Leitsatz (amtlich)

1. Spricht ein Arbeitgeber gegenüber einem leitenden Angestellten eine außerordentliche fristlose Kündigung aus, nachdem dieser bereits selbst eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses herbeigeführt hat, so liegt darin in aller Regel eine Verletzung der nachvertraglichen Fürsorgepflicht (BAG AP Nr. 80 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht).

2. Wird ein Arbeitgeber aus diesem Grunde auf Schadenersatz in Anspruch genommen, so trägt er die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß ihn kein Verschulden trifft. Erkenntnisstand und Sorgfaltspflicht des Arbeitgebers können in einem solchen Fall allein nach dem bei Ausspruch der Kündigung erkennbaren Sachverhalt beurteilt werden.

3. Steht nicht fest, ob eine vorangegangene Kündigung des Angestellten rechtswirksam ist und muß der Arbeitgeber damit rechnen, daß der Angestellte Schadenersatz wegen Auflösungsverschuldens geltend machen will, so ist dem Arbeitgeber grundsätzlich nicht zuzumuten, von einer eigenen fristlosen Kündigung aus wichtigem Grunde allein deshalb abzusehen, um dem Angestellten Erschwernisse in seinem weiteren beruflichen Fortkommen zu ersparen.

4. Wenn der Angestellte nicht zu erkennen gibt, er sei bereit, auch unter Aufgabe von Gehalts- und Schadenersatzansprüchen das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zu beenden, ist dem Arbeitgeber in der Regel auch nicht zuzumuten, die mit dem Schuldvorwurf belastete Kündigung des Angestellten anzunehmen und den Streit über ein etwaiges eigenes Auflösungsverschulden im Sinne von § 628 Abs. 2 BGB allein im Schadenersatzverfahren auszutragen.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 282, 626, 628

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 28.09.1973; Aktenzeichen 4 Sa 532/71)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 28. September 1973 – 4 Sa 532/71 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der im Jahre 1915 geborene Kläger ist Volljurist und Schwerkriegsbeschädigter. Am 1. Oktober 1959 trat er als Hauptgeschäftsführer in die Dienste des Beklagten. Der Beklagte ist die berufsständische Vertretung der leitenden Angestellten des deutschen Bergbaues.

Im ersten Halbjahr 1965 kam es zu Meinungsverschiedenheiten und schließlich zu offenen Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und dem beim Beklagten damals angestellten, inzwischen ausgeschiedenen Buchhalter G., G. hatte sich an den damaligen Vorsitzenden des Beklagten, O., gewandt und den Kläger verschiedener Inkorrektheiten beschuldigt, u.a., er habe sich trotz der negativen Entscheidung des Beklagten auf Gewährung eines Darlehens eine Anweisung auf einen Betrag von zunächst 20.000,– DM, später in Höhe von 10.000,– DM, ausgestellt, die Anweisung jedoch später vernichtet. Der Kläger habe auch in Betracht gezogen, den Betrag über die Sterbekasse des Beklagten sich auszahlen zu lassen. G. warf dem Kläger weiter vor, er habe beim Rücktausch der für seine Dienstreise nach Frankreich besorgten, aber nicht voll verwendeten Franken einen geldlichen Vorteil erzielt und für sich verwandt. Er habe auch sonst Spesen für Dienstreisen nicht korrekt abgerechnet. Bei der Vergabe von Arbeiten des Beklagten habe er Handwerker bevorzugt, die auch für ihn persönlich gearbeitet hätten.

Mit Schreiben vom 6. Juli 1965 kündigte der Kläger sein Arbeitsverhältnis fristlos mit der Begründung, der Beklagte habe ihn nicht hinreichend gegen die auf den Buchhalter G. zurückzuführenden Gerüchte in Schutz genommen. Diese Kündigung nahm der Kläger Ende August 1965 im Zusammenhang mit der Abgabe einer Ehrenerklärung durch den Beklagten wieder zurück. Die weitere Entwicklung der Angelegenheit veranlaßte den Kläger jedoch, mit Schreiben vom 2. Oktober 1965 an den Beklagten, die Rücknahme seiner fristlosen Kündigung vom 6. Juli 1965 zu widerrufen und vorsorglich erneut sein Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen. Das Kündigungsschreiben lautet wie folgt:

„Sehr geehrter Herr O.!

