Entscheidungsstichwort (Thema)

Pfändbarkeit einer Sozialplanabfindung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Auch Sozialplanabfindungen werden als "Arbeitseinkommen" im Sinne von § 850 ZPO von formularmäßig erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen erfaßt. Pfändungsschutz kann der Schuldner insoweit auf Antrag nach § 850i ZPO erlangen (Bestätigung und Fortführung von BAGE 32, 96 = AP Nr 10 zu § 850 ZPO).

2. Den Arbeitgeber trifft im allgemeinen keine Fürsorgepflicht, den Arbeitnehmer über die Möglichkeit eines Vollstreckungsschutzantrages nach § 850i ZPO zu belehren. Insoweit ist allein das Rechtsverhältnis des Arbeitnehmers zu dessen Gläubigern betroffen, für das der Arbeitgeber keine Schutzpflichten hat.

 

Normenkette

ZPO §§ 850i, 850 c; BetrVG § 112

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 28.09.1990; Aktenzeichen 12 Sa 532/90)

ArbG Dortmund (Entscheidung vom 17.11.1989; Aktenzeichen 1 Ca 3441/89)

 

Tatbestand

Die Klägerin war bei der Beklagten vom 1. Januar 1988 bis zur Stillegung des Betriebs am 31. August 1989 als Lagerarbeiterin beschäftigt. Aus einem anläßlich der Betriebsstillegung zwischen dem Betriebsrat und der Beklagten vereinbarten Sozialplan stand der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe von 12.716,66 DM zu.

Durch Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, die der Beklagten am 27. Oktober 1988 und 11. November 1988 zugestellt wurden, wurde die angebliche Forderung der Klägerin gegen die Beklagte auf "Zahlung des gesamten Arbeitseinkommens" bzw. auf "Zahlung aller sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Bezüge ..., und zwar das Arbeitseinkommen (ohne Rücksicht auf dessen Benennung oder Berechnungsart) einschließlich der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle ..., des Geldwertes von Sachbezügen, sowie der Bezüge zum Ausgleich für Wettbewerbsbeschränkungen für die Zeit nach Beendigung des Dienstverhältnisses ..." gepfändet und den Gläubigern zur Einziehung überwiesen.

Die Beklagte zahlte im August 1989 entsprechend den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen einen Betrag von insgesamt mindestens 11.057,37 DM an die Gläubiger der Klägerin. Darüber hinaus wurde der Klägerin ein Betrag in Höhe von 43,-- DM als Kosten der Lohnpfändung in Abzug gebracht. Nach Verrechnung mit einem Vorschuß von 1.000,-- DM zahlte die Beklagte an die Klägerin gemäß einer Lohnabrechnung vom August 1989 einen Betrag in Höhe von 1.260,90 DM aus.

Die Klägerin meint, sie habe einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung des noch nicht an sie geleisteten Restbetrags der Sozialplanabfindung in unstreitiger Höhe von 11.099,82 DM. Die Zahlung an ihre Gläubiger sei keine Erfüllung, da die Pfändung des Abfindungsanspruchs unwirksam sei. Die Abfindung stelle im übrigen kein Arbeitseinkommen im Sinne von § 850 ZPO dar und werde daher von den formularmäßigen Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen nicht erfaßt. Jedenfalls habe sie einen Anspruch auf Schadenersatz in Höhe des Klagebetrags. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, sie vor Auszahlung der Beträge an ihre Gläubiger auf die Möglichkeit der Stellung eines Pfändungsschutzantrags nach § 850 i ZPO hinzuweisen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin

11.099,82 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem

1. September 1989 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie meint, der Abfindungsanspruch der Klägerin sei durch die Zahlung an die Pfändungsgläubiger der Klägerin durch Erfüllung erloschen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage mit Recht abgewiesen. Die Klägerin kann von der Beklagten nicht die Zahlung von 11.099,82 DM netto nebst Zinsen verlangen. Denn der Anspruch der Klägerin auf Zahlung dieses Betrags ist zugunsten der Pfändungsgläubiger der Klägerin gepfändet worden und durch Zahlung an diese erloschen (vgl. § 835 ZPO).

Die Sozialplanabfindung ist durch die beiden Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, die sich auf das "Arbeitseinkommen" der Klägerin erstreckten, gepfändet worden. Zum "Arbeitseinkommen" gehört auch die Sozialplanabfindung. Was unter "Arbeitseinkommen" im Sinne der Pfändungsvorschriften zu verstehen ist, ist in § 850 ZPO geregelt. Nach § 850 Abs. 2 ZPO sind Arbeitseinkommen im Sinne der §§ 850 bis 850 i ZPO "die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten, Arbeits- und Dienstlöhne, Ruhegelder und ähnliche nach dem einstweiligen oder dauernden Ausscheiden aus dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis gewährte fortlaufende Einkünfte, ferner Hinterbliebenenbezüge sowie sonstige Vergütungen für Dienstleistungen aller Art, die die Erwerbstätigkeit des Schuldners vollständig oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen". Hierbei erfaßt die Pfändung des Arbeitseinkommens "alle Vergütungen, die dem Schuldner aus der Arbeits- oder Dienstleistung zustehen, ohne Rücksicht auf ihre Benennung oder Berechnungsart" (§ 850 Abs. 4 ZPO). Hiervon werden auch Sozialplanabfindungen erfaßt.

