Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 24.02.1995; Aktenzeichen L 6 A 72/93)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Februar 1995 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die Klägerin bei der Beklagten nachversichert ist.

Die 1940 geborene Klägerin trat am 1. September 1961 in die Ordensgemeinschaft der Beigeladenen ein, aus der sie am 21. Oktober 1972 wieder ausschied. Am 4. August 1992 beantragte sie die „Zulassung zur Nachversicherung” für die Zeit vom 15. August 1964 bis zum 31. März 1967, in der sie mit gärtnerischen und hauswirtschaftlichen Arbeiten im Kloster bzw im Herz-Jesu-Krankenhaus, T. …, beschäftigt war, sowie für die Zeit vom 1. September 1970 bis zum 21. Oktober 1972, in der sie – im Anschluß an eine als Beitragszeit anerkannte Ausbildung zur Krankenschwester (1. April 1967 bis 31. März 1970) – in ordenseigenen Krankenhäusern arbeitete. Die Beklagte lehnte diesen Antrag – außerhalb eines Kontenklärungsverfahrens – ab, weil die Klägerin den Nachversicherungsantrag nicht innerhalb der Ausschlußfrist von einem Jahr nach ihrem Ausscheiden aus der Ordensgemeinschaft am 21. Oktober 1972 gestellt habe (Bescheid vom 13. Oktober 1992, Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1993).

Klage und Berufung der Klägerin (denen sich die Beigeladene angeschlossen hatte), sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 12. Oktober 1993, Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 24. Februar 1995). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, bei der Frist des § 9 Abs 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) idF des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I S 88, im folgenden § 9 Abs 5 AVG aF) handele es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht. Zwar sei noch innerhalb der Jahresfrist nach dem Ausscheiden der Klägerin aus der Ordensgemeinschaft am 21. Oktober 1972 die Vorschrift des § 9 Abs 5 AVG aF durch Art 1 § 2 Nr 3 des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 ≪RRG 1972≫ (BGBl I S 1965) neu gefaßt worden. Dieser Neufassung, die eine Antragsfrist für die Nachversicherung nicht mehr vorsehe, komme keine Rückwirkung zu. Zwar hätte ein Nachversicherungsverhältnis im Falle der Klägerin noch innerhalb der Jahresfrist des § 9 Abs 5 AVG aF bis zum 21. Oktober 1973 durch Antragstellung zum Entstehen gebracht werden können. Aber auch für diese Fälle sei § 9 Abs 5 AVG aF weiterhin anwendbar gewesen.

Die Klägerin hat – die vom LSG zugelassene – Revision eingelegt und im wesentlichen vorgetragen, die am 1. Januar 1973 in Kraft getretene Neufassung des § 9 Abs 5 AVG habe Geltung für alle noch nicht durch Ablauf der Jahresfrist des früheren § 9 Abs 5 AVG aF erfaßten Fälle. Die Neufassung der Vorschrift betreffe auch diejenigen Fälle, in denen zwar das Ausscheiden aus der Ordensgemeinschaft noch vor dem 1. Januar 1973 stattfand, das Nachversicherungsverhältnis aber – wie in ihrem Falle – noch nicht verwirklicht gewesen sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Februar 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 12. Oktober 1993 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Oktober 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1993 zu verurteilen, sie für die Zeit vom 15. August 1964 bis zum 31. März 1967 sowie für die Zeit vom 1. April 1970 bis zum 21. Oktober 1972 zur Nachversicherung zuzulassen.

Die Beklagte hält die angegriffenen Entscheidungen für zutreffend.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie teilt die Ansicht der Klägerin und weist darauf hin, sie sei – ebenso wie die Klägerin – davon ausgegangen, die noch bis zum 31. Dezember 1972 maßgebliche Jahresfrist sei nach der Neufassung des § 9 Abs 5 AVG durch das RRG 1972 nicht mehr zu beachten gewesen. Im übrigen habe sie sich mit der Klägerin „verglichen”.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Der Umstand, daß sich die Klägerin und die Beigeladene (außergerichtlich) „verglichen” haben, steht einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen, da sich diese außergerichtliche Einigung nicht auf die streitgegenständliche, dem öffentlichen Recht zuzurechnende und ggf „kraft Gesetzes” eintretende Nachversicherung der Klägerin bezieht.

Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der Klägerin auf Verpflichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zur „Zulassung zur”, dh auf Feststellung der Nachversicherung ist unbegründet (zur Klageart vgl BSG SozR 3-2200 § 1232 Nr 2).

Nach § 233 Abs 1 Satz 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) werden Personen, die vor dem 1. Januar 1992 aus einer Beschäftigung ausgeschieden sind, in der sie nach dem jeweils geltenden, ua dem § 5 Abs 1 SGB VI sinngemäß entsprechenden Recht nicht versicherungspflichtig waren, weiterhin nach den bisherigen Vorschriften nachversichert, wenn sie ohne Anspruch auf Versorgung aus der Beschäftigung ausgeschieden sind. Beurteilungsmaßstab und Anspruchsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf „Zulassung zur Nachversicherung” ist vorliegend § 9 Abs 5 AVG in der am 1. März 1957 in Kraft getretenen Fassung des Art 1 AnVNG vom 23. Februar 1957 (BGBl I S 88). Nach dieser Vorschrift sind ua Mitglieder geistlicher Genossenschaften, die aus dieser Gemeinschaft ausscheiden, für die Zeit, in der sie aus überwiegend religiösen oder sittlichen Beweggründen mit Krankenpflege, Unterricht oder anderen gemeinnützigen Tätigkeiten beschäftigt waren, aber der Versicherungspflicht nicht unterlagen oder hiervon befreit waren, nachzuversichern, wenn dies von dem ausscheidenden Mitglied oder der Gemeinschaft innerhalb eines Jahres nach dem Ausscheiden beantragt wird.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind vorliegend nicht erfüllt. Weder die Klägerin noch die Beigeladene haben den nach § 9 Abs 5 AVG aF erforderlichen Antrag nach Ausscheiden der Klägerin aus der Gemeinschaft am 21. Oktober 1972 bis zum 21. Oktober 1973 gestellt. Nur wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre – die Erfüllung der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs 5 AVG aF unterstellt – ein Nachversicherungsverhältnis entstanden. Bei der Frist des § 9 Abs 5 AVG aF handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist (BSG SozR Nr 13 zu § 1232 RVO; SozR 3-2200 § 1232 Nr 3), bei der, wenn die Frist versäumt wird, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommt.

Am Erfordernis, diese Frist einzuhalten, hat sich vorliegend nichts dadurch geändert, daß § 9 Abs 5 AVG aF durch das RRG 1972 neu gefaßt wurde. Zwar entfiel mit der Neufassung des § 9 Abs 5 AVG durch Art 1 § 2 Nr 3 RRG 1972 nicht nur die Jahresfrist für den Nachversicherungsantrag, sondern auch das Antragserfordernis schlechthin. Jedoch ist § 9 Abs 5 AVG idF des RRG 1972 im Fall der Klägerin nicht anwendbar. Wie der Senat bereits entschieden hat und wie dies nunmehr in § 233 Abs 1 Satz 1 SGB VI ausdrücklich geregelt ist, muß die Frage, ob ein Nachversicherungsverhältnis entstanden ist, nach dem jeweils im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der versicherungsfreien (bzw befreiten) Beschäftigung/Tätigkeit geltenden Recht beurteilt werden. Dies ist vorliegend die sich aus § 9 Abs 5 AVG aF ergebende Rechtslage, zumal sich der Zeitpunkt des Ausscheidens nicht danach bestimmt, bis zu welchem Zeitpunkt ein Nachversicherungsverhältnis noch hätte zum Entstehen gebracht werden können, sondern nach der tatsächlichen Beendigung der nachzuversichernden Beschäftigung (so in anderem Zusammenhang BSG SozR 2200 § 1232 Nr 22).

Die Neufassung des § 9 Abs 5 AVG durch Art 1 § 2 Nr 3 RRG 1972 ist erst am 1. Januar 1973 in Kraft getreten (zur äußeren Wirksamkeit vgl Art 6 § 8 Abs 1 RRG 1972). Da eine Rechtsnorm (grundsätzlich nur) auf solche Sachverhalte anwendbar ist, die nach ihrem Inkrafttreten verwirklicht werden, findet § 9 Abs 5 AVG idF des RRG 1972 nur auf seit dem 1. Januar 1973 verwirklichte Tatbestände Anwendung. Soweit ein Gesetz seine zeitliche Geltung auf einen Zeitraum vor seinem Inkrafttreten erstreckt, muß sich dies deutlich aus seinem Wortlaut oder schlüssig aus seinem Zweck ergeben. Die Geltungsspanne, dh die Spanne, in der die Anwendung des Gesetzes auf Sachverhalte überhaupt in Frage kommt, beginnt daher nicht vor dem Zeitpunkt, von dem ab die Rechtsfolgen des Gesetzes für die Normadressaten eintreten und seine Bestimmungen von den Behörden und Gerichten anzuwenden sind.

