Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer. Arbeitszeitgestaltung. Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub. Finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dreijährige Verjährungsfrist. Beginn. Angemessene Unterrichtung des Arbeitnehmers

 

Normenkette

Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 31 Abs. 2; Richtlinie 2003/88/EG Art. 7

 

Beteiligte

LB

LB

TO

 

Tenor

Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer für einen Bezugszeitraum erworben hat, nach Ablauf einer Frist von drei Jahren verjährt, deren Lauf mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem dieser Anspruch entstanden ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 29. September 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Februar 2021, in dem Verfahren

LB

gegen

TO

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin I. Ziemele (Berichterstatterin) sowie der Richter P. G. Xuereb und A. Kumin,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. März 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und D. Recchia als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. Mai 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) und von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen TO, einer Arbeitnehmerin, und ihrem Arbeitgeber LB über eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 4 und 5 der Richtlinie 2003/88 heißt es:

„(4) Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit stellen Zielsetzungen dar, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.

(5) Alle Arbeitnehmer sollten angemessene Ruhezeiten erhalten. …”

Rz. 4

Art. 7 („Jahresurlaub”) dieser Richtlinie lautet:

„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.”

Deutsches Recht

Rz. 5

Die allgemeinen Vorschriften über die Verjährung von Ansprüchen zwischen Privaten sind in Buch 1 („Allgemeiner Teil”) Abschnitt 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB) geregelt. Abschnitt 5 enthält die §§ 194, 195 und 199 BGB. In ihnen werden Gegenstand, Frist bzw. Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist festgelegt.

Rz. 6

§ 194 Abs. 1 BGB bestimmt:

„Das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (Anspruch), unterliegt der Verjährung.

…”

Rz. 7

§ 195 BGB sieht vor:

„Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.

…”

Rz. 8

§ 199 Abs. 1 BGB lautet wie folgt:

„Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem

  1. der Anspruch entstanden ist und
  2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.”

Rz. 9

Nach § 204 BGB wird die Verjährung durch Erhebung einer Klage gehemmt.

Rz. 10

§ 1 („Urlaubsanspruch”) des Mindesturlaubsgesetzes für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: BUrlG) lautet:

„Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub.

…”

Rz. 11

§ 7 Abs. 3 und 4 BUrlG bestimmt:

„(3) Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers l...

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