2.1 Gesetzliche Vorschriften

 

Rz. 8

Die durch die Unwirksamkeit einer Vertragsklausel entstandene Lücke ist in erster Linie durch die gesetzlichen Vorschriften zu füllen. Sofern vorhanden, ist dies dispositives Recht; andernfalls entfällt die Klausel ersatzlos.[1] Gesetzliche Vorschriften in diesem Sinn sind auch die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten ungeschriebenen Rechtsgrundsätze.[2] Sieht beispielsweise eine Versetzungsklausel eine zu weitgehende Versetzungsmöglichkeit vor, so führt dies nicht dazu, dass der Arbeitnehmer künftig überhaupt nicht mehr versetzt werden könnte. Vielmehr findet fortan § 106 GewO Anwendung. Unter Berücksichtigung billigen Ermessens kann der Arbeitnehmer damit im Rahmen des durch den Arbeitsvertrag Vorgegebenen versetzt werden. Ist eine Ausschlussklausel unwirksam bzw. nicht Vertragsbestandteil geworden, so finden stattdessen die gesetzlichen Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff. BGB Anwendung.[3]

[1] Palandt/Heinrichs, § 306 BGB, Rz. 6; MünchKomm-BGB/Basedow, § 306 BGB, Rz. 21; BAG, Urteil v. 5.7.2022, 9 AZR 341/21.
[2] Palandt/Heinrichs, § 306 BGB, Rz. 6.

2.2 Ergänzende Vertragsauslegung

 

Rz. 9

Lediglich ausnahmsweise darf eine ergänzende Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB erfolgen. Das ist ausschließlich der Fall, wenn der ersatzlose Wegfall der unwirksamen Klausel oder die Anwendung dispositiven Rechts nicht sachgerecht wären.[1]

Die Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung wurde mittlerweile auch vom EuGH in den Fällen anerkannt, in denen der Vertrag bei Wegfall der unwirksamen Klausel nicht allein fortbestehen kann. Hier habe die folgende Nichtigkeitserklärung des Vertrags besonders nachteilige Folgen für den Verbraucher. Art. 6 der Richtlinie 93/12/EWG stehe dahingehend nicht entgegen bzw. sei entsprechend auszulegen. Wenn es im nationalen Recht hierfür keine dispositive Bestimmung gäbe, müsse das nationale Gericht unter Berücksichtigung seines gesamten innerstaatlichen Rechts alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers vor den daraus folgenden besonders nachteiligen Folgen treffen. Dies berechtige die Gerichte unter Umständen sogar dazu, die Parteien zu Verhandlungen aufzufordern. Als Voraussetzung stellte der EuGH die Vorgabe des Rahmens der Verhandlungen durch das Gericht, sowie das Ziel der Herstellung eines Gleichgewichts zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien unter besonderer Berücksichtigung des Verbraucherschutzes gemäß Richtlinie 93/13/EWG.[2]

Ist eine Regelung über Arbeit auf Abruf unwirksam, bei der der Arbeitnehmer mindestens 30 Stunden wöchentlich arbeiten sollte, der Arbeitgeber aber eine Arbeitszeit von bis zu 40 Stunden wöchentlich einseitig verlangen könnte, liegt ein solcher Fall vor. Der Rückgriff auf die gesetzliche Fiktion von 20 Arbeitsstunden nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG wäre nicht interessengerecht (BAG, Urteil v. 7.12.2005, 5 AZR 535/04 zur damals noch bestehenden Fiktion von 10 Arbeitsstunden).[3]

 

Rz. 10

Die ergänzende Vertragsauslegung ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn sie für den Verwender günstiger als der ersatzlose Wegfall der unwirksamen Klausel wäre. Allein, wenn für den Verwender eine besondere Härte i. S. d. § 306 Abs. 3 BGB vorläge, darf auf die ergänzende Vertragsauslegung zurückgegriffen werden.[4] So darf insbesondere bei Anwendung des "blue-pencil-tests", wenn ein Festhalten am Vertrag für die andere Vertragspartei eine unzumutbare Härte nach § 306 Abs. 3 BGB darstellt, ausnahmsweise eine ergänzende Vertragsauslegung durchgeführt werden.[5]

Damit markiert das BAG die Grenze zur geltungserhaltenden Reduktion. Bei der geltungserhaltenden Reduktion wird nach der Grenze des am Maßstab der §§ 307 ff. BGB zu beurteilenden "gerade noch Zulässigen" gesucht. Dagegen erstrebt die ergänzende Vertragsauslegung einen beiden Seiten soweit wie möglich gerecht werdenden Ausgleich. Auch wenn dieser Ausgleich nicht das "gerade noch Zulässige" ist, nimmt die ergänzende Vertragsauslegung dem Verwender doch das Risiko, die Klausel zu benutzen. Sie wäre damit für ihn eine Gestaltungshilfe.[6] Dementsprechend ist eine Klausel über die Rückzahlung von Ausbildungskosten, und zwar unabhängig vom Beendigungsgrund, nicht durch eine angemessene Rückzahlungsklausel zu ersetzen.[7]

 

Rz. 11

Der Vertrag muss nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab ergänzend ausgelegt werden. Dieser Maßstab richtet sich nach dem Willen und Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise (und nicht nur der konkret beteiligten Parteien). Die Vertragsergänzung muss deshalb für den betroffenen Vertragstyp als allgemeine Lösung eines stets wiederkehrenden Interessengegensatzes angemessen sein.[8] Festzulegen ist das, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die gesetzlich angeordnete Unwirksamkeit der Klausel bekannt gewesen wäre.[9] Zur Ermittlung des mutmaßlichen Parteiwillens muss die tatsächliche Vertragsdurchführung berücksichtigt werden.[...

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