Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 09.10.1991)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. Oktober 1991 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand, als er am 6. April 1980 in Frankreich einen Verkehrsunfall erlitt.

Der im Jahre 1950 geborene Kläger studierte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Gesellschaftswissenschaften. In der zweiten Studienphase befaßte er sich vorwiegend mit der sozialen, kulturellen und politischen Entwicklung des französischsprachigen Teils Nordafrikas, insbesondere seiner Heimat Marokko. Im Zusammenhang mit seiner Diplomarbeit, die vom Hauptprüfer des Klägers Prof. Dr. B. … betreut wurde, hielt sich der Kläger mehrmals zur Literaturbeschaffung in Frankreich (Straßburg, Montpellier, Paris) und Marokko auf. Der zweite Teil der Diplomhauptprüfung mit Klausuren sowie mündlicher Prüfung war für das Wintersemester 1980/81 vorgesehen. Die vom Kläger gewählten, den Prüfern benannten und mit kleinen Änderungen angenommenen Themen bezogen sich auf fachspezifische Probleme der durch Frankreich beeinflußten Regionen Arabiens und Afrikas. Zur Vorbereitung auf diesen Prüfungsteil begab sich der Kläger Mitte März 1980 erneut nach Frankreich und besuchte ganztägig vorwiegend die Universitätsbibliothek in Tours und ein- bis zweimal auch in Le Mans, fertigte von der dort gelesenen Literatur zahlreiche Fotokopien und schriftliche Auszüge und sah sich in Buchhandlungen nach Neuerscheinungen um. Auf der Rückreise nach Frankfurt am Main am Morgen des 6. April 1980 verunglückte er mit seinem Pkw kurz nach dem Verlassen seiner Unterkunft. Er zog sich Splitterverletzungen an den Augen mit Verlust eines Auges und schwerster Sehbehinderung des anderen Auges zu. Der Kläger bestand im Februar 1982 die Diplomprüfung nach Abänderung und Erleichterung der Prüfungsthemen ohne weiteren Auslandsaufenthalt mit dem Gesamtprädikat „sehr gut”.

Nach Erstattung einer Unfallanzeige durch das Studentenwerk Frankfurt am Main im Dezember 1980 bescheinigte Prof. Dr. B. … unter dem 25. Oktober 1983 ua, daß er mit dem Kläger die Recherchen in Frankreich im Rahmen der Examensbetreuung jeweils vorbesprochen und diese Nachforschungen bei der Examensthematik für unabdingbar und aus wissenschaftlichen Gründen für selbstverständlich gehalten habe. Die notwendige französischsprachige Literatur sei an deutschen Bibliotheken meistens nicht verfügbar; bedeutende Standardliteratur in deutscher Übersetzung sei bis auf wenige Ausnahmen nicht vorhanden.

Mit Bescheid vom 26. November 1984 lehnte der Beklagte eine Entschädigung ab, weil ein Hochschulunfall nicht vorgelegen habe. Selbst wenn der Aufenthalt des Klägers in Frankreich dem Hochschulstudium gedient habe, fehle es an dem erforderlichen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Hochschule und deren Einrichtungen.

Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid vom 26. November 1984 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, den Unfall des Klägers vom 6. April 1980 in gesetzlichem Umfang als Arbeitsunfall zu entschädigen (Urteil vom 5. Mai 1987). Der Kläger habe während der Studien in Frankreich unter Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d der Reichsversicherungsordnung (RVO) gestanden. Zwar sei die Studienreise keine von der Hochschule organisierte Maßnahme wie zB eine Exkursion gewesen; in ihrer Zielsetzung sei sie jedoch einer solchen gleichzustellen. Außerdem habe Versicherungsschutz nach § 549 RVO bestanden, weil das Fertigen von Literaturfotokopien der vom Bundessozialgericht (BSG) als Erneuerung eines Arbeitsgeräts gewerteten „Erstbeschaffung” eines Schulbuchs vergleichbar sei. Schließlich sei der Kläger für die Universitätsbibliothek Frankfurt am Main im Zusammenhang mit der Erstellung einer Bibliographie auch wie ein Beschäftigter tätig und nach § 539 Abs 2 RVO versicherungsrechtlich geschützt gewesen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Beklagten nach Beiladung der Stadt Frankfurt am Main (Eigenunfallversicherung) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 9. Oktober 1991). Der Kläger habe am 6. April 1980 keinen als Arbeitsunfall zu entschädigenden Unfall erlitten. Zwar habe der Studienaufenthalt zur Prüfungsvorbereitung mit seiner Hochschulausbildung und Diplomprüfung in einem inneren Zusammenhang gestanden. Dieser Aufenthalt sei jedoch weder eine durch eine Prüfungsordnung zwingend vorgeschriebene Zulassungsvoraussetzung für die Diplomprüfung noch aufgrund besonderer anderer Umstände in den organisatorischen und rechtlichen Verantwortungsbereich der vom Kläger besuchten Hochschule einbezogen. Die Hochschule habe rechtlich keinerlei Möglichkeit der Einflußnahme auf die äußeren Bedingungen, den Umfang, Inhalt und die zeitliche Einteilung des Studienaufenthalts gehabt und habe tatsächlich auch keinerlei Einfluß in dem genannten Sinne genommen. Ein Versicherungsschutz nach § 549 RVO scheide ebenfalls aus. Bei der Herstellung von schriftlichen Auszügen und Fotokopien und der Beschaffung einiger Bücher habe es sich um untergeordnete – arbeitstechnische – Teile der privaten Prüfungsvorbereitung des Klägers in Frankreich gehandelt. Der Kläger sei bei seinem Auslandsaufenthalt nicht wie ein Arbeitnehmer nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO bei dem Beklagten oder dem Beigeladenen im Zusammenhang mit der Erstellung einer „ausführlichen”, „allumfassenden” Bibliographie im Auftrag der Fachbereichsbibliothek und/oder der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main versichert gewesen. Es fehle jeder Beweis für einen hierzu erteilten Auftrag.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts. Er meint, er habe zu dem nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d RVO versicherten Personenkreis gehört. Im Unfallzeitpunkt habe er sowohl nach § 548 Abs 1 RVO als auch nach § 549 RVO unter Versicherungsschutz gestanden. Die Studienreise nach Frankreich habe im Zusammenhang mit dem noch ausstehenden Teil der Diplomhauptprüfung gestanden. Die Diplomanden hätten das Recht, ihren Prüfern Themen vorzuschlagen. Um eine konkrete Aufgabenstellung für die Klausuren erarbeiten zu können, bedürfe der Prüfer weiterer Informationen durch den Prüfling. So habe auch er die relevante Literatur in Form einer ausgewählten Literaturliste in herkömmlichem Sinne sowie einer „anotierten” Liste mit kurzen Stellungnahmen zu den einzelnen Werken zu beschaffen gehabt. Da die von ihm vorgelegte Liste lückenhaft gewesen sei, habe ihn Prof. Dr. B. … beauftragt, nach Frankreich zu fahren, um sich dort nach der erforderlichen Literatur umzusehen und die notwendigen Materialien zu beschaffen. Natürlich sei an ihn nicht die Weisung ergangen, nach Frankreich zu fahren, die Bibliotheken in Tours und Le Mans aufzusuchen und aus ganz bestimmten Büchern Exzerpte bzw Fotokopien anzufertigen. Dies sei schlechterdings nicht möglich gewesen, da selbst Prof. Dr. B. … keine umfassende Kenntnis der notwendigen Literatur gehabt habe. Überdies habe er aber auch nach § 549 RVO unter Versicherungsschutz gestanden. In der Bibliothek des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften seiner Hochschule sei lediglich Standardliteratur vorhanden gewesen. Es seien auch nur durch die neuere Forschung überholte Werke verfügbar gewesen. Diese Literatur sei iS der Rechtsprechung des BSG „verbraucht”, da sie für die zu verrichtende Tätigkeit nicht mehr zu verwenden gewesen sei. Indem er die erforderliche Literatur beschafft habe, habe er damit sein Arbeitsgerät erneuert.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. Oktober 1991 aufzuheben und die Entscheidung des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. Mai 1987 wiederherzustellen.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beigeladene weist darauf hin, daß der Kläger weder im Revisionsantrag noch in der Revisionsbegründung auf eine mögliche Leistungspflicht ihrerseits Bezug nehme.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unbegründet.