Am 1.10.1965 haben Sie mir die dienstliche Anweisung erteilt, an einer Besprechung teilzunehmen, an der außer den Herren F., Z. und Dr. Ba. auch Herr R. beteiligt sein sollte. Herr R. war gemeinsam mit Herrn Dr. Ba. erschienen. Von vornherein hatte ich gegenüber Herrn Z., der von Ihnen den Auftrag hatte, diese Besprechung zu leiten, erklärt, ich sei mit dieser Besprechung, die einer Klärung dienen sollte, einverstanden, falls Herr R. fernbliebe. Gegenstand dieser Besprechung sollten der Briefwechsel zwischen Herr B. und mir bzw. meine Schreiben an Herrn Dr. Ba. sein. Ihrer dienstlichen Anweisung, auch in Gegenwart des Herrn R. zu der Besprechung zu erscheinen, habe ich widersprochen mit dem Hinweis, daß Herr R. an den Vorgängen nicht beteiligt sei und ich nicht bereit sei, mich neuen Angriffen auszusetzen. Meinen Widerspruch möchte ich Ihnen noch näher schriftlich begründen, damit kein Zweifel über die tatsächlichen Vorgänge aufkommen kann.

Es ist folgendes sicher unbestritten:

  1. Herr B. hat mir in einem Brief, der Ihnen vorliegt, mitgeteilt, die Herren Dr. Ba. und R. hätten nach einer Sitzung des Altersversorgungsausschusses am 26.5.1965 ihm gegenüber die Gerüchte über mich verbreitet, die Herr G. aufgestellt hat. Ferner hätten die Herren R. und Dr. Ba. über mich anhand dieser Gerüchte noch abfällige Werturteile abgegeben. Von sich selbst schreibt Herr B., er habe seinerseits hierauf erklärt, sein Vertrauen zu mir würde geschwunden sein, würden diese Gerüchte zutreffen. Bisher habe er allerdings noch niemals einen Grund zum Mißtrauen mir gegenüber gehabt.
  2. Bei der letzten Arbeitsausschußsitzung ist einstimmig beschlossen worden, ich solle von Ihnen eine Ehrenerklärung erhalten, da sich die Gerüchte des Herrn G. als unwahr erwiesen hätten. In der letzten Vorstandssitzung, an der auch die Herren B. und Dr. Ba. sowie Herr R. teilgenommen haben, haben Sie mir diese Ehrenerklärung abgegeben. Hierauf ist von keiner Seite ein Widerspruch erfolgt. Zahlreiche Vorstandsmitglieder haben mir sogar im privaten Gespräch ihre Befriedigung über den Ausgang der Angelegenheit ausgesprochen. Der Vorstand hat also einschließlich der Herren B., Dr. Ba. und R. die von Ihnen ausgesprochene Ehrenerklärung gebilligt.
  3. Da der Sachverhalt, der der Ehrenerklärung zugrunde liegt, in vielen Sitzungen, Gesprächen und Schriftwechseln eingehend geprüft worden ist, und da es sich immerhin um eine von Ihnen als Verbandsvorsitzenden ausgesprochene Ehrenerklärung handelt, kann ich sicher davon ausgehen, daß es sich hier nicht um eine Scheinerklärung handelt. Ich habe es als Hauptgeschäftsführer des Verbandes daher nicht notwendig, mich mit Vorstandsmitgliedern, die zu der Ehrenerklärung geschwiegen haben, darüber auseinanderzusetzen, wie es mit der Richtigkeit der Ehrenerklärung steht.
  4. Trotzdem hat Herr R. eben erst – also nach der Ehrenerklärung – erklärt, diese Angelegenheit sei noch lange nicht beendet. Er und andere Vorstandsmitglieder hätten nur deshalb zu der Ehrenerklärung geschwiegen, um nicht die Vorstandssitzung zu stören. Herr O. werde daher noch angegangen werden. Von dieser Seite aus habe ich also erneut mit Angriffen zu rechnen. Ich stelle fest, daß damit auch die Rücknahme meiner fristlosen Kündigung gegenstandslos geworden ist. In diesem Verhalten des Herrn R. sehe ich eine erneute Kränkung. Ich bin nicht bereit, jede Woche eine erneute Ehrenerklärung zu verlangen oder hinzunehmen.
  5. Zu den Gerüchten stelle ich fest, daß Herr G. trotz seiner vielfachen Ankündigungen weder in meiner Privatklage noch in seinem Arbeitsgerichtsverfahren gegen den VoB eine Erklärung abgegeben hat, die irgendwie eine Rechtfertigung seiner Gerüchte enthält. Da Herr G. Sie selbst beschuldigt, ihn genötigt und die Unwahrheit gesagt zu haben, werden Sie am besten wissen, wie es um die Glaubwürdigkeit des Herrn G. steht.
  6. Ich stelle weiterhin fest, daß ich meine Privatklage gegen Herrn G. ohne die Unterstützung des VoB führe, obwohl ich in dessen Diensten und wegen meiner Dienstausübung bösartig verleumdet worden bin.
  7. Diese Vorgänge sind Herrn Dr. Ba. weitgehend bekannt. Als ich an ihn ein Schreiben richtete, in dem ich ihm den Inhalt des Briefes von Herrn B. mitteilte und um eine Aufklärung bat, hätte ich bei korrektem Verhalten mindestens mit einer Antwort rechnen können. Diese Antwort habe ich trotz einer Anmahnung bis heute nicht erhalten. Ich kann also unbedenklich davon ausgehen, daß entweder die Behauptung des Herrn B. über Herrn Dr. Ba. zutrifft oder ich einer Antwort nicht einmal wert bin. Sollte der letzte Fall gegeben sein, so sehe ich darin eine weitere Kränkung.

