Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Kinder von Wanderarbeitnehmern. Soziale Vergünstigungen. Schulabgänger. Zugang zu besonderen Beschäftigungsprogrammen. Freizuegigkeit. Arbeitnehmer. Gleichbehandlung. Überbrückungsgeld für Schulabgänger. Vom Abschluß der höheren Schulausbildung auf einer von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannten oder subventionierten Lehranstalt abhängige Gewährung an Kinder eines Wanderarbeitnehmers. Unzulässigkeit. Zugang zur Beschäftigung. Anwendungsbereich. Nationales Beschäftigungsprogramm für Schulabgänger, das für den Fall der Einstellung auf der Übernahme aller oder eines Teils der Verpflichtungen des Arbeitgebers durch das Office national de l'. emploi beruht. Aktiver Bereich der Arbeitslosenversicherung. Ausschluß

 

Leitsatz (amtlich)

1. Macht ein Mitgliedstaat die Gewährung von Überbrückungsgeld an Schulabgänger von der Voraussetzung abhängig, daß die Betreffenden ihre höhere Schulausbildung auf einer von ihm anerkannten oder subventionierten Lehranstalt abgeschlossen haben, so stellt er eine Voraussetzung auf, die von den Kindern seiner Staatsangehörigen leichter erfüllt werden kann als von den Kindern eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats. Da es sich um eine soziale Vergünstigung im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 handelt, auf die die Familienangehörigen eines Wanderarbeitnehmers Anspruch erheben können, stellt diese Voraussetzung, die einer Wohnortvoraussetzung gleichkommt, eine versteckte Form der Diskriminierung der Kinder dieses Arbeitnehmers dar, die gegen den in Artikel 48 des Vertrages und in Artikel 7 der genannten Verordnung aufgestellten Grundsatz der Gleichbehandlung verstösst, ungeachtet der Tatsache, daß sie auch für Angehörige dieses Staates gilt, die ihre höhere Schulausbildung im Ausland abschließen, und ohne daß festgestellt zu werden braucht, daß sie in der Praxis einen wesentlich grösseren Anteil der Kinder von Wanderarbeitnehmern als der Kinder von Einheimischen betrifft.

2. Ein von einem Mitgliedstaat geschaffenes besonderes Beschäftigungsprogramm für Schulabgänger, das dadurch gekennzeichnet ist, daß Körperschaften oder Unternehmen Schulabgänger einstellen, die Überbrückungsgeld erhalten, daß das Office national de l' emploi in sozial- und steuerrechtlicher Hinsicht als ihr Arbeitgeber gilt und daß der Staat ihr Entgelt und ihre Sozialversicherungsbeiträge ganz oder teilweise übernimmt, ist der Arbeitslosenversicherung zuzurechnen und geht über den Bereich des Zugangs zur Beschäftigung im eigentlichen Sinn hinaus, der durch Titel I und insbesondere durch Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1612/68 erfasst wird.

Diese Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung hat zur Folge, daß sich nur derjenige auf das Gemeinschaftsrecht über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer berufen kann, um gegen in dieser Regelung angeblich enthaltene Elemente der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit vorzugehen, der ° da er schon durch die Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit Zugang zum Arbeitsmarkt gefunden hat ° die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Gemeinschaftsrechts besitzt; dies ist bei Schulabgängern ausgeschlossen.

 

Normenkette

EWGV 1612/68 Art. 7 Abs. 2; EGVtr Art. 48 (jetzt Art. 39 EG); EWGV 1612/68 Art. 3 Abs. 1

 

Beteiligte

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

Königreich Belgien

 

Tenor

1. Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 48 EG-Vertrag und 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft verstossen, daß es die Gewährung des Überbrückungsgelds an unterhaltsberechtigte Kinder von in Belgien wohnhaften Wanderarbeitnehmern aus der Gemeinschaft davon abhängig gemacht hat, daß diese ihre höhere Schulausbildung an einer vom belgischen Staat oder von einer seiner Gemeinschaften subventionierten oder anerkannten Lehranstalt abgeschlossen haben.

2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

 

Gründe

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 13. Oktober 1994 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 48 EG-Vertrag und aus den Artikeln 3 und 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) verstossen hat, daß es zum einen die Gewährung des Überbrückungsgelds an Schulabgänger davon abhängig gemacht hat, daß diese ihre höhere Schulausbildung an einer vom belgischen Staat (oder einer seiner Gemeinschaften) subventionierten oder anerkannten Lehranstalt abgeschlossen haben, und zum anderen gleichzeitig den Arbeitgebern einen Anreiz gegeben hat, die Empfänger dieser Leistungen ein...

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