Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilnahme von Gewerkschaftsbeauftragten an Betriebsratssitzungen. Wirksamkeit einer Regelung in der Geschäftsordnung des Betriebsrates, nach der Gewerkschaftsbeauftragte generell an den Sitzungen des Betriebsrats teilnehmen dürfen

 

Leitsatz (amtlich)

Der Betriebsrat kann in seiner Geschäftsordnung regeln, daß den im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften ein generelles Teilnahmerecht an den Betriebsratssitzungen zusteht.

 

Normenkette

BetrVG §§ 31, 30 S. 4, §§ 36, 2 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Beschluss vom 05.01.1989; Aktenzeichen 13 TaBV 92/88)

ArbG Wesel (Beschluss vom 03.05.1988; Aktenzeichen 1 BV 11/88)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der antragstellenden Arbeitgeberin wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 5. Januar 1989 – 13 TaBV 92/88 – teilweise aufgehoben und wie folgt gefaßt:

Auf die Beschwerde des beteiligten Betriebsrats wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Wesel vom 3. Mai 1988 – 1 BV 11/88 – abgeändert:

  • Es wird festgestellt, daß § 3 Ziff. 5 der Geschäftsordnung des Betriebsrats in der Fassung vom 5. Januar 1988 unwirksam ist, soweit darin nicht nur den Beauftragten der im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften, sondern darüber hinaus auch den Beauftragten von nur im Betrieb vertretenen Gewerkschaften das Recht eingeräumt wird, an den Sitzungen des Betriebsrats mit beratender Stimme teilzunehmen.
  • Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat (Beteiligter zu 2) in der Geschäftsordnung den Gewerkschaftsbeauftragten ein generelles Recht zur Teilnahme an Betriebsratssitzungen einräumen darf.

Der beim antragstellenden Arbeitgeber gebildete Betriebsrat gab sich im Anschluß an die Betriebsratswahl 1987 durch Beschluß vom 5. Januar 1988 eine Geschäftsordnung. § 3 Ziff. 5 der Geschäftsordnung enthält folgende Regelung:

“§ 3) Betriebsratssitzungen.

  • Gewerkschaftsvertreter.

    Die Vertreter der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften haben das Recht, an den Sitzungen des BR mit beratender Stimme teilzunehmen. Den Gewerkschaften sind der Zeitpunkt der zusätzlichen Sitzungen und die Tagesordnung rechtzeitig mitzuteilen.”

Der Arbeitgeber sieht in dieser Regelung einen Verstoß gegen § 31 BetrVG und hat deshalb das vorliegende Beschlußverfahren eingeleitet. Er ist der Ansicht, eine Geschäftsordnung nach § 36 BetrVG dürfe keine derartige Bestimmung enthalten. § 31 BetrVG stelle eine abschließende Sonderregelung dar. Außerdem sei die Einräumung eines generellen Teilnahmerechts für Gewerkschaftsbeauftragte nicht mit dem Sinn und Zweck von § 31 BetrVG vereinbar. Danach solle stets nur im Einzelfall ein Vertreter einer bestimmten, sachlich angesprochenen Gewerkschaft zu einem konkreten Beratungsgegenstand hinzugezogen werden können. Der Grundsatz der institutionellen Unabhängigkeit des Betriebsrats von den Gewerkschaften werde ausgehöhlt, wenn der Betriebsrat sich seines Initiativrechts begeben könnte, für jede einzelne Betriebsratssitzung die Hinzuziehung eines Gewerkschaftsbeauftragten zu beschließen.

Der Arbeitgeber hat beantragt

festzustellen, daß § 3 Ziff. 5 der Geschäftsordnung des Betriebsrates in der Fassung vom 5. Januar 1988 unwirksam ist.

Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er ist der Auffassung, schon der Wortlaut des § 31 BetrVG ermögliche eine Hinzuziehung von Gewerkschaftsbeauftragten generell zu “den Sitzungen” des Betriebsrates. Die Vorschrift stelle eine besondere Ausformung des allgemeinen Gebotes der Zusammenarbeit zwischen dem Betriebsrat und den Gewerkschaften dar (§ 2 BetrVG). Es solle grundsätzlich auch Minderheiten möglich sein, in Betriebsratssitzungen die Hilfe von Gewerkschaften in Anspruch zu nehmen. Die konkrete Ausgestaltung des Teilnahmerechts sei jedoch den Betriebsratsmitgliedern überlassen. Eine Selbstbindung des Betriebsrates trete hier nicht ein, da Änderungen der Geschäftsordnung jederzeit gemäß § 36 BetrVG möglich seien.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Arbeitgebers stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat den erstinstanzlichen Beschluß aufgehoben und den Antrag zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der antragstellende Arbeitgeber sein ursprüngliches Begehren weiter. Der Betriebsrat beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist teilweise begründet. Die Regelung in § 3 Ziff. 5 der Geschäftsordnung des Betriebsrates in der Fassung vom 5. Januar 1988 ist insoweit unwirksam, als darin nicht nur den Beauftragten der im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften, sondern darüberhinaus auch den Beauftragten von nur im Betrieb vertretenen Gewerkschaften das Recht eingeräumt wird, an den Sitzungen des Betriebsrates mit beratender Stimme teilzunehmen. Im übrigen ist die Rechtsbeschwerde unbegründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Vorschrift des § 31 BetrVG enthalte kein gesetzliches Verbot für eine Regelung in der Geschäftsordnung des Betriebsrates, in der den Beauftragten der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ein generelles Teilnahmerecht an den Betriebsratssitzungen eingeräumt wird. Zwar deute der Wortlaut des § 31 BetrVG darauf hin, daß der Gesetzgeber von einer nur einzelfallbezogenen Hinzuziehung von Gewerkschaftsbeauftragten ausgegangen sei. Eine tragfähige Begründung für die Auffassung, Gewerkschaftsbeauftragte dürften nur von Fall zu Fall zu Betriebsratssitzungen eingeladen werden, sei aber nicht ersichtlich. Die Vorschrift des § 31 BetrVG sehe nicht vor, daß die Gewerkschaften nur zu bestimmten Beratungsgegenständen oder in sonstiger Weise eingeschränkt zu Betriebsratssitzungen hinzugezogen werden könnten. Die Beschlußfassung eines Viertels der Mitglieder oder der Mehrheit einer Gruppe des Betriebsrates sei nicht von bestimmten Voraussetzungen abhängig.

Der Grundsatz der institutionellen Selbständigkeit des Betriebsrates werde durch ein in der Geschäftsordnung enthaltenes generelles Teilnahmerecht von Gewerkschaftsbeauftragten an Betriebsratsssitzungen nicht stärker berührt als durch wiederholte Einladungen gemäß § 31 BetrVG. Im übrigen sei zu berücksichtigen, daß die Gewerkschaftsbeauftragten lediglich mit beratender Funktion an den Betriebsratssitzungen teilnehmen dürften.

II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten nur teilweise einer rechtlichen Überprüfung stand.

1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, daß § 31 BetrVG nur für Beauftragte einer im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaft unter den dort geregelten Voraussetzungen ein Teilnahmerecht an Betriebsratssitzungen vorsieht. In § 3 Ziff. 5 der Geschäftsordnung ist demgegenüber geregelt, daß “die Vertreter der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften das Recht haben, an den Sitzungen des Betriebsrates mit beratender Stimme teilzunehmen”. Eine derartige Ausdehnung des teilnahmeberechtigten Personenkreises widerspricht der insofern zwingenden Vorschrift des § 31 BetrVG mit der Folge, daß § 3 Ziff. 5 der Geschäftsordnung des Betriebsrates insoweit unwirksam ist. Die Beschränkung des teilnahmeberechtigten Personenkreises auf Gewerkschaftsseite ist in § 31 BetrVG zwar nur für den Fall angeordnet, daß einem Beauftragten einer im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaft aufgrund eines Antrages von einem Viertel der Mitglieder oder der Mehrheit einer Gruppe des Betriebsrates das Recht eingeräumt wird, an Betriebsratssitzungen beratend teilzunehmen. Weder aus § 31 BetrVG noch aus der die Geschäftsordnung des Betriebsrates regelnden Vorschrift des § 36 BetrVG läßt sich aber entnehmen, daß der Gesetzgeber dem Betriebsrat die Kompetenz einräumen wollte, durch eine entsprechende Regelung in der Geschäftsordnung den Kreis der teilnahmeberechtigten Gewerkschaftsbeauftragten über die in § 31 BetrVG festgelegten Schranken zu erweitern. Eine Ausdehnung des Teilnahmerechts auf alle im Betrieb vertretenen Gewerkschaften hätte der Gesetzgeber ausdrücklich anordnen müssen, wie dies etwa bei der Regelung des Teilnahmerechts der Gewerkschaften an Betriebsoder Abteilungsversammlungen (§ 46 Abs. 1 BetrVG) geschehen ist.

Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, ist es geboten, die in § 31 BetrVG festgelegte Begrenzung des teilnahmeberechtigten Kreises der Gewerkschaftsbeauftragten auch in Fällen der hier vorliegenden Art für zwingend zu erachten. Für eine differenzierte Abgrenzung des teilnahmeberechtigten Personenkreises nach dem jeweiligen Stimmenanteil (Viertel der Mitglieder oder der Mehrheit einer Gruppe des Betriebsrats in den Fällen des § 31 BetrVG bzw. Mehrheit der Stimmen der Betriebsratsmitglieder bei einer entsprechenden Regelung in der Geschäftsordnung gemäß § 36 BetrVG) bietet das Gesetz keinen Anhaltspunkt. Die in § 31 BetrVG enthaltene legislative Grundwertung, nur den im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften ein Teilnahmerecht an den Betriebsratssitzungen einzuräumen, ist daher nicht nur für eine Minderheit (= Viertel der Mitglieder) bzw. für die Mehrheit einer Gruppe, sondern auch für den Betriebsrat als Organ verbindlich, und zwar unabhängig davon, ob die Hinzuziehung des Gewerkschaftsbeauftragten auf einem mit einfacher oder mit absoluter Mehrheit gefaßten Beschluß beruht.

Für eine derartige Beurteilung sprechen auch Sinn und Zweck des § 31 BetrVG. Die Einschränkung des teilnahmeberechtigten Personenkreises auf die Beauftragten einer im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaft dient primär dem Zweck, den gewerkschaftlich organisierten Betriebsräten die Möglichkeit einzuräumen, sich in ihrer Betriebsratsarbeit durch Beauftragte ihrer Gewerkschaft unterstützen zu lassen. Bei einer zwar im Betrieb, aber nicht im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaft kommt eine derartige Unterstützungsfunktion nicht in Betracht, denn es fehlt in derartigen Fällen an einem die Unterstützung begehrenden Ansprechpartner im Betriebsrat.

Wegen des insoweit zwingenden Charakters des § 31 BetrVG (vgl. Wiese, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 31 Rz 13; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 16. Aufl., § 31 Rz 11; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 31 Rz 4) ist § 3 Ziff. 5 der Geschäftsordnung des Betriebsrates unwirksam, soweit darin nicht nur den Beauftragten der im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften, sondern darüber hinaus auch den Beauftragten von nur im Betrieb vertretenen Gewerkschaften das Recht eingeräumt wird, an den Sitzungen des Betriebsrates mit beratender Stimme teilzunehmen.

2. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist dagegen im übrigen unbegründet.

Der Betriebsrat ist berechtigt, in einer Geschäftsordnung zu bestimmen, daß den Beauftragten der im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften ein generelles Teilnahmerecht an den Betriebsratssitzungen zusteht. Die Vorschrift des § 31 BetrVG steht einer derartigen Regelung nicht entgegen.

