1 Allgemeines

 

Rz. 1

§ 126 InsO ermöglicht dem Insolvenzverwalter, die soziale Rechtfertigung der bereits ausgesprochenen oder noch beabsichtigten Kündigungen in einem einheitlichen Beschlussverfahren überprüfen zu lassen.[1] Die Vorschrift ist auf alle Fälle einer betriebsbedingten Kündigung anwendbar, in denen ein Interessenausgleich nicht möglich ist; sie erfasst auch Kündigungen in Unternehmen mit bis zu 20 Arbeitnehmern oder einen Personalabbau, der noch keine Betriebsänderung i. S. v. §§ 111, 112 BetrVG darstellt.[2] § 126 InsO gilt sowohl für Beendigungs- als auch für Änderungskündigungen.[3]

 

Rz. 2

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts entfaltet nach § 127 InsO Bindungswirkung für die einzelnen Kündigungsschutzklagen der Arbeitnehmer. Das Verfahren nach § 126 InsO ist nicht praxistauglich und findet selten Anwendung.

[1] ErfK/Gallner/Bubach, 24. Aufl. 2024, § 126 InsO Rz. 1; HWK/Annuß, Arbeitsrecht, 10. Aufl. 2022, § 126 InsO Rz. 1, näher zum Ganzen auch Rieble, NZA 2007, 1393.
[2] KR/Weigand/Spelge, 13. Aufl. 2022, § 126 InsO Rz. 3; Lakies, RdA 1997, 145, 151; a. A. Kübler/Prütting/Brock/Göpfert/Dachner, InsO, 98. EL, 12/2023, § 126 InsO Rz. 9 f.
[3] ErfK/Gallner/Bubach, § 126 InsO Rz. 1; HWK/Annuß, § 126 InsO Rz. 1.

2 Voraussetzungen des Verfahrens

 

Rz. 3

Ein Verfahren nach § 126 InsO kommt zunächst in Betracht, wenn in einem Betrieb kein Betriebsrat existiert; der Insolvenzverwalter kann in diesen Fällen unverzüglich einen entsprechenden Antrag stellen.

 

Rz. 4

Die gleiche Möglichkeit besteht, wenn zwar ein Betriebsrat existiert, aber innerhalb von 3 Wochen nach Verhandlungsbeginn oder nach schriftlicher Aufforderung zu entsprechenden Verhandlungen noch kein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO zu Stande gekommen ist. Das endgültige Scheitern der Verhandlungen um einen Interessenausgleich vor Ablauf der 3-Wochen-Frist ist nicht mit dem Verstreichen der 3-Wochen-Frist gleichzusetzen.[1] Unerheblich ist dabei, aus welchen Gründen die Verhandlungen gescheitert sind. Entscheidend ist lediglich, dass überhaupt Verhandlungen zwischen den Betriebsparteien stattgefunden haben und dabei auch die Möglichkeit einer Einigung bestand.[2]

Weitere Voraussetzung ist, dass der Betriebsrat vom Insolvenzverwalter rechtzeitig und umfassend über den geplanten Personalabbau informiert worden ist; dieser Nachweis wird in der Praxis regelmäßig Schwierigkeiten bereiten.

 

Rz. 5

Verständigen sich der Arbeitgeber und der zuständige Betriebsrat auf einen Interessenausgleich, nachdem der Insolvenzverwalter einen Antrag nach § 126 InsO gestellt hat, so wird das Verfahren unzulässig, soweit die Regelungswirkung des Interessenausgleichs reicht.[3]

[1] HWK/Annuß, Arbeitsrecht, § 126 InsO Rz. 2.
[2] ArbG Stuttgart, Beschluss v. 19.11.2021, 19 BV 80/21, BeckRS 2021, 41671; Bissels/Fuchs, NZI 2022, 116.
[3] HWK/Annuß, § 126 InsO Rz. 2; Kübler/Prütting/Brock/Göpfert/Dachner, InsO, § 126 InsO Rz. 36.

3 Durchführung des Verfahrens

 

Rz. 6

Liegen die oben genannten Voraussetzungen vor, so kann der Insolvenzverwalter beim Arbeitsgericht beantragen festzustellen, dass die Kündigung bestimmter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und die getroffene Sozialauswahl gerechtfertigt ist.

Der Antrag muss die betroffenen Arbeitnehmer zweifelsfrei identifizieren.[1] Dabei muss erkenntlich sein, welchen Arbeitnehmern bereits gekündigt worden ist oder welche Arbeitsverhältnisse im Zeitpunkt der Antragsstellung zeitnah gekündigt werden sollen. Unerheblich für die hinreichende Bestimmtheit ist es allerdings, dass der Antrag noch keine Angaben hinsichtlich der Kündigungstermine enthält.[2] Handelt es sich um Änderungskündigungen, so sind auch die geänderten Arbeitsbedingungen in den Antrag aufzunehmen.[3]

 

Rz. 7

Für das Verfahren finden die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes über das Beschlussverfahren entsprechende Anwendung (§§ 80 ff. ArbGG). Es gilt der Untersuchungsgrundsatz[4]: Das Arbeitsgericht ermittelt die Richtigkeit der vorgetragenen Tatsachen von Amts wegen und hört auch Zeugen, die nicht benannt wurden. Verfahrensbeteiligte sind der Insolvenzverwalter, der Betriebsrat (soweit vorhanden) und die im Antrag bezeichneten Arbeitnehmer, falls sie nicht mit der Beendigung ihres Anstellungsverhältnisses oder der Änderung ihrer Arbeitsbedingungen einverstanden sind; ein möglicher Betriebserwerber ist nach § 128 Abs. 1 Satz 2 InsO ebenfalls zu beteiligen.

 

Rz. 8

Das Arbeitsgericht entscheidet lediglich über die Sozialwidrigkeit der Kündigungen; diese Prüfung ist umfassend[5]: Das Arbeitsgericht überprüft daher, ob die Kündigungen durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sind und ob die Grundsätze der Sozialauswahl eingehalten wurden. Die Entscheidung, bestimmte Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG aus der Sozialauswahl herauszunehmen, unterliegt ebenfalls der gerichtlichen Kontrolle. Der Insolvenzverwalter kann – anders als bei § 125 InsO – weder eine Vermutung der Betriebsbedingtheit noch eine Einschränkung der gerichtlichen Überprüfung für sich in Anspruch nehmen.

 

Rz. 9

Andere Unwirksamkeitsgründe...

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