Leitsatz (amtlich)

1. Die Wegverlegung des Wohnsitzes vom Beschäftigungsort unter Beibehaltung eines zweiten Haushalts am Beschäftigungsort führt regelmäßig nicht zu einer steuerrechtlich zu berücksichtigenden doppelten Haushaltsführung im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG.

2. Hat ein Arbeitnehmer mehrere Wohnungen, von denen aus er sich abwechselnd zu seiner Arbeitsstätte begibt, so können die Fahrtaufwendungen von jeder dieser Wohnungen aus, unabhängig davon, wie häufig sie wöchentlich durchgeführt werden, Werbungskosten im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG sein. Für die Fahrtaufwendungen von der weiter vom Beschäftigungsort entfernt liegenden Wohnung aus gilt dies jedoch nur, wenn sie der örtliche Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers ist. Dieser Mittelpunkt befindet sich bei einem verheirateten Arbeitnehmer im allgemeinen dort, wo seine Familie wohnt.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 Nrn. 4-5

 

Tatbestand

Der verheiratete Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist leitender Angestellter einer Bank in M. Er hat am Arbeitsort seit Jahren, 4 km von der Arbeitsstätte entfernt, eine Wohnung gemietet, in der er mit seiner Frau wohnte. 55 km von der Arbeitsstätte entfernt hat er in R eine Eigentumswohnung gekauft, jedoch die Wohnung in M beibehalten. Im Streitjahr 1972 wohnte die Ehefrau des Klägers nach seinen Angaben überwiegend in R. Für dieses Jahr machte der Kläger bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung sowie Aufwendungen für Fahrten zwischen der Wohnung in M und der Arbeitsstätte mit dem eigenen PKW als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte die Anerkennung der Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung ab. Die Aufwendungen für die Fahrten zwischen der Wohnung in M and der Arbeilsstätte ließ das FA nicht zum Abzug zu, weil sie unter dem Werbungskostenpauschbetrag lägen. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit der Klage begehrte der Kläger die Anerkennung von Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung, und zwar der Kosten für 47 Familienheimfahrten, der Miete am Arbeitsort M und der Mehraufwendungen für Verpflegung an 225 Tagen, hilfsweise die Anerkennung der Kosten für Fahrten zwischen den Wohnungen in R oder M und der Arbeitsstätte als Werbungskosten.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte u. a. aus (Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 176 - EFG 1976, 176 -): Kosten einer doppelten Haushaltsführung (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) seien nicht anzuerkennen, weil das Unterhalten des Hausstandes in R nicht durch das Arbeitsverhältnis, sondern privat veranlaßt sei. Anlaß des Kaufes der Eigentumswohnung seien die hohen Grundstückspreise in M, der Gesundheitszustand der Ehefrau des Klägers und die Beeinträchtigung der Mietwohnung durch Abgase, Staub und Lärm gewesen; ferner habe ihn seine gesellschaftliche Stellung bewogen, den Hauptwohnsitz nach R zu verlegen. An der doppelten Haushaltsführung fehle es auch, weil der Ort des eigenen Hausstandes und der Beschäftigungsort nicht auseinandergefallen seien. Die Nichtanerkennung von Werbungskosten schränke die durch Art. 11 des Grundgesetzes (GG) geschützte Freizügigkeit des Klägers nicht ein. Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG) seien nur in der Höhe anzuerkennen, wie sie für Fahrten zwischen der Wohnung in M und der Arbeitsstätte dort entstanden seien, nicht jedoch in Höhe der Fahrtkosten zwischen R und M. Zwar sei der Kläger nach seinen Angaben an 225 Tagen zur Arbeitsstätte gefahren, davon etwa 2/5 von M, 3/5 von R aus. Kosten der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte müßten aber ebenso wie die Kosten der doppelten Haushaltsführung durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt sein. Das treffe auf die Fahrten zwischen R und der Arbeitsstätte nicht zu.

