Rz. 9

§ 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG eröffnet die Möglichkeit, über die in den Nr. 1 und 2 genannten Fälle hinaus eine wirksame und zweckmäßige Interessenvertretung der Arbeitnehmer zu errichten, wo aufgrund von Sonderformen der Organisation der Unternehmen oder der Zusammenarbeit verschiedener Unternehmen in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht, der sachgerechten Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen, besondere Schwierigkeiten entgegenstehen. Diese Möglichkeit entfernt sich in höchst bedenklicher Weise von den Grundprinzipien des Betriebsverfassungsrechts und öffnet der Beliebigkeit Tür und Tor.[1] Sie erlaubt den Tarifvertragsparteien, und nur diesen (BAG, Beschluss v. 11.10.2004, 7 ABR 17/04), über die rechtlichen Grenzen des Unternehmensrechts hinweg, Arbeitnehmervertretungen zu schaffen, welche nicht mehr an ihren Unternehmensträger anknüpfen, sondern verschiedenen Unternehmen angehören, die noch nicht einmal in einem Konzernverbund i. S. des § 18 Abs. 1 AktG (Unterordnungskonzern) miteinander verbunden sein müssen. Im Ergebnis kann § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG somit dazu führen, dass auf Grundlage eines Tarifvertrages Arbeitnehmervertretungen geschaffen werden, wo lediglich zwei Unternehmen aufgrund werkvertraglicher Beziehungen arbeitsrechtlich bzw. betriebsverfassungsrechtlich zusammengefasst werden sollen. Gedacht ist hierbei an Arbeitnehmervertretungen in sog. Industrie- und Technologieparks, entlang einer Zuliefererkette oder in sonstigen Arbeitsgemeinschaften.[2]

Gleichwohl ist § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verfassungsgemäß. Die Vorschrift verstößt nicht gegen die negative Koalitionsfreiheit der nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer und beruht auf einer ausreichend legitimierten Delegation staatlicher Normsetzungsbefugnisse (BAG, Beschluss v. 29.7.2009, 7 ABR 27/08).

Die Möglichkeit von geänderten Vertretungsstrukturen nach Nr. 3 wird vom BAG jedoch an weitere, sich aus dem Gesetzeszweck ergebende Voraussetzungen geknüpft. Ein solcher Tarifvertrag setzt einen Zusammenhang zwischen vornehmlich organisatorischen oder kooperativen Rahmenbedingungen auf Arbeitgeberseite und der wirksamen sowie zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer voraus. Zwar haben die Tarifvertragsparteien einen gewissen Beurteilungsspielraum. Erforderlich ist aber immer ein Zusammenhang zwischen vornehmlich organisatorischen oder kooperativen Besonderheiten auf Arbeitgeberseite und wirksamer sowie zweckmäßiger Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Die tarifvertraglich vereinbarte Struktur muss im Hinblick auf diesen Zusammenhang zur Vertretung der Arbeitnehmerinteressen "besser geeignet" sein als die gesetzliche (BAG, Beschluss v. 13.3.2013, 7 ABR 70/11; BAG, Beschluss v. 29.7.2009, 7 ABR 27/08). Diese Voraussetzungen müssen jedenfalls im Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages vorliegen bzw. weiterhin vorliegen. Was geschieht, wenn sie während der Laufzeit des Tarifvertrags durch Organisationsänderungen oder aus sonstigen Gründen entfallen, ist bisher nicht entschieden. Richtig dürfte sein, dass dann die Grundlage für den Tarifvertrag entfällt. Ob damit aber verbunden ist, dass dann die Betriebsräte außerhalb des Wahlturnus neu zu wählen sind, ist offen. Für sofortige Neuwahlen spricht, dass der "Wahlbetrieb" seine Identität verloren hat und damit auch für den Betriebsrat sich die Rechtfertigung seiner Existenz durch die bisherige Organisationsform entfallen ist.[3] Die nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gebildeten Betriebsräte haben ein Übergangsmandat nach § 21a und § 21b BetrVG.

Sinn und Zweck von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gehen nicht dahin, den Tarifvertragsparteien die gesetzlichen Arbeitnehmervertretungsstrukturen zur freien Disposition zu stellen. Vielmehr geht es darum, in besonderen Konstellationen, in denen sich die im BetrVG vorgesehene Organisation für eine wirksame und zweckmäßige Interessenvertretung der Arbeitnehmer als nicht ausreichend erweist, die Möglichkeit zu eröffnen, in einem Tarifvertrag durch eine Änderung Strukturen der Arbeitnehmervertretung für Abhilfe zu sorgen. Sinn und Zweck gebieten daher ein Verständnis dahingehend, dass die wirksame und zweckmäßige Interessenvertretung der Arbeitnehmer eine Relation zu den in der Norm beschriebenen organisatorischen oder kooperativen oder ähnlichen Besonderheiten aufweisen muss. Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist die Vorschrift eng auszulegen (BAG, Beschluss v. 13.3.2013, 7 ABR 70/11).

Der Abschluss eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG unterliegt weiter den allgemeinen tarifrechtlichen Voraussetzungen. Erforderlich sind danach die Tariffähigkeit und die Tarifzuständigkeit der abschließenden Gewerkschaft für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Ferner muss sie im Betrieb vertreten sein und die satzungsmäßige Tarifzuständigkeit der abschließenden Gewerkschaft muss für alle Arbeitsverhältnisse der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer gegeben sein. Daneben muss die Vereinbarung unter Beachtung des Schriftformerfordernisses des § 1 Abs. 2 TV...

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