a) In der Literatur ist streitig, ob sich das Antragsrecht des § 31 BetrVG nur auf eine oder mehrere bestimmte Sitzungen des Betriebsrats bezieht oder ob es auch gegenständlich und zeitlich unbegrenzt, d. h. generell ausgeübt werden kann. Die Autoren, die sich gegen ein generelles Antragsrecht eines Viertels der Mitglieder oder der Mehrheit einer Gruppe des Betriebsrats aussprechen, begründen ihre Auffassung zumeist damit, daß die Einräumung eines generellen Teilnahmerechts der im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften einen Verstoß gegen das Prinzip der Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzungen (§ 30 Satz 4 BetrVG) sowie eine Verletzung des Grundsatzes der institutionellen Unabhängigkeit des Betriebsrats darstelle (vgl. etwa Wiese, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 31 Rz 19; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 31 Rz 11; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 31 Rz 7; Stege/Weinspach, BetrVG, 6. Aufl., § 31 Rz 1; Hohn, Zutrittsrechte Dritter zum Betrieb, S. 27 f.; Brecht, BetrVG, § 31 Rz 5; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 31 Rz 7; Löwisch, BetrVG, 2. Aufl., § 31 Rz 1; Hunold, AR-Blattei, Betriebsverfassung X unter C II 2; Sahmer, BetrVG, Stand: August 1989, § 31 Rz 5). Teilweise wird auch die Auffassung vertreten, daß zwar die in § 31 BetrVG erwähnten Minderheiten nicht das Recht hätten, die generelle Hinzuziehung von Gewerkschaftsbeauftragten zu beantragen, der Betriebsrat könne aber durch Beschluß (z. B. in der Geschäftsordnung) eine generelle Hinzuziehung von Gewerkschaftsbeauftragten festlegen (vgl. etwa Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 16. Aufl., § 31 Rz 4; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 31 Rz 5 und 7; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 31 Rz 3; Kremp, AuR 1973, 193, 196; G. Müller, ZfA 1972, 213, 227).

b) Der vorliegende Rechtsstreit bietet keine Veranlassung, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Gewerkschaftsbeauftragte zu Sitzungen von Betriebsratsausschüssen hinzugezogen werden können. Dies gilt insbesondere für die Teilnahme von Gewerkschaftsbeauftragten an Sitzungen des Wirtschaftsausschusses (vgl. hierzu BAG Beschluß vom 18. November 1980, BAGE 34, 260 = AP Nr. 2 zu § 108 BetrVG 1972 und BAG Beschluß vom 25. Juni 1987, BAGE 55, 386 = AP Nr. 6 zu § 108 BetrVG 1972). Es kann daher dahingestellt bleiben, ob an der vom Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts im Beschluß vom 25. Juni 1987 (aaO) vertretenen Auffassung, nach der die Teilnahme eines Gewerkschaftsbeauftragten jeweils nur für eine bestimmte Sitzung des Wirtsschaftsausschusses beschlossen werden kann, festzuhalten ist. Es bedarf insbesondere keiner Entscheidung der Frage, ob die besondere Funktion des Wirtschaftsausschusses der generellen Einräumung eines Teilnahmerechts von Gewerkschaftsbeauftragten entgegensteht (so BAG Beschluß vom 25. Juni 1987, aaO, unter II 4b der Gründe). Im Streitfall hat der Senat nur darüber zu entscheiden, ob der Betriebsrat befugt ist, in seiner Geschäftsordnung zu bestimmen, daß die im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften generell ein Teilnahmerecht an den Betriebsratssitzungen haben. Diese Frage hat das Landesarbeitsgericht zu Recht bejaht. Die Zulässigkeit einer Geschäftsordnungsregelung, durch die den im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften generell ein Teilnahmerecht an Betriebsratssitzungen eingeräumt wird, ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:

c) Das Gesetz regelt in § 31 BetrVG im Interesse des Minderheiten- und Gruppenschutzes nur einen Sonderfall der Teilnahme von Gewerkschaftsbeauftragten an Betriebsratssitzungen. Im Dritten Abschnitt des Betriebsverfassungsgesetzes, der sich mit der Geschäftsführung des Betriebsrats befaßt, findet sich einerseits keine Vorschrift, die ausdrücklich bestimmt, daß der Betriebsrat mit einfacher oder absoluter Mehrheit die Teilnahme von Gewerkschaftsbeauftragten an Betriebsratssitzungen beschließen kann. Das Gesetz enthält andererseits auch kein entsprechendes Verbot. Die Vorschrift des § 31 BetrVG stellt insoweit eine Ausnahmeregelung dar, als bereits einer Minderheit des Betriebsrats (= ein Viertel der Mitglieder) sowie der Mehrheit einer Gruppe des Betriebsrates in Abweichung von der nach § 33 BetrVG für Betriebsratsbeschlüsse erforderlichen einfachen und von der für Geschäftsordnungsregelungen nach § 36 BetrVG notwendigen absoluten Mehrheit das Recht eingeräumt wird, die Unterstützung der im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften in Anspruch zu nehmen. Für die Annahme, daß dem Betriebsrat als Organ geringere Rechte im Hinblick auf eine Hinzuziehung von Gewerkschaftsbeauftragten zu seinen Sitzungen zustehen sollen als den in § 31 BetrVG erwähnten Teilen des Betriebsrats, bietet das Gesetz keine Anhaltspunkte. Die Vorschrift des § 31 BetrVG hat keinen abschließenden Charakter in dem Sinne, daß hier umfassend die Teilnahmerechte der Gewerkschaften an Betriebsratssitzungen geregelt werden. Diese Bestimmung ist lediglich Ausdruck des dort verankerten Minderheiten- und Gruppenschutzes. Sie stellt jedoch keine Norm dar, die eine Begrenzung der Kompetenzen des Gesamtorgans bezweckt. Der Betriebsrat kann daher die in § 31 BetrVG geregelten Minderheiten- und Gruppenrechte auch als Organ in Anspruch nehmen, indem er entweder mit einfacher Mehrheit (§ 33 Abs. 1 BetrVG) oder mit absoluter Mehrheit (§ 36 BetrVG) die Teilnahme von im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften an Betriebsratssitzungen beschließt.

d) Besitzt somit der Betriebsrat als Organ ebenfalls das in § 31 BetrVG den dort genannten Teilen des Betriebsrates eingeräumte Recht auf Hinzuziehung von Gewerkschaftsbeauftragten zu Betriebsratssitzungen, bedarf es im Streitfall zugleich der Entscheidung über Inhalt und Grenzen der dort geregelten Minderheiten- und Gruppenrechte.

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde enthält § 31 BetrVG keine Beschränkung des Antragsrechts auf eine bestimmte oder mehrere bestimmte Sitzungen des Betriebsrates. Die dort bezeichnete Minderheit sowie die Mehrheit einer Gruppe des Betriebsrates können vielmehr nicht nur von Fall zu Fall, sondern generell die Hinzuziehung von Gewerkschaftsbeauftragten beantragen. Ein derartiges generelles Antragsrecht ergibt sich aus den folgenden Gründen:

aa) Der Wortlaut des § 31 BetrVG enthält keinerlei Hinweise darauf, daß sich das Antragsrecht auf eine oder auf mehrere bestimmte Sitzungen beziehen muß. Im ersten Halbsatz des § 31 BetrVG ist nur von “Sitzungen” die Rede. Auch aus dem Umstand, daß im zweiten Halbsatz des § 31 BetrVG im Zusammenhang mit der Einladung die Singularformulierungen “in diesem Fall” sowie “Sitzung” verwendet werden, ergibt sich keine Beschränkung des Antragsrechts auf bestimmte Sitzungen. Eine derartige Begrenzung hätte im Gesetzeswortlaut eindeutig zum Ausdruck kommen müssen, z. B. in der Weise, daß im ersten Halbsatz des § 31 BetrVG ein nur von “Fall zu Fall” (so die Formulierung in § 35 PersVG 1955) auszuübendes Antragsrecht angeordnet worden wäre. Der Gesetzeswortlaut enthält keine gegenständliche oder zeitliche Beschränkung des Antragsrechts. Die im zweiten Halbsatz des § 31 BetrVG benutzten Singularformulierungen lassen sich damit erklären, daß Termin und Tagesordnung auch bei einem generell bestehenden Teilnahmerecht in der Regel nur jeweils für eine bestimmte Sitzung mitgeteilt werden können.

bb) Aus der Entstehungsgeschichte des § 31 BetrVG ergeben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber das Antragsrecht jeweils nur auf eine oder mehrere bestimmte Sitzungen beschränken wollte.

