Entscheidungsstichwort (Thema)

Erschwerniszulage

 

Leitsatz (redaktionell)

(vgl. BAG Urteil vom 3. September 1986 – 4 AZR 315/85 – AP Nr. 3 zu § 21 TVAL II: Erschwerniszulage bei Arbeiten unter Einfluß von Asbeststaub)

 

Normenkette

TVAL II § 21 Anhang S

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 29.08.1989; Aktenzeichen 8 Sa 1340/88)

ArbG Mönchengladbach (Urteil vom 16.08.1988; Aktenzeichen 3 Ca 733/88)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. August 1989 – 8 Sa 1340/88 – wird auf Kosten der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß von einem Bruttobetrag von DM 12,00 nur Zinsen aus dem Nettobetrag zu zahlen sind.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger ist seit dem 17. Januar 1983 bei den amerikanischen Streitkräften als Kraftfahrzeugmechaniker tätig.

Auf das Arbeitsverhältnis finden sowohl kraft beiderseitiger Tarifbindung wie aufgrund des Arbeitsvertrages vom 17. Januar 1983 der Tarifvertrag für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TVAL II) in seiner jeweils gültigen Fassung Anwendung.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe Anspruch auf 10 % Erschwerniszulage für Arbeitserschwernisse nach Anhang S Ziff. II 1 TVAL II für im März 1988 ausgeführte Arbeiten und zwar für 9,25 Stunden unter dem Einfluß von Lärm und für weitere 9,25 Stunden für Reinigungsarbeiten an Bremsen unter dem Einfluß von Asbeststaub. Er hat dementsprechend mit der am 25. Juni 1988 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage für diese Arbeiten insgesamt 27,18 DM brutto als Erschwerniszulage geltend gemacht, berechnet nach einem Stundenlohn von 15,18 DM brutto (= 1,51 DM brutto pro Stunde). Die Beklagte hat hiervon in der mündlichen Verhandlung vom 16. August 1988 vor dem Arbeitsgericht „15,10 DM brutto (Lärm)” anerkannt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 27,18 DM brutto nebst 4 % Jahreszinsen ab Klagezustellung (29. Juni 1988) zu zahlen, dabei Verurteilung der Beklagten im Umfang des Anerkenntnisses durch Erlaß eines Teil-Anerkenntnisurteils.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, soweit sie über den erkannten Anspruch hinausgeht. Sie hat geltend gemacht, bei den vom Kläger unter dem Einfluß von Asbeststaub auszuführenden Arbeiten werde Asbeststaub jeweils nur während weniger Sekunden frei. Durchgeführte Messungen hätten darüber hinaus ergehen, daß der Anteil von Asbeststaub in der Luft am Arbeitsplatz des

klägers weit unter den zulässigen Grenzwerten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz gelegen habe. Es existiere eine Absaugvorrichtung in Form eines Industriestaubsaugers, so daß sich kein Asbeststaub am Boden ablagern könne. Auch seien Atemmschutzmasken zur Verfügung gestellt worden. Damit seien die vom Kläger ausgeführten Arbeiten weder in besonderem Maße den Einflüssen von Asbeststaub im Sinne von Anhang S Ziff. II 1 TVAL II ausgesetzt noch besonders gefährlich oder gesundheitsschädlich im Sinne von § 21 Ziff. 4 b (2) TVAL II.

Das Arbeitsgericht hat die Klage, soweit sie über den anerkannten Betrag von 15,10 DM brutto nebst 4 % Zinsen hinausgeht, abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht dem Klageanspruch auch insoweit entsprochen. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat Anspruch auf die geltend gemachte Erschwerniszulage nach Anhang S Ziff. II 1 TVAL II für die Dauer der Reinigungsarbeiten an Bremsen unter dem Einfluß von Asbeststaub.

I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt, Anspruchsgrundlage sei allein der Anhang S Ziff. II. 1 TVAL II und nicht die tarifliche Bestimmung des § 21 Ziff. 4 b (4) TVAL II. Bei Asbest handele es sich nach der Gefahrstoffverordnung um einen gefährlichen Arbeitsstoff. Es komme deshalb im Einzelfall nicht darauf an, in welcher Konzentration der Arbeitnehmer dem Giftstoff ausgesetzt sei und ob durch Schutzkleidung eine konkrete Gesundheitsschädigung verhindert werde.

Diese Ausführungen halten den Revisionsangriffen stand.

II.1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Vorschriften des TVAL II kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs.) Abs. 1 Satz 1 TVG). Danach sind für den Anspruch des Klägers auf die begehrte Erschwerniszulage folgende tarifliche Vorschriften heranzuziehen:

Anhang S

II. Zulagen für allgemeine Arbeitserschwernisse

1. Tätigkeiten, die in besonderem Maße den Einflüssen von Schmutz, Schlamm, Hitze, Kälte, Wasser, Rauch, Dumpfen, Gasen, Säuren, Ätzstoffen, Giftstoffen, Erschütterungen oder ähnlichem sowie Witterungseinflüssen ausgesetzt sind.

Ferner enthält die Vorschrift des § 21 Ziff. 4 TVAL II unter der Überschrift „Erschwerniszulagen” folgende Regelungen:

  1. Arbeitserschwernisse – siehe Abschnitt b) – sind grundsätzlich mit dem tarifvertraglich vereinbarten Lohn oder Gehalt abgegolten, soweit für sie nicht Erschwerniszulagen im Anhang S besonders vereinbart sind.
  2. Arbeitserschwernisse liegen vor, wenn die Arbeiten

(1)

des Arbeitnehmers außerordentlich beschmutzen, oder

(2)

besonders gefährlich, ekelerregend oder gesundheitsschädlich sind, oder

(3)

die Körperkräfte außerordentlich beanspruchen, oder

(4)

unter besonders erschwerenden Umständen ausgeführt werden müssen.

2. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß Anspruchsgrundlage für den der Höhe nach unstreitigen Anspruch auf Zahlung der Erschwerniszulage allein der Anhang S Ziff. II 1 TVAL II und nicht die tarifliche Bestimmung des § 21 Ziff. 4 b (2) TVAL II ist. Dies folgt daraus, daß § 21 Ziff. 4 a TVAL II auf die besondere Vereinbarung von Erschwerniszulagen im Anhang S verweist. Dabei enthält der Anhang S in Ziff. II 1 auch Beispielsfälle hinsichtlich der Ausführung von besonders gefährlichen und gesundheitsschädlichen Arbeiten im Sinne von § 21 Ziff. 4 b (2) TVAL II. Eine Arbeit kann nämlich dann besonders gefährlich und gesundheitsschädlich im Sinne von § 21 Ziff. 4 b (2) TVAL II sein, wenn die Tätigkeit in besonderem Maße den Einflüssen von Rauch, Dämpfen, Gasen, Säuren, Ätz- oder Giftstoffen oder Erschütterungen ausgesetzt ist (BAG Urteil vom 3. September 1986 – 4 AZR 315/85 – AP Nr. 3 zu § 21 TVAL II; BAG Urteile vom 19. August 1987 – 4 AZR 149/87 – und vom 10. Februar 1988 – 4 AZR 552/87 – beide nicht veröffentlicht).

3.a) Zu Recht nimmt das Landesarbeitsgericht an, der Kläger sei bei den Arbeiten unter Einfluß von Asbeststaub in besonderem Maße dem Einfluß von Giftstoffen ausgesetzt.

Asbest ist ein faseriges „silikatisches” Mineral. Bei langandauerndem Einatmen von Asbeststaub wird nicht nur die Neigung zu Bronchialkrebs erhöht, sondern es kann auch die als Berufskrankheit anerkannte Asbestose auftreten (Der große Brockhaus, 18. Aufl., Stichworte „Asbest” und „Asbestose”). Zwar haben die Tarifvertragsparteien nicht im einzelnen bestimmt, wann eine Einflußnahme ein derartiges Maß erreicht, daß sie die Zahlung einer Erschwerniszulage rechtfertigt. Die Tätigkeit des Klägers ist jedoch schon deshalb in besonderem Maße den Einflüssen von Giftstoffen ausgesetzt, weil es sich bei Asbest um einen gefährlichen Arbeitsstoff im Sinne der im Anspruchszeitraum geltenden Verordnung über gefährliche Stoffe (GefStoffV) vom 26. August 1986 (BGBl I, S. 1470) handelt (vgl. Anlageband zum BGBl I Nr. 47 vom 5. September 1986, Anhang VI lfd. Nr. 91, EG-Nr. 1332-21-4). Er ist kennzeichnungspflichtig nach Anhang I Nr. 2.5 und unterfällt den besonderen Vorschriften für den Umgang mit krebserzeugenden, fruchtschädigenden und erbgutverändernden Gefahrstoffen nach Anhang II Nr. 1.2.1. und 1.3.1. Schließlich ist er in den Anhang V (Liste der vorzunehmenden Vorsorgeuntersuchungen) aufgenommen worden. Nachdem das Merkmal „besonderes Maß” nicht nur, wie die Beklagte offenbar meint, eine quantitative Komponente beinhaltet, sondern auch eine qualitative Seite hat, genügt die Aufnahme in die GefStoffV um die Annahme zu rechtfertigen, der Arbeitnehmer sei den Einflüssen dieser Giftstoffe in besonderen Maß ausgesetzt (BAG Urteil vom 19. August 1987 – 4 AZR 149/87 – nicht veröffentlicht).

b) Daß durch die Schutzkleidung eine konkrete Gesundheitsschädigung verhindert wird, rechtfertigt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht den Schluß, dadurch entfielen die Voraussatzungen für die Zahlung der Erschwerniszulage. Die Tarifvertragsparteien haben im Anhang S Ziff. II 1 TVAL II ausdrücklich darauf abgestellt, ob die Tätigkeit als solche in besonderem Maße den dort genannten Einflüssen ausgesetzt ist. Dies ist aber auch dann der Fall, wenn die auf die Tätigkeit unmittelbar einwirkenden Einflüsse, wie es vorliegend sogar gesetzlich zwingend geboten war, auf ein gesundheitsverträgliches Maß herabgesetzt werden (BAG Urteil vom 3. September 1986 – 4 AZR 315/85 – AP Nr. 3 zu § 21 TVAL II; BAG Urteile vom 19. August 1987 und 10. Februar 1988,

a.a.O.). Mit Recht verweist nämlich der Kläger insoweit darauf, auch beim Tragen einer geschlossenen Gesichtsmaske könne eine Gesundheitsgefährdung wegen der mit seiner Tätigkeit verbundenen unmittelbaren Einwirkungen durch Einatmen von Asbeststaub nicht ausgeschlossen werden.

4. Die Revision war daher mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß Zinsen nur aus dem geltend gemachten Bruttobetrag entsprechenden Nettobetrag geschuldet werden (BAGE 42, 244, 258 f. = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Etzel, Dr. Freitag, Schneider, Wehner, Dr. Knapp

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1083437

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