Mit der Revision rügt der Kläger unrichtige Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 und 5 EStG, die Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG, ungenügende Sachaufklärung und Verstöße gegen die Denkgesetze. Er trägt im wesentlichen vor: Die Zweitwohnung in M habe ihm nur zur Übernachtung gedient, wenn er aus beruflichen Anlässen auf die Heimfahrt nach R verzichtet habe. In der Stadtwohnung habe sich seine Ehefrau so gut wie nie aufgehalten; dort herrsche auch kein hauswirtschaftliches Leben. Dementsprechend habe sich der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen und der seiner Ehefrau nur in der Wohnung in R befunden. Dies hätte das FG feststellen und sodann prüfen müssen, ob die Aufwendungen für die Zweitwohnung in M beruflich veranlaßt und damit als Werbungskosten abziehbar gewesen seien. Sie müßten unter dem Gesichtspunkt seiner beruflichen Stellung betrachtet werden. Er sei häufig zur Arbeit über die normale Arbeitszeit hinaus gezwungen gewesen und habe Repräsentationspflichten für die Bank gehabt. Er empfange seine Geschäftsfreunde nicht in M, sondern in R. Diese gesellschaftlichen Verpflichtungen seien nicht seiner privaten Sphäre zuzurechnen. Es müsse unerheblich sein, aus welchen Gründen er seinen Hausstand verlegt habe. Es dürfe keinen Unterschied machen, ob er nach dem Umzug nach R seine bisherige Wohnung beibehalten oder sie aufgegeben und aus beruflichen Gründen eine kleinere Wohnung in M gemietet habe.

Der Senat hat nach mündlicher Verhandlung in dieser Sache den Bundesminister der Finanzen (BdF) gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Beitritt aufgefordert. Nach seinem Beitritt hat der BdF ausführlich zu der Frage Stellung genommen, ob und gegebenenfalls inwieweit Aufwendungen eines Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von zwei verschiedenen Wohnungen aus als Werbungskosten abziehbar sind.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zum Teil begründet.

Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Sie sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind (§ 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG 1971). Nicht abziehbar sind jedoch Aufwendungen für die Lebensführung, wozu Aufwendungen gehören, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen (§ 12 Nr. 1 EStG). Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung sowie Kosten für Familienheimfahrten gehören regelmäßig zu den nach § 12 Nr. 1 EStG nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung; nur ausnahmsweise sind derartige Kosten der Lebensführung steuerlich zu berücksichtigen (vgl. Urteil des Senats vom 13. Juli 1976 VI R 172/74, BFHE 119, 281, BStBl II 1976, 654).

1. Dem FG ist insoweit zu folgen, als es die steuerliche Anerkennung von Kosten der doppelten Haushaltsführung abgelehnt hat. Notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung entstehen, können nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG Werbungskosten sein. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Da aber Mehraufwendungen aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung "Werbungskosten" sein müssen, Können sie steuerrechtlich nur dann berücksichtigt werden, wenn sie beruflich veranlaßt sind. Dies hat der erkennende Senat im Urteil vom 14. Februar 1975 VI R 125/74 (BFHE 115, 322, BStBl II 1975, 607) ausgesprochen; er hat hieran in ständiger Rechtsprechung festgehalten (vgl. Urteile VI R 172/74 und vom 2. September 1977, VI R 114/76, BFHE 123, 444, BStBl II 1978, 26).

Ein Abzug von Kosten einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten kommt mithin nicht in Betracht, wenn die Gründung oder Beibehaltung eines vom Beschäftigungsort entfernt liegenden zweiten Hausstandes auf privaten Erwägungen beruht. Der erkennende Senat hat in dem Urteil VI R 172/74 entschieden, daß die Wegverlegung des Wohnsitzes vom Beschäftigungsort unter Beibehaltung eines zweiten Haushaltes am Beschäftigungsort regelmäßig als privat veranlaßt anzusehen sei. Das FG hat demgemäß zu Recht ausgeführt, daß die Unterhaltung des Haushalts des Klägers in R auf privaten Gründen beruhte. Denn der Kläger hat im Streitjahr wie in den Jahren zuvor am Beschäftigungsort eine für ihn und seine Familie ausreichende Wohnung besessen. Maßgebend für den Kauf der Eigentumswohnung in R waren, wie das FG in rechtlich möglicher Würdigung festgestellt hat, private Gründe. Soweit der Kläger seiner Auffassung nach durch seine gesellschaftliche Stellung zur Unterhaltung des Hausstandes in R veranlaßt worden ist, können diese Erwägungen die berufliche Veranlassung der doppelten Haushaltsführung nicht begründen; sie bestätigen im Hinblick auf § 12 Nr. 1 EStG vielmehr gerade die private Veranlassung. Es ist mithin unerheblich, ob er seine Geschäftsfreunde in seiner Wohnung in M oder in R empfangen und welchen Umfang sein Haushalt in M gehabt hat. Auch der Umstand, daß der Kläger durch die Beibehaltung seiner Wohnung am Arbeitsort möglicherweise Hotelkosten erspart hat, macht die Ausgaben für diese Wohnung nicht zu Werbungskosten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. Juli 1976 IV R 100/72, BFHE 119, 557, BStBl II 1976, 776).

