MeToo: Rechtsfragen zum Thema sexuelle Belästigung im Betrieb

Ist die zufällige Berührung beim gemeinsamen Blick auf den Bildschirm ein Beispiel für ein gutes soziales Miteinander im Betrieb oder eine sexuelle Belästigung? Die #MeToo-Debatte sorgt auch abseits der Filmbranche für Diskussionen. Wichtige Rechtsfragen hierzu beantwortet die Anwältin Nina Bogenschütz.

Die Varianten, in denen unangemessene Grenzüberschreitungen im arbeitstäglichen Miteinander auftreten können, sind vielfältig. Seit der medienwirksamen Debatte um sexuelle Belästigung in der Filmindustrie hat sich eine erhebliche Verunsicherung breitgemacht (Wie Unternehmen abseits der Rechtsfragen auf eine mögliche sexuelle Belästigung im Betrieb reagieren sollten, erklärt HEC-Professor Matteo Winkler). Wo sind die Grenzen und wie müssen Arbeitgeber die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter schützen? Oder aber das Gegenteil: Wann darf der Arbeitgeber gerade nichts unternehmen, weil er andernfalls den individuellen Persönlichkeitsrechten der Mitarbeiter nicht den geschützten Raum lässt?

Sexuelle Belästigung: Was sagt die Statistik?

Mehr als die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland hat eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz schon einmal beobachtet oder selbst erlebt. Über ihre Rechte sind viele Mitarbeiter aber nur unzulänglich informiert. Etwa 80 Prozent wissen nicht, dass Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet sind, sie aktiv vor einer (sexuellen) Belästigung am Arbeitsplatz zu schützen. Und mehr als 70 Prozent haben hierzu auch keinen Ansprechpartner in ihrem Betrieb.

Das sind die wichtigsten Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) bereits im Jahr 2015 zum Auftakt des Themenjahrs „Gleiches Recht. Jedes Geschlecht.“ vorgestellt hat. Diese sind bis heute im Wesentlichen unverändert geblieben.

#MeToo: Führt die Debatte zu neuen Arbeitgeberpflichten?

Nein. Arbeitsrechtlich ist die Diskussion nicht neu. Bereits seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im Jahr 2006 sind Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz zu verhindern (Prävention) und in dem Fall, in dem sie doch auftreten, richtig und konsequent darauf zu reagieren (Repression).

Eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder im betrieblich veranlassten Zusammenhang setzt nach § 3 Abs. 4 AGG nicht zwingend auch eine sexuelle Motivation voraus. Vielmehr ist es häufig ein Mittel der Machtdemonstration. Eine sexuelle Belästigung kann insbesondere in folgenden Konstellationen vorliegen:

  • Körperliche Belästigungen, zum Beispiel jede unerwünschte Berührung wie etwa tätscheln, umarmen, küssen,
  • sprachliche Belästigungen, etwa sexuell anzügliche sowie zweideutige Bemerkungen und Witze oder Forderungen zu intimen oder sexuellen Handlungen („Setz Dich auf meinen Schoß!“) und
  • sonstige anzügliche Verhaltensweisen, zum Beispiel Hinterherpfeifen, unerwünschte E-Mails, SMS, Fotos oder Videos mit sexuellem Bezug.

§ 12 Abs. 2 AGG empfiehlt Unternehmen ein präventives Konzept, indem ihnen bestimmte – fakultative – Organisationspflichten auferlegt werden, zum Beispiel die Durchführung von Schulungen oder die Aufstellung von Verhaltensregeln. Dies soll ein Arbeitsumfeld frei von Sexismus schaffen.

Welche Präventionsmaßnahmen gibt es?

