Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsabgeltung bei unbefristeter Erwerbsminderungsrente

 

Leitsatz (amtlich)

Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch entsteht auch, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer eine Erwerbsminderungsrente auf Dauer bezieht. Ein Verfall des Urlaubsanspruchs mit dem 31.03. des Folgejahres tritt nicht ein.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 3-4; MTV Chemie § 12 I. Nr. 11, § 17 Nr. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Wuppertal (Urteil vom 13.10.2010; Aktenzeichen 2 Ca 2360/10)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 13.10.2010 – Az: 2 Ca 2360/10 – wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltungsansprüche.

Die am 26.05.1951 geborene Klägerin war von 1972 bis zum 30.06.2010 bei der Beklagten als Produktionshelferin in einer 5-Tage-Woche beschäftigt. Sie verdiente zuletzt 2.250,00 EUR brutto.

Die Klägerin war seit dem 15.09.2006 arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 01.04.2007 erhielt sie eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, seit dem 06.08.2009 bezieht sie eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Wegen der Einzelheiten der Rentenbescheide wird auf Bl. 32 ff. sowie Bl. 36 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden kraft Vereinbarung die Tarifverträge der Chemischen Industrie Anwendung.

Nach § 12 I. Ziffer 1 MTV Chemie beträgt der jährliche Urlaubsanspruch 30 Tage. § 12 I. Ziffer 11 Satz 1 MTV Chemie sieht vor, dass der Urlaub spätestens bis 31. März des folgenden Kalenderjahres zu gewähren ist. In § 12 I. Ziffer 11 Satz 2 MTV heißt es:

„Der Urlaubsanspruch erlischt, wenn er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist.”

§ 17 Ziffern 2 und 3 MTV Chemie sehen folgende Ausschlussfristen vor:

„2. Die Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis müssen innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung ausgeschlossen. Das gilt nicht, wenn die Berufung auf die Ausschlussfrist wegen des Vorliegens besonderer Umstände eine unzulässige Rechtsausübung ist.

3. Im Falle des Ausscheidens müssen die Ansprüche beider Seiten spätestens einen Monat nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht werden.”

Mit Anwaltsschreiben vom 12.07.2010 forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos auf, ihr Urlaubsabgeltung für die Jahre 2006 (9 Resturlaubstage), 2007-2009 (jeweils 30 Urlaubstage) und 2010 (15 Urlaubstage) zu zahlen. Mit einer am 05.08.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgte sie diesen Anspruch weiter. In der mündlichen Verhandlung vom 13.10.2010 hat sie die Klage hinsichtlich der Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2006 und hinsichtlich des übergesetzlichen Urlaubs aus den Jahren 2007 bis 2010 zurückgenommen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung für 70 Urlaubstage aus den Jahren 2007 – 2010 zu. Die Urlaubsansprüche seien nicht verfallen, denn sie sei aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit gehindert gewesen, den Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen.

Die Klägerin hat beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.076,92 EUR brutto Urlaubsabgeltung für das Jahr 2007 zu zahlen,
  2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.076,92 EUR brutto Urlaubsabgeltung für das Jahr 2008 zu zahlen,
  3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.076,92 EUR brutto Urlaubsabgeltung für das Jahr 2009 zu zahlen,
  4. die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.038,46 EUR brutto Urlaubsabgeltung für das Jahr 2010 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung stehe der Klägerin nicht zu, denn deren Urlaubsansprüche seien bereits gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG bzw. § 12 I. Nr. 11 MTV Chemie verfallen. Auf die neuere Rechtsprechung des EuGH sowie des BAG zu Urlaubsabgeltungsansprüchen von Arbeitnehmern, die zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt seien, könne sich die Klägerin nicht berufen. Zwar sei sie seit 2006 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage gewesen, die geschuldete Arbeitsleitung zu erbringen. Der Grund für die Nichtrealisierung der entstandenen Urlaubsansprüche liege jedoch nicht in der Arbeitsunfähigkeit, sondern vielmehr in der ihr gewährten Erwerbsminderungsrente; diese sei einer Arbeitsunfähigkeit nicht gleichzusetzen. Der entscheidende Unterschied liege darin, dass es im Falle einer Arbeitsunfähigkeit bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis nicht ausgeschlossen sei, dass der Arbeitnehmer gesunde und dann seine Urlaubsansprüche zu Erholungszwecken realisieren könne. Ebenso sei beim bloßen Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit sehr wahrscheinlich, dass der Arbeitnehmer den Urlaub in natura hätte nehmen können, wenn er mit einem anderen Arbeitgeber eine andere Arbeitsleistung vereinbart hätte, da sich die Arbeitsunfähigkeit immer auf die konkret geschuldete Arbeitsleistu...

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