Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifgeltung im Beitrittsgebiet – Gleichbehandlung

 

Orientierungssatz

Es verstößt nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn eine gesetzliche Krankenkasse in Brandenburg in den Jahren nach der Wiedervereinigung Deutschlands bis 1995 Arbeitnehmern, die in den alten Bundesländern eine Berufsausbildung absolviert hatten, die für die Erledigung der Arbeitsaufgaben von besonderem Interesse war, übertariflich Vergütung nach westlichem Tarifrecht zugesagt hat, während aus dem Beitrittsgebiet stammende Arbeitnehmer, die nicht über eine solche Ausbildung verfügen, Vergütung nach den ungünstigeren Bedingungen des östlichen Tarifrechts erhalten.

 

Normenkette

BAT/AOK-O § 1; BGB § 242

 

Verfahrensgang

LAG Brandenburg (Urteil vom 12.11.1999; Aktenzeichen 4 Sa 255/97)

ArbG Potsdam (Urteil vom 29.01.1997; Aktenzeichen 8 Ca 1467/97)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 12. November 1999 – 4 Sa 255/97 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin ab dem 1. Juni 1995 Vergütung nach BAT/AOK zusteht.

Die Klägerin ist seit dem 1. Februar 1991 als Vertriebsmitarbeiterin im Privatkundenbereich bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der BAT/AOK-O Anwendung. Die Klägerin ist in Vergütungsgruppe 9 eingruppiert.

In einer Vorstandssitzung am 15. November 1991 schlug der damalige Geschäftsführer der Beklagten ausweislich des Protokolls über die Vorstandssitzung vor, „die Vergütung der Mitarbeiter … mit Wohnsitz in den alten Bundesländern unverzüglich dem westdeutschen BAT anzugleichen. Dies sei auch erforderlich, um künftig qualifizierte Fachleute zu gewinnen, die sich nicht in dienstordnungsgemäßen Anstellungen befänden …”. In dem Protokoll heißt es weiter:

„Er (der Vorstand) stimmt weiterhin zu, die Vergütung der nach dem BAT(O) angestellten Mitarbeiter der AOK für das Land Brandenburg, die ihre Ausbildung in den alten Bundesländern absolviert haben und ihren dortigen Wohnsitz weiterhin beibehalten, mit sofortiger Wirkung auf 100 % der vergleichbaren Vergütung in den alten Bundesländern anzuheben. Dies gilt auch für Neueinstellungen aus dem Bereich der Ortskrankenkassen in den alten Bundesländern.”

Der Vorstand der Beklagten faßte schließlich folgenden Beschluß:

„Die Vergütung der nach dem BAT(O) angestellten Mitarbeiter aus den alten Bundesländern wird mit sofortiger Wirkung auf 100 % der vergleichbaren „West-Vergütung” angehoben.”

Die Beklagte beschäftigte am 1. Juni 1995 ca. 2.800 Arbeitnehmer. Insgesamt zahlte sie an 50 Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze in Brandenburg lagen, Vergütung nach dem in den alten Bundesländern geltenden BAT/AOK. Zwei von ihnen stammten aus dem Beitrittsgebiet, die übrigen aus den alten Bundesländern. Ein Mitarbeiter aus den alten Bundesländern erhielt – wie alle anderen Arbeitnehmer aus den neuen Bundesländern – Vergütung nach BAT/AOK-O, der gegenüber dem BAT/AOK für die Arbeitnehmer ungünstigere Arbeitsbedingungen enthält. Von den 50 nach BAT/AOK vergüteten Arbeitnehmern schieden acht Arbeitnehmer vor dem 1. Juni 1995 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Die letzte Einstellung zu den Bedingungen des BAT/AOK erfolgte am 16. Mai 1995.

