Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlaß einstweiliger Anordnung: Aussetzung der Beendigung von Arbeitsverhältnissen gem SGB6ÄndG Art 2 für vier Monate nach Ablauf der gesetzlichen Übergangsfrist – Berufsfreiheit der Arbeitnehmer und

 

Orientierungssatz

1. Eine Anrufung der Fachgerichte ist dem Beschwerdeführer bei einem unmittelbaren Eingriff in seine Grundrechte (hier: GG Art 12 Abs 1) dann nicht zuzumuten, wenn die Anwendung einer mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Regelung – abgesehen von der verfassungsrechtlichen Problematik – keine Fragen aufwirft, die einer fachrichterlichen Vorklärung bedürften.

2. Die bei einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens gemäß BVerfGG § 32 notwendige Folgenabwägung führt dazu, daß dem Antrag auf Erlaß einer eA zum Teil stattgegeben wird.

a. Ergeht die eA, erweist sich die angegriffene Regelung des SGB6ÄndG Art 2 als verfassungsgemäß, so käme es einerseits zu einem Eingriff in die Dispositionsfreiheit der Arbeitgeber andererseits zu einer Beeinträchtigung der arbeitsmarktpolitischen Ziele des Gesetzgebers (Entlastung des Arbeitsmarktes von Arbeitnehmern, die neben ihrem Arbeitsentgelt die volle Altersrente erhalten).

b. Ergeht die eA nicht, erweist sich die Verfassungsbeschwerde später als begründet, müßten die betroffenen Arbeitnehmer für den Zeitraum des Verfassungsbeschwerdeverfahrens den Verlust ihres Beschäftigungsanspruchs und auch möglicherweise sozialversicherungsrechtliche Nachteile in Kauf nehmen.

Im übrigen stellt die Arbeit für viele Arbeitnehmer eine wesentliche Möglichkeit zur Entfaltung ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten dar.

3. Im Ergebnis wiegen die durch die kurze Übergangsfrist des SGB6ÄndG Art 2 (3 Monate) begründeten Nachteile für die Arbeitnehmer so schwer, daß eine zeitlich begrenzte Aussetzung der Übergangsregelung bis zum 1995-03-31 geboten ist: Der Zeitraum von 4 Monaten erscheint angemessen, um sich auf die geänderte Rechtslage einzustellen:

a. Angesichts einer kurz nach der endgültigen Klärung der Rechtslage durch das BAG (vgl BAG, 1993-10-20, 7 AZR 135/93, NZA 1994, 128ff) einsetzenden politischen Diskussion und der sich hieran anschließenden Verabschiedung des SGB6ÄndG im Juli 1994 konnte ein besonders weittragender Vertrauenstatbestand bei den Betroffenen nicht entstehen.

b. Da eventuelle wirtschaftliche Nachteile der Arbeitgeber durch die im Regelfall vollwertige Arbeitsleistung des weiterbeschäftigten Arbeitnehmers kompensiert werden und durch den lediglich kurzen Aufschub nur wenige Arbeitsverhältnisse betroffen sind, kann die Aussetzung des Gesetzesvollzugs bis zum 1995-03-31 hingenommen werden. Auch wird das arbeitsmarktpolitische Anliegen des Gesetzgebers durch den Erlaß der eA nicht nachhaltig beeinträchtigt.

Eine zeitlich über den 1995-04-01 hinausgehende Aussetzung des Gesetzesvollzugs ist im Hinblick auf die Notwendigkeit einer klaren Grundlage für weitere Personalplanungen der Arbeitgeber nicht hinnehmbar.

 

Gründe

I.

1. Der 1928 geborene Beschwerdeführer ist seit 1971 als wissenschaftlicher Angestellter und Justitiar im öffentlichen Dienst der Freien und Hansestadt Hamburg tätig. Davor arbeitete er freiberuflich. Nachdem das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 20. Oktober 1993 (NZA 1994, S. 128) entschieden hatte, daß tarifvertragliche Altersgrenzen nicht mehr uneingeschränkt gültig seien, wurde er auf Antrag über das 65. Lebensjahr hinaus auf unbestimmte Zeit weiterbeschäftigt. Er wollte aus wirtschaftlichen Gründen bis zur Vollendung des 68. Lebensjahres arbeiten. Im August 1994 teilte ihm seine Arbeitgeberin mit, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI ÄndG) vom 26. Juli 1994 (BGBl. I S. 1797) mit dem 30. November 1994 ende.

