6.1 Allgemeines zum Entgeltgleichheitsgrundsatz, § 612 Abs. 3 BGB, Art. 141 EG

§ 612 Abs. 3 BGB kodifiziert die Entgeltgleichheit von Männern und Frauen und entspricht inhaltlich Art. 141 EG. Obwohl Art. 141 EG unmittelbar geltendes Recht ist und horizontal wirkt[1], hat § 612 Abs. 3 BGB daneben insofern eigenständige Bedeutung, als dass diese Norm – obwohl als Differenzierungsverbot formuliert - gerade erlassen wurde, um dem sich aus Art. 141 EG ergebenden Lohngleichheitssatz Genüge zu tun.[2] In der Rechtsprechung der Instanzgerichte werden § 612 Abs. 3 BGB und Art. 141 EG zusammen geprüft oder auch Art. 141 EG allein, da sich § 612 Abs. 3 BGB inhaltlich von Art. 141 EG ableitet. Bei der Prüfung des § 612 Abs. 3 BGB ist mithin selbstverständlich die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 141 EG zu berücksichtigen.

 
Hinweis

Es ist für den Praktiker ausgesprochen ärgerlich, dass über die unmittelbare Geltung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit (den der EuGH letztlich für alle Arbeitsbedingungen anwendet) die gesamte Bandbreite der EuGH Rechtsprechung in Frauendiskriminierungsfragen stets im Blick behalten werden muss. Art. 141 EG ist und bleibt anders als Richtlinien unmittelbar geltendes höherrangiges Recht. Deutsche Gesetze, wie etwa §§ 611 a ff. BGB oder das noch zu erlassende Antidiskriminierungsgesetz, stehen damit in Gleichberechtigungsfragen dauerhaft unter dem "Vorbehalt der Europarechtswidrigkeit". Dies geht in ganz erheblichem Maße zulasten der Rechtssicherheit im deutschen Arbeitsrecht.

[2] ErfKo/Preis BGB § 612 Rn. 45 m.N.

6.2 Primäres Gemeinschaftsrecht, Art. 141 EG

Neben der deutschen verfassungsrechtlichen Regelung in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG (oben 1.3 ff) und der privatrechtlichen Norm in § 612 Abs. 3 BGB enthält das EU-Recht umfassende Regelungen zum Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts im Arbeitsleben. Aus dem primären Gemeinschaftsrecht, also dem EG-Vertragstext ergeben sich drei Ansatzpunkte: Art. 2 EG, Art. 13 EG und Art. 141 EG. Art. 2 EG erklärt die Gleichstellung von Männern und Frauen gleichrangig neben Zielen wie einem hohen Beschäftigungsniveau oder einem beständigen Wirtschaftswachstum zu einer der Aufgaben der Gemeinschaft. Art. 13 EG gibt dem Rat umfassende Kompetenzen in diesem Bereich. Art. 141 EG gehört zu den Grundlagen der Gemeinschaft. Er verpflichtet jeden Mitgliedsstaat, die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherzustellen. Die Vorschrift verbietet damit jede das Entgelt betreffende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ohne Rücksicht darauf, woraus sich diese Ungleichbehandlung ergibt.[1] Sie untersagt auch eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts, von der auszugehen ist, wenn eine für beide Geschlechter gleichermaßen geltende Norm erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts nachteilig trifft und nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.[2]

6.3 Mittelbare Entgeltdiskriminierung

Wichtigster Fall der mittelbaren Entgeltdiskriminierung war in der Rechtsprechung des EuGH bisher die Teilzeitarbeit. Eine Teilzeitbeschäftigung wird gegenwärtig ganz überwiegend von Frauen ausgeübt. Regelungen, die Teilzeitbeschäftigte ohne sachliche Rechtfertigung schlechter behandeln als Vollzeitbeschäftigte, stellen daher zugleich eine Diskriminierung von Frauen dar. Mit Hilfe dieser Argumentation ist es dem EuGH gelungen, sämtliche nationalen Sondervorschriften für Teilzeitkräfte auf den Prüfstand des Europäischen Rechts zu stellen, obwohl dieses bis 1998 keine expliziten Bestimmungen zur Teilzeitarbeit enthielt. In Deutschland ist dieser extensiven Rechtsprechung des Gerichtshofes bekanntlich beispielsweise § 1 Abs. 3 Nr. 2 des Lohnfortzahlungsgesetzes zum Opfer gefallen, nach der es Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nur für solche Arbeitnehmer gab, die mehr als zehn Stunden wöchentlich arbeiten.

Die jüngeren Urteile des EuGH befassen sich mit der betrieblichen Altersversorgung von Teilzeitbeschäftigten, insbes. der Frage der Gleichbehandlung der Teilzeitbeschäftigten in den Zusatzversorgungssystemen des öffentlichen Dienstes.[1] Sie stellen den Endpunkt einer fast drei Jahrzehnte währenden Entwicklung richterrechtlicher Rechtsfortbildung zum gemeinschaftsrechtlichen Lohngleichheitsgrundsatz dar.

[1] NZA 2000, 313; dazu bereits BAG, Urt. v. 28.07.1992 – 3 AZR 173/92, AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung; BAG, Urt. v. 07.03.1995 – 3 AZR 282/94, AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung (Bauschke) (Parallelverfahren: Urt. v. 07.03.1995 – 3 AZR 625; 321; 583 u. 499/94); BAG, Urt. v. 16.01.1996 – 3 AZR 767/94, SAE 1997, 105 (v. Maydell/Seibold); BAG, Urt. v. 27.02.1996 – 3 AZR 886/94, AP Nr. 28 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung; BAG, Urt. v. 12.03.1996 – 3 AZR 993/94, AP Nr. 1 zu § 24 TV ArbBundespost; zwischenzeitlich wurde der Versorgungstarifvertrag geändert; er enthält den Ausschluss der geringfüig Beschäftigten aus der Versorgung.

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