Bei den am 1. Juni 1995 beschäftigten 42 Arbeitnehmern mit Vergütung nach BAT/AOK handelte es sich um

  • neun Sozialversicherungsfachangestellte bzw. Angestellte, die zuvor bei einem Sozialversicherungsträger in den alten Bundesländern tätig waren,
  • neun DiplomOecotrophologen,
  • drei Psychologen,
  • zwei DiplomKommunikationswirte,
  • einen Sozialarbeiter,
  • eine DiplomVerwaltungswirtin (Fachbereich Sozialversicherung),
  • einen Bademeister,
  • eine Zahnarzthelferin und Schreibkraft,
  • einen ehemaligen Mitarbeiter der DAG,
  • einen DiplomPolitologen,
  • einen Juristen,
  • eine Einzelhandelskauffrau,
  • einen Grafikdesigner mit Weiterbildung zum Kommunikationsorganisator,
  • eine DiplomBetriebswirtin,
  • eine Groß- und Handelskauffrau,
  • einen Lehrer, Journalisten und PR-Berater,
  • eine ehemalige Zahnarzthelferin, Sekretärin und Fotografin
  • einen Diplomkaufmann,
  • eine wissenschaftliche Assistentin,
  • einen Maschinen- und Staplerfahrer,
  • eine Arbeitnehmerin mit Magister Artium,
  • eine Arbeitnehmerin mit Studium der Lateinamerikanistik,
  • eine Arbeitnehmerin mit Studium der Amerikanistik, Politologie und Soziologie.

Diese Arbeitnehmer wohnten bei Abschluß des Arbeitsvertrags mit der Beklagten fast alle in den alten Bundesländern. Ein Teil von ihnen zog danach nach Brandenburg.

Mit Schreiben vom 27. November 1995 verlangte die Klägerin von der Beklagten vergeblich Vergütung nach BAT/AOK.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, aus Gründen der Gleichbehandlung stehe ihr ab dem 1. Juni 1995 Vergütung nach BAT/AOK zu. Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegenüber den Angestellten, die übertariflich Vergütung nach westlichem Tarifrecht erhielten, bestehe nicht. Nach dem Vorstandsbeschluß vom 15. November 1991 sei es der Beklagten nicht darum gegangen, bestimmte Tätigkeiten übertariflich zu vergüten oder Arbeitnehmer mit besonderen Qualifikationen zu gewinnen. Entscheidend sei vielmehr gewesen, daß der Betreffende aus den alten Bundesländern stamme und er dort seinen Ausbildungsabschluß erlangt habe. Dies rechtfertige die vergütungsmäßige Besserstellung jedoch nicht. Fast alle Arbeitnehmer aus den alten Bundesländern hätten ihre Tätigkeit auch aufgenommen und fortgesetzt, wenn sie nach BAT/AOK-O vergütet worden wären. Keiner dieser Arbeitnehmer habe seine Beschäftigung von einer besonderen Vergütung abhängig gemacht.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, sie beginnend mit dem 1. Juni 1995 nach dem BAT/AOK („West”) zu vergüten.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, für die Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber den 42 Arbeitnehmern, die seit dem 1. Juni 1995 Westvergütung erhielten, bestehe ein sachlicher Grund. Nach dem Vorstandsbeschluß vom 15. November 1991 sei maßgebliches Kriterium für die übertarifliche Zahlung nicht in erster Linie der Wohnort des Arbeitnehmers, sondern die am Wohnort absolvierte Ausbildung und die dort erworbene Berufserfahrung. Die Beschäftigung solcher Arbeitnehmer sei zum Aufbau einer funktionsfähigen Krankenkasse in den neuen Bundesländern erforderlich gewesen. Durch die übertarifliche Vergütung nach BAT/AOK habe für diese Arbeitnehmer ein finanzieller Anreiz geschaffen werden sollen, ein Arbeitsverhältnis in den neuen Bundesländern einzugehen. Außerdem habe dadurch der Fluktuation in das westliche Tarifgebiet vorgebeugt werden sollen. Nicht ein einziger Arbeitnehmer aus den alten Bundesländern hätte unter den schwierigen Bedingungen der Aufbaujahre eine Tätigkeit in den neuen Bundesländern aufgenommen, wenn damit eine Gehaltsreduzierung verbunden gewesen wäre. Bei jedem Vorstellungsgespräch habe in erster Linie die Vergütung eine Rolle gespielt. Keiner der begünstigten Arbeitnehmer hätte einen Arbeitsvertrag abgeschlossen, wenn ihm nur Vergütung nach BAT/AOK-O angeboten worden wäre.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin, mit der sie beantragt hatte festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr ab dem 1. Juni 1995 ein Gehalt zu zahlen, das einer Vergütung nach BAT/AOK (West) entspricht, nach erfolgter Beweisaufnahme zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren mit dem ursprünglich gestellten Antrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als unbegründet abgewiesen.

