Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Wunsch- und Wahlrecht des Versicherten bezüglich der zertifizierten stationären Rehabilitationseinrichtung. § 40 Abs 2 S 4 SGB 5 als lex specialis. Ermessensreduzierung. Vorrang des Wunsch- und Wahlrechts vor dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Angemessenheit der Wahl. Mehrkosten. Abwägung im Einzelfall

 

Orientierungssatz

1. Die Vorschrift des § 40 Abs 2 S 4 SGB 5 ist lex spezialis gegenüber § 40 Abs 3 S 1 SGB 5 und reduziert daher das Ermessen der Krankenkasse bei der Bestimmung der Rehabilitationseinrichtung.

2. Das Wunsch- und Wahlrecht des Versicherten geht nach den Änderungen durch das "Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz - GKV-VSG)" vom 16.7.2015 (BGBl I 2015, 12) ausdrücklich dem Wirtschaftlichkeitsgebot vor.

3. Die durch die Wahl einer zertifizierten stationären Rehabilitationseinrichtung entstehenden Mehrkosten hat der Versicherte nur insoweit zu tragen, als diese nicht im Hinblick auf die Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts nach § 8 SGB 9 (juris: SGB 9 2018) angemessen sind.

4. Über die Angemessenheit der Wahl und Wünsche des Versicherten und der dadurch entstehenden Mehrkosten ist im Einzelfall in Abwägung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot zu entscheiden.

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 06. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2020 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts den Antrag neu zu bescheiden.

Die Beklagte hat die dem Kläger entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Bescheid zur Forderung von Mehrkosten für die Durchführung einer Anschlussrehabilitation nach durchgeführter Hüft-TEP-OP streitig.

Der 1943 geborene Kläger lebt gemeinsam mit seiner Ehefrau, bei der 2019 eine Hüft-TEP-OP mit anschließender Rehabilitation in der Reha-Klinik am Meer in B. Z. durchgeführt wurde, in W.. Am 31. Januar 2020 wurde bei dem Kläger ebenfalls eine Hüft-TEP OP im Bundeswehrkrankenhaus W. durchgeführt. Die Entlassung erfolgte zum 12. Februar 2020.

Am 5. Februar 2020 beantragte der Kläger die Durchführung der Anschlussrehabilitation in der Klinik am Meer in B. Z..

Mit Bescheid vom 6. Februar 2020 teilte die Beklagte dem Kläger eine Kostenbeteiligung in Höhe von 101 € täglich für die stationäre Reha-Maßnahme mit. Die Mehrkosten in Höhe von 30,43 € täglich seien vom Kläger zu tragen. Diesbezüglich erhalte der Kläger ein gesondertes Schreiben. Bei der Entscheidung werde den berechtigten und angemessenen Wünschen des Versicherten entsprochen. Gleichzeitig müsse nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot die Leistung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Die B.-Klinik in B. E. sei in gleicher Weise geeignet, die medizinisch notwendige Behandlung durchzuführen. Unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts müssten die durch Ausübung der Wahl des Versicherten entstehenden Mehrkosten angemessen sein. Dies treffe im Falle des Klägers nicht zu, sodass die Mehrkosten von ihm zu tragen seien.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Die Ehefrau des Klägers habe kürzlich selbst eine Hüft-TEP erhalten. Sie könne somit weitere Strecken auch mit dem Auto nur sehr schwer bewältigen. Der regelmäßige Besuch der Ehefrau des Klägers sei für seine Genesung förderlich. Zudem sei dem Kläger das Reha-Zentrum am Meer bereits durch die Behandlung der Ehefrau des Klägers und seines damaligen Aufenthaltes sehr vertraut, was seiner Genesung ebenfalls dienlich sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 19. Mai 2020 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg Klage erhoben. Der angegriffene Bescheid sei schon mangels rechtmäßiger Ermessensausübung aufzuheben. Vom operierenden Krankenhaus zu der Klinik in B. Z. betrage die Entfernung 17,5 km. Die Fahrzeit betrage 18 Minuten. Vom operierenden Krankenhaus zu der Klinik in B. E. betrage die Entfernung 170 km und die Fahrzeit 2 Stunden 19 Minuten. Der Kläger habe die von ihm vorgeschlagene Behandlung nach § 40 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) am 12. Februar 2020 antreten können, während die Klinik in B. E. erst am 18. Februar 2020 zur Aufnahme bereit gewesen wäre. Für den Vorschlag des Klägers spreche der kürzere Transportweg, die besondere medizinische Eignung, die bei älteren Patienten zu respektierende Behandlung in Wohnortnähe und die Besuchsmöglichkeiten der Angehörigen in der vorgeschlagenen Klinik, die bei einer signifikant schlechter zu erreichenden anderen Klinik nicht bestünden. Schließlich sei auch das besondere Vertrauensverhältnis des Klägers, das aus einer erfolgreichen, vorausgegangenen Behandlung des Versicherten in der Klinik in B. Z. resultiere, zu berücksichtigen. Zum Zeitpunkt der Klinikwahl habe schon keine ordnungsgemäße Entscheidung nach § 40 Abs. 3 S. 1 SGB V vorgelegen, weshalb der Kläge...

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