Die Regeln des Arbeitskampfrechts entscheiden darüber, welche der eben erläuterten Streikformen unabhängig von individualrechtlichen Rechtsverstößen kollektivrechtlich zulässig und welche möglicherweise unzulässig sind. Bevor diese Regeln erläutert werden, soll zur weiteren Klärung des Streikbegriffs klargestellt werden, welche äußerlich ähnlichen Formen kollektiver, von Arbeitnehmergruppen ausgehender Arbeitsverweigerung diesen Regeln von vornherein nicht unterstellt sind.

Allgemein lässt sich sagen: Ein vertragsrechtlich statthaftes Verhalten ist nicht deshalb einer besonderen rechtlichen Überprüfung anhand zusätzlicher Regeln des Arbeitskampfrechts zu unterziehen, weil es von mehreren hierzu Berechtigten gemeinsam, "kollektiv", ausgeübt wird. Hier gilt regelmäßig nur die allgemeine Grenze des Rechtsmissbrauchs.

Im Einzelnen:

  • Arbeitnehmer können die von ihnen vertraglich geschuldete Arbeitsleistung verweigern mit dem Ziel, dass der Arbeitgeber fällige und ihm bekannte Vertragspflichten von einiger Wichtigkeit erfüllt oder wesentliche Vertragspflichtverletzungen abstellt (Zurückbehaltungsrecht).[1] Nehmen sie mit Zielerreichung die Arbeit wieder auf, ist ihr Verhalten auch dann nicht vertragswidrig, wenn und soweit sich mehrere aufgrund ausgebliebener Erfüllungshandlungen hierzu berechtigte Arbeitnehmer hieran beteiligen.[2] Das gesetzliche Leistungsverweigerungsrecht ermächtigt einen Arbeitnehmer wie jeden anderen Gläubiger im Wege der Selbsthilfe durch die Weigerung der vertraglich geschuldeten Gegenleistung Druck auf den Schuldner auszuüben, damit dieser sich vertragsgerecht verhält.
 
Praxis-Beispiel

Arbeitsverweigerung wegen rückständiger Lohnansprüche

Befindet sich ein Arbeitgeber mehr als nur ganz kurzfristig mit der Zahlung des Lohnes gegenüber seinen Arbeitnehmern in Verzug, können diese bis zur Erfüllung der rückständigen Lohnansprüche die Arbeitsleistung nach § 320 BGB verweigern. Sie verlieren für die Zeit der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ihre Ansprüche auf den laufenden Lohn nicht. Der Arbeitgeber bleibt vielmehr trotz Nichtleistung der Arbeit nach § 615 BGB i. V. m. § 298 BGB zur Lohnzahlung verpflichtet.

Entsprechend ist die Rechtslage, wenn in einer Werkshalle erhebliche gesundheitsbeeinträchtigende Emissionen auftreten, die der Arbeitgeber auch nach Abmahnung nicht abzustellen bereit ist, und die dort beschäftigten Arbeitnehmer deshalb ihre Arbeit einstellen und die Werkshalle verlassen.

  • Nicht völlig geklärt, aber in dem allgemein umschriebenen Sinn zu bewerten ist die Rechtslage, wenn mehrere oder alle Arbeitnehmer eines Betriebes in abgestimmtem Verhalten kündigen und eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nur unter der Bedingung in Aussicht stellen, dass der Arbeitgeber sich zu einer bestimmten Verbesserung der vertraglichen Bedingungen bereitfindet ("Massenänderungskündigung"). Hier geht es anders als bei der kollektiven Ausübung von Zurückbehaltungsrechten nicht um die Durchsetzung vorhandener und fälliger Rechtspositionen sondern darum, neue, bessere Rechte zu begründen. Gleichwohl ist ein solches Verhalten nicht den Streikregeln zu unterwerfen, sondern nur dem allgemeinen Recht zu unterstellen.[3] Wenn die Arbeitnehmer ihre Arbeit erst einstellen, wenn ihre vertragliche Arbeitspflicht wegen Ablaufs der Kündigungsfrist geendet hat, handeln sie vertragsgerecht. Ihr Verhalten unterscheidet sich grundlegend vom Streik. An dessen Anfang stehen keine Kündigungserklärungen der Streikteilnehmer. Sie halten nicht an ihren Pflichten begründenden Arbeitsverhältnissen fest, sondern stellen sie zur Disposition des Arbeitgebers. Er kann auf deren Forderungen eingehen und mit ihnen neue Arbeitsverträge abschließen oder dies unterlassen und versuchen, neue Mitarbeiter zu rekrutieren. Eine derartige Situation sollte in einem marktwirtschaftlichen System keinen rechtlichen Bedenken begegnen.
 
Praxis-Beispiel

Massenänderungskündigung

Die mit der – lediglich – tariflichen Bezahlung durch den Arbeitgeber unzufriedenen Arbeitnehmer eines Betriebes kündigen nach einer Belegschaftsversammlung, in der dies beschlossen worden ist, sämtlich unter Einhaltung der von ihnen geschuldeten Kündigungsfrist. Sie wollen diese Kündigung nur dann "zurücknehmen", also neue Arbeitsverträge schließen, wenn der Arbeitgeber sich gegenüber allen Belegschaftsmitgliedern zur Zahlung einer 10 %-igen übertariflichen Entgeltzulage verpflichtet.

Die Mitarbeiter der Nachtschicht in einer bestimmten Produktionshalle kündigen ihr Arbeitsverhältnis fristgerecht. Sie wollen nur weiterarbeiten, wenn der intrigante Schichtmeister abgelöst wird.

  • Eine gewisse Ähnlichkeit mit den bisher behandelten Formen schon individualrechtlich und damit insgesamt zulässigen Verhaltens im Kollektiv hat der Fall, in dem eine Vielzahl von Arbeitnehmern, die von einem Betriebsübergang nach § 613a BGB betroffen sind, gemeinschaftlich dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf einen Betriebserwerber nach § 613a Abs. 6 BGB widersprechen. Solange sie mit einem sol...

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