Ärztliche Schweigepflicht lockern oder Anzeigepflicht

Für den Co-Piloten des tragischen Germanwings-Flugs lag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Das hat eine Debatte dazu ausgelöst, ob die ärztliche Schweigepflicht gelockert werden müsste. Arbeitsrechtler Ralf Kittelberger schlägt aber eher neue Anzeige- und Meldepflichten vor.

Haufe Online-Redaktion: Werfen wir zunächst einen Blick auf die aktuelle Rechtslage zur ärztlichen Schweigepflicht. Wann kommen ärztliche Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis vor?

Dr. Ralf Kittelberger: Sie kommen in unterschiedlichen Konstellationen vor. Im Bereich des bestehenden Arbeitsverhältnisses sind sie insbesondere durch Vorschriften des Arbeitsschutzes bedingt. Bei der Einstellung können spezialgesetzliche Regelungen Untersuchungen vorschreiben, ob der Bewerber gesundheitlich geeignet ist, die entsprechende Tätigkeit durchzuführen. Außerhalb solcher Normen benötigt der Arbeitgeber eine besondere Rechtsgrundlage, um Einstellungsuntersuchungen oder gar Eignungsuntersuchungen während des bestehenden Arbeitsverhältnisses durchführen zu lassen. Deren Ausgestaltung durch Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung ist schwierig und muss sich genau an den Anforderungen orientieren, die in gesundheitlicher Hinsicht für die zu besetzende Stelle erforderlich sind.

Haufe Online-Redaktion: Wie ist die ärztliche Schweigepflicht mit Blick auf das Arbeitsverhältnis ausgestaltet?

Kittelberger: Die ärztliche Schweigepflicht ist hier nicht anders ausgestaltet als im allgemeinen Rechtsverkehr. Ohne Einwilligung des Arbeitnehmers ist der Arzt auch im Rahmen einer durch das Arbeitsverhältnis veranlassten Untersuchung nicht berechtigt, Ergebnisse und Diagnosen an den Arbeitgeber oder Dritte weiterzugeben; anderenfalls macht er sich sogar strafbar. Für den Betriebsarzt sieht etwa § 8 Abs. 1 S. 2 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) eine spezialgesetzliche Klarstellung vor, die vorschreibt, dass Betriebsärzte die ärztliche Schweigepflicht zu beachten haben.

Der Arbeitnehmer ist grundsätzlich frei in der Entscheidung darüber, dem Arbeitgeber oder Dritten Informationen über seinen Gesundheitszustand zu offenbaren; etwaige Nachteile bei einer Nicht-Offenlegung - wie etwa im Streit über eine krankheitsbedingte Kündigung - hat der Arbeitnehmer dann zu tragen. Auch bei Einstellungs- oder Eignungsuntersuchungen erhält der Arbeitgeber nur die bestätigende Information, ob die Eignung bestanden wurde oder nicht. Diagnosen und Untersuchungsergebnisse werden ihm nicht mitgeteilt.

Im laufenden Arbeitsverhältnis ist im Bereich der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) beispielsweise gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 3 lediglich eine Bescheinigung darüber auszustellen, dass eine Vorsorgeuntersuchung stattgefunden hat. Bei einer Pflichtvorsorge nach § 4 ArbMedVV darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zwar nur weiter beschäftigen, wenn dieser die Bescheinigung vorlegt, ein Untersuchungsergebnis erfährt der Arbeitgeber jedoch ebenso nicht.

Haufe Online-Redaktion: Gelten Besonderheiten bei psychischen Erkrankungen?

Kittelberger: Bei psychischen Erkrankungen gelten grundsätzlich keine Besonderheiten, auch wenn die meisten ärztlichen Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis körperliche Voraussetzungen oder Beeinträchtigungen betreffen. Eine gezielte Untersuchung auf psychische Erkrankungen ist – selbst mit aus unserer Sicht zwingend notwendiger Gesetzesänderung – äußerst schwierig zu gestalten, zumal diese häufig schwerer feststellbar sind als rein körperliche Erkrankungen. Dies auch ganz abgesehen davon, dass in der Praxis häufig Streit über die Folgen einer gutachterlichen Feststellung entsteht.

