Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Mehrarbeit ohne Zustimmung des Betriebsrats

 

Leitsatz (amtlich)

Hat der Arbeitgeber in der Vergangenheit grob gegen seine Pflicht verstoßen, eine Betriebsvereinbarung korrekt durchzuführen, so beseitigt seine Zusicherung, daß in Zukunft ein betriebsvereinbarungswidriges Verhalten unterbleiben werde, noch nicht die Wiederholungsgefahr.

 

Normenkette

BetrVG § 77 Abs. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 3, § 23 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 15.05.1991; Aktenzeichen 2 TaBV 10/90)

ArbG Reutlingen (Beschluss vom 08.10.1990; Aktenzeichen 3 BV 13/90)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom. 15. Mai 1991 – 2 TaBV 10/90 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber besteht im wesentlichen noch Streit über die Dokumentation und Abwicklung von Gleitzeitguthaben sowie über die Abwicklung von tariflicher Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, insbesondere in unvorhergesehenen Fällen.

Der Arbeitgeber stellt Maschinen her und beschäftigt etwa 950 Arbeitnehmer, unter ihnen 320 Angestellte. Er gehört dem Verband der Metallindustrie von Südwürttemberg-Hohenzollern e.V. an. In seinem Betrieb finden die Tarifverträge der Metallindustrie Südwürttemberg-Hohenzollern Anwendung. Er schloß mit dem Betriebsrat am 21. März 1989 eine Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit ab. Unter 1.4 dieser Betriebsvereinbarung ist folgendes geregelt:

“Eine Ansammlung von Gleitzeitguthaben/Gleitzeitschuld kann ohne Abstimmung mit dem Vorgesetzten im Höchstfall 12 Stunden betragen. Der Zeitsaldo wird am Monatsende auf den Folgemonat als Guthaben oder schuld übertragen. Soweit in Abstimmung mit dem Vorgesetzten ein Guthaben über 12 Stunden angesammelt wurde, ist dies im Folgemonat abzubauen.

Alle Fälle, in denen dies nicht gelingt, sind im Abstand von 2 Monaten mit dem Betriebsrat zu beraten. Zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung werden Maßnahmen festgelegt, die bis zum Ablauf von weiteren 4 Monaten spätestens eine Rückführung des Saldoüberhanges ermöglichen.”

Die Arbeitgeberin ist u.a. an den Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte der Metallindustrie in Südwürttemberg-Hohenzollern vom 8. Mai 1990 gebunden. § 8 dieses MTV enthält unter der Überschrift “Abweichende Arbeitszeit” in 8.1.2 folgende Regelung:

“Bei dringenden betrieblichen Erfordernissen kann Mehrarbeit mit Zustimmung des Betriebsrats bis zu 10 Mehrarbeitsstunden in der Woche und bis zu 20 Stunden im Monat vereinbart werden. Durch Betriebsvereinbarung kann für einzelne Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten ein Mehrarbeitsvolumen von mehr als 20 Stunden im Monat zugelassen werden. Eine solche Regelung kann nur für jeweils höchstens 8 Wochen getroffen werden. Bei der Festlegung der Mehrarbeit sind die berechtigten Interessen der betroffenen Beschäftigten zu berücksichtigen. Weitergehende Mehrarbeit kann im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen nur im Einvernehmen mit dem Betriebsrat und nach Genehmigung des Gewerbeaufsichtsamtes aus dringenden Gründen des Gemeinwohls (§ 8 Absatz 2 AZO) oder in außergewöhnlichen Notfällen (§ 14 AZO) verlangt werden. Zwischen den Tarifvertragsparteien besteht Übereinstimmung, daß in dieser Regelung die Möglichkeit der Arbeitszeitverlängerung nach § 6 AZO mit eingeschlossen ist.

Mehrarbeit bis 16 Stunden im Monat kann im einzelnen Fall auch durch bezahlte Freistellung von der Arbeit ausgeglichen werden. Bei mehr als 16 Mehrarbeitsstunden im Monat kann der Beschäftigte die Abgeltung durch bezahlte Freistellung von der Arbeit verlangen, soweit dem nicht dringende betriebliche Belange entgegenstehen. Der Freizeitausgleich hat in den folgenden drei Monaten zu erfolgen. Mehrarbeitszuschläge sind grundsätzlich in Geld zu vergüten.

