Rz. 62

 

Beispiel

Ein Tarifvertrag beinhaltet folgende Regelung:

"Kündigt ein Arbeitnehmer, kann der Arbeitgeber die bereits ausgezahlte Urlaubsvergütung, soweit sie die nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegende Zeit des Kalenderjahres betrifft, vom Arbeitnehmer zurückverlangen bzw. bei der letzten Lohnzahlung einbehalten."

Lösung

Problematisch könnte eine solche Regelung immer dann werden, wenn ein Arbeitnehmer nach erfüllter Wartezeit (§ 4 BUrlG) aus dem Arbeitsverhältnis im ersten Kalenderhalbjahr ausscheidet. § 5 Abs. 3 i. V. m. § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG enthält für diesen Fall ein Verbot der Rückforderung von zu viel gezahltem Urlaubsentgelt, wenn der Arbeitnehmer bereits Urlaub über den ihm dann nach dem Zwölftelungsprinzip zustehenden Umfang erhalten hat.[1] Das Vorrangprinzip des § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG deckt aber eine tarifliche Ausschaltung dieses Verbots der Zurückforderung zu viel gezahlten Urlaubsentgelts nach § 5 Abs. 3 BUrlG i. V. m. § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG (BAG, Urteil v. 23.1.1996, 9 AZR 554/93[2]). Hierin ist auch kein Verstoß gegen § 1 BUrlG zu sehen: Denn der Arbeitnehmer muss aufgrund der Rückzahlungsverpflichtung nur das Urlaubsentgelt erstatten, das er wegen der Kürzungsvorschrift des § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG, die gerade den gesetzlichen Vollurlaubsanspruch nach § 1 BUrlG umfasst, gar nicht zu beanspruchen hatte.[3] Steht dem Arbeitnehmer deshalb aufgrund seines Ausscheidens nach erfüllter Wartezeit z. B. nur ein Urlaubsanspruch von 6 Tagen zu, wurden ihm aber bereits 10 Tage bis zu seinem Ausscheiden gewährt, und das entsprechende Urlaubsentgelt ausgezahlt, hat er dieses für 4 Tage zurückzuzahlen.

 
Hinweis

Selbst wenn der Einfluss des Unionsrechts auf Tarifverträge berücksichtigt wird[4], steht der tariflichen Rückforderungsnorm weder Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG noch Art. 31 Abs. 2 GRC entgegen. Denn der EuGH stellt bei der Berechnung der Dauer des Mindesturlaubsanspruchs nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG grundsätzlich auf die tatsächlich geleistete Arbeitszeit ab. Als Ausnahme hierzu stellt er Zeiten von Krankheit oder Mutterschutz tatsächlicher Arbeitsleistung gleich. Hintergrund hierfür ist ein vom EuGH angenommenes Schutzbedürfnis von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen bei Krankheit und Mutterschutz, das er bei Elternzeit und Kurzarbeit dagegen verneint.[5] Ebenso wenig besteht ein Schutzbedürfnis, Arbeitnehmern trotz ihres vorzeitigen Ausscheidens mehr Urlaub zu gewähren, als ihnen gemessen an ihrer tatsächlichen Arbeitsleistung zusteht. Hat ein Arbeitnehmer seinen vollen Mindesturlaubsanspruch von 4 Wochen im Februar erhalten und scheidet zum 31.5. des Jahres aus, hat er nach Auffassung des EuGH für 7/12 des Mindesturlaubsanspruchs keine Arbeitsleistung erbracht und einen Urlaubsanspruch nur in Höhe von 5/12 "erworben".[6] Dass er tatsächlich den Urlaub schon genommen und Urlaubsentgelt erhalten hat, ändert an dieser Feststellung nichts: Hätte bereits im Februar festgestanden, dass er Ende Mai ausscheidet, hätte er von vornherein nur für 8,33 Tage (20 Tage : 12 x 5) Urlaubsentgelt bekommen, im Übrigen wäre er unbezahlt freigestellt gewesen. Es besteht auch aus unionsrechtlichen Gründen kein Anlass, dies anders zu sehen, wenn das Urlaubsentgelt bereits ausgezahlt worden ist. Eine höhere Schutzwürdigkeit entsteht nicht dadurch, weil der Arbeitnehmer das Geld bereits erhalten hat. Auch wenn der EuGH den Anspruch auf Jahresurlaub und den auf Zahlung des Urlaubsentgelts unionsrechtlich als 2 Aspekte eines einzigen Anspruchs ansieht[7], ändert dies nichts daran, dass dem Arbeitnehmer ein Urlaubsanspruch, der über 5/12 hinausginge, nicht zusteht. Dann steht ihm auch der zweite Aspekt, das Urlaubsentgelt, nicht zu.

Problematisch wäre es nur, wenn die tarifliche Regelung vorsähe, dass wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer jeglicher Anspruch auf Urlaubsabgeltung entfiele und sei es, weil er ohne Einhaltung der Kündigungsfrist und ohne wichtigen Grund das Arbeitsverhältnis vorzeitig beendet hat (EuGH, Urteil v. 25.11.2021, C-233/20[8]). Dies stünde weder mit Unionsrecht noch mit § 1 BUrlG in Einklang. Denn der Grund und die Umstände der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind für die Frage des Urlaubsanspruchs ohne Belang.

[1] Einzelheiten bei Arnold, § 5, Rz. 39 ff.
[2] NZA 1996 S. 1101; ErfK/Gallner, 23. Aufl. 2023, § 5 BUrlG, Rz. 19.
[3] Vgl. auch Leinemann/Linck, Urlaubsrecht, 2. Aufl. 2001, § 13 BUrlG, Rz. 66; HK-BUrlG/Hohmeister, 3. Aufl. 2013, § 13 BUrlG, Rz. 99.
[4] Vgl. Rz. 2.
[5] S. die Nachweise bei Zimmermann, § 1, Rz. 20, 33 ff.
[7] S. näher Zimmermann, § 1, Rz. 20.
[8] NZA 2022, 105 f.

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