Die Rechtsprechung hat aus den wenigen verfassungsrechtlichen Vorgaben und allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Zivil- und Strafrechts das Arbeitskampfrecht und konkrete Arbeitskampfregeln entwickelt. Sie sollen einerseits die Nachteile des Arbeitskampfes für die Beteiligten und Dritte auf das für den Zweck des Arbeitskampfes Erforderliche reduzieren. Sie müssen andererseits aber auch sicherstellen, dass den Koalitionen ihr verfassungsrechtlich geschützter Freiraum bleibt. Dass hier eigentlich der parlamentarische Gesetzgeber tätig werden müsste, wird immer wieder – auch verfassungsrechtlich begründet – gefordert; es werden auch Regelungsvorschläge unterbreitet.[1] Eine Gesetzgebung ist indes angesichts der bei einem derartigen Vorhaben zu erwartenden politischen und sozialen Spannungen höchst unwahrscheinlich. Sie haben sich zuletzt im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes gezeigt. Das Gesetz wurde eigentlich durch Arbeitskämpfe ausgelöst, die sich nicht unerheblich auf die Allgemeinheit ausgewirkt hatten. Weil sich schnell zeigte, dass das Gesetz jede Unterstützung von Gewerkschaftsseite verlieren würde, wenn irgendeine festschreibende Regelung, also Begrenzung, des Rechts, Streikmaßnahmen durchzuführen, erfolgen würde, wurde ein Gesetz verabschiedet, das nicht einmal das Wort Arbeitskampf oder Streik enthält und auch inhaltlich hierzu nichts sagt.[2] Die Arbeitsgerichte werden auch weiterhin die Verantwortung für das Arbeitskampfrecht zu tragen haben.

Die Frage nach der Rechtswidrigkeit eines Streiks oder einzelner Arbeitskampfmaßnahmen ist regelmäßig nur die entscheidende Vorfrage. Konkret geht es stets darum, welche Rechtsfolgen sich aus einer zielgerichteten kollektiven Arbeitsniederlegung ergeben: Handelt es sich bei den Arbeitsniederlegungen oder einzelnen Kampfmaßnahmen ohne vorherige Kündigung der Arbeitsverhältnisse um Vertragsverletzungen der beteiligten Arbeitnehmer, die einen Anspruch auf Schadensersatz auslösen? Geben sie dem Arbeitgeber deshalb auch das Recht, die Streikenden abzumahnen oder gar fristlos oder fristgemäß zu kündigen? Welche Rechte und Pflichten bestehen während der Zeit der Arbeitsniederlegung und danach? Haftet die Gewerkschaft, die zum Streik aufgerufen hat, für die aufgrund der Arbeitsniederlegung eingetretenen Arbeitgeberschäden wegen Verleitung zum Vertragsbruch?

Eine wesentliche Grundaussage des deutschen Arbeitskampfrechts ist die dem individualistischen System des deutschen Bürgerlichen Rechts eigentlich fremde Entscheidung für den Vorrang des kollektiven vor dem Individualrecht: Ist ein Streik kollektivrechtlich nach Maßgabe der noch darzustellenden Kampfregeln rechtmäßig, kann das Kampfverhalten nicht mehr individualrechtlich als rechts- oder vertragswidrig bewertet werden. Ein kollektivrechtlich rechtmäßiger Streik oder eine solche Aussperrung stehen zwar im Widerspruch zu den individualvertraglich übernommenen Pflichten, Arbeit zu leisten oder gegen Lohn zu beschäftigen. Sie sind aber nicht rechtswidrig und deshalb auch nicht vertragswidrig. Das Verhalten bleibt sanktionslos.

Die Kampfregeln, die über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines Streiks entscheiden, lauten zusammengefasst:

  • Ein Streik ist nur rechtmäßig, wenn er um einen rechtmäßigen Tarifvertrag geführt wird, wenn mit ihm also ein rechtmäßig tarifvertraglich regelbares Ziel verfolgt wird und
  • wenn er unter Leitung und in der Verantwortung einer Gewerkschaft im Rechtssinne steht.
  • Er muss eine bestehende Friedenspflicht wahren und
  • hat sich an die Gebote der Verhältnismäßigkeit zu halten.
[1] S. dazu Abschn. 6.4.3.2.
[2] Dazu im Einzelnen Abschn. 6.4.3.1.

6.1 Tariflich regelbares Ziel

Koalitionen haben das Recht, autonom das Arbeits- und Wirtschaftsleben zu fördern.[1] Das Arbeitsleben wird im Autonomiebereich durch Tarifverträge geregelt. Sie anzustreben, ist Teil des gewährleisteten koalitionsgemäßen Verhaltens. In diesem Kontext versteht die Rechtsprechung den Arbeitskampf juristisch nicht als emanzipatorischen oder vorrevolutionären Akt. Er wird schlicht als Hilfsmittel zur sachgerechten kollektiven Regelung der Arbeitsbedingungen verstanden. Ihm wird eine Komplementärfunktion im Rahmen der Tarifautonomie zugewiesen. Im Individualvertrag ist die Vertragsparität typischerweise gestört. Es besteht eine strukturelle Ungleichgewichtslage. Im Arbeitsverhältnis sind die Möglichkeiten unterschiedlich verteilt, die eigenen Interessen bei der Vertragsgestaltung durchzusetzen. Der Tarifautonomie kommt die Aufgabe zu, die gestörte Parität im Individualverhältnis weitgehend durch eine kollektive Verhandlungsebene mit ausgewogen verteilten Durchsetzungschancen zu ersetzen. Hierfür ist auch das Recht wesentlich, notfalls kampfweise die Arbeit niederzulegen. Können beide Seiten zur Erreichung ihrer Ziele in vertretbarem Umfang Druck ausüben, können für beide Seiten angemessene Verhandlungsergebnisse erwartet werden. Aus dieser sehr stark typisierenden Sicht erklärt sich das das Arbeitskampfrecht prägende Wertungsprinzip der Kam...

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