Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. konduktive Förderung nach Petö. Abgrenzung zur medizinischen Rehabilitation. Leistungszweck. Nichtbestehen einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung. keine Kostenübernahme nach § 75 Abs 4 SGB 12. Fehlen eines entsprechenden Leistungsangebotes. keine Entbehrlichkeit. dauerhafte Leistungsgewährung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Petö-Therapie handelt es sich um eine Leistung, die grundsätzlich sowohl als Krankenbehandlung iS eines Heilmittels nach § 32 SGB V (vgl BSG vom 3.9.2003 - B 1 KR 34/01 R = SozR 4-2500 § 18 Nr 1) als auch als Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff SGB XII (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R = SozR 4-3500 § 54 Nr 6) in Betracht kommt.

2. Erforderlich ist eine Abgrenzung nach dem Leistungszweck der erfolgten Petö-Therapie.

3. Der Leistungszweck besteht in der medizinischen Rehabilitation, wenn die Gehfähigkeit erhalten und Beschwerden im Zusammenhang mit einer Hüftrekonstruktion gelindert werden sollen.

4. Nach Beendigung der Schulpflicht fällt der Kläger nicht mehr unter den Anwendungsbereich der bestehenden Vereinbarung zur Förderung von Schulkindern in der Heilpädagogischen Tagesstätte.

5. Der Träger der Einrichtung hat ein Leistungsangebot vorzulegen, das die Voraussetzung des § 76 SGB XII erfüllt.

 

Orientierungssatz

1. Wegen des Bedarfsdeckungsgrundsatzes muss der Sozialhilfeträger auch bei Fehlen eines Leistungsangebotes iS von § 75 Abs 4 S 2 SGB 12 die Vergütung übernehmen, wenn eine anderweitige Deckung des Bedarfs ausgeschlossen ist.

2. Eine dauerhafte Vergütungsübernahme ohne vertragliche Grundlage ist jedoch vor dem Hintergrund der Grundkonzeption des sozialhilferechtlichen Leistungserbringungsrechts, das vorrangig eine Leistungsgewährung auf der Grundlage von Vereinbarungen vorsieht, grundsätzlich nicht gerechtfertigt.

 

Normenkette

SGB XII § 75 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 4 S. 2, §§ 76, 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2, § 19 Abs. 3, §§ 13, 9 Abs. 2 S. 1; SGB IX § 55 Abs. 2 Nrn. 3, 7, § 15 Abs. 1 S. 4, § 2 Abs. 1 S. 1, §§ 26, 9 Abs. 1, § 6; SGB V §§ 32, 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6; Eingliederungshilfe-VO § 12 Nr. 1, § 1 Nr. 1

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11. Dezember 2012, S 48 SO 449/09, wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch XII in Form der Übernahme der Kosten der konduktiven Förderung des Klägers für die Zeit vom 01.01.2007 bis zum 31.07.2007.

Bei dem im Jahre 1983 geborenen Kläger bestehen eine schwere angeborene Körperbehinderung (infantile Cerebralparese vom Typ einer massiv spastischen schweren Tetraparese) sowie eine geistige Behinderung. 1996 erfolgte eine beidseitige Hüftrekonstruktion. Der Kläger ist zu 100 % schwerbehindert und hat die Merkzeichen G, a.G., H und RF. Er steht unter Betreuung, die von seinen Eltern ausgeübt wird.

Der Kläger wurde in den Jahren 1998 und 1999 in Ungarn nach der Petö-Methode therapiert, wobei die zuständige Krankenkasse die Kosten im Rahmen einer Einzelfallentscheidung übernahm. Er besuchte ab April 2000 die Heilpädagogische Tagesstätte (HPT) des Vereins Konduktiv fördern e.V. im S.-Zentrum in A-Stadt; die hierfür anfallenden Kosten wurden von der Beklagten als Eingliederungshilfe nach dem SGB XII übernommen. Intern zuständig war das Stadtjugendamt. Die erstmalige Bewilligung erfolgte mit Bescheid vom 20.04.2000 als Eingliederungshilfe. Zum 01.05.2003 wechselte der Kläger in die HPT der Beigeladenen zu 2 in A-Stadt; insoweit wurden die Kosten ab dem 09.09.2003 mit Bescheid vom 04.11.2004 übernommen, da ab diesem Zeitpunkt eine entsprechende (Leistungs- und) Vergütungsvereinbarung zwischen dem Bezirk Oberbayern und dem Träger der Einrichtung über eine HPT im Schulalter vorlag. Die letztmalige Bewilligung der Eingliederungshilfe erfolgte mit Bescheid vom 12.10.2005 (Bewilligung vom 01.09.2005 b.a.w. (max. Schulaustritt)).

Von der Beklagten erhält der Kläger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Anerkennung eines Untermietverhältnisses zu seinen Eltern (monatlich laufend 849,28 € -Bescheid zuletzt vom 07.06.2010); vom Beigeladenen zu 1 erhält der Kläger laufend Eingliederungshilfe im Umfang von 1,5 h täglich (in Form von ambulanten Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft - Eingliederungshilfepauschale für behinderte Menschen, monatlich 448,65 €, Bescheid zuletzt vom 11.04.2012, sowie eine Mobilitätspauschale).

Mit Schreiben vom 14.08.2006 teilte der Vater und Betreuer des Klägers der Beklagten (Stadtjugendamt) mit, der Kläger werde mit dem laufenden Schuljahr seinen Schulbesuch an der Bayerischen Landesschule für Körperbehinderte beenden. Deshalb stünden ihm von diesem Zeitpunkt an die schulbegleitenden Einrichtungen, insbesondere die HPT, nicht...

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