Die Vorschriften über den Lohnpfändungsschutz (§§ 850 a bis 850 i ZPO) wollen den Lebensunterhalt, die Existenz des Schuldners sichern, indem sie bestimmen, daß dem Schuldner ein Teil der gepfändeten Forderungen verbleiben soll. Dem Lebensunterhalt des Arbeitnehmers dienen in der Regel alle Bezüge, die er vom Arbeitgeber erhält. Deshalb ist es gerechtfertigt, als "Arbeitseinkommen" im Sinne von § 850 ZPO nicht nur den eigentlichen Arbeitslohn, sondern auch alle sonstigen sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Entgeltansprüche des Arbeitnehmers anzusehen. Wenn das Gesetz durch Pfändbarkeits- und Unpfändbarkeitsregelungen zum Arbeitseinkommen ausdrücklich auch Bezüge zählt, die nicht als unmittelbares Arbeitsentgelt für eine bestimmte Arbeit anzusehen sind, zum Beispiel Treueprämien, Weihnachtsgratifikationen (vgl. § 850 a ZPO) oder Karenzentschädigungen für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. § 850 Abs. 3 ZPO), so läßt sich auch die Sozialplanabfindung unter den Begriff "Arbeitseinkommen" im Sinne von § 850 ZPO einordnen. Dies wird auch dem Zweck der Vorschrift des § 832 ZPO gerecht. Danach erstreckt sich bei der Pfändung einer Gehaltsforderung oder einer ähnlichen in fortlaufenden Bezügen bestehenden Forderung das Pfandrecht "auch auf die nach der Pfändung fällig werdenden Beträge". Aus dieser Regelung läßt sich das Bestreben des Gesetzgebers entnehmen, mit einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, der sich auf Arbeitseinkommen bezieht, möglichst umfassend alle in Betracht kommenden Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zu erfassen.

Die Sozialplanabfindung nach § 112 BetrVG gehört ebenso wie die Kündigungsabfindung nach §§ 9, 10 KSchG zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis, weil sie gerade wegen seiner Beendigung vom Arbeitgeber gezahlt wird. Es ist deshalb unerheblich, daß sie kein unmittelbares Arbeitsentgelt, keinen Ersatz für ein Arbeitsentgelt und auch keinen sonstigen Schadenersatz darstellt. Entscheidend ist vielmehr, daß sie - wie sonstige Geldleistungen des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis - der Sicherung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers und seiner Familie dient. Dies rechtfertigt es, die Abfindung den Pfändungsvorschriften der §§ 850 a ff. ZPO zu unterwerfen und dem Arbeitnehmer gegebenenfalls den Pfändungsschutz des § 850 i ZPO zu gewähren, während ein Pfändungsschutz nach § 850 c ZPO nicht in Betracht kommt, weil die Abfindung nicht zum laufenden Arbeitsentgelt gehört, das für einen bestimmten Zeitraum gezahlt wird. Voraussetzung für den Pfändungsschutz ist aber gerade, daß die Abfindung zum Arbeitseinkommen gehört und damit grundsätzlich von entsprechenden Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen erfaßt wird. Diese Grundsätze hat der Senat - für Kündigungsabfindungen - bereits im Urteil vom 12. September 1979 (BAGE 32, 96 = AP Nr. 10 zu § 850 ZPO) aufgestellt. Daran ist festzuhalten. Das Schrifttum stimmt der Senats rechtsprechung zu (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 49. Aufl., § 850 i Rz 2; KR-Becker, 3. Aufl., § 10 KSchG Rz 17; Boewer/Bommermann, Lohnpfändung und Lohnabtretung in Recht und Praxis, 1987, S. 164 Rz 401; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., Bd. 2, § 112 Rz 134; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 16. Aufl., § 113 Rz 26; Fabricius, GK-BetrVG, 4. Aufl., Bd. 2, §§ 112, 112 a BetrVG Rz 224; Herschel, SAE 1980, 168; Hess/Knörig, Das Arbeitsrecht bei Sanierung und Konkurs, 1991, A, S. 73 Rz 188; Knorr/Bichlmeier/Kremhelmer, Handbuch des Kündigungsrechts, 3. Aufl. 1991, S. 496 Rz 112; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 92 II 2, S. 593; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 5. Aufl. 1991, S. 438 Rz 1220; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 20. Aufl., § 850 Rz 52; Stöber, Forderungspfändung, 9. Aufl., S. 614 f. Rz 1234; Thomas/Putzo, ZPO, 17. Aufl., § 850 Rz 2; Walchshöfer, Anm. zu BAG AP Nr. 10 zu § 850 ZPO; Weller, Arbeitsrechts-Blattei, D-Blatt, Sozialplan I, G I; Zöller, ZPO, 16. Aufl., § 850 Rz 15).

