Entscheidungsstichwort (Thema)

Weitere Betriebsversammlung. Vergütungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

  • Die Voraussetzungen für eine weitere Betriebsversammlung nach § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG liegen nur vor, wenn die Angelegenheit, die mit der Belegschaft erörtert werden soll, so bedeutend und dringend ist, daß ein sorgfältig amtierender Betriebsrat unter Berücksichtigung der konkreten Situation im Betrieb die Einberufung einer weiteren Betriebsversammlung für sinnvoll und angemessen halten darf. Dabei ist auch zu berücksichtigen, welche Informationen der Belegschaft schon gegeben werden können, wie sinnvoll ein Meinungsaustausch im Zeitpunkt der vorgesehenen Betriebsversammlung ist und welche Folgen die Nichteinberufung der vorgesehenen Betriebsversammlung haben kann.
  • Nur Betriebsversammlungen, die den Anforderungen des § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG genügen, lösen eine Vergütungspflicht des Arbeitgebers nach § 44 Abs. 1 BetrVG aus. Es kommt nicht darauf an, ob das Fehlen eines besonderen Grundes für eine weitere Betriebsversammlung offensichtlich oder nicht offensichtlich war.
  • Eine Vertrauenshaftung des Arbeitgebers und eine Schadenersatzpflicht wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten kommen nicht in Betracht, wenn der Arbeitgeber die Belegschaft darauf hinweist, daß die Voraussetzungen für eine weitere Betriebsversammlung nach § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG nicht erfüllt sind (im Anschluß an BAG Urteil vom 27. November 1987 – 7 AZR 29/87 – AP Nr. 7 zu § 44 BetrVG 1972, zu II der Gründe).
 

Normenkette

BetrVG 1972 § 43 Abs. 1 Sätze 1, 4, § 44 Abs. 1 Sätze 1-2; BGB §§ 242, 276

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 28.02.1990; Aktenzeichen 4 Sa 89/89)

ArbG Hamburg (Urteil vom 02.10.1989; Aktenzeichen 3 Ca 177/89)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 28. Februar 1990 – 4 Sa 89/89 – aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 2. Oktober 1989 – 3 Ca 177/89 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Vergütung für die Zeit der Teilnahme an einer Betriebsversammlung.

Der Kläger nahm am Montag, dem 14. November 1988, von 9.30 Uhr bis 11.00 Uhr an einer Betriebsversammlung teil. Ihr einziger Tagesordnungspunkt lautete “Reorganisation des Betriebes”.

In der Hauspost vom Oktober 1988 war ein Artikel mit der Überschrift “Umstrukturierung der M… AG” erschienen, der vom kaufmännischen Leiter und Leiter der Administration der Beklagten, Herrn H…, verfaßt worden war. Darin wurde ausgeführt, daß die teilweise unwirtschaftliche Fertigung Gegenmaßnahmen, auch eine Senkung der Personalkosten erfordere. Im letzten Absatz des Artikels hieß es zusammenfassend:

“Aus den o.a. Gründen muß Maihak den Fertigungsbereich umstrukturieren, Teilbereiche schließen und Arbeiten verlagern. Durch sorgfältige Analysen werden die notwendigen Maßnahmen ermittelt und dann entsprechend durchgeführt.”

In der Sitzung des Wirtschaftsausschusses vom 24. Oktober 1988 erklärte der Vorstand der Beklagten, daß schnellstens Arbeitsgruppen mit je einem Betriebsratsmitglied gebildet werden sollten, um die Produktbereinigung zu erörtern, das Fertigungslayout zu erstellen und die Fertigungstiefe zu reduzieren. Ohne personelle Konsequenzen werde diese Reorganisation nicht durchgeführt werden können. Unter dem 24. Oktober 1988 zeigte die Beklagte dem Arbeitsamt vorsorglich Massenentlassungen an.