Die Vorschrift des § 31 BetrVG geht zurück auf die Regelung in § 31 Abs. 1 BRG 1920. Danach war auf Antrag von einem Viertel der Mitglieder des Betriebsrats je ein Beauftragter der im Betriebsrat vertretenen wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitnehmer zu den Sitzungen mit beratender Stimme hinzuzuziehen. Damals stand die Kommentarliteratur auf dem Standpunkt, daß auch ein zeitlich unbeschränkter Antrag zulässig sei (vgl. etwa Flatow, BRG, 12. Aufl. 1927, § 31 Anm. 3; Kieschke/Syrup/Krause, BRG, 6. Aufl. 1928, § 31 Anm. 5; Rohrbeck/Schönfeld/Golm, BRG, 2. Aufl. 1922, § 31 Anm. 4; Dersch, BRG, 6. Aufl. 1923, § 31 Anm. 2a).

Anläßlich der Verabschiedung des BetrVG 1952 wurde die Zulässigkeit eines generellen Antragsrechts nicht erörtert. Der Regierungsentwurf sah in § 33 die folgende Regelung vor: “Der Betriebsrat kann beschließen, daß je ein Beauftragter der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften berechtigt ist, an den Betriebsratssitzungen mit beratender Stimme teilzunehmen” (BT-Drucks. 1/1546, S. 12). Der Arbeitskreis der Bundestagsausschüsse für Arbeit und für Wirtschaftspolitik einigte sich in seiner 6. Sitzung vom 3. Januar 1951 auf die später als § 31 BetrVG 1952 Gesetz gewordene Fassung. Diese Vorschrift lautete wie folgt: “Auf Antrag von einem Viertel der Mitglieder des Betriebsrats ist ein Beauftragter einer im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaft zu den Sitzungen mit beratender Stimme hinzuzuziehen”.

Die Vorschrift des § 31 wurde durch das BetrVG 1972 geringfügig geändert. Der Minderheitenschutz wurde durch den Gruppenschutz ergänzt. Außerdem wurde der zweite Halbsatz als Folgeregelung angefügt, um eine ordnungsgemäße Vorbereitung der Gewerkschaftsbeauftragten sicherzustellen (Begründung des Regierungsentwurfs vom 29. Januar 1971, BT-Drucks. 6/1786, S. 40). Die Frage eines nur punktuellen oder generellen Antragsrechts wurde während des Gesetzgebungsverfahrens nicht erörtert.

cc) Auch aus der Systematik des Gesetzes läßt sich kein eindeutiger Hinweis dafür entnehmen, daß sich das Antragsrecht des § 31 BetrVG jeweils nur auf eine oder mehrere bestimmte Sitzungen beziehen soll.

Bei der Vorschrift des § 31 BetrVG handelt es sich um eine legislative Durchbrechung des in § 30 Satz 4 BetrVG festgelegten Prinzips der Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzungen. Die Hinzuziehung von Gewerkschaftsbeauftragten zu Betriebsratssitzungen stellt zugleich eine Konkretisierung der in § 2 Abs. 1 BetrVG anerkannten Unterstützungsfunktion der Gewerkschaften im Rahmen der Betriebsverfassung dar. Die institutionelle Unabhängigkeit des Betriebsrats wird bei einem generellen Antragsrecht nicht stärker eingeschränkt als bei einem ständig ausgeübten Antragsrecht.

Die in § 31 BetrVG enthaltene Durchbrechung des Prinzips der Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzungen wird vom Gesetz dadurch abgemildert, daß auch die Gewerkschaftsbeauftragten, die an Betriebsratssitzungen teilnehmen, gemäß § 79 Abs. 2 BetrVG der Geheimhaltungspflicht unterliegen. Das Gesetz sieht somit in den im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften keine Dritte im eigentlichen Sinne (z. B. Pressevertreter), sondern bezieht sie in die Betriebsverfassung ein. Dies ergibt sich auch aus der in § 31 BetrVG zum Ausdruck gekommenen Unterstützungsfunktion der Gewerkschaften im Rahmen der den Betriebsräten zustehenden gesetzlichen Aufgaben. Das in § 30 Satz 4 BetrVG verankerte Prinzip der Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzungen kann daher nicht gegen eine generelle Ausgestaltung des Antragsrechts angeführt werden, da § 31 BetrVG seinerseits eine Ausnahmeregelung zu § 30 Satz 4 BetrVG darstellt.