    Herr R. hat mir erklärt, er habe gegenüber Herrn B. kein Gerücht verbreitet.

    Es steht fest, daß hier entweder Herr B. oder Herr Dr. Ba. die Unwahrheit gesagt haben.

    Ich habe durch Zufall von Herrn Z. allerdings erfahren, Herr Dr. Ba. habe Ihnen dieserhalb geschrieben. Hierüber habe ich von Ihnen keinerlei Unterrichtung erfahren. Mir ist der Inhalt dieses Schreibens bis zum heutigen Tage nicht bekannt.

    Ich habe fernerhin erfahren, daß Herr Dr. Ba. behauptet habe, ich hätte ihm in meinem Schreiben unterstellt, daß er die von Herrn B. behaupteten Gerüchte verbreitet hätte. Ich weise diese Behauptung mit Nachdruck zurück. Mein Schreiben läßt klar erkennen, daß ich Herrn Dr. Ba. nur die Behauptung des Herrn B. mitgeteilt und ihn um eine Stellungnahme gebeten habe. Eine eigene Erklärung oder eine Unterstellung ist hiermit nicht verbunden.

  8. Herr R. hat an der fraglichen Fahrt nach der Sitzung des Altersversorgungsausschusses nicht teilgenommen, so daß er hierfür auch nicht als Zeuge dienen kann.
  9. Herr Dr. Ba. hat inzwischen nachweisbar die Behauptung aufgestellt, es bestünde ein Gerücht, wonach aus der Geschäftsführung des VoB ein Scheck herausgegegangen sei, der nur die Unterschrift der Geschäftsführer – nämlich von Herrn M. und mir – trägt. Dieses Gerücht soll anscheinend die unzutreffende Behauptung des Herrn Dr. Ba. auf der Mitgliederversammlung der Sterbekasse in Aachen stützen, die Geschäftsführung hätte theoretisch nach der bisherigen Fassung der Bestimmungen die Möglichkeit, sich das Vermögen der Sterbekasse anzueignen. Hierzu erkläre ich, daß auch dieses Gerücht eine gemeine Verleumdung ist, denn ein derartiger Scheck ist noch niemals aus der Geschäftsführung herausgegangen.

Zusammenfassend erkläre ich, daß sich hieraus folgendes ergibt:

  1. Herr R. konnte bei diesem Gespräch kein Zeuge sein. Er war als Zeuge auch überflüssig, da ich einer Erklärung des Herrn Dr. Ba., er habe die Gerüchte nicht verbreitet, auch ohne Zeugen geglaubt hätte.
  2. Offensichtlich war es entsprechend der Ankündigung des Herrn R. nur die Absicht, mich bei dieser Besprechung erneut anzugreifen.

Unter diesen Umständen war meine Weigerung, an dem Gespräch in dieser Besetzung teilzunehmen, schon deshalb berechtigt, da von mir nicht verlangt werden kann, ständig und ohne Grund beleidigenden Angriffen ausgesetzt zu sein.

Außerdem handelt es sich hier um die Wahrung meiner Ehre. Nicht Herr Dr. Ba., sondern ich bin der Geschädigte. Der Verband kann von mir nicht verlangen, daß ich auf die Maßnahmen verzichte, die meinem Ehrschutz dienen. Auch deshalb hatten Sie kein Recht, von mir eine Bereinigung auf diesem Wege zu verlangen, zumal ich noch einmal darauf hinweisen kann, vom Verband in der Privatklage G. ohne Schutz geblieben zu sein.

Da die Herren F. und Z. an der Besprechung teilnehmen sollten, habe ich mir gestattet, diesen Herrn eine Abschrift dieses Schreibens zu übersenden. Ich bitte insoweit um Ihr Verständnis.”

Am 2. Oktober 1965 bat O. den Kläger, seinen geplanten Urlaub für eine Reise nach Rom, wo er auf einer Vertriebenentagung über die Stellung des Vatikans zur deutschen Ostgrenze sprechen sollte, nicht anzutreten. Das lehnte der Kläger ab. O. widerrief daraufhin die Urlaubsgewährung mit Schreiben vom 4. Oktober 1965. Der Kläger fuhr dennoch nach Rom. Daraufhin kündigte der Beklagte seinerseits fristlos mit Schreiben vom 8. Oktober 1965 das Arbeitsverhältnis. In diesem Schreiben heißt es:

„In Ihrem Schreiben vom 2. Oktober 1965 haben Sie auf Seite 2 im Abschnitt 4 erklärt, „Sie stellten fest, daß damit auch die Rücknahme Ihrer fristlosen Kündigung gegenstandslos geworden sei”. In dieser Erklärung liegt eine erneute fristlose Kündigung Ihres Dienstverhältnisses durch Sie, die wir zur Kenntnis genommen haben. Die von Ihnen dafür gegebene Begründung erkennen wir nicht an.