Nach einer Unterschriftensammlung, die Ende Oktober bis Anfang November 1988 stattfand, verlangten 94 von insgesamt ca. 315 Arbeitnehmern des Betriebs “gemäß BetrVG § 43 Abs. 3 … die unverzügliche Einberufung einer Betriebsversammlung”. Auf dieser Betriebsversammlung sollten “der Vorstand und die Geschäftsleitung … der Belegschaft die von Herrn H… in der M… – Hauspost Oktober 1988 angekündigte Umstrukturierung und Schließung von Teilbereichen der Firma sowie die dadurch zu erwartenden Personalmaßnahmen erläutern”. Mit Aushang vom 9. November 1988 lud der Betriebsrat zu einer “weiteren Betriebsversammlung nach 43.1 BetrVG” ein. Die Geschäftsleitung wies den Betriebsrat mit Schreiben vom selben Tag darauf hin, daß sie die vorgesehene Betriebsversammlung für rechtswidrig halte und begründete dies wie folgt:

“Wie wir Ihnen schon mehrmals mündlich mitteilten, ist die Ihnen am 24.10 in einer gesonderten Sitzung angekündigte Reorganisation eine Vorüberlegung der Geschäftsleitung, Maßnahmen einzuleiten, um aus Wettbewerbsgründen unsere Kosten zu reduzieren. Z. Z. liegen keine konkreten Planungen vor, d.h. wir sind im Vorstadium und sind beim besten Willen nicht in der Lage, eine Aussage zur Reorganisation in einer Betriebsversammlung vorzunehmen.

Die Geschäftsleitung wird Sie in der kommenden Woche, wie Ihnen bereits Herr H… mitteilte, zu einer Sitzung einladen. Die Geschäftsleitung wird gemeinsam mit Ihnen gemäß den gesetzlichen Bestimmungen die Reorganisation beraten.

Aus den vorgenannten Gründen ist es der Geschäftsleitung nicht möglich, an der am 14.11.88 stattfindenden Betriebsversammlung teilzunehmen. Außerdem hat die Geschäftsleitung am 14.11.88 wichtige Termine wahrzunehmen, die bereits seit längerer Zeit feststehen.

Der guten Ordnung halber weisen wir darauf hin, daß eine weitere Betriebsversammlung in dem laufenden Quartal nicht durchgeführt werden darf, bevor nicht die ordentliche Betriebsversammlung stattgefunden hat.

Wir fordern Sie auf, die o.g. Betriebsversammlung rückgängig zu machen. Sollten Sie hierzu nicht bereit sein, werden wir zu unserem Bedauern gezwungen, rechtliche Schritte einzuleiten.

Wir weisen jetzt schon vorsorglich darauf hin, daß wir eine Teilnahme an der Betriebsversammlung nicht bezahlen werden. Aus zeitlichen Gründen müssen Sie uns heute Ihren endgültigen Beschluß mitteilen.”

Der Belegschaft teilte die Beklagte mit Aushang vom 10. November 1988 folgendes mit:

“Ankündigung einer weiteren Betriebsversammlung durch den Betriebsrat am 14.11.1988

Aus Wettbewerbsgründen sind wir zur Reorganisation unseres Fertigungsablaufs gezwungen, um die Kostenstruktur zu verbessern.

Eine Information hierüber mit weiterer Begründung wurde dem Betriebsrat in der Sitzung am 24. Oktober 1988 und Ihnen mit der monatlichen Hauspost gegeben.

Diese Reorganisation befindet sich im frühen Stadium der Vorüberlegungen und soll nach Ausarbeitung konkreter Vorstellungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung beraten werden.

Zur Zeit liegen noch keine diskussionsfähigen Planungsunterlagen vor; eine Berichterstattung im Rahmen einer Betriebsversammlung ist daher unmöglich. Die Geschäftsführung kann z. Zt. noch keine detaillierten Auskünfte geben. Der Betriebsrat ist über diese Tatsache informiert.

Die angekündigte Betriebsversammlung hat somit keine sachliche Berechtigung und ist rechtswidrig.

Wir weisen daher vorsorglich darauf hin, daß eine evtl. Teilnahme für jeden Mitarbeiter meldepflichtig ist und vorbehaltlich weiterer Maßnahmen die Zeit der Teilnahme nicht bezahlt werden wird.”

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der geltend gemachte Vergütungsanspruch ergebe sich aus § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 i. Verb. mit § 43 Abs. 1 BetrVG. Die Voraussetzungen für eine weitere Betriebsversammlung nach § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG hätten vorgelegen. Der Betriebsrat habe seinen weiten Ermessensspielraum nicht überschritten. Im übrigen könnten Fehler des Betriebsrats den Arbeitnehmern nicht angelastet werden und berührten ihren Vergütungsanspruch nicht.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 25,23 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Dezember 1988 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe kein Vergütungsanspruch nach § 44 BetrVG zu. Für die Einberufung einer weiteren Betriebsversammlung im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG habe kein ausreichender Grund bestanden. Auch wenn die Gesetzwidrigkeit nicht offensichtlich gewesen sei, ändere dies nichts daran, daß die Anspruchsvoraussetzungen fehlten.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten. Der Kläger hat beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet. Dem Kläger steht für die Zeit der Teilnahme an der Betriebsversammlung vom 14. November 1988 kein Vergütungsanspruch zu.