Protokollnotiz:

Die Tarifvertragsparteien empfehlen, daß überall, wo es möglich ist, Neueinstellungen vorgenommen werden und das Volumen von Mehrarbeit so gering wie möglich gehalten wird.”

Unter 8.5 ist folgendes geregelt:

“Soweit in unvorhergesehenen Fällen Beschäftigte zu Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit herangezogen werden müssen, ist eine unverzügliche nachträgliche Unterrichtung des Betriebsrats erforderlich.”

Zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über die Abwicklung von Mehrarbeit und Gleitzeitguthaben nach einer früheren Betriebsvereinbarung hatten die Beteiligten in einem gerichtlichen Vergleich vom 29. August 1988 (– 3 BV 15/87 – ArbG Reutlingen) vereinbart:

“Die Antragsgegnerin (=Arbeitgeberin) sichert bei dem Anfall unvorhergesehener Fälle von Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit dem Antragsteller (= Betriebsrat) gegenüber zu, daß er grundsätzlich die Arbeiten nur gegenüber der Zusicherung des Freizeitausgleichs anordnet oder entgegennimmt.”

Der Arbeitgeber hatte sich desweiteren gegenüber dem Betriebsrat verpflichtet, diesen über die monatlich im Betrieb angefallene Mehrarbeit und das vorhandene Zeitguthaben zu unterrichten. Zu diesem Zweck erstellt der Arbeitgeber zwei EDV-Listen. Aus der sogenannten Zeitkontenliste sind die monatlichen Arbeitsstunden ohne Mehrarbeitsstunden ersichtlich sowie der Stand des Zeitkontos am Monatsanfang und am Monatsende; insbesondere ist ein evtl. Gleitzeitguthaben ersichtlich. Auf der anderen EDV-Liste werden die in einem Monat geleisteten Mehrarbeitsstunden aufgeführt, sowie, welche Stunden davon zum Freizeitausgleich bestimmt sind und welche ausbezahlt wurden. Der Arbeitgeber hat in den Monaten November 1989 bis März 1990 Gleitzeitguthaben als Mehrarbeit ausbezahlt. Die Zeitkontenlisten wiesen dagegen aus, daß diese Gleitzeit durch Freizeit ausgeglichen wurde.

Im März 1990 leisteten Angestellte insgesamt 998 Überstunden, die der Arbeitgeber ausbezahlt hat. Davon hatte der Betriebsrat nur 356 Stunden genehmigt. Im April 1990 leisteten Angestellte 844 und Arbeiter 297 Überstunden, ohne daß der Betriebsrat dem zugestimmt hätte. Auch von Juli bis Dezember 1990 hat der Arbeitgeber Mehrarbeitsstunden angeordnet bzw. entgegengenommen, ohne den Betriebsrat zu beteiligen, wenn auch in ganz erheblich geringerem Maße.

Nach einem Gespräch zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat am 2. Juli 1990 hat der Arbeitgeber am 20. Juli 1990 eine Anweisung über die Anordnung von Mehrarbeit erlassen, die sich an alle leitenden Angestellten und Abteilungsleiter richtet. Darin heißt es u.a., daß Mehrarbeit ausschließlich anzuordnen ist, wenn sie vorher durch den Betriebsrat genehmigt oder die verweigerte Genehmigung durch eine Einigungsstelle ersetzt worden ist.

Der Betriebsrat will im vorliegenden Verfahren erreichen, daß dem Arbeitgeber aufgegeben wird, in den Zeitkontenlisten, die er monatlich erstellt, gesondert auszuweisen, welcher Teil des Freizeitguthabens durch Freizeitgewährung und welche Teile durch Bezahlung ausgeglichen worden sind. Desweiteren soll dem Arbeitgeber untersagt werden, Gleitzeitguthaben und unvorhergesehen angefallene Mehrarbeitsstunden durch Bezahlung zu tilgen. Hilfsweise begehrt der Betriebsrat, daß dem Arbeitgeber untersagt wird, unvorhergesehene Stunden im Sinne von § 8.5 MTV anzuordnen, ohne vorher mit den Arbeitnehmern eine Vereinbarung darüber getroffen zu haben, daß diese Mehrarbeitsstunden in Freizeit ausgeglichen werden.