Wir haben unsererseits Veranlassung, Ihr Verhalten in dieser Angelegenheit als eine schwere Verletzung Ihrer vertraglichen Pflichten zu betrachten. Dadurch ist das erforderliche Vertrauensverhältnis, das schon durch die Vorgänge vom Juli d.J. erheblich beeinträchtigt worden war, endgültig zerstört. Wir betrachten es insbesondere als völlig unmöglich, daß Sie der dienstlichen Aufforderung des Vorstandsvorsitzenden, zu einer auch in Ihrem Interesse anberaumten Aussprache zu erscheinen, bewußt nicht gefolgt sind. Den Kreis der Teilnehmer dieser Aussprache zu bestimmen, war ausschließlich Angelegenheit des Vorstandes. Auch daß Sie der Ihnen bereits vor Antritt Ihres Urlaubs vom Vorstandsvorsitzer telefonisch übermittelten Weisung nicht gefolgt sind, unter diesen Umständen Ihren Urlaub zu verschieben, ist mit Ihren Pflichten als Hauptgeschäftsführer nicht vereinbar. Weiter haben Sie in Ihrem Schreiben vom 2. Oktober 1965 die wissentlich unwahre Behauptung aufgestellt, Ihnen sei das Schreiben des Herrn Dr. Ba. vom 8. Juli 1965 nicht mitgeteilt worden, während feststeht, daß es Ihnen persönlich zur Kenntnis gegeben worden ist.

Wir sprechen daher hiermit unsererseits die fristlose Kündigung Ihres Dienstverhältnisses, hilfsweise die ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Termin, aus.

…”

Am 15. Dezember 1965 kündigte der Beklagte nochmals fristlos. Dabei stützte er sich auf spätere Schreiben des Klägers, insbesondere auf ein Schreiben vom 26. November 1965 an Bergwerksdirektor M., in dem der Kläger über würdelose und infame Behandlung geklagt hatte.

In einem Vorprozeß – 1 Ca 2331/65 Arbeitsgericht Essen/6 Sa 99/66 Landesarbeitsgericht Düsseldorf – hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag auf Feststellung der Wirksamkeit der eigenen Kündigung vom 6. Juli 1965 bzw. 2. Oktober 1965 sowie hilfsweise im ursprünglichen Klageantrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung des Beklagten vom 8. Oktober 1965 sowie auf Schadenersatz. Der Beklagte hat Widerklage erhoben mit dem Antrag festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 8. Oktober 1965, hilfsweise durch die vom 15. Dezember 1965, aufgelöst worden ist. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers in seinem ersten Urteil vom 5. Oktober 1966 das Urteil des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Sache an das Arbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses Urteil hat das Bundesarbeitsgericht auf die Revisionen beider Parteien unter dem 21. Dezember 1967 unter Zurückverweisung der Sache aufgehoben (2 AZR 105/67 – AP Nr. 33 zu § 3 KSchG). Das Landesarbeitsgericht hat danach die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Auf die erneute Revision des Klägers hat das Bundesarbeitsgericht durch Urteil vom 28. Dezember 1970 – 2 AZR 18/70 – [nicht veröffentlicht] das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts Essen wie folgt abgeändert:

  1. „Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers mit dem Beklagten durch die fristlose Kündigung des Klägers vom 2. Oktober 1965 rechtswirksam aufgelöst worden ist.
  2. Die Widerklage wird abgewiesen.”

Insoweit der Kläger beantragt hatte festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der ihm infolge seiner fristlosen Kündigung entstanden ist, hat das Bundesarbeitsgericht Berufung und Revision des Klägers zurückgewiesen.