I. Die Voraussetzungen eines Vergütungsanspruchs nach § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 i. Verb. mit § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG sind nicht erfüllt.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Entscheidung des Betriebsrats, eine weitere Betriebsversammlung nach § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG einzuberufen, sei nur dann unbeachtlich, wenn sie einen Rechtsmißbrauch darstelle. Dies sei jedoch nicht der Fall.

Diese Auffassung ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht zu vereinbaren. Es genügt nicht, daß der Betriebsrat glaubt, die Voraussetzungen einer weiteren Betriebsversammlung nach § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG lägen vor. Die Tatbestandsmerkmale einer weiteren Betriebsversammlung müssen vielmehr objektiv erfüllt sein. Nach § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG kann der Betriebsrat eine weitere Betriebsversammlung nur durchführen, wenn ihm dies aus “besonderen Gründen” zweckmäßig erscheint. Nur das Tatbestandsmerkmal “zweckmäßig erscheint” enthält eine subjektive Komponente. Sie ändert aber nichts daran, daß der Betriebsrat von den objektiven Gegebenheiten ausgehen muß.

2. Da der Betriebsrat nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten über die Einberufung einer weiteren Betriebsversammlung entscheiden darf, steht ihm zwar ein weiter Ermessensspielraum zu. Ermessen bedeutet jedoch nicht freies Belieben. Die Entscheidung des Betriebsrats unterliegt einer, wenn auch eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Nach § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG müssen “besondere Gründe” für eine weitere Betriebsversammlung vorliegen. Auf sie muß der Betriebsrat auch bei seinen Zweckmäßigkeitserwägungen abstellen.

a) Aus dem Tatbestandsmerkmal “besondere Gründe” ergibt sich, daß weitere Betriebsversammlungen auf Ausnahmetatbestände beschränkt bleiben sollen. Thematisch muß es sich um wichtige Angelegenheiten für die Belegschaft handeln. Außergewöhnliche Vorkommnisse müssen zu einem Bedürfnis nach zusätzlicher Information und zusätzlichem Meinungsaustausch der Belegschaft führen. Neben Inhalt und Anlaß der Betriebsversammlung können zeitliche Gesichtspunkte nicht außer acht gelassen werden. Wenn eine Erörterung der Angelegenheit in der nächsten regelmäßigen ordentlichen Betriebsversammlung dem Anliegen der Belegschaft ausreichend Rechnung trägt, besteht für eine weitere Betriebsversammlung kein Anlaß. Ob der Betriebsrat eine weitere Betriebsversammlung im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG einberufen darf, hängt auch davon ab, wie aktuell und dringend die Thematik ist. Bereits die Tatbestandsmerkmale des § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG umfassen diesen zeitlichen Aspekt. Zumindest ist er im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten.

b) Mit diesen Vorgaben wird der Entscheidungsspielraum des Betriebsrats nicht zu sehr eingeengt. Es bleibt genügend Raum für Zweckmäßigkeitserwägungen des Betriebsrats. Er muß aber seiner Entscheidung den Maßstab des § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG zugrunde legen und den rechtlichen Einschränkungen seines Ermessens Rechnung tragen. Die Angelegenheit, die mit der Belegschaft erörtert werden soll, muß so bedeutend und dringend sein, daß ein sorgfältig amtierender Betriebsrat unter Berücksichtigung der konkreten Situation im Betrieb die Einberufung einer weiteren Betriebsversammlung für sinnvoll und angemessen halten darf. Diesen Anforderungen genügt die Betriebsversammlung vom 14. November 1988 nicht.

c) Das Landesarbeitsgericht hat die Voraussetzungen für die Einberufung einer weiteren Betriebsversammlung zu Unrecht bejaht. Es hat seine Auffassung im wesentlichen wie folgt begründet:

