Leitsatz (amtlich)

Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG liegen nur vor, wenn der Arbeitnehmer die Hin- und Rückfahrt von der Entfernung und vom Zeitaufwand her mit dem von ihm benutzten Beförderungsmittel an einem Arbeitstag zurücklegen kann und ihm darüber hinaus so viel Zeit verbleibt, daß er noch an demselben Tag am Arbeitsplatz seiner Beschäftigung nachgehen kann.

 

Normenkette

EStG 1975 § 9 Abs. 1 Nr. 4

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein jugoslawischer Staatsangehöriger, ist seit 1971 in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Im Jahre 1974 hat er geheiratet. Seine Ehefrau lebte im Streitjahr 1975 in Skopje. In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1975 machte der Kläger u. a. 5 680 DM Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung (684 DM Fahrtkosten für zwei Familienheimfahrten mit der Eisenbahn, 1 200 DM Wohnungsmiete am Arbeitsort, 3 796 DM Verpflegungsmehraufwand) als Werbungskosten sowie die Aufwendungen für den Unterhalt seiner Ehefrau als außergewöhnliche Belastung geltend.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte es ab, diese Aufwendungen zum Abzug zuzulassen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Sprungklage statt. Es führte aus: Eine doppelte Haushaltsführung sei auch dann beruflich veranlaßt, wenn sie erst mit der Eheschließung entstehe (vgl. Urteil des Senats vom 13. Juli 1976 VI R 172/74, BFHE 119, 281, BStBl II 1976, 654). Im Streitfall habe der Kläger in Jugoslawien für sich und seine Ehefrau eine den gemeinsamen Wohnbedürfnissen entsprechende Wohnung eingerichtet. Er habe sich an dem hauswirtschaftlichen Leben bei dem dortigen Hausstand sowohl finanziell als auch persönlich maßgebend beteiligt. Die Unterhaltszahlungen an die Ehefrau seien zwangsläufig erwachsen und daher nach § 33 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als außergewöhnliche Belastung abziehbar.

Das FA rügt mit der Revision die Verletzung von § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG.

Es beantragt, die Vorentscheidung insoweit aufzuheben, als darin Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung als Werbungskosten anerkannt sind.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Sie sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind (§ 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG). Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung sowie Kosten für Familienheimfahrten gehören regelmäßig zu den nach § 12 Nr. 1 EStG nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung; nur ausnahmsweise dürfen Aufwendungen dieser Art steuerlich berücksichtigt werden (vgl. Urteil des Senats VI R 172/74).

a) Zu Unrecht hat das FG die hier streitigen Aufwendungen unter dem Gesichtspunkt der doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten anerkannt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind notwendige Mehraufwendungen infolge einer doppelten Haushaltsführung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG nur dann als Werbungskosten abziehbar, wenn die Entstehung und die Beibehaltung der doppelten Haushaltsführung beruflich veranlaßt sind (Urteile des Senats vom 2. September 1977 VI R 114/76, BFHE 123, 444, BStBl II 1978, 26, und vom 10. November 1978 VI R 21/76, BFHE 126, 511, BStBl II 1979, 219). Beruht die Gründung eines vom Beschäftigungsort entfernt liegenden zweiten Hausstandes auf privaten Gründen, kommt ein Abzug von Mehraufwendungen als Werbungskosten nicht in Betracht. Nach dem Urteil des Senats vom 26. November 1976 VI R 153/74 (BFHE 120, 520, BStBl II 1977, 158) liegt regelmäßig eine private Veranlassung vor, wenn Ehegatten ihren Familienwohnsitz außerhalb des Beschäftigungsorts des alleinverdienenden Ehemanns begründen und der Ehemann eine in der Nähe des Arbeitsplatzes gelegene Wohnung beibehält. Die Gründung oder Beibehaltung eines doppelten Haushalts im Falle der Eheschließung kann allerdings dann beruflich veranlaßt sein, wenn beide Ehegatten an verschiedenen Orten ihrem Beruf nachgehen, dort wohnen und eine der beiden Wohnungen zur gemeinsamen Familienwohnung machen (Urteil des Senats VI R 172/74). An diesen Grundsätzen hat der Senat im Urteil vom 6. September 1977 VI R 165/76 (BFHE 123, 454, BStBl II 1978, 32) festgehalten und ausgeführt, daß sie in gleicher Weise für inländische wie für in der Bundesrepublik Deutschland tätige ausländische Arbeitnehmer gelten. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG gab im Streitfall die Berufstätigkeit des Klägers keinen Anlaß für die Gründung eines Hausstands in Jugoslawien. Die Entstehung der doppelten Haushaltsführung war auch nicht durch eine Berufstätigkeit der Ehefrau des Klägers beruflich veranlaßt. Der Kläger hat vor dem FG selbst vorgetragen, seine Ehefrau sei weder vor noch nach der Eheschließung berufstätig gewesen. Danach sind die Voraussetzungen einer beruflich veranlaßten doppelten Haushaltsführung im Streitfall nicht gegeben.