Daher wird es auch höchst problematisch sein, einen bestimmten psychischen Zustand, insbesondere die vollständige und dauerhafte Freiheit von psychischen Erkrankungen (negative Feststellung), als Voraussetzung für die dauerhafte Ausübung einer besonderen Tätigkeit legal zu definieren. Das ist unabhängig davon, ob eine solche Regelung überhaupt grundrechtskonform normiert werden kann.

Haufe Online-Redaktion: Welche Rolle spielt die konkrete berufliche Tätigkeit des Erkrankten?

Kittelberger: Es hängt bisher letztlich von einer einzelfallbezogenen Abwägung ab, ob ein Arbeitnehmer aufgrund einer – durch ein Sachverständigengutachten im Prozess bestätigten – psychischen Erkrankung die Eignung bzw. Fähigkeit verliert, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringen zu können, was wiederum bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen kann.

Haufe Online-Redaktion: Wie beurteilen Sie die aktuellen Vorschläge zur Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht?

Kittelberger: Diese aktuell geführte Diskussion, wonach zum Schutz Dritter etwa der behandelnde Arzt berechtigt werden könnte, den Betriebsarzt oder den Arbeitgeber über eine Verkehrsuntauglichkeit zu informieren, hat unserer Auffassung nach einen falschen Zungenschlag. Sie zeigt in die falsche Richtung.

Haufe Online-Redaktion: Was schlagen Sie stattdessen vor?

Kittelberger: Eher sollte darüber nachgedacht werden, ob nicht neue Anzeige- bzw. Mitteilungspflichten der behandelnden Ärzte gegenüber einer Aufsicht führenden Behörde eingeführt oder bestehende ausgeweitet werden, mit der Folge, dass etwa eine Erlaubnis erleichtert entzogen werden könnte (öffentlich-rechtliche Seite). Erst danach kann es in Fällen mit zulassungspflichtigen Sachverhalten (etwa bei Luftfahrzeugführern) eine – ggf. noch zu definierende - arbeitsrechtliche Folgen geben. Dies wäre konsequent vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber regelmäßig (extrem) gefahrgeneigte Berufe Zulassungspflichten unterwirft. Damit bliebe das Thema im jeweiligen primären Verantwortungsbereich.

Denkbar könnte sein, dass man festlegt, dass Arbeitgeber beim (ggf. vorläufigen) Entzug einer dem Arbeitnehmer erteilten Erlaubnis keine Gefahr laufen, in Annahmeverzug zu kommen. Man könnte auch ein Beschäftigungsverbot festschreiben oder sogar eine erleichterte Kündigungsmöglichkeit schaffen. Ein ähnlicher Gedanke wurde schon bei Vorschlägen zum Schaffen eines Sonderrechts für gewisse Berufsgruppen diskutiert - wie zum Beispiel für Profisportler.

Haufe Online-Redaktion: Was wären die Vorteile eines solchen Ansatzes?

Kittelberger: Ein solcher Vorgang könnte aus verschiedenen Aspekten heraus wünschenswert sein. Insbesondere würden Arbeitgeber mehr Handlungssicherheit erhalten. Die Nachteile für Arbeitnehmer könnten über eine Abwägung zu Gunsten der Sicherheit der Allgemeinheit begründet werden. Vor dem Hintergrund der Komplexität dieser Materie ist jedoch zu großer Aktionismus genauso wenig angezeigt wie vorschnelle Maßnahmen im Bereich des Arbeitsrechts, die erfahrungsgemäß letztlich nur Folgeprobleme für die Praxis bedeuten.


Das Interview führte Carola Dalhoff, Redaktion Personal.

Dr. Ralf Kittelberger ist Rechtsanwalt in der Reutlinger Kanzlei SLP Anwaltskanzlei GmbH.






Schlagworte zum Thema:  Schweigepflicht, Arbeitsunfähigkeit