Es ist nicht ersichtlich, inwiefern durch diese Auslegung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG, wie der Kläger meint, die wirtschaftliche Bedeutung und der Zweck der Vorschrift nicht berücksichtigt sein sollen. Die wirtschaftliche Entwicklung hat es mit sich gebracht, daß immer mehr Steuerpflichtige eine Zweitwohnung in einer landschaftlich reizvollen oder ruhigen Gegend einrichten. Dies beruht aber grundsätzlich auf privaten Erwägungen und kann in aller Regel nicht zu einer steuerlichen Berücksichtigung zu Lasten der Allgemeinheit führen. In allen Fällen, in denen die doppelte Haushaltsführung privat veranlaßt ist, muß ihr demnach die steuerrechtliche Anerkennung versagt werden. Der Gleichheitssatz ist daher im Streitfall, in dem die nichtberufliche Veranlassung der doppelten Haushaltsführung von vornherein feststeht, nicht verletzt. Auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Freizügigkeit (Art. 11 GG) ist nicht gegeben. Freizügigkeit bedeutet für alle Deutschen u. a. das Recht, ungehindert durch die deutsche Staatsgewalt an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Diese Freizügigkeit des Klägers wird durch eine steuerliche Nichtabziehbarkeit von Aufwendungen nicht in Frage gestellt.

2. Soweit das FG die steuerliche Berücksichtigung von Kosten der Fahrten zwischen der Wohnung in R und der Arbeitsstätte in M wegen privater Veranlassung schon im Grundsatz abgelehnt hat, kann ihm nicht gefolgt werden.

a) Solche Kosten können auch dann abgezogen werden, wenn der Steuerpflichtige aus privaten Gründen eine neue Wohnung in einer weiteren Entfernung vom Arbeitsplatz bezogen hat. Die Aufwendungen für die nunmehr weiteren Fahrten von dieser einen Wohnung werden grundsätzlich in vollem Umfang als Werbungskosten anerkannt (vgl. BFH-Urteil VI R 125/74, vorletzter Absatz unter 1.). Der Abzug von Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte kann allenfalls versagt werden, wenn die Kosten nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind. Insoweit enthält § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG 1971 einen auch auf Werbungskosten anwendbaren allgemeinen Rechtsgrundsatz (vgl. BFH-Urteil vom 10. März 1978 VI R 111/76, BFHE 125, 52, BStBl II 1978, 459). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall aber offensichtlich nicht gegeben.

b) Die Kosten der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte können auch dann nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG Werbungskosten sein, wenn der Steuerpflichtige mehrere Wohnungen besitzt und einmal von dieser, ein anderes Mal von jener Wohnung aus unmittelbar zur Arbeitsstätte fährt. Erforderlich ist für diesen Fall jedoch, daß die Fahrten von der weiter entfernt liegenden Wohnung nicht ausschließlich aus privaten Gründen erfolgen.

aa) Nach Abschn. 25 Abs. 3 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) ist für die Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG, wenn ein Arbeitnehmer mehrere Wohnungen hat, diejenige Wohnung maßgebend, von der aus er sich "regelmäßig" zur Arbeitsstätte begibt. Der BFH ist dieser Auslegung in ständiger Rechtsprechung gefolgt (vgl. zuletzt Urteile vom 17. Dezember 1971 VI R 315/70, BFHE 104, 212, BStBl II 1972, 245; vom 15. November 1974, VI R 195/72, BFHE 114, 340, BStBl II 1975, 278). Der Senat hält hieran nicht mehr fest. Denn der Begriff "regelmäßig" läßt sich aus § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG nicht entnehmen. Er ist zudem zu unbestimmt. "Regelmäßig" wäre auch, wenn ein Steuerpflichtiger sich z. B. wöchentlich oder monatlich jeweils einmal von einer Wohnung aus zur Arbeitsstätte begibt; in diesem Sinn ist der Begriff in diesem Zusammenhang aber wohl nicht gemeint gewesen. Es ist ferner unklar, auf welche Zeiträume - Wochen, Monate, Jahre - sich die Regelmäßigkeit beziehen soll. Schließlich wird der Begriff "regelmäßig", wie der BdF in seiner Stellungnahme einräumt, in der Praxis der Finanzverwaltung nicht einheitlich verwendet. In der Mehrzahl der Fälle wird ihm wohl die Bedeutung von "überwiegend" beigemessen, allerdings vielfach wiederum auf unterschiedliche Zeiträume bezogen. Zum Teil wird auf den ganzen Zeitraum, in dem zwei Wohnungen vorhanden sind, zum Teil wird auf das Kalenderjahr abgestellt. Dieses unterschiedliche Verständnis des in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG ohnedies nicht vorgesehenen Begriffes "regelmäßig" führt zu einer Ungleichmäßigkeit der Besteuerung.