Eine derartige zeitliche Geltung (innere Wirksamkeit) des § 9 Abs 5 AVG idF des RRG 1972 für einen Zeitraum vor seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1973 hat der Senat in seinem Urteil vom 31. März 1992 verneint (BSG SozR 3-2200 § 1232 Nr 3 mwN). Daß Art 1 § 2 Nr 3 RRG 1972 nur Nachversicherungsverhältnisse erfassen soll, die seit dem 1. Januar 1973 entstehen, ergibt sich sowohl aus der Regelungstechnik von Art 6 § 8 RRG 1972, der die vor dem 1. Januar 1973 (oder später) wirksam werdenden Vorschriften des RRG 1972 ausdrücklich und abschließend benennt, sowie aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Die Neufassung des § 9 Abs 5 AVG geht auf einen entsprechenden Vorschlag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zurück. Im Bericht dieses Ausschusses wird ausgeführt, die bisherige Regelung, daß Mitglieder geistlicher Genossenschaften bei ihrem Ausscheiden aus der Gemeinschaft nur auf Antrag nachzuversichern sind, habe zu Unzulänglichkeiten geführt, weil die Betroffenen häufig die Auswirkungen nicht übersehen und deshalb den Antrag nicht gestellt hätten. Deshalb solle „in Zukunft” bei einem Ausscheiden eines Mitglieds aus der Gemeinschaft immer eine Nachversicherung erfolgen (vgl BT-Drucks VI/3767, S 13 zu Art 1 § 1 Nr 3 – § 1232 Abs 5). Danach kann § 9 Abs 5 AVG idF des RRG 1972 nur für die nach dem 1. Januar 1973 entstehenden Nachversicherungsverhältnisse gelten (vgl BSG SozR 3-2200 § 1232 Nr 3). Dies gilt nicht nur in denjenigen Fällen, in denen vor Inkrafttreten der Neufassung der Vorschrift am 1. Januar 1973 der nach altem Recht erforderliche Antrag nicht gestellt war und auch nicht mehr gestellt werden konnte (so die Situation in BSG SozR 3-2200 § 1232 Nr 3). § 9 Abs 5 AVG idF des RRG 1972 ist auch dann nicht anwendbar, wenn bei seinem Inkrafttreten die Jahresfrist des § 9 Abs 5 AVG aF noch nicht abgelaufen war und somit auch nach altem Recht noch ein Nachversicherungsverhältnis hätte entstehen können. Andernfalls würde die Regelung des § 9 Abs 5 AVG idF des RRG 1972, wonach nunmehr auf einen Antrag ganz verzichtet wird, zumindest mittelbar auf Fälle des Ausscheidens erstreckt, die zeitlich vor seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1973 liegen.

Anhaltspunkte dafür, daß es die Beklagte pflichtwidrig unterlassen hat, die Klägerin rechtzeitig auf das sich aus § 9 Abs 5 AVG aF ergebende Antragserfordernis und die dadurch einzuhaltende Frist hinzuweisen, haben die Klägerin und die Beigeladene nicht dargetan; solche Umstände sind auch sonst nicht ersichtlich.

Über die Frage, ob die Beklagte die Klägerin gemäß § 140 Abs 3 AVG für den streitigen Zeitraum zur Nachentrichtung von Beiträgen zulassen darf, ist vorliegend nicht zu entscheiden; dies ist nicht Gegenstand des Verfahrens. Der Umfang des der Klägerin nach § 140 Abs 3 AVG zustehenden Rechts wird durch den bindend gewordenen Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 1992 bestimmt, mit dem die Beklagte eine Beitragsnachentrichtung über den Zeitraum vom 1. September 1961 bis 15. August 1964 hinaus abgelehnt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173747

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