I. Der Feststellungsantrag ist zulässig. Zwar hat die Klägerin den Wortlaut des Antrags in der Revisionsinstanz erneut geändert. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine nach § 561 ZPO unzulässige Änderung der Klage. Mit dieser hat die Klägerin von Anfang an die Feststellung erstrebt, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr ein Gehalt zu zahlen, das der Vergütung nach BAT/AOK entspricht. Dies hat sie in der Berufungsinstanz ausdrücklich beantragt. In diesem Sinne ist der in der Revisionsinstanz gestellte, mit dem erstinstanzlichen Klageantrag identische Antrag auszulegen.

Im übrigen bestehen an der Zulässigkeit des Feststellungsantrags keine Bedenken, insbesondere ist das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Zwar hätte die Klägerin für die Vergangenheit eine bezifferte Leistungsklage erheben können. Es besteht jedoch keine generelle Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage. Für eine Feststellungsklage ist trotz der Möglichkeit einer Leistungsklage das erforderliche Feststellungsinteresse vorhanden, wenn durch sie der Streit insgesamt beseitigt und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann(st. Rspr., vgl. etwa BAG 15. November 1978 – 5 AZR 199/77 – AP BGB § 613 a Nr. 14 = EzA BGB § 613 a Nr. 21, zu I 2 b der Gründe; 22. April 1986 – 3 AZR 100/83 – BAGE 51, 287, 390 f.; 16. Juli 1998 – 6 AZR 672/96 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 27, zu II 1 der Gründe). So liegt der Fall hier. Zwischen den Parteien ist nur streitig, ob der Klägerin ab dem 1. Juni 1995 Vergütung nach BAT/AOK zusteht. Ist dies im Sinne der Klägerin geklärt, kann mit entsprechender Leistung durch die Beklagte, auch für die Zukunft, gerechnet werden. Bei der Beklagten als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung ist, wie sonst bei der öffentlichen Hand, von dem Grundsatz auszugehen, daß trotz möglicher Leistungsklage auch auf ein Feststellungsurteil hin die entsprechende Leistung erbracht wird(st. Rspr., vgl. BAG 27. November 1986 – 8 AZR 163/84 – AP BAT § 50 Nr. 13, zu I 2 der Gründe; 16. Juli 1998 – 6 AZR 672/96 – aaO).

II. Die Klage ist jedoch nicht begründet.

1. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin fällt nicht unter den Geltungsbereich des BAT/AOK, sondern unter den Geltungsbereich des Bundes-Angestelltentarifvertrags/Allgemeine Ortskrankenkassen-Ost (BAT/AOK-O). Nach § 1 BAT/AOK-O gilt dieser Tarifvertrag für Arbeitnehmer der Mitglieder der Tarifgemeinschaften bei den allgemeinen Ortskrankenkassen – Landesverbänden Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie für die Arbeitnehmer der AOK für das Land Brandenburg, deren Arbeitsverhältnisse in den genannten Ländern begründet sind. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Klägerin ist Arbeitnehmerin der AOK Brandenburg. Sie wird unstreitig in Brandenburg beschäftigt, so daß ihr Arbeitsverhältnis dort begründet ist.

2. Auf Grund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes steht der Klägerin Vergütung nach BAT/AOK nicht zu. Sie wird durch die Anwendung des BAT/AOK-O gegenüber anderen Arbeitnehmern der Beklagten nicht ohne sachlichen Grund ungleich behandelt.

a) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet sowohl die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage als auch die sachfremde Differenzierung zwischen Arbeitnehmern einer bestimmten Ordnung. Unzulässig ist nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung. Eine Differenzierung ist sachfremd, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt, wenn also für eine am Gleichheitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die Regelung als willkürlich anzusehen ist(vgl. BVerfG 15. Oktober 1985 – 2 BvL 4/83 – BVerfGE 71, 39, 58). Im Bereich der Vergütung gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz zwar nur eingeschränkt, weil der Grundsatz der Vertragsfreiheit Vorrang hat. Dies gilt aber nur für individuell vereinbarte Löhne und Gehälter. Wenn der Arbeitgeber, was ihm die Vertragsfreiheit ermöglicht, einzelne Arbeitnehmer besserstellt, können daraus andere Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Gleichbehandlung herleiten. Das Gebot der Gleichbehandlung greift jedoch immer dann ein, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem erkennbar generalisierenden Prinzip auf Grund einer abstrakten Regelung gewährt. Von einer solchen Regelung darf er Arbeitnehmer nur aus sachlichen Gründen ausschließen(st. Rspr., vgl. BAG 26. Oktober 1995 – 6 AZR 125/95 – BAGE 81, 207, 210 f.; 20. März 1997 – 6 AZR 453/96 – ZTR 1997, 568, zu I 3 der Gründe; 23. August 1995 – 5 AZR 293/94 – BAGE 80, 354, 359 f.; 28. Juli 1992 – 3 AZR 173/92 – BAGE 71, 29, 37).

