Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5. Juli 1984 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der 1933 geborene Kläger, der eine 1953 begonnene Lehre als Zimmerer nicht abgeschlossen hat, war während seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung von 1962 bis zum Oktober 1981 ausschließlich als Zimmerer bzw. Einschaler tätig. Die im Dezember 1982 beantragte Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 14. April 1983 mit der Begründung ab, der Kläger könne infolge seines im Oktober 1981 erlittenen Arbeitsunfalls zwar nicht mehr im Beruf als Zimmerer tätig sein; er vermöge aber bei kürzeren Anmarschwegen noch leichtere Arbeiten zu ebener Erde vorwiegend im Sitzen vollschichtig zu verrichten. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 1983; Urteil des Sozialgerichts -SG- Landshut vom 28. November 1983).

Die Berufung des Klägers hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 5. Juli 1984 zurückgewiesen. Das LSG hat dem Kläger zwar nach Qualifikation durch den Arbeitgeber und tariflicher Entlohnung den Berufsschutz eines gelernten Zimmerers zugebilligt, ihn aber auf die Tätigkeiten als „Kontrolleur von Drehteilen” und „Prüfer von Elektronenrohren durch Stichprobenmessungen” (Tarifbeispiele Nr. 25 und 33 zu § 15 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der bayerischen Metallindustrie vom 1. Dezember 1973 in der seit dem 1. Januar 1981 maßgeblichen Fassung) verwiesen. Die Einstufung dieser Tätigkeiten in die Lohngruppe V des genannten Manteltarifvertrages, welche angelernte Arbeitnehmer mit einer Anlernzeit von ca. acht Wochen umfasse, erlaube es, den Kläger als Facharbeiter nach dem Drei- bzw. Vierstufenschema des Bundessozialgerichts (BSG) auf diese Tätigkeiten zu verweisen.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger, das LSG habe § 1246 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verletzt, weil es ihn auf Tätigkeiten verwiesen habe, für die tariflich nur eine „Anlernzeit” von etwa acht Wochen vorgesehen sei. Nach der Rechtsprechung des BSG sei selbst eine dreimonatige „Anlernung” für die qualitative Gleichstellung mit einem „sonstigen Ausbildungsberuf” nicht ausreichend. Deshalb hätte das LSG ihn nur auf Tätigkeiten der „qualifiziert angelernten Arbeitnehmer” der Gruppe VI des genannten Manteltarifvertrages verweisen dürfen, deren Zumutbarkeit es jedoch nicht geprüft habe.

Der Kläger beantragt,

  • die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. März 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 1983 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Dezember 1982 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu bewilligen;
  • sinngemäß beantragt er hilfsweise,

    die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

II.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 126 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nach Aktenlage, weil die Beteiligten auf diese Möglichkeit hingewiesen und im Termin nicht erschienen sind.

Die Revision des Klägers ist i.S. der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz begründet, da deren Feststellungen zur abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits nicht ausreichen.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß für den Kläger mit unstreitiger beruflicher Qualifikation als Facharbeiter wenigstens eine zumutbare Verweisungstätigkeit genannt und mit nachprüfbaren Feststellungen konkret bezeichnet werden muß (vgl. BSG in SozR 2200 S. 1246 Nrn. 36, 45, 90, 109). Dagegen hat das LSG unzutreffend angenommen, daß der Kläger auf Tätigkeiten mit tariflich festgelegter Anlernzeit von ca. acht Wochen, die im Tarifvertrag mit der Überschrift „angelernte Arbeitnehmer” versehen sind, zumutbar i.S. von § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO verwiesen werden kann.

Als Facharbeiter ist der Kläger nach der ständigen Rechtsprechung des BSG lediglich auf Tätigkeiten verweisbar, die zu den sonstigen, staatlich anerkannten Ausbildungsberufen – mit Ausnahme also der Facharbeiterberufe – gebären oder eine echte betriebliche Ausbildung von wenigstens drei Monaten erfordern oder wegen ihrer Qualität tariflich wie sonstige Ausbildungsberufe bewertet werden (vgl. BSGE 43, 243 = SozR 2200 § 1246 Nr. 16 sowie SozR a.a.O. Nr. 21 und Nr. 109 letztere Entscheidung m.w.N.). Eine echte betriebliche Ausbildung im vorgenannten Sinn setzt voraus, daß sie über eine bloße Einweisung und Einarbeitung hinausgeht, was in der Regel eine längere Anlernzeit als 3 Monate (so BSG in SozR a.a.O. Nrn. 60 und 139), zumindest aber eine solche von 3 Monaten (so BSG in SozR a.a.O. Nr. 109 m.w.N.) erfordert. Diese Voraussetzung erfüllen die vom LSG genannten Verweisungstätigkeiten nicht. Für die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit i.S. von § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO kann es daher nicht auf die tarifliche Bezeichnung „angelernte Arbeitnehmer” ankommen, wenn sich aus der nach dem Lohntarif erforderlichen „Anlernzeit” ergibt, daß es sich hierbei um Tätigkeiten handelt, die nach der vom BSG in ständiger Rechtsprechung vorgenommenen Berufsgruppeneinteilung nicht der Berufsgruppe der sonstigen Ausbildungsberufe – kurz: Anlernberufe – zugeordnet werden können (vgl. hierzu das Urteil des erkennenden Senats vom 9. September 1986 in SozR a.a.O. Nr. 140 zur unzutreffenden tariflichen Bezeichnung „Hochbaufacharbeiter”).

Das gleiche Ergebnis folgt auch aus der jüngeren Rechtsprechung zur Abgrenzung des Facharbeiters vom angelernten Arbeiter im oberen Bereich dieser Gruppe mit einer vorgeschriebenen Berufsausbildung von zwei Jahren (vgl. SozR a.a.O. Nr. 132 und Urteil vom 21. Juli 1987 – 4a RJ 39/86 –), der sich der erkennende Senat im Urteil vom 9. September 1986 a.a.O. angeschlossen hat. Ist nämlich hiernach bereits der angelernte Arbeiter „im oberen Bereich” dieser Gruppe nur auf ungelernte Tätigkeiten verweisbar, die sich durch die Qualitätsmerkmale der Einweisung und Einarbeitung auszeichnen, so muß für Verweisbarkeit des Facharbeiters eine darüberhinausgehende betriebliche Ausbildung von mindestens drei Monaten verlangt werden. Anderenfalls wäre die gebotene Unterscheidung des Verweisungsrahmens für Versicherte mit dem bisherigen Beruf des Facharbeiters und des angelernten Arbeiters nicht gewährleistet.

Da das LSG die Abgrenzung der sonstigen Ausbildungsberufe (Anlernberufe) gegen die von ihm genannten Tätigkeiten verkannt hat, die in Wahrheit ungelernte Tätigkeiten i.S. der Berufsgruppeneinteilung der Rechtsprechung des BSG sind, erweisen sich seine Feststellungen als unzureichend für die Ablehnung des Anspruchs des Klägers auf Rente wegen Berufsunfähigkeit. Dieser Anspruch darf dem mit dem Berufsschutz des Facharbeiters versehenen Kläger nur dann versagt werden, wenn er auf eine Tätigkeit verwiesen werden kann, die er mit den ihm verbliebenen körperlichen Fähigkeiten noch auszuführen vermag und die zur Gruppe der sonstigen Ausbildungsberufe i.S. der oben erwähnten Rechtsprechung des BSG gehört. Dem Revisionsgericht sind die hierzu nötigen Feststellungen verwehrt (§ 163 SGG). Deshalb muß der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI582851

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