Neben den in § 12 AGG vorgesehenen Schulungen ist es für Arbeitgeber und Beschäftigte wichtig, dass die Geschäftsleitung sich klar für eine Null-Toleranz-Unternehmenskultur im Falle von sexuellen Belästigungen ausspricht. Es sollte (anonyme) Beschwerdemechanismen geben, die zentral in den Unternehmensmedien vorgehalten werden. Sinnvoll ist es sicher auch, den Mitarbeitern Orientierungshilfen an die Hand zu geben, etwa durch Ethik-Richtlinien oder einen Code of Conduct, mit dem ein Rahmen für einen anonymen Austausch Betroffener geschaffen wird.

Was tun, wenn es zur sexuellen Belästigung im Betrieb kommt?

Nicht nur die Fürsorgepflicht gebietet es dem Arbeitgeber, bei (sexuellen) Belästigungen oder sonstigen Benachteiligungen entschieden zu reagieren. Dies gilt sowohl bei Benachteiligungen durch eigene Mitarbeiter als auch bei Benachteiligungen durch betriebsfremde Dritte (Dienstleister, Kunden, Lieferanten etc.). Die Voraussetzung ist jedoch immer ein betrieblicher Bezug. Denn der belästigte Mitarbeiter kann nicht nur vom Arbeitgeber verlangen, die Störung zu beseitigen. Vielmehr kann er unter Umständen auch Schadensersatzansprüche geltend machen oder nach § 14 AGG sogar seine Arbeitsleistung verweigern.

Verstoßen Beschäftigte gegen das Benachteiligungsverbot, sehen § 12 Abs. 2 und Abs. 3 AGG repressive Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung vor. Dabei ist die Auswahl der Mittel von der Schwere des einzelnen Verstoßes abhängig. Bei sehr leichten Verstößen kommt auch „lediglich“ eine Ermahnung in Betracht, wohingegen bei schwerwiegenden Verstößen auch eine Kündigung ohne vorhergehende Abmahnung verhältnismäßig sein kann.

Sexuelle Belästigung im Betrieb: Welche arbeitsrechtliche Maßnahme ist die richtige?

Der Katalog des § 12 Abs. 3 und 4 AGG baut die Sanktionsinstrumente nach Schwere eines Verstoßes aufeinander auf: Abmahnung, Umsetzung, Versetzung und Kündigung als letztes Mittel (Ultima Ratio). Bei der Auswahl des angemessenen Sanktionsinstruments muss der Arbeitgeber zunächst – wie bei sämtlichen arbeitsrechtlich relevanten Pflichtverstößen – entscheiden, ob der betroffene Arbeitnehmer sein Verhalten steuern kann. Es bedarf also einer Antwort darauf, ob es dem Mitarbeiter grundsätzlich möglich ist, sein Verhalten in Zukunft anzupassen.

Hierbei bietet die Reak­tion des Mitarbeiters auf den konkreten Vorwurf eine Orientierungshilfe. Sieht er seine Verfehlung ein, zeigt Anzeichen von Scham und/oder Reue oder beruft er sich auf ein „Augenblicksversagen“, so kann eine Abmahnung wahrscheinlich die ihr innewohnende Warnfunktion erfüllen. Bei Mitarbeitern, die schlicht leugnen oder den Vorfall bagatellisieren, dürfte dies weit weniger wahrscheinlich sein. In Fällen, in denen ein Mitarbeiter einen (insoweit als unstreitig unterstellten) Sachverhalt wider jegliche Vernunft leugnet oder verharmlost, sollte der Arbeitgeber an Stelle einer Abmahnung über weitergehende arbeitsrechtliche Mittel – wie Umsetzung, Versetzung oder Kündigung – nachdenken. Eine Kündigung wird in der Regel jedoch erst dann ausgesprochen werden können, wenn die milderen Mittel die Störung nicht beseitigen konnten.

Hinweis: Welche Rechte haben Betriebsrat und Gewerkschaft gegenüber untätigen Arbeitgebern? Hat eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz auch strafrechtliche Folgen? Was sind die Rechtsfolgen fehlender Prävention? Antworten auf diese Rechtsfragen lesen Sie im kompletten Text im Personalmagazin, Heft 08/2018. Hier geht es zur Personalmagazin-App.​​​​​​​


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