Der Fall

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger wegen der Benachteiligung aufgrund einer (Schwer-)Behinderung zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verpflichtet ist.

Der Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 14.8.2019 auf die von der Beklagten im Internet ausgeschriebene Stelle als "Scrum Master Energy (m/w/d)". Im Bewerbungsschreiben wies er auf seine Schwerbehinderung hin. Nachdem die Beklagte dem Kläger mit E-Mail vom 22.8.2019 eine Absage erteilt hatte, machte dieser mit Schreiben vom 19.10.2019 gegenüber der Beklagten einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend.

Die Beklagte wies diesen Anspruch mit Schreiben vom 18.11.2019 mit der Begründung zurück, den Kläger nicht berücksichtigt zu haben, weil er die Anforderungen der Stellenausschreibung nicht erfülle.

Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe ihn entgegen der gesetzlichen Vorgaben wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Die Beklagte habe verschiedene Pflichten aus § 164 Abs. 1 SGB IX, u. a. ihre Pflicht aus § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX verletzt, den bei ihr eingerichteten Betriebsrat über seine Bewerbung unmittelbar nach deren Eingang zu unterrichten. Ein solches Vorbringen sei nicht als Behauptung "ins Blaue hinein" unbeachtlich. Die Beklagte habe die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung nach § 22 AGG nicht widerlegt. Als angemessen sei eine Entschädigung in Höhe von mindestens zwei auf der ausgeschriebenen Stelle zu erwartenden Bruttomonatsvergütungen, d. h. i. H. v. 10.000 EUR, anzusehen.

Die Entscheidung (BAG, Urteil v. 14.6.2023, 8 AZR 136/22)

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

Dieser setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus.

Der Kläger wurde dadurch unmittelbar i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt, indem er von der Beklagten im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren für die ausgeschriebene Stelle nicht berücksichtigt wurde.

Die Beklagte hat den bei ihr eingerichteten Betriebsrat entgegen den Vorgaben des § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX über die Bewerbung des Klägers nicht unmittelbar nach deren Eingang unterrichtet. Da der Kläger keine Kenntnisse darüber haben kann, ob die Beklagte den Betriebsrat ordnungsgemäß informiert hat, reicht es aus, wenn der Kläger das pauschal bestreitet. Im Wege der abgestuften Darlegungslast ist es Sache der Beklagten, die Einhaltung der Voraussetzungen des § 164 Abs. 1 SGB IX darzulegen. Die Beklagte hat die Kausalitätsvermutung nicht widerlegt. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe – hier also die Schwerbehinderung – zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.

Mit dieser Entscheidung setzt das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung fort, wonach ein Verstoß gegen Verfahrens- und/oder Formvorschriften des SGB IX eine mögliche Diskriminierung und damit einen Verstoß gegen das AGG vermuten lassen. Neu ist, dass zwar der Bewerber immer noch die Beweislast für einen Verstoß gegen die Regeln des § 164 Abs. 1 SGB IX hat, er einen solchen Verstoß aber "ins Blaue hinein" rügen darf und der Arbeitgeber dann zunächst darlegen muss, dass er die Pflichten eingehalten hat. Von daher ist es wichtig, dass Arbeitgeber gerade auch bei Bewerbungen von Schwerbehinderten/Gleichgestellten die formalen Anforderungen einhalten.

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