überlassen bleiben, die Träger der Rentenversicherung durch eine Änderung des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO vor Belastungen, die er als sozialpolitisch unzumutbar bewertet, zu schützen. Der Rechtsprechung ist es verwehrt, dies durch eine Gesetzesauslegung zu bewirken. Für eine Abweichung vom Gesetzeswortlaut, wie er nach den vorstehenden Ausführungen zu verstehen ist, gibt es keine hinreichenden Gründe.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1659555

BSGE, 22

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