2. Dieses Gesetz stellt eine bis 1992 geltende Rechtslage weitgehend wieder her. Danach galten Vereinbarungen, die die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zu dem Zeitpunkt vorsahen, in dem der Arbeitnehmer vorgezogenes Altersruhegeld beanspruchen konnte, als auf die Vollendung des 65. Lebensjahres des Arbeitnehmers abgeschlossen. Im Zusammenhang mit der weiteren Flexibilisierung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung wurde durch § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI in der Fassung des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2261) die Wirksamkeit von Vereinbarungen über Altersgrenzen weiter eingeschränkt. Die Vorschrift lautete:

Eine Vereinbarung, wonach ein Arbeitsverhältnis zu einem Zeitpunkt enden soll, in dem der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Rente wegen Alters hat, ist nur wirksam, wenn die Vereinbarung innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt geschlossen oder von dem Arbeitnehmer bestätigt worden ist.

Das Bundesarbeitsgericht hat in dem erwähnten Urteil vom 20. Oktober 1993 den Standpunkt vertreten, die Vorschrift sei nicht tarifdispositiv; kollektivrechtliche Altersgrenzen, die auf den Zeitpunkt des Entstehens sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche abstellten, seien nur unter den in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen wirksam.

Daraufhin hat der Gesetzgeber die im Jahre 1992 eingeführte Beschränkung für Vereinbarungen über Altersgrenzen wieder aufgehoben. Nunmehr lautet § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI:

Eine Vereinbarung, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, in dem der Arbeitnehmer vor Vollendung des 65. Lebensjahres eine Rente wegen Alters beantragen kann, gilt dem Arbeitnehmer gegenüber als auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abgeschlossen, es sei denn, daß die Vereinbarung innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen oder von dem Arbeitnehmer bestätigt worden ist.

Damit entspricht die Rechtslage weitgehend wieder der bis 1992 geltenden. Im Rentenversicherungsbericht von 1997 sollen die Auswirkungen dieser Regelung dargelegt und gegebenenfalls Vorschläge für eine Neuregelung unterbreitet werden (BTDrucks. 12/8040, S. 5).

3. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die in Art. 2 SGB VI ÄndG getroffene Übergangsregelung. Sie lautet:

Ist das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers wegen § 41 Abs. 4 Satz 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 1. August 1994 geltenden Fassung über das 65. Lebensjahr hinaus fortgesetzt worden, endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des dritten Kalendermonats, der auf den Monat des Inkrafttretens dieses Gesetzes folgt, es sei denn, Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbaren etwas anderes.

Der Beschwerdeführer sieht sich durch diese Vorschrift unmittelbar und gegenwärtig in seinen Rechten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 und Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Die Verfassungsbeschwerde sei von allgemeiner Bedeutung. Eine Erschöpfung des Rechtswegs sei ihm nicht zuzumuten, weil er dann auf unbestimmte Zeit auf Rentenbezüge angewiesen wäre, die um etwa ein Drittel unter seinem derzeitigen Gehalt lägen. Einer späteren Wiedereingliederung im Falle eines Klageerfolgs stünden kaum zu überwindende Hindernisse entgegen.

Art. 1 Abs. 1 GG werde durch die angegriffene Regelung verletzt, weil der Eindruck entstehe, daß die betroffenen Arbeitnehmer als Instrument benutzt würden, das je nach Bedarf oder Zeitgeist eingesetzt oder weggeworfen werde. In das Recht der Arbeitnehmer, ihre Arbeitskraft zu verwerten (Art. 2 Abs. 1 GG), werde einschneidend und unverhältnismäßig eingegriffen. Die angegriffene Vorschrift verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie die über 65jährigen Arbeitnehmer ungerechtfertigt benachteilige. Schließlich werde auch in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes eingegriffen.

Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung sei zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten. Ergehe die einstweilige Anordnung nicht und werde die angegriffene Vorschrift später für verfassungswidrig erklärt, so hätten etwa 30.000 Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz unrechtmäßig zum 30. November 1994 verloren. Es sei davon auszugehen, daß der Arbeitsplatzverlust endgültig sei, weil der Arbeitsplatz entweder anderweitig besetzt oder durch Rationalisierung entfallen werde. Werde die angegriffene Vorschrift aber bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgesetzt, so sei schlimmstenfalls für diesen sich ständig vermindernden Personenkreis das bisherige Gehalt weiterzuzahlen, für das allerdings auch die volle Arbeitsleistung erbracht werde.

4. Nach vorläufigen Angaben einiger Bundesländer sind im Landesdienst in Berlin 590 Arbeitnehmer, in Hamburg 12, in Nordrhein-Westfalen höchstens 20, in Rheinland-Pfalz 6, in Sachsen 142 und in Niedersachsen kein Arbeitnehmer von der angegriffenen Regelung betroffen. Bei den obersten Bundesbehörden beträgt die Zahl der Betroffenen etwa neunzig. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände hat mitgeteilt, daß relativ wenige Arbeitnehmer unter die Übergangsregelung fielen, weil die meisten Arbeitnehmer, die nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts das 65. Lebensjahr vollendet hätten, ungeachtet dieser Entscheidung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden seien. Zahlen aus dem Bereich der Privatwirtschaft liegen nicht vor.

5. Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich die Bundesregierung, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände geäußert.

a) Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hält namens der Bundesregierung den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung jedenfalls als Ergebnis der Folgenabwägung für unbegründet. Für die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverträge nach der angegriffenen Regelung mit dem 30. November 1994 enden sollten, seien in aller Regel bereits Ersatzkräfte eingestellt oder andere personalwirtschaftliche Maßnahmen getroffen worden, um den Ausfall auszugleichen. Eine Verpflichtung, die betroffenen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, würde die Arbeitgeber in ihren personalwirtschaftlichen Dispositionen einschränken und zu finanziellen Schwierigkeiten führen. Unter Umständen gebe es für diese Arbeitnehmer gar keine sinnvolle Beschäftigung mehr. Jedenfalls müsse die mögliche Neueinstellung eines anderen Arbeitnehmers unterbleiben. Das sei angesichts der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation unvertretbar. Die Übergangsregelung habe verhindern sollen, daß die Arbeitsverträge der betroffenen Arbeitnehmer sofort mit dem Inkrafttreten endeten. Ihnen sei eine angemessene Übergangsfrist von vier Monaten eingeräumt worden. Ohnehin seien sie im Vergleich mit den Arbeitnehmern, für die die tarifvertragliche Altersgrenze ab 1. August 1994 sofort wirksam geworden sei, bevorteilt. Die Folgen einer Ablehnung der einstweiligen Anordnung wären weniger gravierend. Die Betroffenen wären zwar für einen befristeten Zeitraum ohne Beschäftigung; dieser Nachteil sei aber hinnehmbar, weil sie – wie auch der Beschwerdeführer – durch ihre Altersrente wirtschaftlich abgesichert seien.

b) Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig. Der Beschwerdeführer hätte eine Feststellungsklage vor den Arbeitsgerichten – gegebenenfalls im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes – erheben können. Zudem sei die Sache nicht von allgemeiner Bedeutung. Die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer könne nicht sehr hoch sein. Die Verfassungsbeschwerde sei auch nicht begründet. Kein Arbeitnehmer habe Anspruch auf Erhalt eines bestimmten Arbeitsplatzes. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses berühre daher weder Menschenwürde noch Berufsfreiheit. Einschränkungen dieser Grundrechte seien jedenfalls durch grundrechtlich geschützte Positionen der Arbeitgeber und Belange der Allgemeinheit gerechtfertigt. Das angegriffene Gesetz habe die durch § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI a.F. unangemessen beeinträchtigte Entscheidungsfreiheit der Arbeitgeber wieder herstellen und den Arbeitsmarkt entlasten sollen. Art. 3 Abs. 1 GG sei ebenfalls nicht verletzt. Die Berechtigung zum Bezug einer Altersrente mit 65 Jahren rechtfertige eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses in diesem Zeitpunkt.

