Leitsatz (amtlich)

§ 85 Abs. 2 ZPO ist auf die Wahrung der Klagefrist nach § 4 KSchG entsprechend anzuwenden.

 

Normenkette

KSchG §§ 4-5; ZPO § 85 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Erfurt (Aktenzeichen 3 Ca 3407/99)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Erfurt vom 18.01.2000, 3 Ca 3407/99, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 36.000,00 DM festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Parteien streiten im Nebenverfahren nach § 5 KSchG über die nachträgliche Zulassung einer verspäteten Kündigungsschutzklage.

Am 27.09.1999 beauftragte der Kläger seinen damaligen Rechtsanwalt, gegen die zum 31.03.2000 ausgesprochene Arbeitgeberkündigung vom 15.09.1999 zu klagen. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen wurde dem Rechtsanwalt die Akte erst am 26.10.1999 vorgelegt.

Die mit einem Antrag auf nachträgliche Zulassung verbundene Kündigungsschutzklage vom gleichen Tage ging am 27.10.1999 beim Arbeitsgericht ein.

Das Arbeitsgericht hat die nachträgliche Zulassung mit Beschluss vom 18.01.2000 verweigert und zur Begründung ausgeführt, der Kläger müsse sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

Der Kläger wechselte den Anwalt und hat gegen den am 22.01.200 zugestellten Beschluss am 07.02.2000, einem Montag, sofortige Beschwerde einlegen lassen.

II.

Die sofortige Beschwerde (§§ 5 Abs. 4 S. 2 KSchG, 78 Abs. 1 ArbGG, 577 Abs. 2, 567 ff ZPO) ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die Kündigungsschutzklage gem. § 5 Abs. 1 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Versäumung der Drei-Wochen-Frist nach § 4 KSchG ist im Rechtssinne verschuldet.

A)

Allerdings ist dem Kläger nichts vorzuwerfen. Er hat sich nach Zugang der Kündigung vom 15.09.1999 um seine Angelegenheiten gekümmert und seinem damaligen Rechtsanwalt am 27.09.1999 rechtzeitig Klageauftrag erteilt. Die Klagefrist nach § 4 KSchG wurde versäumt, weil dem Rechtsanwalt die Akte erst am 26.10.1999 wieder vorgelegt wurde. Wo das Versagen lag, ist nicht mehr nachvollziehbar. Schon darin liegt Anwaltsverschulden, da sich die Büroabläufe der Kontrolle entziehen und damit unzureichend organisiert sind. Ein nicht beherrschbarer Ausreißer des Büropersonals wird gerade nicht geltend gemacht.

B)

Das Verschulden des damaligen Bevollmächtigten steht eigenem Verschulden des Klägers nach § 85 Abs. 2 ZPO gleich:

1.

Seit Inkrafttreten des Kündigungsschutzgesetzes (1951) ist umstritten, ob der Arbeitnehmer sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der dreiwöchigen Klagefrist nach § 85 Abs. 2 ZPO (direkt oder analog) zurechnen lassen muss. Die Zurechnungsbefürworter werden der Einfachheit halber als „h. M.”, die Zurechnungsgegner (in der Rechtsprechung insbesondere LAG Hamm und LAG Hamburg) als „a. A.” zusammengefasst. Da das Bundesarbeitsgericht wegen § 78 Abs. 2 ArbGG nicht für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sorgen kann, eine Verfassungsbeschwerde erfolglos blieb (BVerfG vom 11.04.1983, 1 BVR 1179/82 n. v.), der Gesetzgeber keine Abhilfe schafft sondern im Gegenteil die praktische Bedeutung des Streites noch erhöht hat (§§ 1 Abs. 5 BeschFG, 113 Abs. 2 InsO), hängt die Entscheidung weiterhin davon ab, welches Landesarbeitsgericht als Beschwerdegericht für den Rechtsstreit zuständig ist. Die erkennende Kammer zählt nach ihrer bisherigen Rechtsprechung zu den Zurechnungsbefürwortern. Die Beschwerde weiß das. Sie will eine Entscheidung und hat offenbar den Anwaltsregress im Auge.

2.

Der ewige Streit lässt sich weder durch Abzählen („h. M.”) entscheiden, noch ist das gebetsmühlenartige Wiederholen alter Argumente mit Erkenntnisgewinn verbunden. Vollkommer (Festschrift für Stahlhacke 1995, 599) brachte mit einem in das Zivilprozessrecht zurückführenden neuen methodischen Ansatz wieder Bewegung in die festgefahrene Diskussion (vgl. die Untersuchungen von Francken – Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Klagefristen des § 4 KSchG, des § 1 Abs. 5 BeschFG und des § 113 Abs. 2 InsO; Diss. Freiburg 1998 – und Holthaus – Versäumung der Dreiwochenfrist des § 4 KSchG; Nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage trotz Anwaltsverschuldens?, Diss. Bochum 1998). Die Beschwerdekammer bleibt dabei: der im Arbeitsgerichtsprozess über § 46 Abs. 2 ArbGG geltende § 85 Abs. 2 ZPO (Stein/Jonas/Borck, ZPO, 21. Aufl. 1992, § 85 Rz 28) ist auf die Versäumung der Klagefrist nach § 4 KSchG (entsprechend) anzuwenden.

a)

Der alte „Hauptkriegsschauplatz zwischen den Lagern” (Vollkommer, FS, S. 606) – der Streit um die (prozessuale oder materiellrechtliche oder doppelte) Rechtsnatur der Klagefrist des § 4 KSchG – liegt verlassen. Die prozessuale Einordnung führt, wie der Lösungsansatz von Vollkommer zeigt – nicht zwingend zur Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO, die materiellrechtliche Einordnung nicht zwingend zum Ausschluss der Vorschrift, da dann eine analoge Anwendung in Betracht kommt (so LAG Berlin vom 28.08.1978, AP Nr. 2 zu § 5 KSchG, LAG München vo...

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