b) Soweit die Beklagte Arbeitnehmern Vergütung nach BAT/AOK gewährt, weil diese andernfalls nicht bereit gewesen wären, einen Arbeitsvertrag mit der Beklagten abzuschließen oder das Arbeitsverhältnis auf Dauer aufrechtzuerhalten, scheidet die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes aus. Dies gilt für die Arbeitnehmer Plogstieß, Cratius, Baumeister (Psychologen), Pawelz (Politologe), Miczajka (Studium Lateinamerikanistik), Kuhlewind (Groß- und Handelskauffrau), v. Fintel (Zahnarzthelferin ua.), Hühn-Epstein (Magister Artium), Hofer (Studium Amerikanistik, Politologie, Soziologie), Lorenczat (Bademeister), Kastner (Arbeitnehmer der DAG), Jürgens (Einzelhandelskauffrau), Jonas (Zahnarzthelferin und Schreibkraft), Adameck (Maschinen- und Staplerfahrer) und Dr. Förster (wissenschaftliche Mitarbeiterin). Hinsichtlich dieser Arbeitnehmer hat das Landesarbeitsgericht auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt, daß diese nicht bereit gewesen wären, einen Arbeitsvertrag zu den Bedingungen des BAT/AOK-O abzuschließen. Mit diesen Arbeitnehmern hat die Beklagte daher einzelvertraglich Vergütung nach BAT/AOK vereinbart, so daß der Gleichbehandlungsgrundsatz keine Anwendung findet. Gleiches gilt für die Arbeitnehmerin Knoche, die ebenfalls auf Grund einer einzelvertraglichen Vereinbarung Vergütung nach BAT/AOK erhält, weil sie nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bereits zuvor bei der AOK Berlin für den Geschäftsführer der Beklagten gearbeitet hatte und er sie als persönliche Referentin gewinnen wollte.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Beweiswürdigung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Das Revisionsgericht ist gemäß § 561 Abs. 2 ZPO grundsätzlich an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden. Die Beweiswürdigung ist daher in erster Linie Sache des Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der gesamte Inhalt der Verhandlung berücksichtigt worden ist, ob eine Würdigung aller erhobenen Beweise stattgefunden hat und ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei sowie frei von Verstößen gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze ist (BAG 30. Mai 1984 – 4 AZR 146/82 – AP MTL II § 21 Nr. 2 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 37, zu III 3 der Gründe; Zöller/Gummer ZPO § 550 Rn. 13; Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG 3. Aufl. § 73 Rn. 16, jeweils mwN). Solche Rechtsfehler sind dem Landesarbeitsgericht nicht unterlaufen.

aa) Das Landesarbeitsgericht hat entgegen der Auffassung der Klägerin nicht nur eine pauschale „Gesamtschau” des Beweisergebnisses vorgenommen, sondern – wie sich aus den Ausführungen Seite 21 bis Seite 27 des Berufungsurteils ergibt – jede einzelne Zeugenaussage im Bezug auf jeden einzelnen begünstigten Arbeitnehmer gesondert gewürdigt. Von einer „Gesamtschau” ist lediglich zusammenfassend und abschließend am Ende der Beweiswürdigung die Rede.

bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin verhielt es sich auch bei den Arbeitnehmerinnen Hühn-Epstein und v. Fintel nicht so, daß die Vergütungsfrage keine Rolle gespielt hätte. Nach den Aussagen der Zeugen Lünne und v. Fintel hätte keine Chance bestanden, die Arbeitnehmerin v. Fintel zu „Ost-Bedingungen” für eine Tätigkeit bei der Beklagten zu gewinnen. Dies ergibt sich aus den Sitzungsprotokollen vom 30. Juni 1998 und vom 28. September 1999. Die Zeugin Hühn-Epstein hat in ihrer schriftlichen Aussage ebenfalls bekundet, daß sie eine Ostvergütung nicht akzeptiert hätte, da sie nicht bereit war, sich angesichts ihrer Qualifikation „unter Wert zu verkaufen”.

