Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsentgelt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Arbeitgeber kann nicht einseitig einen Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung unter Lohnfortzahlung „freistellen”. Hierfür bedarf es auch dann, wenn ein Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nicht besteht, einer Vereinbarung bezüglich der Aufhebung des Anspruchs des Arbeitgebers auf die Arbeitsleistung (Erlassvertrag bei dauernder Aufhebung bzw. Suspendierungsvereinbarung bei nur vorübergehender Aufhebung).

2. Dies gilt auch, wenn die „Freistellungs”-Erklärung mit der Anordnung des Abfeierns von Überstunden verbunden wird.

3. Widerspricht der Arbeitnehmer einer „Freistellungs”-Erklärung des Arbeitgebers nicht und bleibt im Weiteren der Arbeit fern, ist von einem konkludent geschlossenen Vertrag entsprechend Leitsatz 1 auszugehen.

Dem Arbeitnehmer steht in diesem Fall ein Vergütungsfortzahlungsanspruch aufgrund der konkreten konkludenten Lohnfortzahlungsvereinbarung zu. § 615 BGB (i.V.m. § 611 BGB) und § 611 BGB scheiden als Anspruchsgrundlagen aus.

4. Widerspricht der Arbeitnehmer der Anordnung des Abfeierns von Überstunden bei Lohnfortzahlung nicht, ist die Vereinbarung einer bezahlten Freizeit anzunehmen. Mit der Bezahlung der Vergütung für den Freistellungszeitraum wird der Anspruch auf Vergütung der Überstunden erfüllt (§ 362 BGB).

Die Ansprüche auf Zahlung von Überstundenzuschlägen bleiben von der Freistellung in der Regel unberührt und sind in Geld zu erfüllen.

5. Widerspricht der Arbeitnehmer der Anordnung des Abfeierns von Überstunden, kann eine Verletzung der ihm obliegenden Treuepflicht vorliegen, die beinhaltet, mit der Vereinbarung bezahlter Freizeit zum Zwecke des Abfeierns von Überstunden einverstanden zu sein.

Eine solche Treuepflichtverletzung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn ein Arbeitnehmer in herausgehobener Position ordentlich gekündigt hat, um zu einem Konkurrenzunternehmen zu wechseln und der Arbeitgeber den Arbeitnehmer deshalb bis zum Vertragsende nicht mehr beschäftigen möchte.

Bei einer solchen Treuepflichtverletzung besteht kein Anspruch auf zusätzliche Überstundenvergütung, wenn der Arbeitgeber die Vergütung für den Freistellungszeitraum bezahlt hat.

Dasselbe Ergebnis ergibt sich bei Anwendung der Anrechnungsvorschrift des § 615 Satz 2 BGB.

 

Normenkette

BGB §§ 615, 611

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Urteil vom 17.02.1999; Aktenzeichen 4 Ca 8464/98)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 18.09.2001; Aktenzeichen 9 AZR 307/00)

 

Tenor

1. Unter Zurückweisung der Berufung des Klägers im Übrigen wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 17.02.1999 – 4 Ca 8464/98 – teilweise dahin abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger weitere DM 1.435,50 (in Worten: Deutsche Mark eintausendvierhundertfünfunddreißig 50/100) brutto nebst 9,25 % Zinsen ab 01.07.1998 zu zahlen.

2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 97 %, die Beklagte 3 % zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um finanzielle Ansprüche des Klägers aus einem am 01.07.1969 begründeten, zwischenzeitlich beendeten Arbeitsverhältnis. Der Kläger war seit 01.01.1971 als Verkaufsleiter tätig. Ihm war Gesamtprokura erteilt. Dem Arbeitsverhältnis lag ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 05.11.1971 zugrunde. Dessen § 3 lautet auszugsweise:

„Als Vergütung für seine Tätigkeit erhält Herr G. ein monatliches Bruttogehalt von DM 2.000,–. Außerdem werden alle geleisteten Überstunden vergütet.”

Der Kläger leistete seit vielen Jahren Überstunden; monatlich erbrachte er jedenfalls seit 1990 durchschnittlich mehr als 100 Überstunden, die die Beklagte jeweils mit 125 % des normalen Stundenlohnes vergütete.

Im Juni 1998 leistete der Kläger 123, 75 Überstunden.

Der Kläger sprach am 28.06.1998 die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.1998 aus. Wie in der Berufungsinstanz unstreitig geworden ist, erklärte der Geschäftsführer der Beklagten-Komplementärin am 06.07.1998 die sofortige Freistellung des Klägers bei Fortzahlung der Vergütung und ordnete gleichzeitig das Abfeiern der Überstunden an. Daraufhin verließ der Kläger den Betrieb, ohne der Anordnung zu widersprechen. Zum Umfang der sich aus der Anordnung der Beklagten vom 06.07.1998 ergebenden gegenseitigen Rechte und Pflichten äußerten sich die Klägervertreter mit Schreiben vom 17.08.1998 (Bl. 115 ff d.A.) und 18.09.1998 (Bl. 34 f. d.A.) sowie die Beklagtenvertreter mit Schreiben vom 16.09.1998 (Bl. 65 f. d.A.). Die Beklagte zahlte Vergütungen, die den Grundgehältern für die Monate Juli bis November 1998 entsprachen.

Mit seiner beim Arbeitsgericht Nürnberg am 04.11.1998 eingegangenen Klage und mit seinem Klageerweiterungsschriftsatz vom 26.01.1999 hat der Kläger eine Sonderzulage für die Monate Juli bis Dezember 1998 im Umfang von DM 1.900,–, eine Jahressonderzahlung im Umfang von DM 7.745,–, die Bezahlung der im Juni 1998 geleisteten 123, 75 Überstunden (einschließlich Zuschlag) in Höhe von DM 7.175,02, Bezahlung der auf die Monate Juli bis Dezember 1998 trotz...

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