Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwaltsverschulden. Zurechnung. Nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 85 Abs. 2 ZPO ist auch im Rahmen der Prüfung, ob eine verspätete Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen ist, zu berücksichtigten.

2. Nach § 85 Abs. 2 ZPO werden nur solche Fehlleistungen eines Prozessbevollmächtigten oder seiner Hilfskräfte der Partei zugerechnet, die in der Zeit zwischen Annahme des Mandats bis zu dessen Beendigung stattgefunden haben.

3. Fehlleistungen einer um Rechtsschutz gebetenen Fachgewerkschaft sind nur dann nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen, wenn diese ausdrücklich ein Mandat zur Prozessführung angenommen hat – oder wenn sie durch ausdrückliches Rechtsgeschäft mit ihrem Mitglied die Funktion eines Bindegliedes zwischen diesem und dem, den Prozess führenden Prozessbevollmächtigten übernommen hat. Die im Rahmen des Antrages auf Rechtsschutz üblicherweise stattfindende Beratung des Mitgliedes, die Sachverhaltsermittlung und Weitergabe der Unterlagen an die Prozessbevollmächtigten reicht nicht für die Annahme eines Mandates der Fachgewerkschaft als

4. Maßgeblich für die Entscheidung über eine nachträgliche Zulassung der verspäteten Kündigungsschutzklage sind bei Beratungsfehlern unterschiedlicher, für die Beratung geeignete Institutionen nur diejenigen, die die entscheidende Ursache für die Versäumung der Klagfrist gesetzt haben.

 

Normenkette

KSchG § 5; ZPO § 85 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Bremerhaven (Beschluss vom 16.01.2003; Aktenzeichen 1 Ca 710/02)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bremerhaven vom 16.01.2003 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Beklagte.

Der Beschwerdewert beträgt 6.000,– EUR.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger arbeitete seit dem 01.11.1999 als Distributionsarbeiter bei der Beklagten. Die Beklagte kündigte mit Schreiben 16.10.2002 das Arbeitsverhältnis zum 30.11.2002. Sie stellte das Kündigungsschreiben durch Übergabe-Einschreiben dem Kläger zu. Dieser fand am 18.10.2002 einen entsprechenden Benachrichtigungszettel in seinem Briefkasten vor, und holte das Kündigungsschreiben am 19.10.2002, einem Samstag, bei der Post ab. Der Kläger wandte sich daraufhin als Gewerkschaftsmitglied an die Gewerkschaft ver.di und erhielt einen Beratungstermin für den 31.10.2002. Zu diesem Besprechungstermin war der zuständige Gewerkschaftssekretär nicht anwesend, woraufhin der Kläger eine Kopie seines Kündigungsschreibens in der Geschäftsstelle der Gewerkschaft zurückließ und dort den Hinweis erhielt, in der darauf folgenden Woche werde ihn der Gewerkschaftssekretär anrufen. Nachdem dieser sich nicht beim Kläger gemeldet hatte, rief der Kläger selbst am 07.11.2002 den Gewerkschaftssekretär an. Dieser verwies den Kläger auf geringe Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage. Darüber hinaus wies er den Kläger auf einen Fristablauf für die Erhebung der Kündigungsschutzklage mit dem 08.11.2002 hin. Am 08.11.2002 wandte sich der Kläger an die Beratungsstelle der Arbeitnehmerkammer und erhielt dort die Auskunft, dass eine Kündigungsschutzklage bereits verfristet sei. Er begab sich daraufhin erneut zur Geschäftsstelle der Gewerkschaft, wo er jedoch keinen Einlass erhielt. Am darauf folgenden Montag, den 11.11.2002, wandte sich der Kläger erneut an die Arbeitnehmerkammer und wurde dort von Herrn Rechtsanwalt Barth beraten, der am 03.12.2002 dem Arbeitsgericht Bremerhaven anzeigte, den Kläger im Kündigungsschutzprozess zu vertreten. Auch dieser nahm einen bereits eingetretenen Fristablauf an und erläuterte die Möglichkeit, einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zu stellen. Der Kläger hat daraufhin am 13.11.2002 in der Rechtsantragsstelle eine Kündigungsschutzklage mit entsprechendem Antrag gestellt. Dem Antrag war ein handschriftlicher Merkzettel beigefügt, den Rechtsanwalt Barth erstellt hatte. Darauf stand u. a.:

„Kündigungsschutzklage + Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand [1].

Kündigung v. 16.10.02. Zugang 18.10.02; FE 08.11. 02

Der Kläger hat die Rechtsauffassung vertreten, die Zustellung der Kündigung sei am 18.10.2002 erfolgt, die Frist für die Einreichung der Kündigungsschutzklage sei deshalb am 08.11.2002 abgelaufen. Der Kläger habe alles in seiner Macht Stehende getan, um Rechtshilfe für die Einreichung der Klage zu bekommen. Dass er am 08.11.2002 falsche Auskunft über den bereits eingetretenen Fristablauf erhalten habe, könne nicht zu Lasten des Klägers gehen, zumal die Rechtsantragstelle des Arbeitsgerichts zum Zeitpunkt dieser Beratung bereits geschlossen gewesen sei.

Der Kläger hat beantragt,

die Kündigungsschutzklage nachträglich gem. § 5 KSchG zuzulassen.

Die Beklagte hat beantragt,

den Antrag auf nachträgliche Zulassung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, nach dem Vortrag des Klägers habe er im Hinblick auf die Auskunft des Gewerkschaftssekretärs, die Klagefrist laufe ab, er müsse sich bis zum 08.11.2002 entscheiden, genügend Gelegenheit ge...

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