c) Hinsichtlich der übrigen Arbeitnehmer, die auf der Grundlage des Vorstandsbeschlusses vom 15. November 1991 Vergütung nach BAT/AOK erhalten, ohne daß der Abschluß des Arbeitsvertrags im Einzelfall von der Gewährung einer übertariflichen Vergütung abhängig war, ist der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz anwendbar. Die Beklagte hat dagegen jedoch nicht verstoßen.

aa) Nach dem Vorstandsbeschluß gewährt die Beklagte Vergütung nach BAT/AOK an „Angestellte aus den alten Bundesländern”. Das Landesarbeitsgericht hat den Beschluß dahingehend ausgelegt, daß die in den alten Bundesländern absolvierte Ausbildung und Qualifikation die maßgeblichen Kriterien für die finanzielle Besserstellung sind und nicht der Wohnsitz der Arbeitnehmer. Diese Auslegung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht nicht nur auf den Beschluß selbst, sondern auch auf den weiteren Inhalt des Protokolls über die Vorstandssitzung abgestellt, wonach die übertarifliche Vergütung nach BAT/AOK Mitarbeitern gewährt werden sollte, „die ihre Ausbildung in den alten Bundesländern absolviert haben und ihren dortigen Wohnsitz weiterhin beibehalten”, auch um künftig qualifizierte Fachleute gewinnen zu können. Daraus hat das Landesarbeitsgericht zu Recht geschlossen, daß die in den alten Bundesländern absolvierte Ausbildung und die dort erworbene Qualifikation ausschlaggebend für die übertarifliche Vergütung nach BAT/AOK waren, auch wenn der Vorstandsbeschluß nur – verkürzt – von „Mitarbeitern aus den alten Bundesländern” spricht.

Die Beklagte gewährt die übertarifliche Vergütung nach BAT/AOK daher insoweit nach einem generalisierenden Prinzip auf Grund einer abstrakten Regelung, so daß sie den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten hat.

bb) Dem steht nicht entgegen, daß nur insgesamt 50 von ca. 2.800 Arbeitnehmern übertarifliche Leistungen erhalten haben. Für die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist es unerheblich, daß die Gruppe der Begünstigten kleiner ist als die Gruppe der von der übertariflichen Leistung ausgeschlossenen Arbeitnehmer(BAG 30. März 1994 – 10 AZR 681/92 – AP BGB § 243 Gleichbehandlung Nr. 113 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 110; 25. Januar 1984 – 5 AZR 89/82 BAGE 45, 76).

cc) Die Anwendbarkeit des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes scheitert nicht daran, daß die Klägerin eine andere Tätigkeit ausübt als die begünstigten Arbeitnehmer.

Zwar gebietet der Gleichbehandlungsgrundsatz nur die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage. Dabei sind grundsätzlich nur solche Arbeitnehmer vergleichbar, die von ihrer Tätigkeit her vergleichbar sind. Dies gilt insbesondere für die hier maßgebliche Frage der Vergütung. Der Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer ist aber dann weiter zu ziehen, wenn nach den Grundsätzen oder Regeln die der Arbeitgeber selbst aufgestellt hat, auf weitere sachlich begründete Kriterien abzustellen ist(BAG 12. Januar 1994 – 5 AZR 6/93 – BAGE 75, 236, 245). So verhält es sich hier. Die Beklagte gewährt nicht nur für eine bestimmte Tätigkeit Vergütung nach BAT/AOK, sondern verlangt, daß diese Arbeitnehmer ihre Ausbildung in den alten Bundesländern absolviert haben, unabhängig davon, welche Tätigkeiten sie ausüben.

dd) Für die Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber diesen Arbeitnehmern besteht ein sachlicher Grund.