Der Betriebsrat hat zur Begründung seines Begehrens insbesondere auf die Betriebsvereinbarung über betriebliche Arbeitszeit vom 21. März 1989 sowie auf die Vergleiche verwiesen, die Arbeitgeber und Betriebsrat im Verfahren – 3 BV 15/87 – vor dem Arbeitsgericht Reutlingen geschlossen haben.

Der Betriebsrat hat vor dem Arbeitsgericht beantragt, dem Arbeitgeber unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 20.000,-- DM für den Fall der Zuwiderhandlung

  • zu untersagen, Gleitzeitguthaben sowie Mehrarbeitszeit aus unvorhergesehener Mehrarbeit nach § 8.5 MTV Südwürttemberg-Hohenzollern, die gemäß Vergleich vor dem Arbeitsgericht Reutlingen vom 29. August 1988 in Freizeit auszugleichen sind, an die Arbeitnehmer auszubezahlen;
  • zu untersagen, Mehrarbeit anzuordnen oder Mehrarbeit entgegenzunehmen, die darauf beruht, daß die im Betrieb oder in den einzelnen Abteilungen anfallende Arbeitszeit mit den vorhandenen Arbeitskräften nicht innerhalb der tariflich geltenden Arbeitszeit bewältigt werden kann, sofern der Antragsteller hierzu nicht seine Zustimmung erteilt hat bzw. dessen Zustimmung durch die Einigungsstelle ersetzt ist;
  • aufzugeben, in den für den Betriebsrat monatlich zu erstellenden Zeitkontenlisten gesondert mitzuteilen, welche Teile des Freizeitguthabens durch Freizeitnahme und welche Teile durch Ausbezahlung von Arbeitsentgelt abgebaut worden sind;
  • aufzugeben, unverzüglich mit dem Betriebsrat in Verhandlungen einzutreten, um Maßnahmen zu beraten, die geeignet sind, über 12 Stunden hinausgehende Gleitzeitguthaben innerhalb von vier Monaten auf die 12-Stunden-Grenze zurückzuführen;
  • aufzugeben, unverzüglich mit dem Betriebsrat in Verhandlungen über den Abschluß einer Betriebsvereinbarung einzutreten, in der Durchführungsbestimmungen zur mitbestimmungspflichtigen Mehrarbeit und die Grundsätze der Mitwirkungsrechte des Betriebsrats bei der Personalplanung zu regeln sind;
  • aufzugeben, den Betriebsrat über das voraussichtliche Produktprogramm und den sich hieraus ergebenden Personalbedarf zu unterrichten, wobei dem zukünftigen Personalbedarf der zukünftige Personalbestand unter Berücksichtigung von bekannten Personalveränderungen gegenüberzustellen ist; die Auskunft ist aufzugliedern nach der betrieblichen Organisationsstruktur und ist dreimonatlich zu erstellen;
  • hilfsweise,

    zu untersagen, in unvorhergesehenen Fällen Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit entgegenzunehmen oder anzuordnen, ohne mit den Arbeitnehmern vorher eine Vereinbarung getroffen zu haben, daß diese Mehrarbeitszeit in Freizeit ausgeglichen wird.