Besondere Gründe für die weitere Betriebsversammlung ergäben sich daraus, daß die Beklagte die Notwendigkeit gesehen habe, Kosten einschließlich der Personalkosten zu senken, Teile der Fertigung aus dem Betrieb auf Spezialfirmen zu verlagern und die Fertigung umzustrukturieren. Zudem habe die Beklagte dem Arbeitsamt möglicherweise bevorstehende Massenentlassungen angekündigt. Es handele sich auch dann um gesetzmäßige Gegenstände einer Betriebsversammlung, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat noch keine konkreten Pläne für eine Betriebsänderung entwickelt hätten. Die Beklagte habe das Stadium der Vorüberlegungen verlassen gehabt, denn sie habe den Willen zum Ausdruck gebracht, Konsequenzen aus dem Gutachten einer Unternehmensberatungsfirma zu ziehen. Nach dem Zweck des § 111 BetrVG sei es unerheblich, daß die einzelnen Maßnahmen zur Senkung der Kosten erst aufgrund weiterer Analysen beschlossen werden sollten. Der Betriebsrat habe mit der Einberufung der weiteren Betriebsversammlung vom 14. November 1988 sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt, weil Mitteilungen wie die in der Hauspost vom Oktober 1988 erfahrungsgemäß ein größeres Informationsbedürfnis innerhalb der Belegschaft auslösten.

d) Die Ausführungen des Berufungsgerichts tragen den Anforderungen des § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG und den Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht ausreichend Rechnung.

aa) Der Tagesordnungspunkt “Reorganisation des Betriebes” rechtfertigt noch nicht ohne weiteres eine Betriebsversammlung nach § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG. Der wirtschaftliche Zwang zur Umstrukturierung eines Betriebes und zu einschneidenden personellen Maßnahmen ist zwar ein außergewöhnliches Vorkommnis mit erheblicher Bedeutung für die Belegschaft. Wie dringlich eine Betriebsversammlung ist, hängt jedoch nicht nur von der Thematik als solcher, sondern auch davon ab, wie weit die Überlegungen und Planungen des Arbeitgebers gediehen sind. In diesem Zusammenhang spielt die rein begriffliche Abgrenzung zwischen Vorüberlegungen und Planungen, die das Landesarbeitsgericht vorgenommen hat, keine entscheidende Rolle. Vielmehr kommt es darauf an, welche Informationen der Belegschaft schon gegeben werden können, wie sinnvoll ein Meinungsaustausch im Zeitpunkt der vorgesehenen weiteren Betriebsversammlung ist und welche Folgen die Nichteinberufung der vorgesehenen Betriebsversammlung haben kann. Im vorliegenden Fall stand nur das Ziel fest: Eine wirtschaftlichere Fertigung durch Umstrukturierung und Reorganisation des Betriebs. Der Arbeitgeber wollte in Arbeitsgruppen unter Beteiligung des Betriebsrats erst die Grundlagen eines Konzepts erarbeiten. Dies hatte der Arbeitgeber dem Wirtschaftsausschuß in seiner Sitzung vom 24. Oktober 1988 auch mitgeteilt. Von einer Betriebsversammlung waren nicht wesentlich mehr Informationen zu erwarten, als sie der in der Hauspost vom Oktober 1988 erschienene Artikel des kaufmännischen Leiters der Beklagten ohnehin schon enthielt. Inhalt und Umfang der Umstrukturierung und Reorganisation hatten sich noch nicht so weit abgezeichnet, daß eine ausreichende, sinnvolle Diskussionsgrundlage bestand. Die verschiedenen Möglichkeiten einer wirtschaftlicheren Fertigung sollten erst noch herausgearbeitet und gegenübergestellt werden. In diesem Stadium gab es noch keinen einleuchtenden Grund für eine weitere Betriebsversammlung. Daran ändert nichts, daß der Arbeitgeber dem Arbeitsamt am 24. Oktober 1988 vorsorglich Massenentlassungen angezeigt hatte. Er teilte dem Arbeitsamt in seiner Meldung nach § 8 AFG und seiner Anzeige nach § 17 KSchG lediglich mit, daß voraussichtlich im Zeitraum von sechs Monaten eine eventuell meldepflichtige Anzahl von Mitarbeitern entlassen oder umgesetzt werden müßte.

bb) Zudem war die nächste regelmäßige ordentliche Betriebsversammlung ohnehin für die 50. Kalenderwoche vorgesehen und fand tatsächlich am 13. Dezember 1988 statt. Nach dem damaligen Stand der Angelegenheit gab es keinen tragfähigen Grund, knapp einen Monat vor der regelmäßigen ordentlichen Betriebsversammlung eine weitere Betriebsversammlung nach § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG durchzuführen.