bb) Das Wohnen und die Wahl einer Wohnung hat zwar grundsätzlich privaten Charakter. Gleichwohl sieht der Gesetzgeber Aufwendungen für Fahrten zwischen der (privaten) Wohnung und der (beruflichen) Arbeitsstätte als Werbungskosten an. Hat ein Arbeitnehmer aber mehrere Wohnungen, so kann nicht jede Fahrt zwischen jeder Wohnung und der Arbeitsstätte als Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG angesehen werden, weil in diesen Fällen die berufliche Veranlassung der einzelnen Fahrt gegenüber der privaten Veranlassung von untergeordneter Bedeutung sein kann.

Wie im letzten Absatz unter 1. ausgeführt ist, richten sich immer mehr Steuerpflichtige Zweitwohnungen in einer größeren Entfernung von der Arbeitsstätte ein. Diese sind oft nur Wochenendwohnungen oder Wochenendhäuser und werden aus ausschließlich privaten Gründen nur an Wochenenden oder nur kurzfristig genutzt; in ihnen befindet sich häufig nicht der normale - lebensnotwendige - Haushalt des Steuerpflichtigen. Fahrten zu derartigen Wochenendwohnungen sind schon deshalb keine Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, weil sie meist von der Stadtwohnung aus nicht nur vom Arbeitnehmer, sondern von der gesamten Familie des Arbeitnehmers durchgeführt werden. Bei den Aufwendungen für solche Fahrten handelt es sich um nichtabziehbare Kosten der (privaten) Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG).

Es ist allerdings einzuräumen, daß nicht jede weiter als die Stadtwohnung von der Arbeitsstätte entfernt liegende Wohnung eine solche Wochenendwohnung zu sein braucht. Der Senat geht davon aus, daß die weiter entfernt liegende Wohnung vielmehr immer dann als Wohnung im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG anzusehen ist, wenn sie nicht nur an den Wochenenden oder nur kurzfristig genutzt wird und außerdem den (neuen) Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen abgibt. Denn in diesem Fall handelt es sich um eine Wohnung, von der aus der Steuerpflichtige, um zu seiner Arbeitsstätte zu gelangen, fahren muß.

Der Senat hat schon bisher, zusätzlich zu dem Erfordernis der Regelmäßigkeit, als "Wohnung" im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG nur ein Heim angesehen, das den örtlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen darstellt (vgl. Urteil VI R 195/72; ebenso Urteil des FG Düsseldorf vom 2. März 1978 I 153/75 E, EFG 1978, 321). Entsprechendes gilt für das insoweit vergleichbare Sozialversicherungsrecht. So wird als Unfall zwischen der Wohnung und Arbeitsstätte, also als Arbeitsunfall im Sinne der Reichsversicherungsordnung (RVO). ein Unfall anerkannt, der sich auf der Fahrt zwischen dem Ort der Tätigkeit und der "ständigen Familienwohnung" ereignet, selbst wenn der Arbeitnehmer wegen der Entfernung der ständigen Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat (§ 550 Abs. 3 RVO). Dabei wird als Familienwohnung der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Versicherten angesehen (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 23. Juni 1977 8 RU 98/76, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1978 S. 386 - HFR 1978, 386 -). Dies verdeutlicht, daß, soweit - wie hier - keine doppelte Haushaltsführung vorliegt, als Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG auch die Fahrt zum örtlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen anerkannt werden muß, unabhängig davon, wie häufig oder wie "regelmäßig" diese Fahrten stattfinden. Der Senat versteht deshalb die bisherige Rechtsprechung, die von der Regelmäßigkeit der Fahrten ausgegangen ist, dahin, daß damit die üblichen und notwendigen Fahrten zum örtlichen Lebensmittelpunkt gemeint sind.

