Leitsatz (amtlich)

Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss kann nicht mit Rücksicht auf eine gerichtsbekannte eidesstattliche Versicherung des Schuldners und das ihr zugrunde liegende Vermögensverzeichnis verneint werden.

 

Normenkette

ZPO § 829

 

Verfahrensgang

LG Leipzig

AG Leipzig

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin werden der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Leipzig v. 1.10.2002 und der Beschluss des AG Leipzig v. 21.2.2002 aufgehoben, soweit darin der Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses abgelehnt worden ist. In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das AG zurückverwiesen.

Beschwerdewert: bis zu 600 Euro.

 

Gründe

I.

Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid des AG Leipzig v. 23.7.1996 über eine Hauptforderung von 2.614,05 Euro zzgl. Zinsen und Kosten. Mit Antrag v. 25.1.2002 begehrte die Gläubigerin die Pfändung und Überweisung der Forderungen des Schuldners gegen das Arbeitsamt Leipzig auf Auszahlung von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Arbeitslosenbeihilfe, Unterhaltsgeld sowie Übergangsgeld, auf künftige und laufend auszuzahlende Ansprüche des Schuldners auf die vorgenannten Leistungen, wenn nach Leistungsunterbrechung erneut ein Leistungsbezug auf Grund bereits früherer erworbener Anwartschaften erfolgt, des Rechts auf Antragstellung für diese Sozialleistungen und die Anordnung der Herausgabe der laufenden Leistungsbescheide gem. § 836 Abs. 3 ZPO. Das AG wies den Antrag durch Beschl. v. 21.2.2002 mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig zurück, weil der Schuldner nach dem von ihm erstellten Vermögensverzeichnis über monatliche Einkünfte von ca. 1.400 DM verfüge und zwei Personen unterhaltsverpflichtet sei. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen diesen Beschluss verwarf das LG. Dagegen richtet sich die teilweise zugelassene Rechtsbeschwerde.

II.

Das LG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, soweit das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses verneint wurde. Diese Beschränkung ist zulässig, weil es sich bei der Herausgabe der Urkunden um einen selbständigen Antragsgegenstand handelt.

Das gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2, § 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat das Rechtsschutzbedürfnis für eine Pfändung bei dem gerichtsbekannt leistungsunfähigen Schuldner verneint; es meint, das Rechtsschutzbedürfnis fehle, wenn sich die beabsichtigte Zwangsvollstreckungsmaßnahme gegen einen leistungsunfähigen Schuldner richte und deshalb erkennbar aussichtslos sei. Die Angabe des Schuldners in einem Vermögensverzeichnis habe als offenkundige Tatsache i. S. d. § 291 ZPO durch schriftlichen Hinweis des Gerichts in das Verfahren eingeführt und berücksichtigt werden können.

2. Die Annahme des Beschwerdegerichts, dass einer Pfändungsmaßnahme gegen einen leistungsunfähigen Schuldner von vornherein das Rechtsschutzbedürfnis fehle, begegnet in ihrer Allgemeinheit Bedenken. Zumindest in Fällen, in denen eine Verbesserung der Einkommens- und Vermögenslage nicht ausgeschlossen erscheint, besteht ein berechtigtes Interesse des Gläubigers an einer rangwahrenden Pfändung (für die Zulässigkeit der Pfändung von Einkommen, das gegenwärtig unter der Pfändungsfreigrenze liegt, OLG Celle Nds.Rpfl. 1953, 108; Gottwald, Zwangsvollstreckung, 4. Aufl., § 829 Rz. 113; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 21. Aufl., § 829 Rz. 18; Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 829 Rz. 35; zur Frage des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses allgemein vgl. Smid in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 829 Rz. 20). Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, kann dahinstehen. Denn das gesetzliche System des Zwangsvollstreckungsrechts verbietet es, zur Feststellung der Leistungsunfähigkeit auf das Vermögensverzeichnis des Schuldners und dessen eidesstattliche Versicherung abzustellen.

Vor der Pfändung einer Geldforderung hat das Vollstreckungsgericht die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung zu überprüfen, also die für alle Vollstreckungsarten geltenden Vorschriften und die für die Forderungspfändung besonders aufgestellten Bedingungen. Ansonsten obliegt dem Vollstreckungsgericht lediglich eine Schlüssigkeitsprüfung. Es muss feststellen, ob sich aus dem Vorbringen des Gläubigers ergibt, dass eine Forderung des Schuldners gegen den Drittschuldner bestehen kann, die nicht unpfändbar ist. Es wird lediglich die angebliche Forderung des Schuldners gegen den Drittschuldner gepfändet. Die Berücksichtigung der Angaben in dem Vermögensverzeichnis des Schuldners als offenkundig würde dazu führen, dass dessen Angaben zum Bestehen oder zur Pfändbarkeit einer Forderung entgegen der gesetzlichen Regelung verwendet würden. Gegen die Heranziehung des Vermögensverzeichnisses im vorliegenden Fall spricht hier überdies, dass der Schuldner die Anspruchshöhe mit ca. 1.400 DM angegeben und hinzugefügt hat: "wird noch bearbeitet".

 

Fundstellen

BGHR 2003, 1375

FamRZ 2003, 1652

NJW-RR 2003, 1650

KTS 2004, 65

WM 2003, 1875

WuB 2003, 1079

EzFamR aktuell 2003, 293

InVo 2003, 487

KKZ 2004, 89

MDR 2003, 1378

MDR 2006, 965

NJ 2004, 23

Rpfleger 2003, 595

BKR 2003, 805

ZFE 2003, 346

ZVI 2003, 458

KammerForum 2004, 68

ProzRB 2003, 327

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