3.1 Arbeits-, sozial- und steuerrechtlicher Arbeitnehmerbegriff

 

Rz. 10

Das Problem, den Begriff des Arbeitnehmers zu definieren, stellt sich nicht nur im Arbeitsrecht, sondern in ähnlicher Form auch im Sozialversicherungsrecht (SozV-Recht) und Steuerrecht. Es stellt sich nicht nur in Deutschland, sondern international.[1] Grundnorm des SozV-Rechts ist § 7 SGB IV. In dessen Abs. 1 ist als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit insb. in einem Arbeitsverhältnis umschrieben. Die Formulierung der Vorschrift ("insbesondere") zeigt, dass die arbeitsrechtliche Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft nicht zwingend mit derjenigen eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses übereinstimmt.[2] Die sozialversicherungsrechtlichen Kriterien sind nicht mit dem in der arbeitsgerichtlichen Rspr. in Jahrzehnten herausgearbeiteten Prüfprogramm, mithilfe dessen der personelle Geltungsbereich des Arbeitsrechts zu bestimmen ist, identisch. In diese Abgrenzung wollte der Gesetzgeber, wie allein der sozialversicherungsrechtliche Standort der Vorschrift zeigt, auch gar nicht eingreifen; er hat sich zur Bewältigung des Problems der sog. "Scheinselbstständigkeit" vielmehr auf eine kleine, d. h. bloß sozialversicherungsrechtliche Lösung beschränkt.

 

Rz. 11

Im Steuerrecht wird zwischen Einkünften aus selbstständiger und nicht selbstständiger Arbeit[3] unterschieden; bei Letzterer ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Lohnsteuer des Arbeitnehmers einzubehalten und an die zuständige Finanzbehörde abzuführen (sog. LStAbzugsverfahren). Der Begriff der unselbstständigen Tätigkeit ist in § 1 Abs. 1 LStDV inhaltlich in Anlehnung an den arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff definiert. Dabei ist jedoch anerkannt, dass die Vorschrift eine eigenständige Arbeitnehmerdefinition statuiert, die sich nicht durch die Aufzählung bestimmter Merkmale festlegen lässt, sondern im Einzelfall durch eine Gesamtwürdigung der Verhältnisse bestimmt wird[4] und nicht mit dem arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff übereinstimmen muss.[5] Dies zeigt sich insb. darin, dass freie Mitarbeiter grds. als nicht selbstständig i. S. d. Steuerrechts erachtet werden, es sei denn, dass sie nur für einzelne Produktionen tätig werden; eine von vornherein auf Dauer angelegte Tätigkeit sei in jedem Fall als nicht selbstständig zu erachten.[6] Nach arbeitsrechtlicher Kategorisierung werden sie, sofern die Voraussetzungen des Arbeitnehmerbegriffs nicht vorliegen, hingegen trotz des Dauercharakters des Vertragsverhältnisses als freie Dienstnehmer i. S. d. § 611 BGB angesehen und unterfallen nicht dem arbeitsrechtlichen Schutz.

[1] Ausführlich: Thüsing, Scheinselbständigkeit im internationalen Kontext, 2011.
[2] Brand, Zur sozialversicherungsrechtlichen Begriffsbestimmung, NZS 1997, 552; Kretschmer, RdA 1997, S. 327.
[6] Vgl. Erlass des Bundesministers der Finanzen über den Steuerabzug und Arbeitslohn bei unbeschränkt einkommenssteuerpflichtigen Künstlern und verwandten Berufen, BStBl 1990, S. 638.

3.2 Einheitlicher Arbeitnehmerbegriff im Arbeitsrecht

 

Rz. 12

Innerhalb des Arbeitsrechts ging bereits bislang die h. M. von einem einheitlichen Arbeitnehmerbegriff aus.[1] Bei seiner Bestimmung im Einzelfall wird also nicht in Abhängigkeit vom jeweiligen anwendbaren Gesetz differenziert, es sei denn, der persönliche Anwendungsbereich der jeweiligen Kodifikation ist vom Gesetzgeber durch eine gesonderte Regelung speziell zugeschnitten worden (z. B. § 5 Abs. 2, 3 BetrVG). Dreh- und Angelpunkt ist dementsprechend nun die Definition des Arbeitsvertrags, die sich aus § 611a BGB entnehmen lässt. Den jeweiligen arbeitsrechtlichen Gesetzen liegen allerdings im Detail durchaus unterschiedliche Schutzrichtungen zugrunde, wenngleich das Arbeitsrecht allgemein und generalisierend als Schutzrecht der abhängig Beschäftigten bezeichnet wird und der Arbeitnehmerschutz also als allumspannender Zweck des Arbeitsrechts angesehen werden kann. Die Zielsetzung vieler arbeitsrechtlicher Gesetzgebungswerke und richterrechtlich ausgeformter Institute lässt sich zusammenfassend dahingehend umschreiben, dass sie dem Schutz der Persönlichkeit der Arbeitnehmer dienen. Das Arbeitsrecht kann also umgekehrt weitgehend als Konkretisierung des Persönlichkeitsschutzes der Arbeitnehmer charakterisiert werden.[2] Bei anderen Gesetzen steht hingegen mehr die Erhaltung der wirtschaftlichen Existenz der Arbeitnehmer im Vordergrund. Das gilt z. B. für das EFZG, nach überwiegender Meinung auch mit Blick auf das KSchG.[3]

 

Rz. 13

Im Hinblick auf das kollektive Arbeitsrecht wird der Gedanke des Arbeitnehmerschutzes ebenso generalisierend als ein prägendes Grundprinzip bezeichnet[4], wenngleich auch insoweit im Detail hinsichtlich der Zwecksetzung von Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsrecht differenziert werden muss. Die beid...

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