dd) Die Zuerkennung eines generellen Antragsrechts verstößt auch nicht gegen Sinn und Zweck des § 31 BetrVG. Die beratende Teilnahme von Gewerkschaftsbeauftragten an den Betriebsratssitzungen dient dem Zweck, den Betriebsrat bei der Wahrnehmung der ihm obliegenden gesetzlichen Aufgaben zu unterstützen. Der Zweck des § 31 BetrVG besteht dagegen nicht in der Abwehr von betriebsfremden Einflüssen auf die vom Betriebsrat im Rahmen der Betriebsverfassung wahrzunehmenden Aufgaben. Für eine derartige Zielsetzung, die eine restriktive Auslegung der Vorschrift gebieten könnte, bietet der Inhalt des § 31 BetrVG keine Anhaltspunkte. Das im Interesse des Minderheiten- und Gruppenschutzes geschaffene Antragsrecht ist vom Gesetzgeber nicht als Abwehrrecht, sondern vielmehr als ein positives Recht ausgestaltet worden, das zum Ziel hat, die Unterstützungsfunktion der Gewerkschaften auch Minderheiten bei der Betriebsratsarbeit zugute kommen zu lassen. Dieser Zielsetzung entspricht es, daß der Gesetzgeber in § 31 BetrVG keine gegenständlichen oder zeitlichen Schranken für die Hinzuziehung von Gewerkschaftsbeauftragten aufgestellt hat. Besonders bei unerfahrenen und noch nicht oder noch nicht ausreichend geschulten Betriebsratsmitgliedern kann eine Dauerunterstützung durch die im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften erforderlich sein. Für den Arbeitgeber wäre es mit erhöhten Kosten verbunden, wenn das Antragsrecht nur von Fall zu Fall ausgeübt werden könnte, da Betriebsratssitzungen unter Umständen nur zu dem Zweck einberufen werden müßten, über die Hinzuziehung von Gewerkschaftsbeauftragten zu beschließen. Die Zuerkennung eines generellen Antragsrechts liegt daher im Regelfall auch im wohlverstandenen Interesse des Arbeitgebers.

e) Bezieht sich somit das in § 31 BetrVG geregelte Antragsrecht nicht nur auf eine bestimmte oder mehrere bestimmte Sitzungen, so bestehen keine Bedenken gegen eine Regelung in der Geschäftsordnung, in der den im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften ein generelles Teilnahmerecht an den Betriebsratssitzungen eingeräumt wird. Ebenso wie ein Viertel der Mitglieder die generelle Hinzuziehung von Gewerkschaftsbeauftragten durch einen zeitlich nicht begrenzten Antrag i. S. des § 31 BetrVG erzwingen kann, steht auch dem Betriebsrat das Recht zu, mit absoluter Mehrheit einen zeitlich nicht begrenzten generellen Beschluß zu fassen. Bei einer solchen Regelung handelt es sich um eine “sonstige Bestimmung über die Geschäftsführung des Betriebsrats” i. S. von § 36 BetrVG. Zu der Geschäftsführung des Betriebsrats gehört auch die Organisation der Betriebsratssitzungen. Der Betriebsrat besitzt daher die Kompetenz, das Teilnahmerecht der im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften näher zu regeln, indem er z. B. gegenständliche oder zeitliche Schranken aufstellt. Die Einräumung eines generellen Teilnahmerechts – ohne jegliche gegenständliche oder zeitliche Grenze – kann ebenfalls in der Geschäftsordnung des Betriebsrates geregelt werden.

 

Unterschriften

Dr. Seidensticker, Schliemann, Dr. Becker, Gnade, Wagner

 

Fundstellen

Haufe-Index 841061

BAGE, 229

BB 1990, 1347

JR 1990, 396

RdA 1990, 192

JuS 1990, 1026

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