Der Arbeitgeber hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Er hat insbesondere vorgetragen, im April 1990 seien Gleitzeitguthaben ausbezahlt worden, weil Mitarbeiter dies verlangt hätten. Der Personalleiter habe dem Betriebsrat inzwischen zugesichert, daß dies künftig nicht mehr geschehe. Im Falle unverhergesehener Mehrarbeit könne der Betriebsrat nicht verlangen, die Mehrarbeit durch Freizeit auszugleichen, weil die Arbeitnehmer aufgrund des Tarifvertrages das Recht hätten, zwischen Bezahlung und Freizeitausgleich zu wählen. Mit dem Antrag, Mehrarbeit nur anzuordnen oder entgegenzunehmen, soweit der Betriebsrat hierzu seine Zustimmung erteilt habe, beanspruche der Betriebsrat etwas, was der Arbeitgeber nicht erbringen könne. Dies liege an dem System, das der Betriebsrat mit dem Vorgänger des heutigen Personalleiters geschaffen habe. Nach diesem System würden Überstunden nicht personenbezogen, sondern abteilungsbezogen, jedoch immer mit einer Stundenzahl pro Mitarbeiter bewilligt. Nach den genehmigten Überstunden, die in den Abteilungen bekannt gemacht würden, hätten die einzelnen Mitarbeiter dann das Recht, nicht aber die Pflicht, die genehmigten Überstunden zu erbringen. Die Mitarbeiter hätten weiterhin das Recht, Überstunden, die sie in dem genehmigten Maß für erforderlich hielten, zu einem von ihnen gewählten Zeitpunkt, also auch innerhalb der normalen Gleitzeitspanne, nach Erreichen der täglichen Sollarbeitszeit zu leisten. Ob er danach Gleitzeit oder Mehrarbeit in Anspruch nehme, entscheide der Mitarbeiter. Er, der Arbeitgeber, könne das nicht beeinflussen.

Der Betriebsrat hat erwidert, der Arbeitgeber könne unschwer erreichen, daß nicht genehmigte Überstunden unterblieben. Er müsse nur bekanntgeben, daß diese nicht gewollt seien und deshalb auch nicht bezahlt würden. Gerade das lehne er aber ab. Infolge einer viel zu dünnen Personaldecke würden immer wieder in noch höherem Maße Überstunden erforderlich als der Betriebsrat sie ohnehin genehmige. Wenn aber ein Arbeitgeber seinen Betrieb so organisiere, daß immer wieder Überstunden anfielen, habe er auch dafür zu sorgen, daß der Betriebsrat rechtzeitig von den erforderlich werdenden Überstunden erfahre und nur die Überstunden ausgeführt würden, die genehmigt seien.

Durch Beschluß vom 8. Oktober 1990 hat das Arbeitgericht dem Arbeitgeber aufgegeben, in den für den Betriebsrat monatlich erstellten Zeitkontenlisten auszuweisen, welche Teile des Freizeitguthabens durch Freizeitnahme und welche Teile durch Auszahlung von Arbeitsentgelt abgebaut wurden. Desweiteren hat das Arbeitsgericht dem Arbeitgeber untersagt, unvorhergesehene Fälle von Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit anzuordnen, ohne vorher dem Arbeitnehmer gegenüber den Freizeitausgleich zuzusichern. Im übrigen hat es die Anträge des Betriebsrats abgewiesen. Gegen diesen Beschluß haben der Betriebsrat Beschwerde und der Arbeitgeber Anschlußbeschwerde eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat, nachdem der Betriebsrat die übrigen Anträge zurückgenommen hatte, auf die Beschwerde des Betriebsrats den Beschluß des Arbeitsgerichts abgeändert und dem Arbeitgeber zusätzlich untersagt, die individuellen Gleitzeitguthaben in der Weise abzubauen, daß diese wie Mehrarbeitszeit abgerechnet und den betreffenden Arbeitnehmern vergütet werden; außerdem hat es dem Arbeitgeber aufgegeben, Mehrarbeit im Sinne des § 8.1 des MTV für die Metallindustrie Südwürttemberg-Hohenzollern nur anzuordnen oder entgegenzunehmen, soweit der Betriebsrat hierzu seine Zustimmung erteilt hat bzw. dessen Zustimmung durch die Einigungsstelle ersetzt ist, ausgenommen in unvorhergesehenen Fällen im Sinne des § 8.5 des oben genannten MTV. Die Anschlußbeschwerde des Arbeitgebers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Arbeitgeber seinen bisherigen Antrag weiter, die Anträge des Betriebsrats insgesamt abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers war zurückzuweisen, da die Anträge des Betriebsrats, soweit ihnen das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht stattgegeben haben, begründet sind.

  • Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht dem Arbeitgeber untersagt, die individuellen Gleitzeitguthaben in der Weise abzubauen, daß diese wie Mehrarbeit abgerechnet und den betreffenden Arbeitnehmern vergütet werden.