Mit der Klage im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Feststellung, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihm den Schaden zu ersetzen, der ihm durch dessen Verhalten nach dem 2. Oktober 1965 – nämlich nach der fristlosen Kündigung seitens des Klägers – entstanden sei. Darüber hinaus hat der Kläger von dem Beklagten Schmerzensgeld auf Grund der erlittenen Verleumdungen verlangt. Das zum Schadenersatz verpflichtende Verhalten des Beklagten sieht der Kläger in den fristlosen Kündigungen des Beklagten vom 8. Oktober und 15. Dezember 1965 und in dem ihm mit Datum vom 21. Oktober 1965 erteilten Zeugnis. Schadenersatzpflichtig hat der Beklagte sich nach der Meinung des Klägers auch durch eine Reihe von Schriftsätzen im Vorprozeß gemacht, ferner durch das Schreiben des Beklagten an die Fach- und Bezirksgruppenvorsitzenden, durch den Bericht über die Vorstandssitzung vom 19. Oktober 1965, durch die Mitteilung über das Ausscheiden des Klägers sowie die Fortführung seiner Geschäfte als Hauptgeschäftsführer im Dezember-Heft 1965 der Zeitschrift „Bergfreiheit”, sowie schließlich durch Übersendung des Urteils des ersten Rechtszuges im Vorprozeß an die Mitglieder des engeren Vorstandes sowie an die Bezirksgruppenvorsitzenden des Beklagten.

Der Kläger hat beantragt,

  1. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, den Schaden zu ersetzen, der ihm durch das Verhalten des Beklagten nach dem 2. Oktober 1965 entstanden ist;
  2. den Beklagten zu verurteilen, ein Schmerzensgeld auf Grund der erlittenen Verleumdungen zu gewähren, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Er hat u.a. vorgetragen, daß er die eigene Kündigung des Klägers für unbegründet und seine eigenen fristlosen Kündigungen für berechtigt gehalten habe. Diese Auffassung beruhe auf keinem Verschulden; sie sei sowohl vom Arbeitsgericht als auch vom Landesarbeitsgericht im Vorprozeß geteilt worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil ist erfolglos geblieben.

Auf die Revision des Klägers hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 31. Oktober 1972 (1 AZR 11/72 – AP Nr. 80 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht) das Urteil des Landesarbeitsgerichts bestätigt, soweit der Kläger einen Schmerzensgeldanspruch geltend gemacht hat. Im übrigen hat das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben. In dem Urteil ist dargelegt, daß allein die Kündigungen vom 8. Oktober und 15. Dezember 1965 als zum Schadenersatz verpflichtende Handlungen des Beklagten in Betracht kämen. Diese nach der rechtswirksamen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Kläger ausgesprochenen Kündigungen seien in objektiver Hinsicht eine Verletzung der nachvertraglichen Treuepflicht. Zur Prüfung der Frage, ob der Beklagte schuldhaft gehandelt habe, hat das Bundesarbeitsgericht den Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Durch Urteil vom 28. September 1973 hat das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts, soweit darüber noch zu befinden war, erneut zurückgewiesen.

Mit der Revision verfolgt der Kläger weiterhin das Ziel seines auf die Feststellung eines Schadenersatzanspruches gerichteten Klageantrages.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet; dem angefochtenen Urteil ist im Ergebnis, wenn auch nicht in der Begründung zu folgen.

1. Nach dem ersten Revisionsurteil im vorliegenden Rechtsstreit ist davon auszugehen, daß der Beklagte mit den am 8. Oktober und 15. Dezember 1965 ausgesprochenen fristlosen Kündigungen des Arbeitsverhältnisses der Parteien die nachvertragliche Fürsorgepflicht verletzt hat und daraus mit für das Feststellungsverfahren ausreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für den weiteren beruflichen Werdegang des Klägers zu erwarten ist. Hiervon ist auch das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgegangen. Zu prüfen bleibt nur, ob der Beklagte schuldhaft die nachvertragliche Fürsorgepflicht verletzt hat.

2. Das Landesarbeitsgericht hat ein schuldhaftes Handeln des beklagten Verbandes verneint. Es hat bei der Prüfung der Verschuldensfrage die Beweislast dem Kläger auferlegt, und zwar deshalb, weil in dem durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Dezember 1970 (2 AZR 18/70) abgeschlossenen Vorprozeß die Schuldlosigkeit des Beklagten an der Abwicklung der ganzen Angelegenheit festgestellt worden sei.

Diese rechtliche Erwägung trägt das angefochtene Urteil nicht. Es ist dabei übersehen, daß die Feststellungen des Vorprozesses einen vom vorliegenden Verfahren verschiedenen Streitgegenstand betreffen. Streitgegenstand des Vorprozesses waren, soweit er die Klage betraf, die Wirksamkeit der Kündigung des Klägers und dessen auf § 628 BGB gestützter Schadenersatzanspruch; hierzu ist die vom Landesarbeitsgericht verwendete Feststellung im Vorprozeß getroffen worden. Das vorliegende Verfahren hat jedoch den Anspruch auf Ersatz des Schadens zum Gegenstand, den der Kläger in seinem weiteren beruflichen Leben außerhalb des Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten erlitten hat. Hierfür sind Rechtsausführungen und Feststellungen der Entscheidung des Vorprozesses nicht bindend.

