Mobbing: Wann ein Schmerzensgeldanspruch verwirkt

Wird ein Mitarbeiter von seinem Vorgesetzten gemobbt, so kann er Schmerzensgeld fordern. Wartet er jedoch zwei Jahre mit einer Klage, so ist sein Anspruch verwirkt, entschied das LAG Nürnberg bereits 2013. Dem widersprach nun das BAG und hob das Urteil auf.

Das Landesarbeitsgericht Nürnberg lehnte in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2013 einen Schmerzensgeldanspruch des Mitarbeiters ab. Diesen habe er verwirkt, da er erst zwei Jahre nach dem letzten Mobbing-Vorgang Klage eingereicht habe. Um eine effektive Rechtsverteidigung zu ermöglichen, entspreche es jedoch regelmäßig dem Interesse des Anspruchsgegners, sich zeitnah gegen Mobbingvorwürfe zur Wehr setzen zu können, argumentierte das LAG. Daher könnten auch auf Mobbing gestützte Schmerzensgeldansprüche vor Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist verwirken. Dem trat das BAG nun entgegen. Es hob das Urteil auf und wies die Angelegenheit an das LAG zurück.

BAG: Verwirkung bei Mobbing nur im Ausnahmefall

Im konkreten Fall hatte ein Beschäftigter mindestens 10.000 Euro Schmerzensgeld (nach §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) von seinem früheren Vorgesetzten verlangt. Er stützt sich dabei auf Vorfälle in den Jahren 2006 bis 2008, die er als Isolierung, Herabwürdigung und Schikane wertet. Der letzte Vorgang soll am 8. Februar 2008 stattgefunden haben. Der Mitarbeiter war 2007 an 52 Tagen, 2008 an 216 Tagen und 2009 durchgängig bis August arbeitsunfähig, unter anderem wegen Depression. Die Klage ging erst Ende Dezember 2010 bei Gericht ein.

Das LAG hat einen möglichen Schmerzensgeldanspruch allein wegen Verwirkung abgelehnt. Anders als in anderen Verfahren  spielten Beweisschwierigkeiten im Urteil des LAG keine Rolle. Ob tatsächlich Mobbing vorlag, haben die Nürnberger Richter nämlich nicht mehr geprüft. Durch die Verwirkung wäre es für das Ergebnis des Richterspruchs unerheblich gewesen.

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist ein Recht verwirkt, wenn zwei Faktoren – nämlich ein Zeit- sowie ein Umstandsmoment – zusammenspielen. Für das Zeitmoment muss der Anspruchsberechtigte einerseits sein Recht längere Zeit nicht ausgeübt haben. Das Umstandsmoment liegt andererseits vor, wenn der Schuldner darauf vertraut hat, er werde nicht mehr in Anspruch genommen. Ihm ist es, berücksichtigt man alle Umstände, nach Treu und Glauben nicht mehr zuzumuten, den Anspruch zu erfüllen. Es müssen also besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten zusätzlich zum Zeitelement hinzukommen.

Verwirkung darf nicht Verjährung unterlaufen

Im konkreten Mobbing-Fall entschieden die Bundesrichter, dass  eine Verwirkung, die nur unter ganz besonderen Umständen zu bejahen ist, nicht in Frage komme. Das durch Richterrecht geschaffene Institut der Verwirkung darf in seiner Anwendung nicht dazu führen, dass die gesetzliche Verjährung – in diesem Fall drei Jahre – unterlaufen werde, argumentierte der Senat. Das bloße Zuwarten oder die Untätigkeit des Mitarbeiters genüge nicht dafür, dass der Schmerzensgeldanspruch verwirkt.

Das abwartende Verhalten sei – entgegen der Auffassung des LAG – auch nicht treuwidrig. Ein Unterlassen begründe nur dann ein Umstandsmoment, entschied das BAG, wenn aufgrund zusätzlicher besonderer Umstände eine Pflicht zur zeitnahen Geltendmachung besteht. In der vorzunehmenden Gesamtabwägung darf nicht auf eventuelle Beweisschwierigkeiten auf Seiten des Anspruchsgegners abgestellt werden. Die effektive Rechtsverteidigung des Vorgesetzten war jedoch ein wesentliches Argument, das – laut LAG – für eine Verwirkung sprach.

Wertungswiderspruch im Zusammenhang mit AGG?

Wie das BAG mit einer weiteren Erklärung des LAG umgeht, wird dagegen erst die endgültige Urteilsbegründung zeigen. Schließlich hatte das LAG Nürnberg die Verwirkung auch mit einem Wertungswiderspruch begründet. Beruhen die Entschädigungs- oder Schadenersatzansprüche wegen Mobbings auf Benachteiligungsmerkmalen im Sinne des § 1 AGG, müssen die Ansprüche nämlich innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht werden (§ 15 Abs. 4 AGG). Besteht jedoch kein Bezug zu den Merkmalen des § 1 AGG, wäre es widersprüchlich, ausschließlich die gesetzlichen Verjährungsfristen als maßgeblich anzusehen, so das LAG.

Hinzuweisen ist allerdings in diesem Zusammenhang auf die Vorschrift des § 15 Abs. 5 AGG, nach der im Übrigen Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt bleiben. Schadensersatzansprüche auf einer anderen Grundlage können also durchaus noch später geltend gemacht werden.

In jedem Fall wird sich das LAG nun erneut mit der Klage befassen müssen und prüfen, ob tatsächlich ein Mobbing-Vorfall festzustellen ist. Die Rekonstruktion des Sachverhalts dürfte nun – mehrere Jahre nach den Vorfällen – vermutlich nicht leichter fallen


Hinweis: BAG, Urteil vom 11. Dezember 2014, Az. 8 AZR 838/13; Vorinstanz: LAG Nürnberg, Urteil vom 25. Juli 2013, Az. 5 Sa 525/11

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