Entscheidungsstichwort (Thema)

Unbegründete außerordentliche Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit bei Teilnahme des depressiven Arbeitnehmers an einem Fußball-Meisterschaftsspiel der A-Klasse. Darlegungslast der Parteien nach Erschütterung des Beweiswertes einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das bewusste Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit wegen Erkrankung unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung mit der weiteren Folge der Entgeltfortzahlung ist eine schwere Pflichtverletzung des Arbeitsvertrages und damit an sich als Grund zur außerordentlichen Kündigung geeignet.

2. Da die verhaltensbedingte Kündigung als Kündigungsgrund eine Vertragsverletzung des Arbeitnehmers voraussetzt, die die Arbeitgeberin zu beweisen hat, obliegt ihr nicht nur der Nachweis dafür, dass der Arbeitnehmer überhaupt gefehlt hat, sondern auch dafür, dass er unentschuldigt gefehlt hat, dass also die vom Arbeitnehmer behauptete Krankheit nicht vorliegt.

3. Der Arbeitnehmer hat seinerseits nach § 138 Abs. 2 ZPO substantiiert im Einzelnen vortragen, warum sein Fehlen als entschuldigt anzusehen ist; nur diese vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen hat die Arbeitgeberin zu widerlegen.

4. Beruft sich der Arbeitnehmer auf eine Krankheit und legt er ein ärztliches Attest vor, begründet dieses in der Regel den Beweis für die Tatsache der arbeitsunfähigen Erkrankung; ein solches Attest hat einen hohen Beweiswert, denn es ist der gesetzlich vorgesehene und wichtigste Beweis für die Tatsache der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit.

5. Ist es der Arbeitgeberin gelungen, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern oder zu entkräften, tritt hinsichtlich der Behauptungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor der Vorlage des Attests bestand, wobei die Arbeitgeberin nicht "zwingend" nachweisen muss, dass irgendeine Krankheit überhaupt nicht vorgelegen haben kann.

6. Ist der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert, hat der Arbeitnehmer angesichts der Umstände, die gegen eine Arbeitsunfähigkeit sprechen, weiter zu substantiieren, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben, welche Verhaltensmaßregeln der Arzt gegeben hat, welche Medikamente etwa bewirkt haben, dass der Arbeitnehmer zwar immer noch nicht die geschuldete Arbeit bei seiner Arbeitgeberin verrichten konnte, aber zu leichten anderweitigen Tätigkeiten in der Lage war; erst wenn der Arbeitnehmer insoweit seiner Substantiierungspflicht nachgekommen ist und gegebenenfalls die behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden hat, muss die Arbeitgeberin aufgrund der ihr obliegenden Beweislast den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen.

7. Mit der Patientenkartei und der Vernehmung des behandelnden Arztes kommen dabei regelmäßig Beweismittel in Betracht, die eine weitere Sachaufklärung versprechen; es ist in derartigen Fällen auch stets zu prüfen, ob die Umstände, die den Beweiswert des ärztlichen Attests erschüttern, nicht als so gravierend anzusehen sind, dass sie ein starkes Indiz für die Behauptung der Arbeitgeberin darstellen, dass die Krankheit nur vorgetäuscht gewesen ist, so dass der Arbeitnehmer dieses Indiz entkräften muss.

8. Bei der Diagnose Depression ist Fußballspielen möglich und sinnvoll, so dass es keines weiteren detaillierteren Vortrags bedarf zu den gesundheitlichen Einschränkungen des Arbeitnehmers, zu den vom behandelnden Arzt gegebenen Verhaltensmaßregeln und dazu, welche Medikamente zum Beispiel bewirkt haben, dass der Arbeitnehmer zwar immer noch nicht die geschuldete Arbeit bei der Arbeitgeberin verrichten kann, aber zu leichten anderweitigen Tätigkeiten in der Lage war.

9. Eines detaillierten Vortrags des Arbeitnehmers bedarf es nicht, wenn die vom ihm behauptete Erkrankung, die Ursache der Arbeitsunfähigkeit war, seinem Fußballspielen nicht entgegensteht; das gilt auch, soweit der Arbeitnehmer an einem Meisterschaftsspiel der A-Klasse teilgenommen hat, da der Einsatz in einem solchen Spiel nicht mit besonderem negativem Leistungsdruck verbunden ist.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 Sätze 1, 1 Alt. 2; EFZG § 5 Abs. 1 S. 2; ZPO § 138 Abs. 2, §§ 286, 416

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 05.11.2014; Aktenzeichen 4 Ca 958/14)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 5. November 2014 - Az.: 4 Ca 958/14 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 29. April 2014 noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. April 2014 aufgelöst worden ist.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
  3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits (1. und 2. Instanz) zu tragen.
  4. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die ...

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