cc) Das Argument des Landesarbeitsgerichts, Mitteilungen wie die in der Hauspost vom Oktober 1988 lösten erfahrungsgemäß ein großes Informationsbedürfnis innerhalb der Belegschaft aus, vermag nicht zu überzeugen. In einer Unterschriftenaktion hatte die Belegschaft zwar eine Betriebsversammlung nach § 43 Abs. 3 BetrVG gefordert. Nach der schriftlichen Begründung dieses Antrags sollte aber erreicht werden, daß “der Vorstand und die Geschäftsleitung … der Belegschaft die … in der M… -Hauspost Oktober 1988 angekündigte Umstrukturierung und Schließung von Teilbereichen der Firma sowie die dadurch zu erwartenden Personalmaßnahmen erläutere”. Die Belegschaft wünschte demnach nähere Angaben über die bevorstehenden Maßnahmen und ihre Folgen. Damit war jedoch nach dem Stand der Überlegungen, wie er sich bei Einberufung der Betriebsversammlung vom 14. November 1988 darstellte, noch nicht zu rechnen.

dd) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist es auch nicht entscheidend, ab welchem Zeitpunkt nach § 111 BetrVG die Beratungs- und Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat einsetzt. Nicht jeder Sachverhalt, der ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats auslöst, ist schon deshalb ein besonderer Grund für eine weitere Betriebsversammlung im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG. Vielmehr muß eine weitere Betriebsversammlung im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG zum vorgesehenen Zeitpunkt wenigstens sinnvoll und geeignet sein, ein dringendes Informationsbedürfnis der Belegschaft ausreichend zu befriedigen. Verfrühte Betriebsversammlungen, die voraussichtlich ihren Zweck verfehlen, lösen keinen Vergütungsanspruch nach § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 i. Verb. mit § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG aus.

3. Entgegen der vom Landesarbeitsgericht im Anschluß an Fabricius, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 44 Rz. 38 ff. vertretenen Auffassung kommt es für den Anspruch nach § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 i. Verb. mit § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG nicht darauf an, ob das Fehlen eines besonderen Grundes für eine weitere Betriebsversammlung offensichtlich oder nicht offensichtlich war. Die Frage, ob der Geltendmachung des Vergütungsanspruchs durch den Arbeitnehmer der Einwand des widersprüchlichen Verhaltens entgegengehalten werden kann, stellt sich nicht. Mit dieser Fragestellung werden Anspruchsvoraussetzungen in Einwendungen umfunktioniert.

§ 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG regelt die Anspruchsvoraussetzungen des Vergütungsanspruchs durch eine uneingeschränkte Verweisung auf § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG. Danach lösen nur Betriebsversammlungen, die den Anforderungen des § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG genügen, eine Vergütungspflicht des Arbeitgebers nach § 44 BetrVG aus.

Diese Einschränkung entspricht dem Ausnahmecharakter dieses Vergütungsanspruchs und ist auch interessengerecht. Grundsätzlich setzt die Arbeitsvergütung eine Arbeitsleistung voraus. § 44 Abs. 1 BetrVG ist eine der zahlreichen Ausnahmevorschriften. Sie knüpft an objektive Voraussetzungen an. Das Risiko einer Fehleinschätzung der Rechtslage trägt insoweit der Arbeitnehmer. Ein Vergütungsanspruch entsteht nicht schon dann, wenn der Arbeitnehmer einem schuldlosen Rechtsirrtum unterliegt. Fehlendes Verschulden schließt zwar einen gegen ihn gerichteten Schadenersatzanspruch aus, ersetzt aber nicht die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen.

4. Der geltend gemachte Vergütungsanspruch läßt sich auch nicht damit begründen, der Arbeitgeber habe die Betriebsversammlung mit einer einstweiligen Verfügung verhindern können. Die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG sind nicht schon deshalb erfüllt, weil die Durchführung der Betriebsversammlung durch keine gerichtliche Entscheidung verboten wurde. Wenn sich der Arbeitgeber, ohne eine einstweilige Verfügung beantragt zu haben, auf einen Verstoß gegen § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG beruft, verhält er sich weder widersprüchlich (§ 242 BGB) noch macht er sich schadenersatzpflichtig. Eine Rechtspflicht oder Obliegenheit, eine einstweilige Verfügung zu erwirken, besteht nicht. Im übrigen ist der Ausgang eines solchen summarischen Verfahrens häufig ungewiß, zumal strenge Anforderungen an eine einstweilige Verfügung zu stellen sind. Ob im vorliegenden Fall aus zeitlichen Gründen eine einstweilige Verfügung ausschied, wie die Beklagte behauptet hat, spielt keine Rolle.

