1.1 Mindestlohn in Deutschland – Situation bis zum Jahr 2014

Einen durch Gesetz festgelegten, für jeden in Deutschland tätigen Arbeitnehmer allgemeinen Mindestlohn kannte das deutsche Recht früher nicht. Für das Arbeitsverhältnis zu beachtende Löhne waren nur dann zwingend und unverzichtbar, wenn auf das Arbeitsverhältnis nach § 3 TVG ein Tarifvertrag Anwendung findet. Das setzt aber die beiderseitige Tarifgebundenheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer voraus, die in Deutschland rückgängig ist.

Daneben gab es die Möglichkeit, durch einen staatlichen Akt branchenbezogene Mindestlöhne festzusetzen. Hierfür standen 2 Wege zur Verfügung:

Nach § 5 TVG können Tarifverträge auf Antrag einer der Tarifvertragsparteien für allgemeinverbindlich erklärt werden, sodass sie für alle Arbeitgeber und alle Arbeitnehmer, die unter ihren fachlichen, räumlichen und persönlichen Geltungsbereich fallen, verbindlich gelten. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) ersetzt die fehlende Tarifgebundenheit von Arbeitgeber oder Arbeitnehmer und schafft auf diese Art und Weise im Geltungsbereich des Tarifvertrags nicht nur einen Mindestlohn, sondern insgesamt einheitliche Mindestarbeitsbedingungen.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) sind die in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften enthaltenen Regelungen über die Entlohnung einschließlich der Überstundensätze ohne die Regelungen über die betriebliche Altersversorgung auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zwingend anzuwenden. Zum anderen besteht für bestimmte Branchen die Möglichkeit, über Mindestarbeitsbedingungen (§§ 3, 5 AEntG) oder durch den Erlass einer Rechtsverordnung (§ 7 AEntG) Mindestentgelte für alle in Deutschland tätigen Arbeitnehmer, auch solche, die von ausländischen Arbeitgebern nur vorübergehend nach Deutschland entsandt worden sind, festzusetzen. Das AEntG gilt bisher jedoch nach § 4 AEntG nur für das Bauhauptgewerbe oder Baunebengewerbe, die Gebäudereinigung, für Briefdienstleistungen, für Sicherheitsdienstleistungen, für Bergbau-Spezialarbeiten, für Wäschereidienstleistungen im Objekt-Kundengeschäft, für die Abfallwirtschaft einschließlich der Straßenreinigung und dem Winterdienst und für Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem SGB II oder III bzw. Schlachten und Fleischverarbeitung. Darüber hinaus gibt es Sondervorschriften über die Arbeitsbedingungen z. B. in der Pflegebranche, die ebenfalls durch eine Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im Jahr 2010 festgelegt worden sind (§ 10 AEntG), die Pflegearbeitsbedingungenverordnung. Einzelheiten zum Pflegemindestlohn sind unten unter Punkt 2 dargestellt.

1.2 Das System des Mindestlohns nach dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie seit dem Jahr 2014

Mit dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie vom 11.8.2014 hat der Gesetzgeber das System eines Mindestlohns in Deutschland auf eine neue Grundlage gestellt. Zunächst verbleibt es vom Grundsatz her dabei, dass branchenspezifische Mindestarbeitsbedingungen – und nicht nur Mindestlöhne – weiterhin durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen erreicht werden können und dass weiterhin nach dem AEntG branchenspezifisch für alle in Deutschland tätigen Arbeitnehmer Mindestarbeitsbedingungen festgesetzt werden können.

Da diese Instrumente jedoch immer nur branchenspezifisch wirken, wurde per Gesetz ein Mindestlohn für alle Arbeitsverhältnisse angeordnet. Dieser Mindestlohn ist eine "flächendeckende" Lohnuntergrenze, die auch nicht durch tarifvertragliche Regelungen unterschritten werden darf. Ab dem 1.1.2015 konnten alle Arbeitnehmer, gleich in welcher Branche sie tätig sind, einen Mindestlohn von 8,50 EUR je Zeitstunde beanspruchen. Der Mindestlohn wurde schrittweise – jeweils auf Vorschlag der Mindestlohnkommission – erhöht und beträgt seit dem 1.1.2024 12,41 EUR (ab 1.1.2025 12,82 EUR).

Darüber hinaus gibt es weiterhin die Möglichkeit, i. d. R. höhere Mindestlöhne und auch andere Arbeitsbedingungen durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen und durch Rechtsverordnungen nach dem AEntG festzulegen. Insoweit ist der gesetzliche Mindestlohn nichts völlig Neues – neu ist, dass er nun flächendeckend als Auffangregelung gilt und jedes Arbeitsverhältnis erfasst.

Das bisher schon geltende, aber nicht praktisch umgesetzte Gesetz zur Regelung von Mindestarbeitsbedingungen ist aufgehoben worden.

Das deutsche Mindestlohnsystem basiert also auf 3 Elementen

 
Allgemeinverbindlicher Tarifvertrag nach § 5 TVG Allgemeinverbindlicher Tarifvertrag nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz
Gesetzlicher Mindestlohn nach § 1 MiLoG

1.3 Mindestlohnzahlung als öffentlich-rechtliche Verpflichtung

Nach § 20 MiLoG ist es eine öffentlich-rechtliche Pflicht aller Arbeitgeber, gleich ob mit Sitz im In- oder Ausland, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmern den Mindestlohn zum Fälligkeitszeitpunkt zu zahlen. Während die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung der Vergütung bisher ein rein zivilrechtlicher Anspruch des Arbeitnehmers war, dessen Nichterfüllung allenfalls die Verpflichtung zum Ersatz des Verzugsschadens nach sich ziehen konnt...

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