Die einstweilige Anordnung sei zum gemeinen Wohl nicht dringend geboten. Der Beschwerdeführer gerate ohne den Erlaß der einstweiligen Anordnung nicht in eine unzumutbare Lage. Müsse er weiterbeschäftigt werden, so sei der Arbeitgeber gehindert, den Arbeitsplatz neu zu besetzen und damit jüngeren Arbeitnehmern eine Chance zu geben. Dem Beschwerdeführer drohe kein irreparabler Schaden, da der Arbeitgeber verpflichtet sei, bei einem Obsiegen die Dienstbezüge nachzuentrichten. Der Beschwerdeführer habe nicht substantiiert vorgetragen, daß er ohne Fortsetzung seiner Beschäftigung nicht in der Lage sei, einen angemessenen Lebensstandard aufrecht zu erhalten.

c) Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände macht geltend, die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung lägen nicht vor, weil den Betroffenen durch die angegriffene Regelung keine schweren Nachteile erwüchsen. Es sei nur die vor dem 1. Januar 1992 geltende Rechtslage wiederhergestellt worden. Bis zu dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts hätten alle Arbeitnehmer mit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zum vollendeten 65. Lebensjahr rechnen müssen. Wer danach weitergearbeitet habe, sei dadurch gegenüber den vorher Ausgeschiedenen begünstigt worden.

Der Zweck des Änderungsgesetzes von 1994, Arbeitnehmer mit Anspruch auf die Regelaltersrente von der Weiterbeschäftigung über das 65. Lebensjahr hinaus auszuschließen und jüngere Arbeitnehmer nachrücken zu lassen, werde durch die Nichtanwendung der Übergangsvorschrift beeinträchtigt. Zu berücksichtigen sei auch, daß vielfach bereits Neueinstellungen oder personalwirtschaftliche Einsparungsmaßnahmen vorgenommen worden seien.

II.

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und teilweise begründet.

1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang muß das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (BVerfGE 88, 169 (172); st. Rspr.). Dabei ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen, wenn eine gesetzliche Regelung außer Kraft gesetzt werden soll (BVerfGE 83, 162 (171); st. Rspr.).

2. Die unmittelbar gegen Art. 2 SGB VI ÄndG gerichtete Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Der Beschwerdeführer wird durch diese Regelung selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Er hat dargelegt, daß er im Hinblick auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI a.F. weiterbeschäftigt worden ist. Die angegriffene Vorschrift beendet danach sein auf unbestimmte Zeit fortbestehendes Arbeitsverhältnis zum 30. November 1994 und wirkt damit ohne weiteren Vollzugsakt in seinen Rechtskreis ein (vgl. BVerfGE 53, 366 (389)). Eine Anrufung der Fachgerichte ist dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten. Die Anwendung der angegriffenen Regelung auf seinen Fall wirft – sieht man von der verfassungsrechtlichen Problematik ab – weder tatsächliche noch rechtliche Fragen auf, die einer fachrichterlichen Vorklärung bedürften.

3. Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Die angegriffene Regelung greift unmittelbar in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers ein (vgl. BVerfGE 84, 133 (147 f.)). Ob dieser Eingriff gerechtfertigt ist, bedarf eingehender Prüfung im Hauptsacheverfahren (vgl. BVerfGE 9, 338 (344 ff.); 64, 72 (82 f.)).

4. Die Entscheidung über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung hängt danach von einer Abwägung der eintretenden Folgen ab.