Pfändungsschutz nach § 850 i ZPO steht der Klägerin im vorliegenden Fall jedoch nicht zu. Denn dies erfordert einen Antrag beim Vollstreckungsgericht, den die Klägerin nicht gestellt hat.

Der Abfindungsanspruch der Klägerin ist nicht nach § 851 ZPO unpfändbar. Selbst wenn es sich bei der Abfindung um eine nach § 399 BGB nicht übertragbare Forderung handeln würde, was sehr zweifelhaft erscheint, ist sie nach § 851 Abs. 2 ZPO pfändbar. Denn der geschuldete Gegenstand, die Geldforderung in Höhe der festgesetzten Abfindung, ist der Pfändung unterworfen.

Entgegen der Auffassung der Revision ist es mit der Pfändbarkeit der Abfindung durchaus vereinbar, daß sie nach der Senatsrechtsprechung und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterliegt (vgl. BAGE 60, 127 = AP Nr. 6 zu § 10 KSchG 1969; BSG Urteil vom 21. Februar 1990 - 12 RK 20/88 - NZA 1990, 751). Die Beitragspflicht zur Sozialversicherung ist zu verneinen, weil sich die Abfindung nicht einem bestimmten Zeitraum während des Arbeitsverhältnisses zuordnen läßt. Für die Pfändbarkeit der Abfindung ist dies aber ohne Bedeutung. Insoweit ist gerade entscheidend, daß sie dem Lebensunterhalt des Arbeitnehmers nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses dient. Aus dem gleichen Grund ist unerheblich, daß die Abfindung keine bevorrechtigte Konkursforderung nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 a KO darstellt. Denn sie läßt sich nicht einem bestimmten Zeitraum während des Arbeitsverhältnisses ("für das letzte Jahr vor der Eröffnung des Verfahrens") zuordnen.

Ob die Beklagte 43,-- DM zu Recht oder zu Unrecht an einen Pfändungsgläubiger gezahlt oder wegen eigener Bearbeitungskosten für sich einbehalten hat, kann dahingestellt bleiben. Die 43,-- DM fallen in jedem Fall unter den gepfändeten Lohn, so daß nur ein Pfändungsgläubiger auf Zahlung klagen könnte.

Eine Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin über die vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe aufzuklären, besteht nicht. Die Klägerin als Schuldnerin wird gemäß § 829 Abs. 2 ZPO über die Zustellung von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen an den Drittschuldner (Arbeitgeber) unterrichtet. Es ist dann ihre Sache, hiergegen in Betracht kommende Rechtsbehelfe zu ergreifen. Der Rechtsbehelf (hier: Vollstreckungsschutz nach § 850 i ZPO) betrifft nicht unmittelbar das Rechtsverhältnis der Parteien, sondern nur das Rechtsverhältnis der Klägerin als Arbeitnehmerin zu ihrem Gläubiger (Pfändungsgläubiger). Für dieses Rechtsverhältnis trifft den Arbeitgeber keine Fürsorgepflicht. Im übrigen ist es zweifelhaft, ob der Klägerin durch die Zahlung der Beklagten an Pfändungsgläubiger überhaupt ein Schaden entstanden ist, da in Höhe der von der Beklagten geleisteten Zahlungen die Schuld der Klägerin getilgt wurde.

Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Schaub Schneider Dr. Etzel

Koerner Müller-Tessmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 439054

BAGE 69, 29-34 (LT1-2)

BAGE, 29

BB 1992, 358

BB 1992, 358-359 (LT1-2)

DB 1992, 585-586 (LT1-2)

NJW 1992, 1646

NJW 1992, 1646 (L)

EBE/BAG 1992, 26-27 (LT1-2)

EWiR 1992, 413 (L)

KTS 1992, 288-291 (LT1-2)

NZA 1992, 384

NZA 1992, 384-386 (LT1-2)

RdA 1992, 158

ZAP, EN-Nr 478/92 (S)

ZIP 1992, 494

ZIP 1992, 494-496 (LT)

ZKF 1993, 40 (LT)

AP § 850 ZPO (LT1-2), Nr 13

AR-Blattei, ES 1130 Nr 70 (LT1-2)

AuA 1992, 222 (LT1)

EzA § 850 ZPO, Nr 4 (LT1-2)

KKZ 1992, 158-160 (ST)

MDR 1992, 590 (LT1-2)

Rpfleger 1992, 442-443 (LT1-2)

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