    • Der Senat folgt dem Landesarbeitsgericht in der Annahme, daß nach der Betriebsvereinbarung vom 21. März 1989 Gleitzeitguthaben nicht ausbezahlt werden dürfen, sondern durch Freizeit abzubauen sind. Die Betriebsvereinbarung enthält zwar keine ausdrückliche Bestimmung hierüber, dies ergibt sich aber, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, aus Sinn und Zweck der Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit. Die Gleitzeitregelung soll nach Ziffer 1 der Betriebsvereinbarung den bei dem Arbeitgeber tätigen Arbeitnehmern ermöglichen, unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange Beginn und Ende ihrer regelmäßigen täglichen Arbeitszeit innerhalb des durch die Betriebsvereinbarung vorgegebenen Zeitrahmens selbst zu bestimmen, wie er durch die in ihrer Ziffer 1.2.1 festgelegte tägliche Kernarbeitszeit, durch die in Ziffer 1.2.2 vorgesehene höchstzulässige tägliche Arbeitszeit und durch die Arbeitszeiten unter Ziffer 1.3 umrissen wird. Die Gleitzeitregelung bezieht sich ausschließlich auf die für die Arbeitnehmer geltende regelmäßige tarifliche Arbeitszeit. Diese wird durch die Vergütung abgegolten, die pro Monat für die tarifliche Arbeitszeit zu zahlen ist. Das bedeutet auch, daß es sich bei einem nach der Betriebsvereinbarung möglichen und durch Ziffer 1.4 der Betriebsvereinbarung zugelassenen monatlichen Gleitzeitguthaben bis zu zwölf Stunden um eine Arbeitszeit handelt, die im Vorgriff auf die für die normale Arbeitszeit zu gewährende Vergütung im Folgemonat bereits geleistet ist. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, ein solches Zeitguthaben sei durch die vertraglich vereinbarte Vergütung des Folgemonats abgegolten, das bedeute weiter, daß sich die Arbeitszeit des folgenden Vergütungszeitraums um die Zahl der Guthabenstunden verringere, das Zeitguthaben durch eine entsprechend geringere Arbeitsleistung abgegolten werde und abzugelten sei.

      Daß das Gleitzeitguthaben ausschließlich durch Verringerung der Arbeitszeit abzubauen ist, folgt auch aus der Tatsache, daß in der Betriebsvereinbarung nur geregelt ist, wie das Gleitzeitguthaben abzubauen ist. Unter 1.4 ist geregelt, daß das Guthaben nicht mehr als zwölf Stunden betragen darf und im Folgemonat abzubauen ist. Für den Fall, daß das nicht gelingt, haben Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam Maßnahmen festzulegen, die es ermöglichen, bis zum Ablauf von weiteren vier Monaten spätestens die Rückführung des Saldoüberhangs zu ermöglichen. Könnte der Arbeitgeber das Freizeitguthaben durch Geld ausgleichen, hätte diese Regelung kaum einen Sinn.

    • Ergibt sich aus der Betriebsvereinbarung vom 21. März 1989, daß Gleitzeitguthaben nicht durch Bezahlung getilgt werden kann, sondern durch Freizeitnahme abzubauen ist, ist diese Betriebsvereinbarung zugleich Rechtsgrundlage für den Antrag des Betriebsrats, dem Arbeitgeber zu untersagen, die individuellen Gleitzeitguthaben in der Weise abzubauen, daß diese wie Mehrarbeit abgerechnet und den betreffenden Arbeitnehmern vergütet werden. Der Arbeitgeber hat die Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG im Betrieb durchzuführen. Unabhängig davon, ob § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG unmittelbar oder der Betriebsvereinbarung selbst der Anspruch des Betriebsrats zu entnehmen ist, vom Arbeitgeber die Durchführung der Betriebsvereinbarung zu verlangen (vgl. dazu Senatsbeschluß vom 10. November 1987, BAGE 56, 313 = AP Nr. 24 zu § 77 BetrVG 1972), kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Durchführung aller getroffenen Vereinbarungen verlangen. Der Antrag des Betriebsrats auf Unterlassung bestimmter Handlungen des Arbeitgebers aufgrund einer Betriebsvereinbarung ist kein Anspruch auf Unterlassung mitbestimmungswidrigen Verhaltens. Deshalb bedarf es auch keiner Prüfung, ob ein grober Pflichtverstoß im Sinne von § 23 Abs. 3 BetrVG vorliegt.