Das LSG hat zutreffend die Klage unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen. Der Kläger hat keinen von dem Beklagten oder der Beigeladenen als Arbeitsunfall zu entschädigenden Unfall erlitten, als er auf seiner Heimfahrt von Frankreich nach Frankfurt am Main am 6. April 1980 verunglückte.

Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Dazu gehören nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d RVO auch Verrichtungen eines Studierenden während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen, soweit er nicht bereits zu den nach Nrn 1 bis 3 und 5 bis 8 des § 539 Abs 1 RVO Versicherten gehört, was hier nicht der Fall ist.

Nach den Feststellungen des LSG war der Kläger entsprechend seinem Antrag vom 25. Juli 1980 auf Beurlaubung für das Wintersemester 1980/81 bereits „im vergangenen Semester” beurlaubt. Es kann hier – wie auch vom LSG schon zutreffend angenommen – offenbleiben, ob der Kläger im Falle der Beurlaubung auch bereits im Sommersemester 1980 im Unfallzeitpunkt überhaupt noch zu den nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d RVO versicherten Studenten gehörte (s BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 1). Jedenfalls hat er am 6. April 1980 keinen Arbeitsunfall erlitten.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats schließen Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung sowohl für Schüler während des Besuchs allgemeinbildender Schulen (§ 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO) als auch für Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen (§ 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d RVO) den Versicherungsschutz auf Betriebswegen von Schülern und Studenten nicht grundsätzlich aus (s BSGE 51, 257, 259 zur Schülerunfallversicherung). Indessen ist ebenso wie der Versicherungsschutz während eines Besuchs allgemeinbildender Schulen auch der Versicherungsschutz während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen zur Abgrenzung vom eigenwirtschaftlichen Bereich des Studierenden auf Tätigkeiten innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Hochschule beschränkt (s BSGE 44, 100, 102; BSG SozR 2200 § 539 Nr 122 und SozR 3-2200 § 539 Nr 1). Hier ist der Schutzbereich enger als der Versicherungsschutz in der gewerblichen Unfallversicherung (BSGE 41, 149, 151; 51, 257, 259 und zuletzt BSG Urteil vom 25. Februar 1993 – 2 RU 11/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Allerdings sind bei der Abgrenzung des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Hochschule die gegenüber dem Bereich der allgemeinbildenden Schulen besonderen Verhältnisse einer Aus- und Fortbildung an Hochschulen zu beachten (BSG SozR 2200 § 539 Nr 122). Nicht nur der unmittelbare Besuch von Vorlesungsveranstaltungen an der Hochschule soll versichert sein, da sich das Studium an der Hochschule hierin nicht erschöpft und oftmals – je nach der persönlichen Ausrichtung des Studiums des einzelnen Studenten – die Teilnahme an solchen Veranstaltungen nicht einmal den wesentlichen Teil des Aufenthalts an der Hochschule ausmacht. Studierende sind deshalb in der Regel auch versichert, wenn sie anstelle von Unterrichtsveranstaltungen oder daneben andere Hochschuleinrichtungen wie Universitätsbibliotheken, Seminare und Institute zu Studienzwecken aufsuchen oder sich an Exkursionen der Universität beteiligen (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 1).

Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten besteht für Studierende an Hochschulen jedoch kein weitergehender Unfallversicherungsschutz als etwa für Schüler der allgemeinbildenden Schulen. Für die Beurteilung des Versicherungsschutzes kommt es damit ebenso wie im Schulbereich entscheidend darauf an, ob die Tätigkeit, die zu dem Unfall geführt hat, dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule zuzurechnen ist. Bei Tätigkeiten von Studenten im Ausland besteht Unfallversicherungsschutz ebenfalls nur, wenn es sich um eine ins Ausland ausstrahlende Maßnahme oder Veranstaltung einer deutschen Hochschule (s § 4 Abs 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches – SGB IV –) handelt (Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 539 RdNr 87).

Unter Beachtung dieser Grundsätze stand der Kläger nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, als er am 6. April 1980 in Frankreich verunglückte. Sein Studienaufenthalt in Frankreich und die damit verbundene Rückfahrt nach Frankfurt am Main ist nicht dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Universität Frankfurt am Main zuzuordnen. Bei seinen Prüfungsvorbereitungen in Frankreich handelte es sich nicht um eine ins Ausland ausstrahlende Maßnahme seiner Hochschule in Frankfurt am Main.

Nach den unangegriffenen und daher den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) diente die Fahrt nach Frankreich und der dortige Aufenthalt der Vorbereitung auf den zweiten Teil der Diplomprüfung. Die Hochschule hatte rechtlich keinerlei Möglichkeit der Einflußnahme auf die äußeren Bedingungen, den Umfang, Inhalt und die zeitliche Einteilung des Studienaufenthalts des Klägers. Auch in tatsächlicher Hinsicht hatte die Hochschule keinen Einfluß in dem genannten Sinne auf den Studienaufenthalt des Klägers zur Prüfungsvorbereitung genommen, zumal der Aufenthalt keine durch die Prüfungsordnung zwingend vorgeschriebene Zulassungsvoraussetzung war.

Die Prüfungsvorbereitungen des Klägers in Frankreich stellten keine Tätigkeiten dar, die der Kläger auf Anordnung oder im „Auftrag” eines Prüfers für die Diplomprüfung als Hochschulveranstaltung verrichtete. Der Hauptprüfer Prof. Dr. B. … hatte bezüglich der Durchführung der Auslandsreise und der Auslandsstudien des Klägers rechtlich und tatsächlich keine aus seiner Eigenschaft als Hochschullehrer folgenden Aufgaben insbesondere der Aufsicht, der Betreuung sowie keine Weisungsbefugnisse. Planung und Organisation der Fahrt verblieben allein beim Kläger, der letztlich bestimmen konnte und letztlich auch bestimmte, in welcher Weise und in welchem Umfang er sich auf den zweiten Teil der Diplomprüfung vorbereitete. Ob, wann und welche Universitäten er aufsuchte und unter welchen Umständen er dort die Vorbereitungsarbeiten für seine Klausurthemen betrieb, war allein seine Entscheidung. Soweit er sich bei der Auswahl der zu besuchenden Universitäten an die Empfehlungen des Hauptprüfers Prof. Dr. B. … hielt, geschah dies nicht aufgrund eines „Direktionsrechts”, sondern ergab sich aus der vom Kläger als Prüfungsthema gewählten Aufgabenstellung.

