Entscheidungsstichwort (Thema)

Staatliche Beihilfen. Artikel 87 EG und 88 Absatz 3 EG. Abgabe auf die Direktverkäufe von Arzneimitteln. Abgabenpflicht der Pharmahersteller, aber nicht der Großhändler. Verbot der Durchführung von nicht notifizierten Beihilfemaßnahmen. Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit einer Beihilfemaßnahme geltend zu machen, um die Erstattung einer Abgabe zu erwirken. Ausgleich, der die Gegenleistung für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen der Großhändler darstellt. Beweislast für eine Überkompensierung. Vorschriften des nationalen Rechts. Verbot, die Erstattung der Abgabe praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren

 

Beteiligte

Laboratoires Boiron

Laboratoires Boiron SA

Union de recouvrement des cotisations de sécurité sociale et d'allocations familiales (Urssaf) de Lyon, Rechtsnachfolgerin der Agence centrale des organismes de sécurité sociale (ACOSS)

 

Tenor

1. Das Gemeinschaftsrecht ist dahin auszulegen, dass ein Pharmahersteller, der zu einer Abgabe der in Artikel 12 des Gesetzes Nr. 97-1164 vom 19. Dezember 1997 vorgesehenen Art herangezogen wird, einwenden kann, dass die Freistellung der Großhändler von dieser Abgabe eine staatliche Beihilfe darstellt, um die Erstattung des Teils der entrichteten Beträge zu erwirken, der dem wirtschaftlichen Vorteil entspricht, den die Großhändler ungerechtfertigterweise erlangt haben.

2. Das Gemeinschaftsrecht steht der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften nicht entgegen, nach denen die Erstattung einer Zwangsabgabe wie der nach Artikel 12 des Gesetzes Nr. 97-1164 voraussetzt, dass der Antragsteller den Beweis erbringt, dass der von den Großhändlern aus ihrer Freistellung von dieser Abgabe gezogene Vorteil die Zusatzkosten übersteigt, die ihnen durch die Erfüllung der ihnen durch die nationale Regelung auferlegten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen entstehen, und insbesondere, dass zumindest eine der im Urteil vom 24. Juli 2003 in der Rechtssache C-280/00 (Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg) genannten Voraussetzungen nicht erfüllt ist.

Jedoch muss, damit die Einhaltung des Effektivitätsgrundsatzes gewährleistet ist, ein nationaler Richter, wenn er feststellt, dass die Beweislast für das Vorliegen einer Überkompensierung zugunsten der Großhändler und somit dafür, dass die Direktverkaufsabgabe den Charakter einer staatlichen Beihilfe hat, einen Pharmahersteller wie Boiron trifft und dass dieser Umstand geeignet ist, die Führung dieses Beweises praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, u. a., weil er Daten betrifft, über die ein Pharmahersteller nicht verfügen kann, alle ihm nach dem nationalen Recht zu Gebote stehenden Verfahrensmaßnahmen ausschöpfen, darunter die Anordnung der erforderlichen Beweiserhebungen, einschließlich der Vorlage von Urkunden oder Schriftstücken durch eine Partei oder einen Dritten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Cour de cassation (Frankreich) mit Entscheidung vom 14. Dezember 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Dezember 2004, in dem Verfahren

Laboratoires Boiron SA

gegen

Union de recouvrement des cotisations de sécurité sociale et d'allocations familiales (Urssaf) de Lyon, Rechtsnachfolgerin der Agence centrale des organismes de sécurité sociale (ACOSS),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans (Berichterstatter), des Richters J. Makarczyk, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter P. Kūris und G. Arestis,

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Oktober 2005,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Laboratoires Boiron SA, vertreten durch A. Lyon-Caen, J. Philippe, C.-M. Dorémus und O. Cavézian, avocats,
  • der Union de recouvrement des cotisations de sécurité sociale et d'allocations familiales (Urssaf) de Lyon, Rechtsnachfolgerin der Agence centrale des organismes de sécurité sociale (ACOSS), vertreten durch H. Calvet und O. Billard, avocats,
  • der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und S. Ramet als Bevollmächtigte,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Di Bucci als Bevollmächtigten,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. März 2006

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Vorschriften des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen, insbesondere der Artikel 87 EG und 88 Absatz 3 EG.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Klage der Laboratoires Boiron SA (im Folgenden: Boiron) auf Erstattung der Beträge, die sie als Abgabe auf die Direktverkäufe von Arzneimitteln an die Agence centrale des organismes de sécurité sociale (im Folgenden: ACOSS) entrichtet hat. Die Union de recouvrement des cotisations de sécurité sociale et d'allocations familiales (Urssaf) de Lyon ist Rechtsnachfolgerin der ACOSS.

Nationale...

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