Die Abmahnung ist entbehrlich, wenn sie kein geeignetes Mittel ist oder ohnehin eine Negativprognose für die weitere Vertragsbeziehung vorliegt. Sie ist nur dann geeignetes Mittel, wenn mit ihr eine Änderung des Verhaltens erzielt werden kann.

Daher ist nicht abzumahnen,

  • wenn die Vertragspflichtverletzung so schwer war, dass der Arbeitnehmer unter keinen Umständen damit rechnen konnte, der Arbeitgeber werde sie hinnehmen.[1]

    Beispiele: Androhen von Arbeitsunfähigkeit[2], Tätlichkeiten wie körperliche[3], auch sexuelle Attacken gegenüber Mitarbeitern oder Vorgesetzten[4], schwere Bedrohung des Arbeitgebers oder von Vorgesetzten, Schmiergeldannahme[5], Straftaten gegen das Vermögen des Arbeitgebers wie Diebstahl (selbst beim Diebstahl geringwertiger Sachen[6]), Unterschlagung, Betrug, Manipulation bei der Zeiterfassung[7], Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit[8], Verstoß gegen Wettbewerbsverbot.[9]

  • wenn der Arbeitnehmer bereits ernsthaft ausdrücklich erklärt hat, er werde sein Verhalten nicht ändern, egal was komme, er also eindeutig nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten. Dies gilt auch, wenn er seine Vertragsverletzungen hartnäckig und uneinsichtig fortsetzt, obwohl er die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens kannte; der Arbeitgeber müsste auch hier bei Ausspruch einer Abmahnung mit weiteren erheblichen Pflichtverletzungen rechnen.[10]

    Beispiel: Bei einer privaten Nutzung des betrieblichen Internets in erheblichem zeitlichem Umfang während der Arbeitszeit ist eine vorherige Abmahnung nicht erforderlich.[11]

  • wenn andere Umstände vorliegen, die erkennen lassen, dass eine Abmahnung das Verhalten des Arbeitnehmers nicht ändern wird und daher eine negative Prognose besteht. Das ist z. B. der Fall, wenn dem Arbeitnehmer im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens vor der AGG-Beschwerdestelle nach § 13 AGG sein Fehlverhalten aufgezeigt wurde.[12] Gleiches gilt, wenn dem Arbeitnehmer in einer Betriebsversammlung kurz vor einem Diebstahl klargemacht wurde, dass eine solche Tat die fristlose Kündigung zur Folge habe.[13]

    Nicht ausreichend ist eine vorweggenommene Abmahnung, die z. B. am Schwarzen Brett oder in einem Rundschreiben klarstellt, dass bestimmte Pflichtverletzungen nicht toleriert und mit einer Kündigung geahndet werden.[14]

 
Praxis-Beispiel

Abmahnung entbehrlich

Der Arbeitnehmer verlangt für den 16.8. Urlaub. Der Arbeitgeber muss die Urlaubsgewährung, da Ferienzeit ist und viele Arbeitnehmer sich im Urlaub befinden, verweigern. Der Arbeitnehmer erklärt daraufhin: "Entweder ich bekomme Urlaub oder ich bin eben krank." Als der Arbeitnehmer am 16.8. tatsächlich nicht erscheint, will der Arbeitgeber die fristlose Kündigung aussprechen.

Lösung

Hier liegt ein Verhalten des Arbeitnehmers vor, das grundsätzlich geeignet ist, eine Kündigung, auch eine fristlose, zu rechtfertigen. Der Vertrauensbereich ist nachhaltig verletzt. Es genügt die Ankündigung einer damals nicht bestehenden Erkrankung, um einen fristlosen Kündigungsgrund "an sich" annehmen zu können, selbst wenn der Arbeitnehmer dann wirklich erkrankt.[15] Schließlich bringt der Arbeitnehmer mit dieser Erklärung zum Ausdruck, wenn der Arbeitgeber nicht nachgebe, werde er, obwohl er nicht krank ist, eine Krankheit zum Schaden des Arbeitgebers (Entgeltfortzahlung) vortäuschen. Das wäre dann ein Betrug.

Keine Rolle spielt dabei, ob der Arbeitnehmer an diesem Tag später tatsächlich krank wird. Es kommt nur darauf an, ob der Arbeitnehmer zu einem Zeitpunkt, zu dem er sich objektiv nicht krank fühlte, die Krankheit angedroht hat. Hingegen wäre eine vorherige Abmahnung dann erforderlich, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber jedenfalls nicht als erhebliches Fehlverhalten angesehen.[16]

Anders kann der Fall schließlich dann beurteilt werden müssen, wenn der Arbeitnehmer bei Ankündigung der Krankheit tatsächlich bereits erkrankt war. Auch dann kann es dem Arbeitnehmer aufgrund des Rücksichtnahmegebots jedoch verwehrt sein, die Krankheit und ein sich daraus ergebendes Recht, der Arbeit fernzubleiben, gegenüber dem Arbeitgeber als "Druckmittel" einzusetzen.[17]

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