cc) Wo sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen eines Steuerpflichtigen befindet, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Ein Indiz für die Bestimmung des Lebensmittelpunktes eines Steuerpflichtigen ist der ständige Aufenthalts- und Wohnort seiner Familie. Wo die Familie eines Arbeitnehmers lebt, wird sich also regelmäßig auch der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen befinden, zumal wenn die Familienwohnung für alle Familienmitglieder bis auf den Arbeitnehmer, der außerdem in der Nähe der Arbeitsstätte eine Unterkunft hat, die einzige Wohnung ist. Im allgemeinen wird ein Arbeitnehmer, soweit es ihm möglich ist, an jedem Arbeitstag zum örtlichen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen zurücckehren, so daß auch dieser Umstand als ein Indiz für die Bestimmung des Lebensmittelpunktes eines Arbeitnehmers angesehen werden kann.

dd) Bezieht ein Arbeitnehmer außerhalb des Beschäftigungsorts eine weitere Wohnung und verlegt er den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen an den Ort der zweiten, von der Arbeitsstätte weiter entfernt liegenden Wohnung, so sind Fahrten zwischen dieser Wohnung und der Arbeitsstätte also Fahrten im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Da der Arbeitnehmer von dieser Wohnung aus zu seiner Arbeitsstätte fahren muß (vgl. oben unter 2. b) bb), ist es für die Abziehbarkeit der Fahrtaufwendungen als Werbungskosten unmaßgeblich, wie häufig er von dieser Wohnung aus zu seiner Arbeitsstätte fährt. Der Senat sieht deshalb, wenn keine doppelte Haushaltsführung vorliegt, auch nur eine einzige Fahrt zwischen der Wohnung im vorstehenden Sinn und der Arbeitsstätte als eine solche nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG an, wenn z. B. der Arbeitnehmer nur einmal wöchentlich von seinem Beschäftigungsort zu seinem weiter entfernt liegenden Mittelpunkt der Lebensinteressen fährt. Dabei hält er eine Differenzierung zwischen einer Fahrt von der Arbeitsstätte aus zu dem Lebensmittelpunkt einerseits und einer Fahrt von der Wohnung am Beschäftigungsort aus zu dem Lebensmittelpunkt andererseits schon aus Gründen der fehlenden Nachprüfbarkeit und damit der mangelnden Praktikabilität nicht für erforderlich.

ee) Fährt der Arbeitnehmer, obwohl er seinen Lebensmittelpunkt weiter entfernt vom Beschäftigungsort hat, an einzelnen Tagen von der näheren Wohnung am Beschäftigungsort aus zur Arbeitsstätte, so sind auch diese Fahrten als Fahrten nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG anzuerkennen. Zwar begibt sich der Arbeitnehmer dann nicht von seinem örtlichen Lebensmittelpunkt aus zur Arbeitsstätte. Dies ist jedoch unbeachtlich; denn wenn die höheren Aufwendungen für Fahrten zur weiteren Wohnung Werbungskosten sind, darf den an ihrer Stelle entstehenden geringeren Aufwendungen für Fahrten zur näheren Wohnung die steuerliche Anerkennung nicht versagt werden.

3. Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist somit aufzuheben. Da noch weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen sind, ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FG wird nunmehr noch festzustellen haben, ob der Kläger den örtlichen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen tatsächlich in R hatte. Sollte seine Ehefrau überwiegend in R gewohnt haben, wird als Lebensmittelpunkt des Klägers wohl R angenommen werden können. Für diesen Fall wird das FG im einzelnen feststellen müssen, wie häufig der Kläger von R aus und wie oft er von M aus zu seiner Arbeitsstätte in M gefahren ist. Dabei ist es möglicherweise nicht unbeachtlich, daß der Kläger zunächst nur 47 Familienheimfahrten von M nach R geltend gemacht hat. Im übrigen weist der Senat in diesem Zusammenhang auf die ständige Rechtsprechung des BFH hin, daß ein Steuerpflichtiger, der eine Steuerermäßigung begehrt, die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die Tatsachen trägt, die die Steuerermäßigung begründen (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 20. Januar 1978 VI R 193/74, BFHE 124, 508, BStBl II 1978, 338).

Wegen der Aufhebung der Vorentscheidung braucht auf die mit der Revision erhobenen Verfahrensrügen nicht mehr eingegangen zu werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73032

BStBl II 1979, 219

BFHE 1979, 511

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