II. Der Kläger kann seinen Vergütungsanspruch auch nicht auf § 44 Abs. 1 i. Verb. mit § 43 Abs. 1 Satz 1 BetrVG stützen. Die Betriebsversammlung vom 14. November 1988 kann entgegen der Auffassung des Klägers nicht als regelmäßige ordentliche Betriebsversammlung angesehen werden. Der Betriebsrat hatte die Betriebsversammlung vom 14. November 1988 ausdrücklich als weitere Betriebsversammlung nach § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG einberufen. Er erstattete nicht den in § 43 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorgeschriebenen Tätigkeitsbericht. Einziger Tagesordnungspunkt war die “Reorganisation des Betriebes”. Der Betriebsrat sah bewußt und unmißverständlich davon ab, die für die 50. Kalenderwoche geplante regelmäßige ordentliche Betriebsversammlung vorzuverlegen. Sie wurde am 13. Dezember 1988 auch tatsächlich durchgeführt.

III. Der Kläger kann einen Vergütungsanspruch auch nicht aus einer Vertrauenshaftung der Beklagten oder aus einer Schadenersatzpflicht der Beklagten wegen schuldhafter Verletzung vertraglicher Nebenpflichten herleiten.

1. Aus dem Gesichtspunkt der Vertrauenshaftung kann der Arbeitnehmer nur dann Vergütung für die Teilnahme an einer nicht unter § 44 Abs. 1 BetrVG fallenden Betriebsversammlung verlangen, wenn der Arbeitgeber durch ihm objektiv zuzurechnende Umstände bei der Belegschaft den Eindruck erweckt, er sei gleichwohl bereit, den teilnehmenden Arbeitnehmern die Arbeitsvergütung zu zahlen (ebenso BAG Urteil vom 27. November 1987 – 7 AZR 29/87 – AP Nr. 7 zu § 44 BetrVG 1972, zu II 2 der Gründe, bei einer zu Unrecht außerhalb der Arbeitszeit einberufenen regelmäßigen Betriebsversammlung). Der Kläger konnte und durfte nicht davon ausgehen, daß die Beklagte trotz des Fehlens der gesetzlichen Voraussetzungen mit der Durchführung der Betriebsversammlung vom 14. November 1988 einverstanden sei und für die Zeit der Teilnahme Arbeitsvergütung zahlen werde. Im Gegenteil: Die Beklagte hat mit Aushang vom 10. November 1988 ihre Belegschaft ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Betriebsversammlung rechtswidrig sei und “die Zeit der Teilnahme nicht bezahlt” werde.

2. Ebensowenig kann die Klageforderung auf einen Schadenersatzanspruch wegen Verletzung einer Hinweispflicht gestützt werden. Eine derartige vertragliche Nebenpflicht (vgl. BAG Urteil vom 27. November 1987 – 7 AZR 29/87 – AP Nr. 7 zu § 44 BetrVG 1972, zu II 3 der Gründe, unter Hinweis auf Säcker, DB 1965, 1856, 1858 und Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 44 Rz 39) ist nicht verletzt worden. Die Beklagte hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die angekündigte Betriebsversammlung keine sachliche Berechtigung habe und deshalb rechtswidrig sei. Sie hatte in ihrem Aushang vom 10. November 1988 auch die entscheidenden Argumente aufgeführt.

IV. Da bereits die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 Satz 4 BetrVG für eine weitere Betriebsversammlung fehlen, spielt es keine Rolle, ob bei der Einberufung der Betriebsversammlung auch Verfahrensvorschriften verletzt wurden und wie sich derartige Rechtsverstöße auf den Vergütungsanspruch auswirken.

 

Unterschriften

Dr. Steckhan, Schliemann, Kremhelmer, Seiler

Der ehrenamtliche Richter Wagner ist wegen Ablaufs seiner Amtszeit an der Unterschrift verhindert.

Dr. Steckhan

 

Fundstellen

Haufe-Index 839239

NZA 1992, 557

RdA 1992, 157

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