Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankengeldanspruch. Entlassung aus stationärer Behandlung. Feststellung weiterer Arbeitsunfähigkeit. keine überzogenen formalen Anforderungen an Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen iSd § 46 S 1 Nr 2 SGB 5 aufgrund Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach Art 2 Abs 1 GG. fehlende ärztliche Unterschrift auf Aufnahme- bzw Entlassbescheinigung des Krankenhauses unschädlich. Schriftform

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wegen der Eigenart der gesetzlichen Krankenversicherung als staatliche Pflichtversicherung mit Beitragszwang dürfen im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art 2 Abs 1 GG) überzogene formale Anforderungen an Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (§ 46 Satz 1 Nr 2 SGB 5) nicht gestellt werden, erst Recht nicht, wenn sich dadurch der Versicherungsstatus des (Pflicht-)Versicherten ändern und durch Zahlung der (Pflicht-)Beiträge erworbene Leistungsansprüche verloren gehen können.

2. Auch eine (versehentlich) nicht unterschriebene Krankenhausaufnahme- bzw -entlassbescheinigung kann eine rechtsgültig Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung enthalten.

 

Orientierungssatz

Ein aus der stationären Behandlung entlassener Versicherter kann (weiteres) Krankengeld nur wegen Arbeitsunfähigkeit (§ 44 Abs 1 Alt 1 SGB 5) unter den für diesen Anspruch geltenden Voraussetzungen, insbesondere nach Maßgabe des § 46 S 1 Nr 2 SGB 5 nach ärztlicher Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, erhalten.

 

Normenkette

SGB V § 44 Abs. 1, § 46 S. 1 Nr. 2, §§ 48, 49 Abs. 1 Nr. 5, § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 192 Abs. 1 Nr. 2; GG Art. 2 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 08.08.2014 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 05.03.2014 und vom 21.03.2014 sowie des Widerspruchsbescheids vom 19.05.2014 verurteilt, dem Kläger Krankengeld vom 27.02.2014 bis 05.05.2014 zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Krankengeld (noch) für die Zeit vom 27.02.2014 bis 05.05.2014.

Der 1991 geborene Kläger war bis 14.02.2014 (Bestehen der Abschlussprüfung) als zu seiner Berufsausbildung Beschäftigter versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, SGB V). Vom 13.02.2014 (Donnerstag) bis 15.02.2014 (Samstag) wurde er wegen eines Meniskuskorbhenkelrisses infolge einer Kniedistorsion (beim Fußballspielen) stationär in der Klinik Dr. R. behandelt (Operation am 14.02.2014); für diese Zeit gewährte die Beklagte dem Kläger Krankengeld. Ab dem 16.02.2014 war der Kläger ohne Einkommen und bei der Beklagten freiwillig krankenversichert ohne Anspruch auf Krankengeld.

In der bei Aufnahme des Klägers zur stationären Behandlung in der Klinik Dr. R. ausgestellten Aufnahmebescheinigung ist als Aufnahmezeitpunkt der 13.02.2014, 21.00 Uhr vermerkt. Die Aufnahmebescheinigung enthält die aufgedruckten Vermerke: “Diese Aufnahmebescheinigung gilt gleichzeitig als Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung„ sowie “Stationäre Behandlung ist erforderlich„. Als ausstellende Stelle ist das Patientenaufnahmebüro angegeben. Die Aufnahmebescheinigung ist (vom aufnehmenden Arzt) - bei Aufnahme des Klägers - nicht unterschrieben worden. Der Entlassungsschein auf der Rückseite der Aufnahmebescheinigung ist - bei Entlassung des Klägers - nicht ausgefüllt und unterschrieben worden. Die Aufnahmebescheinigung ist der Beklagten nicht zugegangen; sie ist ihr erst im Zusammenhang mit einem Antrag gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (≪SGG≫; Sozialgericht Freiburg ≪SG≫ - S 11 KR 1878/14 ER -) am 17.04.2014 vorgelegt worden.

Am 27.02.2014 ging bei der Beklagten die Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Orthopäden Dr. O. vom 20.02.2014 ein; darin ist Arbeitsunfähigkeit seit 13.02.2014 bis 28.02.2014 festgestellt. Am 03.03.2014 ging bei der Beklagten die weitere Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Dr. O. vom 27.02.2014 ein; darin ist Arbeitsunfähigkeit bis 28.03.2014 festgestellt. Am 13.03.2014 und am 10.04.2014 stellte Dr. O. das Fortbestehen von Arbeitsunfähigkeit bis 11.04.2014 bzw. bis 05.05.2014 fest (Eingang der Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 13.03.2014 bei der Beklagten am Tag der Ausstellung).

Mit Bescheiden vom 05.03.2014 und 21.03.2014 lehnte die Beklagte die Gewährung weiteren Krankengelds (über den 15.02.2014 hinaus) ab. Zur Begründung führte sie aus, Arbeitsunfähigkeit sei nur bis 15.02.2014 (Entlassung des Klägers aus der Klinik Dr. R.) nachgewiesen. Aufgrund der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Dr. O. vom 20.02.2014 hätte ein weiterer Krankengeldanspruch erst ab 21.02.2014 entstehen können. Zu diesem Zeitpunkt habe Versicherungsschutz mit Krankengeldanspruch aber nicht mehr bestanden.

Zur Begründung des dagegen am 28.03.2014 eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, sein Anspruch auf Krankengeld habe am 13.02.2014 mit der Aufnahme in die Klinik Dr. R. begonnen. In der Aufnahmebescheinigung, die als Arbeitsunfähigkeitsbe...

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