Auch die sonstigen Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zur Frage der Beweislast halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Sie beruhen auf einer Verkennung der Tragweite des Revisionsurteils in der vorliegenden Sache vom 31. Oktober 1972. Nach diesem Urteil hat der Beklagte durch die von ihm ausgesprochenen fristlosen Kündigungen die nachvertragliche Treuepflicht in objektiver Hinsicht verletzt; er hat, was danach bindend feststeht, den objektiven Tatbestand einer positiven Forderungsverletzung verwirklicht. Mithin oblag es dem Beklagten, sein fehlendes Verschulden an der objektiven Vertragsverletzung nachzuweisen, wenn er der Schadenshaftung entgehen wollte. Denn die Schadensursache war im Gefahren- und Verantwortungsbereich des Beklagten gesetzt worden; auch die richtige Beurteilung der Rechtslage gehört zu diesem Bereich (vgl. BAG AP Nr. 7 zu § 282 BGB [zu 4 c der Gründe]). Diese Beweislastverteilung ist im Revisionsurteil vom 31. Oktober 1972 zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen worden; sie ergibt sich aber notwendig aus der rechtlichen Würdigung der Kündigungsmaßnahmen des Beklagten. Sowohl in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (LM Nr. 18 zu § 282 BGB = AP Nr. 6 zu § 282 BGB) als des Bundesarbeitsgerichts (AP Nr. 7 zu § 282 BGB mit Nachweisen) ist anerkannt, daß bei einer positiven Vertragsverletzung, deren Ursache im Gefahrenbereich des Schädigers liegt, die Beweislastverteilung im Streitfalle nach § 282 BGB zu beurteilen ist. Der Anspruchsteller hat danach, was hier auf Grund des ersten Revisionsurteils bindend feststeht, zu beweisen, daß der Tatbestand der positiven Forderungsverletzung verwirklicht ist. Der Anspruchsgegner hat darzutun, daß er diese objektive Vertragsverletzung nicht zu vertreten hat.

Im Streitfall ändert sich an der Beweislastverteilung entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nichts dadurch, daß beide Vorinstanzen zunächst von der Rechtsunwirksamkeit der fristlosen Kündigung des Klägers und der Rechtswirksamkeit der ersten fristlosen Kündigung des Beklagten ausgegangen waren. Das Landesarbeitsgericht beruft sich in diesem Zusammenhang zu Unrecht darauf, es sei eine unbillige Überforderung einer Prozeßpartei, von ihr mehr Einsicht zu verlangen als von zwei Instanzgerichten. Die geäußerte Ansicht von Gerichten in Vorprozessen kann die Beweislastverteilung grundsätzlich nicht ändern; sie kann allenfalls bei der Beurteilung des Verschuldens selbst und seines Ausmaßes Bedeutung gewinnen.

Der Gesamtinhalt der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils legt die Annahme nahe, daß das Landesarbeitsgericht zur Verneinung eines Verschuldens des Beklagten maßgeblich durch die unrichtige Beurteilung der Beweislastfrage bestimmt worden ist. Damit stellt sich keine der Beweiserwägungen als eine solche tatrichterliche Feststellung dar, an die der Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO gebunden wäre.

3. Der vorbezeichnete Rechtsfehler berührt jedoch nicht den Bestand des angefochtenen Urteils. Denn der unstreitige Sachverhalt ergibt, daß der Beklagte von dem Vorwurf schuldhaften Handelns – gleich welcher Form – zu entlasten ist. Dies kann auch bereits in der Revisionsinstanz abschließend festgestellt werden. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. BAG 9, 243 [247 f.] = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers [Bl. 2 R, 3] mit weiteren Nachweisen) kann das Revisionsgericht bei einem abgeschlossenen Tatsachenbild die an sich zunächst dem Tatrichter vorbehaltenen Wertungen selbst vornehmen.

a) Zunächst muß sich der Beklagte die Kündigungen vom 8. Oktober und 15. Dezember 1965 nicht deshalb als schuldhaftes Handeln anrechnen lassen, weil es sich dabei – ungeachtet der Triftigkeit der Kündigungsgründe – um für ihn erkennbar überflüssige Maßnahmen gehandelt habe, die nicht geeignet gewesen wären, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses herbeizuführen. Dies ist in erster Linie der Standpunkt des Klägers, der dem Beklagten vorhält, er habe gewußt, mindestens aber bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennen müssen, daß die zeitlich frühere Kündigung des Klägers zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen werde.

Erkenntnisstand und Sorgfaltspflicht des Beklagten bestimmen sich allein nach dem im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigungen erkennbaren Sachverhalt. Dieser Sachverhalt wird entscheidend geprägt durch die vorangegangene Kündigung des Klägers und die ihr beigefügten Gründe. Danach allein ist die Frage zu beurteilen, ob die Kündigungen des Beklagten zur Wahrung eigener Interessen geboten oder ob sie entbehrlich waren. Dies muß notwendigerweise nach dem Revisionsurteil vom 31. Oktober 1972 der Ausgangspunkt für die Prüfung der Schuldfrage sein; denn danach erfüllen die fristlosen Kündigungen des Beklagten nur deshalb den objektiven Tatbestand einer Vertragsverletzung, weil sie der fristlosen Kündigung des Klägers zeitlich nachfolgen.

