5.1 Allgemeines

 

Rz. 72

Ein Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers und damit korrespondierend die Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers ist im Dienstvertragsrecht nicht ausdrücklich geregelt. Dennoch erkennen Rspr. und Lit. einen Anspruch auf Beschäftigung aufgrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG an,[1] da die Tätigkeit im Arbeitsverhältnis eine wesentliche Möglichkeit zur Entfaltung der geistigen und körperlichen Fähigkeiten darstellt.[2]

Vom allgemeinen Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers im ungekündigten Arbeitsverhältnis ist der sog. Weiterbeschäftigungsanspruch während des Kündigungsschutzprozesses zu unterscheiden, der aus §§ 611, 613 i. V. m. § 242 BGB abgeleitet wird. Nach Auffassung des BAG beruht der Anspruch des gekündigten Arbeitnehmers unmittelbar auf der sich aus § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung der Art. 1, 2 GG über den Persönlichkeitsschutz für den Arbeitgeber ergebenden arbeitsvertraglichen Förderungspflicht der Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers. Stehen dem Beschäftigungsanspruch schutzwerte Interessen des Arbeitgebers (bspw. Wegfall der Vertrauensgrundlage, fehlende Einsatzmöglichkeit, Gefahr des Geheimnisverrats, unzumutbare wirtschaftliche Belastung sowie alle Gründe, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen würden) entgegen, muss dieser allerdings zurücktreten.[3]

[1] St. Rspr. seit BAG, Urteil v. 10.11.1955, 2 AZR 591/54, AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 2; zuletzt BAG, Urteil v. 15.6.2021, 9 AZR 217/20, NZA 2021, 1625; es besteht allerdings kein Anspruch auf Beschäftigung zu bestimmten Zeiten, BAG, Urteil v. 19.9.2018, 10 AZR 496/17, AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 52.
[3] BAG, Beschluss v. 27.2.1985, GS 1/84, AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14; fortentwickelt in BAG, Urteil v. 27.5.2020, 5 AZR 247/19, NZA 2020, 1169.

5.2 Befreiung des Arbeitgebers von der Beschäftigungspflicht

 

Rz. 73

Der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers entfällt, wenn der Arbeitgeber von seiner Beschäftigungspflicht befreit ist (sog. Suspendierung). Im Unterschied zu einer Kündigung besteht das Arbeitsverhältnis im Falle einer Suspendierung grundsätzlich fort. Die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ruhen bei einer Suspendierung nur ganz oder teilweise. § 611a BGB i. V. m. § 613 BGB gibt insofern keine Beschäftigungsgarantie, nur einen Beschäftigungsanspruch. Dieser findet seine Grenzen in schützenswerten Interessen des Arbeitgebers. Diese können in einem Nichttolerieren von Fehlverhalten des Arbeitnehmers oder in einer Umstrukturierung des Betriebs mit einem Wegfall des Arbeitsplatzes liegen.[1]

 

Rz. 74

Bei fehlender vertraglicher Vereinbarung ist die einseitige Suspendierung des Arbeitnehmers regelmäßig nur zulässig, wenn dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unzumutbar ist,[2] da ein einseitiger Verzicht des Arbeitgebers auf die Arbeitsleistung im Gesetz gerade nicht vorgesehen ist.[3]

 

Rz. 75

Wird der Arbeitnehmer suspendiert, so behält er dennoch i. d. R. seinen Vergütungsanspruch. Nach dem BAG kann die einseitig durch den Arbeitgeber angeordnete Suspendierung des Arbeitnehmers selbst in dem Fall, dass der Arbeitnehmer einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung verdächtig ist, den Anspruch des Arbeitnehmers auf die vereinbarte Vergütung für die Zeit der Suspendierung weder beseitigen noch mindern.[4] Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, in denen das vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers so schwerwiegend ist, dass dem Arbeitgeber die Annahme der Arbeitsleistung nicht zumutbar ist, kann die Vergütungspflicht entfallen.[5]

 

Rz. 76

Grundsätzlich steht es den Arbeitsvertragsparteien frei, eine Suspendierung der Beschäftigungspflicht und damit regelmäßig verbunden der Vergütungspflicht zu vereinbaren. Bei diesem sog. Freistellungsvertrag handelt es sich um eine Sondervereinbarung, die im Rahmen der auch im Arbeitsrecht geltenden Vertragsfreiheit[6] solange unbedenklich ist, wie der für das zugrunde liegende Arbeitsverhältnis bestehende Kündigungsschutz nicht tangiert wird.[7]

[1] BAG Urteil v. 15.6.2021, 9 AZR 217/20, NZA 2021, 1625; Kania in Küttner, Personalbuch, Beschäftigungsanspruch Rz. 4.
[4] BAG, Urteil v. 4.6.1964, 2 AZR 310/63, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 13.

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