b) Die Aufwendungen des Klägers für die Familienheimfahrten nach Jugoslawien sind auch nicht als Werbungskosten im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG - Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte - abziehbar. Der Senat hat zwar in dem Urteil VI R 21/76 entschieden, daß bei einem Arbeitnehmer, der mehrere Wohnungen besitzt und der sich zum Teil von der einen und zum Teil von der anderen Wohnung aus zu seiner Arbeitsstätte begibt, auch die Aufwendungen für Fahrten zwischen der vom Beschäftigungsort weiter entfernt liegenden Wohnung zur Arbeitsstätte Werbungskosten im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG sein können, wenn die weiter entfernt liegende Wohnung den örtlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers bildet. Für den Streitfall bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob sich der örtliche Mittelpunkt der Lebensinteressen des Klägers vom Zeitpunkt der Eheschließung an in Skopje befand. Denn die Aufwendungen des Klägers für seine Familienheimfahrten sind deshalb keine Werbungskosten im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG, weil es sich im Streitfall nicht um Aufwendungen für "Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte" handelt. Für den Fall der Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bestimmt § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG, daß die Aufwendungen "für jeden Arbeitstag", an dem das Kraftfahrzeug benutzt wird, in bestimmter Höhe als Werbungskosten abziehbar sind. Hieraus hat der Senat gefolgert, daß "Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte" nach dem Wortsinn und Zweck des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG nur vorliegen, wenn der Arbeitnehmer die Hin- und Rückfahrt von der Entfernung und vom Zeitaufwand her mit dem von ihm benutzten Beförderungsmittel üblicherweise an einem Arbeitstag zurücklegen kann (vgl. Urteil des Senats vom 10. November 1978 VI R 112/75, BFHE 126, 518, BStBl II 1979, 222). Darüber hinaus muß dem Arbeitnehmer so viel Zeit verbleiben, daß er in der Lage ist, noch an demselben Tage am Arbeitsplatz seiner Beschäftigung nachzugehen. Nur unter dieser Voraussetzung kann der Charakter von arbeitstäglichen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als gegeben angesehen werden.

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß die früher geltende Entfernungsbegrenzung für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf 40 km durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. a, Doppelbuchst. aa des Ersten Steueränderungsgesetzes 1971 (1. StÄndG 1971) vom 23. Dezember 1970 (BGBl I 1970, 1856, BStBl I 1971, 8) aufgehoben wurde. Dieser Gesetzesänderung lag die Erwägung zugrunde, daß der Einzugsbereich insbesondere in Ballungsräumen die Entfernung von 40 km mitunter beträchtlich überschreiten kann. Aus dem Wegfall der Entfernungsbegrenzung läßt sich indes nicht folgern, daß die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte seit 1970 völlig unabhängig von der Entfernung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG als Werbungskosten abziehbar sein sollen. Nach Auffassung des Senats verdeutlicht vielmehr die früher geltende, wegen der Entwicklung der Verhältnisse jedoch nicht mehr zutreffende und daher aufgehobene Begrenzung auf 40 km, daß die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur dann als Werbungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG anzusehen sind, wenn der Arbeitnehmer die Hin- und Rückfahrt von der Entfernung und vom Zeitaufwand her mit dem von ihm benutzten Beförderungsmittel an einem Arbeitstag zurücklegen und außerdem noch an demselben Tag seiner Beschäftigung nachgehen kann.

Nach diesen Rechtsgrundsätzen sind die beiden Familienheimfahrten des Klägers nach Skopje und zurück nicht als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anzuerkennen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73217

BStBl II 1979, 648

BFHE 1979, 189

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