Das Kündigungsschreiben des Klägers vom 2. Oktober 1965 stützt die fristlose Kündigung im wesentlichen darauf, der Beklagte habe trotz der am 31. August 1965 abgegebenen Ehrenerklärung die verleumderischen Gerüchte über ihn nicht verstummen lassen und der Beklagte habe ihn nicht hinreichend dagegen in Schutz genommen (vgl. das Urteil des Zweiten Senats vom 28. Dezember 1970 unter II 2 der Gründe). Der Beklagte stand damit vor der Situation, daß der Kläger die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Vorwurf schuldhaften Verhaltens durchzusetzen bestrebt war; er konnte in tatsächlicher Hinsicht nichts anderes annehmen, als daß der Kläger hierin den die fristlose Kündigung rechtfertigenden Grund sah.

Der Kläger hat dies im Termin vom 13. August 1970 in der Revisionsverhandlung (Bl. 182 d. Akte 2 AZR 18/70) selbst bestätigt; er hat erklärt, er wolle seine Kündigung vom 2. Oktober 1965 nur auf Gründe stützen, die ein rechtswidriges schuldhaftes Verhalten eines zur Vertretung des Beklagten bestimmten Vorstandsmitglieds zum Gegenstand hätten.

In dieser Lage war es für den Beklagten unzumutbar, von der Geltendmachung eigener wichtiger Gründe für eine von ihm ausgesprochene fristlose Kündigung allein deshalb abzusehen, um dem Kläger Erschwernisse in seinem weiteren beruflichen Fortkommen zu ersparen. Denn nur auf Grund einer eigenen erfolgreichen fristlosen Kündigung konnte der Beklagte erwarten, von weiteren Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber dem Kläger frei zu werden. Blieb die Kündigung des Klägers ohne Erfolg, so wäre er ohne eigene Kündigungsmaßnahme zur weiteren Gehaltszahlung verpflichtet gewesen.

Der Kläger hat weder im Kündigungsschreiben vom 2. Oktober 1965 selbst noch durch sonstige Erklärungen vor dem 8. Oktober 1965 dem Beklagten die Sicherheit gegeben oder auch nur den Eindruck vermittelt, er sei unter allen Umständen – auch unter Aufgabe von Gehalts- und Schadenersatzansprüchen – bereit, aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Der Beklagte war nicht verpflichtet, sich vor der eigenen fristlosen Kündigung nach der Bereitschaft des Klägers zu erkundigen, das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen aufzulösen. Nach dem damaligen Stand der Dinge mußte er damit rechnen, daß der Kläger sich nur mit einer mit einem Schuldvorwurf gegen den Beklagten verbundenen Auflösung des Arbeitsverhältnisses einverstanden erklären werde. Dem brauchte der Beklagte sich nicht auszusetzen.

Allein Erklärungen des Klägers der genannten Art hätten die Sachlage für den Beklagten vor der Kündigung vom 8. Oktober 1965 übersichtlich gestaltet. Da sie fehlten, kann man dem Beklagten zunächst nicht anlasten, daß er die Kündigung des Klägers als ungerechtfertigt zurückgewiesen hat. Auch nach Erhalt der Kündigung vom 8. Oktober 1965 hat der Kläger dem Beklagten nicht die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses unter Verzicht auf weitere Ansprüche angeboten. Wäre er damals selbst der Ansicht gewesen, das Arbeitsverhältnis sei allein schon aus objektiv wichtigem Grund – nämlich der unheilbaren Zerrüttung der beiderseitigen Beziehungen – aufzulösen, so hätte er dies ohne Mühe unverzüglich dem Beklagten mitteilen können. Das weitere Kündigungsschutzverfahren hätte sich damit erübrigt; auch wäre die fristlose Kündigung des Beklagten sofort gegenstandslos geworden, ohne daß sie wesentliche nachteilige Folgen für den Kläger hätte auslösen können.