Schon aus diesen Gründen fehlt jede Möglichkeit eines Vergleichs mit der von der Revision angeführten Entscheidung des Senats vom 31. März 1981 (2 RU 29/79 = BSGE 51, 257) zum Versicherungsschutz auf Wegen außerhalb der Schule und außerhalb der Unterrichtszeit, die ein Schüler zurücklegt, um im Auftrag des Lehrers die für einen Versuch im Unterricht erforderlichen Materialien (Tümpelwasser und Heu für den Biologieunterricht) zu besorgen und zur Schule zu bringen. Unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse einer Ausbildung an einer Hochschule ist die Vorbereitung auf die Hochschulprüfung in der Regel die Zusammenfassung einer Vielzahl von Tätigkeiten unterschiedlichster Art, bei der, wie das LSG zutreffend festgestellt hat, der Student typischerweise eigenverantwortlich und selbständig und nicht wesentlich im Interesse der Hochschule bzw eines einzelnen Prüfers oder in dessen Auftrag tätig wird. Dies gilt auch im Falle des Klägers. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß Prof. Dr. B. … nach Rückkehr des Klägers die Vorlage einer ausgewählten Literaturliste – mündlich oder schriftlich – erwartete, die auch dazu dienen sollte, ihm und den anderen Prüfern die Erarbeitung einer konkreten Aufgabenstellung für die Prüfung zu ermöglichen. Denn nach den Feststellungen des LSG handelte es sich bei der Erstellung einer ausgewählten Literaturliste allenfalls um einen Nebenzweck bzw um ein Folgeprodukt nur gelegentlich der wesentlich eigenen Interessen dienenden Prüfungsvorbereitungen des Klägers in Frankreich (vgl BSG Urteil vom 25. November 1977 – 2 RU 99/76 –). Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 28. Februar 1990 – 2 RU 34/89 – (SozR 3-2200 § 539 Nr 1) ausgeführt hat, kann die Zugehörigkeit zum organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule iS der Rechtsprechung des Senats mit der organisatorischen und rechtlichen Verantwortung der Hochschule für die Durchführung des Auslandsaufenthalts nicht dadurch ersetzt werden, daß ein solcher von dem Studierenden selbst durchgeführter Aufenthalt an welchem Ort auch immer durchaus sachgerecht und dienlich – hier aufgrund des von ihm gewählten Themas seiner Diplomarbeit möglicherweise sogar unerläßlich – für das Bestehen der Diplomprüfung ist. Entsprechend längere oder kürzere Aufenthalte im Ausland oder auch nur Reisen im Inland oder ins Ausland, die für die Studien von gleicher Bedeutung sind, gibt es in vielen Fachrichtungen, wie zB in den Literatur- und Kunstwissenschaften oder in der Archäologie. Eine unfallversicherungsrechtliche Abgrenzung wäre kaum möglich und könnte jedenfalls nicht darauf gestützt werden, ob und wie gegebenenfalls nachträglich die zuständige Fakultät dies empfiehlt oder der naheliegenden eigenen Erkenntnis der Studenten überläßt (BSG aaO).

Organisatorische Vorgaben und Zwänge bestanden nach den Feststellungen des LSG bei dem Studienaufenthalt des Klägers in Frankreich weder seitens der Hochschule noch seitens der als Prüfer vorgesehenen Hochschullehrer. Das LSG hat auch zutreffend beachtet, daß während des gesamten Studienaufenthalts in Frankreich keine Kontakte zu den Prüfern einschließlich dem Hauptprüfer Prof. Dr. B. … bestanden. Der nächste Besprechungstermin mit Prof. Dr. B. … war für die Zeit nach der Rückkehr des Klägers vereinbart. Nach der vom LSG festgestellten Aussage des Hauptprüfers gehörte es „zur verbindlichen Aufgabe” des Diplomanden, sich selbständig und selbsttätig umzusehen. Es sei völlig unmöglich, daß der Prüfer dem Diplomanden Auswahl und Reihenfolge der zu besuchenden Bibliotheken vorschreibe. Damit bestand auch insoweit keine enge Beziehung oder Verpflechtung mit dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule.

Aus diesen Erwägungen scheidet auch ein Versicherungsschutz nach § 550 RVO aus, so daß offenbleiben kann, ob der Ort der Tätigkeit des Klägers im Sinne dieser Vorschrift in Frankreich gelegen hat.

Der Kläger stand im Zeitpunkt des Unfalls auch nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 549 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d RVO. Nach § 549 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall, den ein Versicherter bei einer mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgerätes erleidet, auch wenn es vom Versicherten gestellt wird.