      Gegen die Betriebsvereinbarung hat der Arbeitgeber verstoßen, indem er einer großen Anzahl von Arbeitnehmern das Gleitzeitguthaben ausgezahlt und durch eine entsprechende Gestaltung der Zeitkonten den Anschein erweckt hat, als ob die Gleitzeitguthaben zurückgeführt worden seien. Diesem Verstoß gegen die Betriebsvereinbarung hat das Landesarbeitsgericht zu Recht eine Wiederholungsgefahr entnommen. Diese entfällt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht schon deshalb, weil der Arbeitgeber, als sein betriebsvereinbarungswidriges Verhalten bekannt wurde, am 2. Juli 1990 in einer Besprechung dem Betriebsrat zugesichert hat, daß dies in Zukunft unterbleiben werde.

  • Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht angenommen, der Antrag des Betriebsrats, dem Arbeitgeber aufzugeben, Mehrarbeit nur anzuordnen oder entgegenzunehmen, soweit der Betriebsrat hierzu seine Zustimmung erteilt hat bzw. dessen Zustimmung durch die Einigungsstelle ersetzt ist, ausgenommen in unvorhergesehenen Fällen im Sinne des § 8.5 des MTV, sei begründet.

    • Nach § 87 Abs. 1. Nr. 3 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der vorübergehenden Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit. Der Unterlassungsantrag des Betriebsrats ist nach § 23 Abs. 3 BetrVG begründet, wenn der Arbeitgeber grob gegen seine Verpflichtungen aus dem BetrVG verstoßen hat.
    • Der Arbeitgeber hat unstreitig das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG in zahlreichen Fällen mißachtet. So hat er im März 1990 für die Angestellten 642 Überstunden angeordnet oder entgegengenommen, im April 1990 bei Angestellten 844 und Arbeitern 297 Stunden, jeweils ohne die Zustimmung des Betriebsrats eingeholt zu haben. Er hat auch in den Folgemonaten – wenn auch nicht in diesem Ausmaß – Überstunden angeordnet und entgegengenommen, ohne die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen bzw. diese durch die Einigungsstelle ersetzen zu lassen.
    • Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß hiermit der Arbeitgeber grob gegen seine Pflichten nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verstoßen hat. Eine Pflichtverletzung ist grob, wenn sie objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend ist. Dies ergibt sich – worauf das Landesarbeitsgericht hingewiesen hat – im vorliegenden Falle schon aus der großen Anzahl von Überstunden, die geleistet wurden, ohne daß die Zustimmung des Betriebsrats vorlag oder die Zustimmung durch eine Entscheidung der Einigungsstelle ersetzt war.

      Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht angenommen, die Pflichtverletzung sei schwerwiegend. Dies folgt einmal daraus, daß der Arbeitgeber sich nicht im Unklaren darüber sein konnte, daß die Anordnung und Entgegennahme der Überstunden der Zustimmung des Betriebsrats bedurfte. Zum anderen war sie schwerwiegend, weil der Arbeitgeber das betriebsverfassungswidrige Verhalten über lange Zeit in erheblichem Umfange (ca. 1 1/2 Jahre) wiederholt hatte.