Ebensowenig kann man dem Beklagten danach anlasten, daß er durch eigene Kündigungsmaßnahmen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeizuführen versucht hat. Ob die Kündigung des Klägers aus einem vom Beklagten verschuldeten oder allein aus objektiv wichtigem Grund Erfolg haben würde oder nicht, war auch bei sorgfältigster Abwägung aller Umstände für einen verständigen Beurteiler nicht mit genügender Bestimmtheit vorauszusehen. Es genügt nicht, dem Beklagten vorzuhalten, er habe gewußt oder wissen müssen, daß Zerrüttung der Vertrauensgrundlage ein ausreichend wichtiger Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses eines leitenden Angestellten sei; nur ein solches Wissen hat der Beklagte entgegen der Ansicht der Revision übrigens in seinem Schriftsatz vom 8. Mai 1973 (Bl. 336 ff. [347] VorA) eingeräumt. Ein Verschulden des Beklagten wäre in diesem Zusammenhang nur in Betracht zu ziehen, wenn er erkannt hätte oder doch hätte erkennen müssen, daß die konkret gegebene Sachlage mindestens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer Lösung des Arbeitsverhältnisses aus objektiv wichtigem Grunde führen werde. Auch hier läßt sich nur beurteilen, was der Beklagte im Oktober 1965 erkennen mußte, wenn man sich das damalige Verhalten des Klägers vergegenwärtigt, der erkennbar und nachdrücklich die Anerkennung einer vom Beklagten verschuldeten Auflösung des Arbeitsverhältnisses erstrebte. Aus dieser Situation heraus war aber der schließlich vom Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 28. Dezember 1970 als maßgeblich anerkannte von keiner Seite verschuldete, objektiv wichtige Grund für jeden verständigen Beurteiler, damit auch für den Beklagten, nicht als nur einigermaßen gewiß vorhersehbar. Es blieb allenfalls ein möglicher Lösungsgrund. Von einem bloß möglichen Verlauf der späteren Entwicklung brauchte der Beklagte seine Entscheidung darüber, ob er seinerseits zum Mittel der fristlosen Kündigung greifen solle, nicht abhängig zu machen.

Entgegen der Ansicht der Revision war es dem Beklagten auch nicht zuzumuten, die Kündigung des Klägers anzunehmen und den Streit darüber, ob ein Auflösungsverschulden des Beklagten im Sinne des § 628 Abs. 2 BGB vorliege, im Schadenersatzverfahren allein auszutragen. An sich wäre dies rechtlich möglich gewesen, da Schadenersatzansprüche wegen Auflösungsverschuldens, auch bei einer auf vertragswidriges Verhalten zurückzuführenden Aufhebung des Arbeitsverhältnisses gegeben sind (BAG AP Nr. 6 zu § 628 BGB). Es besteht aber die Gefahr, daß die Anerkennung einer mit dem Vorwurf schuldhaften Verhaltens begründeten fristlosen Kündigung als Indiz für ein solches Verhalten beurteilt wird. Auch hätte eine solche Anerkennung als Verzicht des Beklagten auf eigene eine fristlose Kündigung rechtfertigende Schuldvorwürfe gegen den Kläger gewertet werden können, die unter Umständen einem Schadenersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB die Grundlage entzogen hätten. Schließlich war die eigene Kündigung für den Beklagten, wie gesagt, das einzige Mittel, das ihn – falls die Kündigung des Klägers erfolglos blieb – von allen Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis befreien konnte. Wenn der Beklagte ein solches Mittel nicht aus der Hand geben wollte, läßt sich dies nicht als schuldhaft bewerten.

b) Die fristlosen Kündigungen des Beklagten können auch nicht mit der Begründung als schuldhafte Vertragsverletzung angesehen werden, die Kündigungsgründe seien nach der zum Zeitpunkt der Kündigung gegebenen Sachlage zur Vertragsauflösung erkennbar ungeeignet gewesen. An sich kann eine unwirksame außerordentliche Kündigung eine Vertragsverletzung sein und zum Schadenersatz verpflichten, wenn der Kündigende ihre Unwirksamkeit oder die zugehörigen Begleitumstände kannte oder bei gehöriger Sorgfalt erkennen mußte (vgl. das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Dritten Senats vom 24. Oktober 1974 – 3 AZR 488/73 – [demnächst] AP Nr. 2 zu § 276 BGB Vertragsverletzung). Hier hat der Beklagte Kündigungsgründe verwendet, die nach ihrem objektiven Inhalt nicht schlechterdings ungeeignet erscheinen, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Es mag sein, daß sie letztlich das für die Annahme eines wichtigen Grundes erforderliche Maß nicht erreicht hätten. Eine Fehlbeurteilung durch den Kündigenden in dieser Hinsicht ist jedoch nur in Ausnahmefällen als verschuldet zu bezeichnen. Anderenfalls würde das Recht jeder in einem Dauerschuldverhältnis stehenden Partei, auf dem gesetzlich geregelten Weg die Berechtigung von Kündigungsgründen nachprüfen zu lassen, unangemessen erschwert. Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht erkennbar.

Demnach war die Revision zurückzuweisen.

 

Unterschriften

gez. Dr. Hilger, Siara, Dr. Heither, Dr. Eck, Nitsche

 

Fundstellen

Haufe-Index 1436736

NJW 1975, 751

JR 1978, 324

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