(1) Die Ungleichbehandlung verschiedener Arbeitnehmergruppen bei freiwilligen übertariflichen Leistungen ist grundsätzlich mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar, wenn die Unterscheidung nach dem Zweck der Leistung gerechtfertigt ist(BAG 8. März 1995 – 5 AZR 869/93 – AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 123 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 62, zu II 1 der Gründe; 20. Juli 1993 – 3 AZR 52/93 – BAGE 73, 343, 347; 23. April 1997 – 10 AZR 603/96 – AP BAT §§ 22, 23 Zulage Nr. 22 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 72). Der Arbeitgeber, der eine freiwillige Leistung gewährt, will damit einen bestimmten Erfolg erreichen. Er verfolgt somit einen bestimmten Zweck. In der Bestimmung dieses Zwecks ist er frei. Er ist daher auch frei, die Voraussetzungen der Leistung so zu bestimmen, daß diese zu dem gewünschten Erfolg führen. Nur von dem Zweck der Leistung her kann deshalb beurteilt werden, ob die vorgenommene Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist, weil sie geeignet ist, diesem Zweck zu dienen, um den gewünschten Erfolg herbeizuführen(BAG 5. März 1980 – 5 AZR 881/78 – BAGE 33, 57, 60; 10. März 1998 – 1 AZR 509/97 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 207 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 40, zu 1 b aa der Gründe). Ein sachlicher Grund kann darin liegen, daß den Angehörigen der begünstigten Gruppe eine übertarifliche Leistung gewährt wird, weil für die entsprechenden Arbeitsplätze ohne zusätzlichen finanziellen Anreiz keine Arbeitskräfte zu gewinnen oder zu halten sind(BAG 23. August 1995 – 5 AZR 293/94 – BAGE 80, 354; 25. August 1982 – 5 AZR 107/80 – BAGE 39, 336, 344). Das Bestreben, durch die Gewährung übertariflicher Leistungen eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern zu gewinnen oder zu halten, auf die der Arbeitgeber besonders angewiesen ist, kann eine Differenzierung sachlich ebenso rechtfertigen wie der Wunsch, eine bestimmte Arbeitnehmergruppe wegen der Arbeitsmarktsituation stärker an den Betrieb zu binden(BAG 10. März 1998 – 1 AZR 509/97 – aaO; 25. Januar 1984 – 5 AZR 89/82 – BAGE 45, 76). So liegt der Fall hier.

(2) Die Beklagte verfolgt nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit der übertariflichen Vergütung den Zweck, Arbeitnehmer aus den alten Bundesländern zu gewinnen, die ihre Ausbildung dort absolviert haben, weil in den Aufbaujahren das Bedürfnis dafür bestand, qualifiziertes und erfahrenes Personal aus den alten Bundesländern zu beschäftigten. In dieser Zweckbestimmung war die Beklagte frei. Der Arbeitgeber darf die Qualifikationsanforderungen grundsätzlich festlegen und Vorgaben hinsichtlich des von ihm einzusetzenden Personals treffen(BAG 20. November 1996 – 5 AZR 645/97 – BAGE 84, 331). Die Entscheidung der Beklagten, in der Aufbauphase in unterschiedlichen Arbeitsbereichen Arbeitnehmer einzusetzen, die in den alten Bundesländern ausgebildet waren und/oder dort bereits Berufserfahrung erworben hatten, erscheint nicht unsachlich. Es ist offenkundig, daß der Aufbau der gegenüber der Sozialversicherung der ehemaligen DDR gänzlich anders gestalteten Krankenversicherung der Bundesrepublik den Einsatz von Arbeitnehmern erforderte, die mit den maßgeblichen Vorschriften und Verfahrensweisen bereits vertraut waren und über praktische Erfahrungen verfügten, die sie nicht nur selbst anwenden, sondern in der täglichen Praxis auch an die Arbeitnehmer weitergeben konnten, deren Arbeitsverhältnisse im Beitrittsgebiet begründet sind. Deshalb ist es ohne weiteres nachvollziehbar, daß die Beklagte an der Beschäftigung von in den alten Bundesländern ausgebildeten Sozialversicherungsfachangestellten und anderen Arbeitnehmern, die bereits in den alten Bundesländern bei einem Sozialversicherungsträger beschäftigt waren, ein besonderes Interesse hatte. Die Beklagte konnte auch davon ausgehen, daß solche Arbeitnehmer in der Regel eine Tätigkeit in den neuen Bundesländern nur aufnehmen würden, wenn sie keine geringere als die in den alten Bundesländern gewährte Vergütung erhalten würden. Dies gilt ohne weiteres für Angestellte, die bereits bei Sozialversicherungsträgern in den alten Bundesländern tätig waren. Für diese Arbeitnehmer bestand keine Veranlassung, ihre bisherigen Arbeitsplätze aufzugeben, um eine geringer vergütete Tätigkeit in den neuen Bundesländern aufzunehmen. Auch wenn im Einzelfall die Vergütungsdifferenz durch die Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit gemildert oder ausgeglichen worden sein sollte, wäre dies allein in der Regel kein ausreichender Anreiz für einen Arbeitsplatzwechsel nach Brandenburg gewesen. Auch für Berufsanfänger war es nicht sachfremd anzunehmen, daß diese in der Regel nicht gegen eine Vergütung nach BAT/AOK-O zu gewinnen sein würden. Denn die Lage auf dem Arbeitsmarkt war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts in den Jahren nach der Wiedervereinigung Deutschlands für qualifizierte Fachkräfte aus den alten Bundesländern außerordentlich günstig. Dies gilt nicht nur für ausgebildete Sozialversicherungsfachangestellte, sondern auch für Angestellte mit anderen in den alten Bundesländern erworbenen Qualifikationen, die es in der ehemaligen DDR so nicht gab und die für die Beklagte zur Erledigung ihrer Arbeitsaufgaben von besonderem Interesse waren. Dies betrifft, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, die Oecotrophologen, den Sozialarbeiter, die Dipl.-Verwaltungswirtin, den Juristen, den Graphik-Designer mit Weiterbildung zum Kommunikationsorganisator, die Dipl.-Betriebswirtin, die Dipl.-Kommunikationswirte, den Lehrer, PR-Berater und Journalisten und den Dipl.-Kaufmann. Die Beschäftigung solcher Fachkräfte war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts in den Bereichen Ernährungsberatung, Marketing/Vertrieb, Pressearbeit und für die Bearbeitung auftretender juristischer Fragen von besonderem Interesse für die Beklagte.