      • Im Anschluß an die ständige Rechtsprechung des Senats hat das Landesarbeitsgericht angenommen, keine Voraussetzung für das Vorliegen eines groben Verstoßes sei ein Verschulden des Arbeitgebers (vgl. Senatsbeschluß vom 8. August 1989 – 1 ABR 65/88 – AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes; Senatsbeschluß vom 14. November 1989 – 1 ABR 87/88 – AP Nr. 76 zu § 99 BetrVG 1972 und vom 27. November 1990 – 1 ABR 77/89 – EzA § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 40). Einmal wird hier der Arbeitgeber nicht als Einzelperson, sondern als Organ der Betriebsverfassung angesprochen und insoweit gilt das Gleiche wie bei der Auflösung des Betriebsrats (Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 23 Rz 72; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 23 Rz 48). Dieses Ergebnis ergibt sich außerdem aus der Überlegung, daß das arbeitsgerichtliche Erkenntnisverfahren auf ein zukünftiges Verhalten des Arbeitgebers, nicht aber auf Sanktionen gegen ihn gerichtet ist. Deshalb hat der grobe Verstoß gegen Verpflichtungen aus diesem Gesetz für das Verfahren eine ähnliche Bedeutung wie bei den negatorischen Klagen die in den materiell-rechtlichen Vorschriften bezeichnete Wiederholungsgefahr und wie bei einer Klage auf künftige Leistungen die Besorgnis der nicht rechtzeitigen Erfüllung. Er stellt also eine Rechtsschutzvoraussetzung dar. Die Pflichten, gegen die verstoßen wurde, müssen sich zwar auf das Verhalten des Arbeitgebers beziehen, das Gegenstand des Beschlußverfahrens ist. Bei dieser Betrachtungsweise kommt es nur darauf an, ob der Verstoß objektiv so erheblich war, daß unter Berücksichtigung des Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit die Anrufung des Arbeitsgerichts durch den Betriebsrat gerechtfertigt erscheint.
      • Kommt es auf ein Verschulden für das Vorliegen eines groben Verstoßes nicht an, ist die Rüge der Rechtsbeschwerde (§ 286 ZPO) unbegründet, das Landesarbeitsgericht habe den Vortrag des Arbeitgebers unbeachtet gelassen, man verlange von ihm Unmögliches, weil die Betriebsparteien eine Gleitzeitvereinbarung getroffen hätten, die es ihm unmöglich mache, im voraus zu erkennen, ob der einzelne Arbeitnehmer ein Gleitzeitguthaben aufbaue oder Mehrarbeit leiste. Diesem sei nämlich freigestellt, ob er Mehrarbeit leiste und wenn er genehmigte Mehrarbeit leiste, wann er dies tue.

        Dem Arbeitgeber ist zuzugeben, daß bei einer Gleitzeitregelung auch für den Arbeitgeber die Kontrolle schwierig ist, ob im Einzelfall Mehrarbeit ohne Zustimmung des Betriebsrats angeordnet worden ist. Eine etwas komplizierte Regelung der Gleitzeitarbeit ist aber nicht geeignet zu rechtfertigen, daß der Arbeitgeber über mehrere Monate Überstunden angeordnet hat, ohne überhaupt die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen.

        Die Gleitzeitregelung macht es dem Arbeitgeber schon gar nicht unmöglich, dafür zu sorgen, daß vom Betriebsrat nicht genehmigte Mehrarbeit unterbleibt. Würde er ankündigen, daß vom Betriebsrat nicht genehmigte Mehrarbeit von ihm nicht gewollt sei und dementsprechend auch nicht bezahlt werde, wäre das Problem erledigt. Gerade diese Konsequenz will der Arbeitgeber vorliegend nicht ziehen, was zeigt, daß er ein Interesse auch an den Überstunden hat, die nicht vom Betriebsrat genehmigt sind und auch billigend in Kauf nimmt, daß solche Überstunden geleistet werden. Ist aus diesem Grunde ein objektiver Verstoß zu bejahen, so hat das Landesarbeitsgericht zu Recht auch diesem Antrag stattgegeben.

  • Wie dem Antrag des Arbeitgebers in der Rechtsbeschwerdebegründung zu entnehmen ist, greift er den Beschluß des Landesarbeitsgerichts auch an, soweit dieses die Anschlußbeschwerde des Arbeitgebers zurückgewiesen hat. Diesem Antrag hat die Rechtsbeschwerde aber nicht begründet, so daß sie insoweit als unzulässig zurückzuweisen war.
 

Unterschriften

Dr. Kissel, Matthes, Dr. Weller, Breier, H. Paschen

 

Fundstellen

Haufe-Index 436721

DB 1992, 2450-2451 (LT1)

AiB 1993, 117-119 (ST1-2)

BetrR 1993, Nr 1, 9-10 (LT1)

BetrVG, (22) (LT1)

JR 1993, 176

JR 1993, 176 (L)

NZA 1992, 1095

NZA 1992, 1095-1097 (LT1)

RdA 1992, 352

AP, (LT1)

AR-Blattei, ES 530.14.1 Nr 51 (LT1)

EzA

ZfPR 1993, 57 (L)

Arbeitszeit, Nr 51 (LT1)

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