Zweifel an ausländischer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Arbeitnehmende müssen sich ihre Arbeitsunfähigkeit ärztlich attestieren lassen. Das gilt selbstverständlich auch, wenn sie im Ausland sind. Grundsätzlich kommt einer solchen außerhalb der EU-erstellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der gleiche Beweiswert zu wie deutschen Attesten. Unter welchen Voraussetzungen der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert werden kann und worauf es bei der Beurteilung ankommt, hat das BAG - wie zuletzt häufiger - auch im vorliegenden Fall aufgezeigt. Anlass war der Fall eines Arbeitnehmers, der mehrfach kurz nach dem Urlaub eine Krankschreibung eines ausländischen Arztes einreichte. Letztlich verwies das BAG die Sache an die Vorinstanz zurück.
Der Fall: Urlaubsverlängerung durch Krankschreibung?
Der Arbeitnehmer ist seit 2002 als Lagerarbeiter beschäftigt. In den Jahren 2017, 2019 und 2020 legte er in direktem zeitlichen Zusammenhang mit seinem Urlaub eine Krankschreibung vor. Auch 2022 nahm der Mitarbeiter Urlaub, den er in Tunesien verbrachte. Am 9. September war sein letzter Urlaubstag, am 7. September teilte er dem Arbeitgeber per E-Mail mit, dass er bis zum 30. September krankgeschrieben sei. Dieser Nachricht fügte er ein Attest vom selben Tag bei, das ihm ein tunesischer Arzt in französischer Sprache ausgestellt hatte. Darin bescheinigte der Arzt, dass der Arbeitnehmer an schweren Ischialbeschwerden am inneren Lendenwirbel leide. Er benötige bis zum 30. September strenge häusliche Ruhe und dürfe nicht reisen. Am darauffolgenden Tag kaufte der Arbeitnehmer ein Fährticket für den 29. September und reiste an diesem Tag auch per PKW über Tunis mit der Fähre nach Genua und von dort nach Deutschland. Dort ging er am 4. Oktober zu einem deutschen Arzt, der ihm eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 8. Oktober bescheinigte.
Arbeitgeber bezweifelt Attest und kürzt Vergütung
Der Arbeitgeber teilte dem Arbeitnehmer mit, dass er bezweifle, dass das erste Attest einer regulären Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entspreche. Auch eine zusätzliche erläuternde Bescheinigung des tunesischen Arztes, in der dieser eine Arbeitsunfähigkeit bestätigte, änderte die Meinung des Arbeitgebers nicht. Er lehnte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab und kürzte die Vergütung des Arbeitnehmers für September 2022 um 1.583,02 Euro netto. Daraufhin klagte der Lagerarbeiter vor Gericht auf Zahlung des gekürzten Septemberentgelts. Das Arbeitsgericht München wies seine Klage ab. Vor dem Landesarbeitsgericht München hatte er Erfolg. Das Gericht verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung.
BAG: Gesamtschau begründet ernsthafte Zweifel
Das Bundesarbeitsgericht korrigierte nun das Urteil des LAG München. Auch wenn das Landesarbeitsgericht richtigerweise festgestellt habe, dass einer ausländischen Krankschreibung ein ebenso hoher Beweiswert zukommt wie einer deutschen AU-Bescheinigung - vorausgesetzt, sie unterscheidet zwischen Erkrankung und durch Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit -, seien dem LAG Fehler unterlaufen. Denn das Gericht habe die vorgetragenen Umstände zu den Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit nur isoliert betrachtet, aber die rechtlich gebotene Gesamtbetrachtung unterlassen. Das Bundesarbeitsgericht erkannte dagegen, dass die vorliegenden Umstände in der Gesamtschau ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründeten.
Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit erschüttert
Hierzu zählte das oberste Arbeitsgericht, dass der tunesische Arzt eine Arbeitsunfähigkeit direkt für 24 Tage feststellte, ohne eine Wiedervorstellung anzuordnen. Es führte an, dass der Arbeitnehmer bereits einen Tag, nachdem der Arzt ihm absolute Ruhe angeordnet hatte, das Fährticket gekauft und dann auch an diesem Tag die beschwerliche Heimreise angetreten habe. In der Gesamtschau ergaben sich die Zweifel für das BAG zudem insbesondere auch daraus, dass der Arbeitnehmer bereits mehrere Jahre in Folge unmittelbar nach dem Urlaub eine ausländische Krankschreibung eingereicht hatte, was dieser bislang immer toleriert hatte.
BAG verweist zurück an Vorinstanz
Aufgrund der Beweislastumkehr trage nun der Arbeitnehmer die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG, stellte das BAG fest. Da das Landesarbeitsgericht – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hatte, verwies das BAG die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht München zurück.
Hinweis: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. Januar 2025, Az. 5 AZR 284/24; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 16. Mai 2024, Az. 9 Sa 538/23
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