a) Ergeht die einstweilige Anordnung, erweist sich die angegriffene Regelung jedoch später als verfassungsgemäß, so müssen die Arbeitgeber die betroffenen Arbeitnehmer zunächst weiterbeschäftigen und ihnen weiterhin ihre Vergütung bezahlen. Ein finanzieller Verlust tritt dadurch jedenfalls dann nicht ein, wenn der Arbeitgeber die erbrachte Arbeitsleistung weiterhin benötigt und die Vergütung ihrem Wert entspricht. Das dürfte in der Regel der Fall sein. Einbußen können allerdings insbesondere dann entstehen, wenn notwendige Rationalisierungsmaßnahmen aufgeschoben werden müssen oder bereits Ersatzkräfte eingestellt worden sind. Jedenfalls wird der Arbeitgeber durch die von ihm nicht gewünschte Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in seiner Dispositionsfreiheit beeinträchtigt. Eine Aussetzung des Gesetzesvollzuges bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde wirkt auch der vom Gesetzgeber angestrebten Entlastung des Arbeitsmarktes entgegen. Haben die Arbeitsvertragsparteien nach Bekanntwerden der erwähnten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit verlängert, so wird eine solche Vereinbarung nach dem Günstigkeitsprinzip regelmäßig auch die tarifvertraglichen Altersgrenzen verdrängen, die durch Art. 1 SGB VI ÄndG wieder in Kraft gesetzt werden sollten. Arbeitsplätze können so auf Jahre hinaus von Arbeitnehmern besetzt sein, die neben ihrem Arbeitsentgelt die volle Altersrente erhalten. Gerade dies wollte der Gesetzgeber durch das Änderungsgesetz von 1994 im Interesse einer Öffnung des Arbeitsmarktes für jüngere Arbeitnehmer verhindern. Deshalb hat er durch die angegriffene Regelung die Arbeitsverhältnisse, die über das 65. Lebensjahr hinaus fortgesetzt worden sind, mit dem 30. November 1994 beendet.

Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich die Verfassungsbeschwerde jedoch später als begründet, so werden die von der angegriffenen Regelung betroffenen Arbeitnehmer in ihrem Vertrauen auf den Fortbestand ihrer Arbeitsverträge enttäuscht, von dem sie nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts ausgehen konnten. Sie verlieren am 30. November 1994 zunächst ihren Arbeitsplatz. Zwar wird ihnen ihre Vergütung nachzuzahlen sein. Für die Dauer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens geht ihnen jedoch ihr Beschäftigungsanspruch verloren. Darüber hinaus können ihnen sozialversicherungsrechtliche Nachteile entstehen. Auch besteht die Gefahr, daß ihr Arbeitsplatz nach Abschluß des Verfassungsbeschwerdeverfahrens anderweitig besetzt oder im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen weggefallen ist. Für viele Arbeitnehmer stellt ihre Arbeit eine wesentliche Möglichkeit zur Entfaltung ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten dar. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die hier betroffenen Arbeitnehmer in der Regel bereits ein langes Arbeitsleben hinter sich haben. Ungewißheit über die Wiedererlangung des verlorenen Arbeitsplatzes kann jedoch besonders ältere Arbeitnehmer psychisch stark belasten (vgl. BVerfGE 85, 167 (173)).

b) Im Ergebnis wiegen jedenfalls die durch die kurze Übergangsfrist begründeten Nachteile für die Arbeitnehmer so schwer, daß eine zeitlich begrenzte Aussetzung der Übergangsregelung bis zum 31. März 1995 geboten ist. In diesem Umfang überwiegt ihr Interesse auf tatsächliche Weiterbeschäftigung. Träfe sie in der letzten Phase ihres Arbeitslebens zu Unrecht der Verlust ihres Arbeitsplatzes, ohne daß ihnen eine angemessene Zeit für diese Umstellung eingeräumt wird, so könnte das zu erheblichen Belastungen und nachwirkenden Schäden führen.

Angesichts dieser Interessenlage ist der Vollzug des Gesetzes auszusetzen, bis erwartet werden kann, daß die Betroffenen sich auf die Beendigung ihres Arbeitslebens eingestellt haben. Ein Zeitraum von vier Monaten nach Ablauf der gesetzlichen Übergangsfrist von drei Monaten reicht dafür aus. Dabei ist zu berücksichtigen, daß alle Arbeitnehmer, für die einzelvertragliche oder kollektivrechtliche Altersgrenzen galten, jedenfalls bis zur Verabschiedung des Rentenreformgesetzes 1992 im Dezember 1989 damit rechnen mußten, längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres weiterarbeiten zu können. Erst durch dieses Gesetz wurde die Gültigkeit von kollektivrechtlichen Altersgrenzen, die auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abstellten, in Frage gestellt. Endgültig geklärt wurde die Rechtslage insoweit aber erst durch die im Oktober 1993 ergangene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Angesichts der kurz danach einsetzenden politischen Diskussion, die im Juni 1994 in eine Gesetzesinitiative einmündete und schon im Juli 1994 zur Verabschiedung des Änderungsgesetzes führte, konnte ein besonders weittragender Vertrauenstatbestand bei den Betroffenen nicht entstehen.