Der Entschluß der Beklagten, Arbeitnehmer mit solchen Qualifikationen anzuwerben und dafür einen besonderen finanziellen Anreiz durch übertarifliche Vergütung nach BAT/AOK zu schaffen, ist daher nicht sachwidrig und deshalb von der Klägerin hinzunehmen. Daß einzelne Bewerber möglicherweise auch bereit gewesen wären, zu den Bedingungen des BAT/AOK-O zu arbeiten, ist unerheblich. Bestehen generell Schwierigkeiten, Arbeitnehmer mit besonderen Qualifikationen oder für bestimmte Arbeitsplätze zu finden, ist es nicht sachfremd, wenn sich der Arbeitgeber entschließt, der gesamten Gruppe übertarifliche Leistungen zu gewähren(BAG 23. August 1995 – 5 AZR 293/94 – BAGE 80, 354; 25. August 1982 – 5 AZR 107/80 – BAGE 39, 336, 344). Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe ihren Vortrag, die Oecotrophologin Kuhn habe ihre Einstellung nicht von einer übertariflichen Vergütung abhängig gemacht, übergangen, ist daher unbegründet.

Auch die weitere Verfahrensrüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe ihren von der Beklagten nicht bestrittenen und deshalb als zugestanden geltenden Vortrag im Schriftsatz vom 5. Februar 1998, die Aufbauphase sei im Zeitpunkt des Vorstandsbeschlusses am 15. November 1991 und der Einstellung der begünstigten Arbeitnehmer bereits abgeschlossen gewesen, unter Verletzung der §§ 138, 286 ZPO übergangen, ist unbegründet. Die Klägerin hatte mit diesem Schriftsatz nicht vorgetragen, die Aufbauphase sei Ende 1991 bereits abgeschlossen gewesen. Aus der von ihr in der Revisionsbegründung wiedergegebenen Passage aus dem genannten Schriftsatz läßt sich dies nicht entnehmen – im Gegenteil: Nach den dortigen Ausführungen traf es zu, „daß im Jahr 1991 eine erhebliche Zahl von sog. „Aufbauhelfern” beschäftigt wurde, … die mittlerweile zum allergrößten Teil wieder in ihre bisherigen Dienststellen zurückgekehrt sind”. Aus der Beschäftigung von Aufbauhelfern, die nach dem eigenen Vortrag der Klägerin offenbar auch über das Jahresende 1991 hinaus fortgesetzt wurde, ergibt sich, daß die Aufbauphase zu diesem Zeitpunkt gerade nicht abgeschlossen war.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, H. Markwat, Matiaske

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 27.09.2001 durch Klapp, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 706956

ARST 2002, 159

NZA 2002, 527

ZTR 2002, 291

NJOZ 2002, 1086

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