Mit dem LSG kann hier offenbleiben, ob es sich bei den vom Kläger in Tours und Le Mans gefertigten Fotokopien und schriftlichen Literaturauszügen sowie bei den im Buchhandel gekauften Büchern um „Arbeitsgeräte” (s ua BSG SozR 2200 § 539 Nr 102, SozR 2200 § 549 Nrn 1, 2, 3, 6 und 9) und ob es sich, wie der Kläger meint, bei seinen Tätigkeiten nicht um eine Erstbeschaffung, sondern um eine „Erneuerung” von Arbeitsgeräten (s insbesondere BSG SozR 2200 § 549 Nr 6) handelte. Denn nach den Feststellungen des LSG hatten der Weg nach Frankreich ebenso wie der Rückweg gerade auch unter Berücksichtigung der hier vorliegenden Besonderheiten des noch auszuwählenden Prüfungsthemas nicht wesentlich der Beschaffung von Exzerpten, Fotokopien und Büchern gedient (s BSG SozR 2200 § 549 Nr 2). Der Kläger war zur privaten Prüfungsvorbereitung nach Frankreich gefahren. Der Zweck seiner Tätigkeit in beiden Universitäten bestand darin, die dort vorhandene Literatur zu sichten und zu studieren sowie zu Studienkollegen Kontakt aufzunehmen, die sich mit ähnlichen Themen befaßten. Bei der dabei – wie üblich – durchgeführten Erarbeitung von Exzerpten und der Herstellung von Fotokopien und der privaten Beschaffung einiger Bücher handelte es sich um diesem Zweck untergeordnete – arbeitstechnische – Teile der Tätigkeiten des Klägers gelegentlich des Aufenthalts in Frankreich. Hierin ändert auch nichts der Einwand des Klägers, die Literaturbeschaffung sei notwendig gewesen, um seinen Prüfern Themen für die Klausuren vorzuschlagen, späterhin die Klausuren auch zu bewältigen und um den Prüfern anhand der Literatur in Form von Fotokopien, Exzerpten und einer „anotierten Literaturliste” die konkrete Aufgabenstellung zu ermöglichen. Nach den Feststellungen des LSG war im Rahmen der Prüfungsvorbereitung Schwerpunkt die Sichtung der Literatur und die Kontaktaufnahme zu mit ähnlichen Themen befaßten anderen Studenten. Der Umstand, daß der Kläger nun bei seiner Heimfahrt von diesem Studienaufenthalt in Frankreich dort gekaufte Bücher sowie dort erstellte Fotokopien und Notizen bei sich führte, ist rechtlich von untergeordneter Bedeutung. Dieser Umstand ist – wie der Beklagte zutreffend hinweist – nicht geeignet, dem Studienaufenthalt nachträglich die Eigenschaft einer nach § 549 RVO geschützten Tätigkeit zu verleihen. Ein bloßes „Mitsichführen” erarbeiteter Studienunterlagen reicht für die Begründung des Versicherungsschutzes nach § 549 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d RVO nicht aus.

Der Kläger war bei seinem Auslandsaufenthalt schließlich auch nicht wie ein Arbeitnehmer nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO bei dem Beklagten oder der Beigeladenen im Zusammenhang mit der Erstellung einer Bibliographie im Auftrag der Fachbereichsbibliothek und/oder der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main versichert. Nach den Feststellungen des LSG hatte der Kläger von der Fachbereichsbibliothek überhaupt keinen – eigentlichen – Auftrag hierzu erhalten. Der Kläger hatte sich vielmehr im Zusammenhang mit seinen Prüfungsvorbereitungen über eine unzureichende Literaturausstattung beschwert, worauf ihm signalisiert wurde, daß man sich um Neuanschaffungen bemühen werde, sofern er ein Literaturverzeichnis vorlege. Ähnlich war die Sachlage nach den Feststellungen des LSG im Verhältnis zur Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, zu deren leitenden Personen der Kläger vor seiner Fahrt nach Frankreich keinerlei Kontakte aufgenommen hatte. An diese einen Anspruch nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO ausschließenden tatsächlichen Feststellungen des LSG ist der Senat gebunden (§ 163 SGG). Der Kläger hat insoweit weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Revisionsrügen erhoben.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173491

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