Demgegenüber wiegen die negativen Folgen des Erlasses einer derart begrenzten einstweiligen Anordnung nicht so schwer, daß eine Aussetzung des Gesetzesvollzuges bis zum 31. März 1995 nicht hingenommen werden könnte. Die wirtschaftlichen Nachteile für die Arbeitgeber werden durch die im Regelfall vollwertige Arbeitsleistung des weiterbeschäftigten Arbeitnehmers kompensiert. Selbst wenn Rationalisierungsmaßnahmen, an denen aus Kostengründen ein dringendes Interesse besteht, eine Weile aufgeschoben werden müßten, so kann doch nicht generell von einem fehlenden Nutzen der Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber ausgegangen werden. Dem arbeitsmarktpolitischen Anliegen des Gesetzgebers wird kein nachhaltiger Abbruch getan. Zum einen bleibt die eigentliche Regelung des Gesetzes, die sofort nach seiner Verkündung in Kraft trat, unberührt. Seitdem enden die Arbeitsverhältnisse wieder regelmäßig, wenn die Arbeitnehmer das 65. Lebensjahr vollenden. Zum anderen geht es nur um einen kurzen Aufschub bei relativ wenigen Arbeitsverhältnissen, wenn die Arbeitsplätze der Betroffenen erst zum 1. April 1995 neu besetzt werden können. Auch die Beschäftigung und Bezahlung von bereits mit Wirkung ab 1. Dezember 1994 eingestellten Ersatzkräften erscheint für einen begrenzten Zeitraum von vier Monaten zumutbar. Das Risiko der Doppelzahlung ließe sich ohnedies nicht vermeiden. Es besteht auch für den Fall, daß die einstweilige Anordnung nicht ergeht, die Verfassungsbeschwerde sich aber als begründet erweist.

Eine zeitlich über den 1. April 1995 hinausgehende Aussetzung des Gesetzesvollzuges ist jedoch angesichts der negativen Folgen einer einstweiligen Anordnung nicht hinnehmbar. Die Arbeitgeber bedürfen für ihre weitere Personalplanung einer klaren Grundlage. Eine zeitlich unbestimmte Suspendierung würde die Dispositionsfreiheit der Arbeitgeber schwerwiegend treffen. Ein längerer Fortbestand von Arbeitsverhältnissen über die Altersgrenze von 65 Jahren hinaus würde überdies die arbeitsmarktpolitischen Ziele des Gesetzgebers unvertretbar beeinträchtigen. Beachtung verdient auch der bereits im Gesetzgebungsverfahren angeführte Gesichtspunkt (BTDrucks. 12/8040, S. 4), daß eine Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern, die neben ihrer Vergütung die volle Altersrente erhalten, denjenigen schwer zu vermitteln ist, die keine Beschäftigung finden.

 

Fundstellen

BVerfGE 91, 252-261 (T)

BVerfGE, 252

BB 1994, 2420

NJW 1995, 41

NJW 1995, 41-43 (LT)

EuGRZ 1995, 42

EuGRZ 1995, 42-44 (T)

NVwZ 1995, 157

NVwZ 1995, 157 (S)

EWiR 1995, 65 (L)

NZA 1995, 45

NZA 1995, 45-47 (ST1-2)

WM IV 1994, 2250-2253 (ST)

ZAP, EN-Nr. 1043/94 (S)

ZBR 1995, 41-42 (LT)

ZIP 1994, 1881

ZIP 1994, 1881-1883 (ST)

ZTR 1995, 37-38 (LT1)

AP SGB VI § 41, Nr. 5 (ST)

ArbuR 1995, 34-35 (LT1)

ArztR 1994, 306 (K)

BGBl 1994, 3992

EzA-SD 1994, Nr 25, 3-5 (ST)

EzA SGB VI § 41, Nr. 3 (ST1)

SGb 1995, 118 (L)

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