Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame außerordentliche Kündigung eines Sachbearbeiters in der Leistungsverwaltung der Agentur für Arbeit wegen Betäubungsmittelhandels bei Weiterbeschäftigung nach Anklageerhebung auf bloßes Tatbestreiten hin

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die außerordentliche Kündigung eines Sachbearbeiters in der Leistungsverwaltung der Agentur für Arbeit aus Anlass dessen strafgerichtlicher Verurteilung wegen BTM-Handels setzt einen dienstlichen Bezug des zugrundeliegenden strafbaren Verhaltens voraus.

2. Eine solche liegt vor, wenn der Sachbearbeiter während der Dienstzeit einen Termin zur Geldübergabe an seinen Lieferanten vereinbart, ebenso dann, wenn ein gleichzeitig verurteilter Mittäter des Sachbearbeiters Drogen an Leistungsbezieher veräußert hat.

3. Die Interessenabwägung kann zu einer (nur) ordentlichen Kündigung führen, wenn der Arbeitgeber den Sachbearbeiter trotz Kenntnis des Inhalts der Anklageschrift zunächst weiter beschäftigt auf dessen bloße Erklärung hin, er habe nicht mit Betäubungsmitteln gehandelt, was er aber kaum werde beweisen können.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2; BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 21.09.2012; Aktenzeichen 14 Ca 61/12)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 10.04.2014; Aktenzeichen 2 AZR 684/13)

 

Tenor

  • 1.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 21.09.2012, Az. 14 Ca 61/12 wird zurückgewiesen.

  • 2.

    Auch die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 21.09.2012, Az. 14 Ca 61/12 wird zurückgewiesen.

  • 3.

    Die Kosten der Berufung tragen der Kläger zu 3/4, die Beklagte zu 1/4.

  • 4.

    Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Arbeitgeberkündigung.

Der nunmehr 36-jährige Kläger war seit 15.06.2005 bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit beschäftigt. Die Arbeitsbedingungen richteten sich zuletzt nach dem Arbeitsvertrag vom 22.06.2007, daraus resultierte ein durchschnittlicher monatlicher Bruttoverdienst von 3.572,70 EUR, eingesetzt war der Kläger als Sachbearbeiter Leistungsgewährung im Bereich SGB II.

Mit Schreiben vom 18.07.2011 teilte die Staatsanwaltschaft F. der Beklagten unter Beifügen der Anklageschrift gleichen Datums mit, dass der Kläger gemeinsam mit einem Herrn F. beschuldigt werde, aufgrund gemeinsam gefassten Tat- und Willensentschlusses dem unerlaubten Handel mit Kokain nachgegangen zu sein, um sich durch den gewinnbringenden Weiterverkauf der Betäubungsmittel eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen (Bl. 74 - 77 R der arbeitsgerichtl. Akte).

Am 15.08.2011 kam es daraufhin zu einem Mitarbeitergespräch mit dem Kläger, in dem dieser die ihm zur Last gelegten Sachverhalte bestritt und behauptete, weder mit Betäubungsmitteln gehandelt noch solche konsumiert zu haben, allerdings vermerkte, dass dies aufgrund der vermeintlichen Beweise nur sehr schwer widerlegt werden könne, zumal ein weiterer Mitangeklagter belastende Aussagen gemacht habe. Auf eine Verurteilung aus dem Jahre 2001 wegen vorsätzlich unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittel und der Beihilfe hierzu zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und im Jahre 2003 erlassen worden war, angesprochen, erklärte der Kläger, er habe daraus seine Lehren gezogen, alle Kontakte zum bisherigen Freundeskreis habe er abgebrochen. Der das Mitarbeitergespräch für die Beklagte führende Herr N. verlangte, vom Ausgang des Verfahrens unterrichtet zu werden, und wies darauf hin, dass man sich arbeitsrechtliche Schritte vorbehalte und gegebenenfalls bei der Staatsanwaltschaft weitere Informationen anfordern werde.

Am 26.01.2012 wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Vorausgegangen war ein Geständnis des Klägers, der von den sieben Anklagepunkten fünf vollumfänglich sowie einen beschränkt auf eine geringere Grammzahl erworbenen und weiterveräußerten Kokains einräumte.

Nachdem der Kläger unter dem 26.01.2012 die Beklagte über den Ausgang des Strafverfahrens informiert hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nach Anhörung des Personalrats, der hierzu keine Stellungnahme abgab, zunächst mit Schreiben vom 06.02.2012 fristlos und sodann nach weiterer Anhörung des Personalrats, der dagegen keine Einwendungen erhob, mit Schreiben vom 28.02.2012 zum 30.06.2012 hilfsweise ordentlich.

Der Kläger hat die Kündigungen der Beklagten für unwirksam gehalten und die Auffassung vertreten, Straftaten, die aus dem privaten Bereich stammten, seien nicht geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Weder würden sie das Ansehen der beklagten Bundesagentur für Arbeit in der Öffentlichkeit schädigen ...

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